Pharmazeutische Zeitung online
Lesbarkeitstests von Packungsbeilagen

Defizite erkennen und gezielt beraten

14.08.2018  10:16 Uhr

Von Editha Räuscher und Marion Schaefer / Viele Menschen ­informieren sich heute selbst über ihre Medikamente. Doch wie viel verstehen sie von den vor allem im Internet reichlich ­angebotenen Informationen? Das lässt sich derzeit praktisch nur mit Lesbarkeitstests von ­Packungsbeilagen ermitteln.­Apotheker sollten mögliche ­Verständnisprobleme kennen und in der persönlichen Beratung ­berücksichtigen.

Seit Jahren gibt es Kritik an den Packungsbeilagen: wegen der – haftungsrechtlich begründeten – Komplexität der vermittelten Informationen, dem immensen Umfang und vor allem der mangelhaften Verständlichkeit für den Anwender. Um wenigstens die Verständlichkeit durch Vermeidung von Fachtermini zu erhöhen, wurde 1998 mit der ersten Version der »Readability Guideline« für die EU vorgeschlagen, künftige Anwender in die Testung der Lesbarkeit von Packungsbeilagen einzubeziehen. Diese Forderung wurde in Deutschland 2005 mit der 14. Novelle des Arzneimittelgesetzes umgesetzt und in den Folgejahren durch weitere Regelungen ergänzt. Seit 2006 wird zudem eine EU-weit vorgegebene inhaltliche Gliederung der Packungsbeilage, gemäß dem sogenannten QRD-Template, für neu eingeführte Arzneimittel empfohlen.

2017 konstatierte die EU-Kommis­sion jedoch, dass die Packungsbeilagen noch immer schwer verständlich seien. Unter Berufung auf eine niederländische Studie werden die komplizierte Sprache, die Gestaltung und das Layout kritisiert. So stünden die kleine Schriftgröße, enge Zeilenabstände und die Länge der Packungsbeilagen ihrer Nutzerfreundlichkeit entgegen. Aber auch die bei der gegenseitigen Anerkennung der Arzneimittelzulassung übliche Übersetzung stand in der Kritik (1). Im November 2017 informierte die EMA darüber, dass sie die Packungsbeilagen in den nächsten Jahren gründlich überarbeiten wolle (2).

 

Für Patienten sind die Packungsbeilagen in der Regel die ersten schriftlichen Informationsmedien, die sie für ein Arzneimittel in Händen halten. ­Unklarheiten und Verständnisprobleme können die korrekte Anwendung ­gefährden. Apotheker sind deshalb gut beraten, wenn sie die Ergebnisse aus Lesbarkeitstests für die gezielte Beratung ihrer Patienten nutzen.

Wie laufen Lesbarkeitstests ab?

Der Ablauf von Lesbarkeitstests ist im Detail gesetzlich vorgeschrieben. Nach einem Pretest werden zweimal zehn Testleser einbezogen. Angehörige von Gesundheitsberufen sind dabei ausgeschlossen.

 

Zur Prüfung der Verständlichkeit wird ein produktspezifischer Fragebogen entwickelt, der sich auf Inhalte und konkrete Informationen in der Packungsbeilage bezieht, die für eine ­sichere und effektive Anwendung beziehungsweise Handhabung des Arzneimittels von Bedeutung sind. Für den Test erweist sich das qualifizierte Interview als besonders geeignet. Der Interviewer kann während des Gesprächs beobachten, wie der Testleser die Packungsbeilage handhabt, eventuelle Rückfragen beantworten und so viele zusätzliche wertvolle Hinweise erhalten.

 

Vor dem Test wird die Packungsbeilage beziehungsweise die sogenannte Mock-up-Version, die bereits das vorgesehene Layout aufweist, in einem Pilottest mit wenigen Personen geprüft. Abhängig von den Ergebnissen können sowohl die Packungsbeilage als auch der Fragebogen nach Abstimmung mit dem Auftraggeber – in der Regel der pharmazeutische Hersteller – noch überarbeitet werden.

 

Der eigentliche Lesbarkeitstest erfolgt in zwei Befragungsrunden mit jeweils zehn Personen. Diese bekommen die Packungsbeilage zu lesen und werden anschließend gebeten, Fragen zu deren Inhalt zu beantworten Die Test­leser sollen möglichst repräsentativ für die Personengruppe sein, die das Arzneimittel anwenden wird. Auch Personen, die nicht ständig mit geschriebenen Texten zu tun haben und schriftliche Informationen im Allgemeinen schwer erfassen, sollen ein­bezogen werden.

 

Nach der »Guideline on the readability of the label and package leaflet of medicinal products for human use« (EC, Revision 1, Januar 2009) gilt der Test als bestanden, wenn von allen Testlesern pro Frage mindestens 90 Prozent, also 18 Personen, die erforderlichen Informationen in der Packungsbeilage finden und davon 90 Prozent, also 16 Personen, diese in eigenen Worten wiedergeben oder erklären können (90 Prozent Auffindungsrate und davon eine 90-prozentige Verständnisrate). Diese Kriterien gelten für jede der zwölf bis 15 Fragen des Fragebogens. Wird dieses Qualitätskriterium verfehlt, müssen weitere Befragungsrunden folgen (3).

 

Unmittelbarer Nutzen von Lesbarkeitstests

 

Lesbarkeitstests dienen vor allem dazu, unverständliche oder missverständliche Formulierungen aufzudecken (Kasten). Bei geschickter Fragestellung ­lassen sich zudem unverstandene ­Zusammenhänge, etwa zwischen Einnahmefehlern und daraus resultierenden Symptomen, erkennen. Dies sind unmittelbare Nutzeffekte von Lesbarkeitstests.

 

Über indirekt nachweisbare Nutzeffekte, etwa bei der Adhärenzförderung, wurde bisher wenig geforscht und publiziert. Erste Ansätze finden sich in ­einem vom Bundesgesundheitsministerium geförderten AMTS-Projekt zur »EDV-gestützten kooperativen Betreuung bei nierentransplantierten Patienten zur Förderung der Compliance bei immunsuppressiver Therapie unter ­Berücksichtigung der Komedikation« (4). In dieser Interventionsstudie mit 61 Patienten nach Nierentransplanta­tion zeigte sich nach zwölf Monaten, dass die Adhärenz sowohl in der zusätzlich informierten Interventionsgruppe als auch in der Kontrollgruppe zunahm. Die Unterschiede zwischen den Gruppen waren jedoch zu keinem Zeitpunkt signifikant, auch nicht die Rehospitalisierung aufgrund von Transplantat­abstoßung. Beim Selbstmanagement der Blutdruckmessung schnitt die Interventionsgruppe nahezu signifikant besser ab. Dass die Ergebnisse zwischen den Gruppen keine Signifikanz erreichten, ist wohl auch dem ethisch gebotenen Umstand geschuldet, dass alle Patienten von einem interdisziplinären Team – inklusive Apothekern – betreut wurden. Natürlich wurden ­individuelle arzneimittelbezogene Probleme bei allen Patienten gelöst.

 

Zurück zu den direkten Nutzeffekten: Welche Defizite in den Tests aufgefallen sind und wie nützlich diese Erkenntnisse für Offizinapotheker sein können, zeigen nachfolgend einige Beispiele.

 

Unverständliche Begriffe

Die Lesbarkeitstests fördern immer wieder Begriffe zutage, die von einigen Testlesern nicht verstanden werden. Dabei handelt es sich nicht nur um ­medizinische Fachbegriffe im engeren Sinne, sondern auch um Worte, die als allgemein bekannt gelten. Einige Beispiele: akute oder chronische Harn­retention, Agitiertheit, absorbieren, abstillen, applizieren, Blisterpackung, bösartige Erkrankung, Erregungsleitung, funktional, Gastrointestinaltrakt, Kontraindikationen, Metabolismus durch Leberenzyme, Speichelsekretion, symptomatisch, verwerfen.

 

Diese relativ willkürlich ausgewählten Begriffe machen vor allem deutlich, wie wichtig es ist, sich vor dem Hintergrund des eigenen individuellen Kenntnisstandes zu fragen, welche Informationen und wichtigen Hinweise ein Patient offenkundig oder möglicherweise nicht verstanden hat.

 

Unpräzise Formulierungen

 

Auch unpräzise Formulierungen oder die unterschiedliche Verwendung von Begriffen in verschiedenen Abschnitten der Packungsbeilage führen gelegentlich zu (berechtigten) Rückfragen von kritischen Testlesern:

 

  • »Vernachlässigbarer Einfluss von ­Alkohol auf die Verkehrstüchtigkeit«: Gibt es einen Einfluss oder nicht?
  • »Stark eingeschränkte Leberfunk­tion« (unter Kontraindikation) und »Leberdysfunktion« (unter Warnhinweisen): Gibt es einen Unterschied und worin besteht dieser?
  • »Ältere Patienten«: Ab welchem ­konkreten Alter gelten Patienten als älter?
  • »Zu Beginn der Behandlung«: Welchen Zeitraum umfasst das genau?
  • »Schwerwiegende Erkrankungen«: Welche sind gemeint?
  • »Hohe Dosen«: Welche Dosen gelten als hoch?
  • »Längere Anwendung«: Welcher Zeitraum ist gemeint?
  • »Einige Tage«: Wie viele sind genau gemeint?
  • »Später genügt eine zweimal tägliche Anwendung«: Wie viele Tage später?

Widersprüchliche Formulierungen, offene Fragen

 

In diese Kategorie fallen Aussagen, die in der wissenschaftlichen Literatur durchaus üblich sind, aber beim aufmerksamen Leser Fragen provozieren, weil er sie mit den gegebenen Informationen nicht beantworten kann. Die folgenden Zitate stammen aus Packungsbeilagen und wurden zu Recht moniert.

 

  • Die Häufigkeit ist auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht abschätzbar.
  • Bei einem Arzneimittel gegen Akne wird unter Nebenwirkungen Akne aufgeführt.
  • In tierexperimentellen Studien an Ratten passierte der Wirkstoff die Plazenta und erreichte den Fötus, Missbildungen sind jedoch nicht ­bekannt.
  • Es sind keine Untersuchungen an schwangeren Patientinnen durchgeführt worden. Andererseits bestehen keine Verdachtsmomente, die gegen die Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit sprechen. Grundsätzlich sollte die Anwendung von Arzneimitteln während der Schwangerschaft und Stillzeit nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung durch den Arzt erfolgen.
  • Nehmen Sie die Tablette bitte mindestens 14 Tage. Eine Wirkung ist ­frühestens nach vier Wochen zu erwarten.

Mitunter finden die Leser auch inhaltliche Ungereimtheiten in verschiedenen Abschnitten der Packungsbeilage. So wurde zum Beispiel angegeben, dass keine Erfahrungen mit dem betreffenden Arzneimittel bei Kindern vorlägen. Später wird im Abschnitt »4. Nebenwirkungen« unter den seltenen Nebenwirkungen erwähnt, dass Anomalien der roten Blutkörperchen und Eisenmangel bei Kindern aufgetreten seien.

 

Derart unpräzise und zum Teil widersprüchliche Formulierungen unterstreichen die Verantwortung der ­Hersteller bei der Erarbeitung der ­Packungsbeilage, aber auch die der Dienstleister bei den Lesbarkeitstests. Sofern derartige Formulierungen nicht bereits zuvor geändert wurden, erfährt die zuständige Bundesbehörde davon im Abschlussbericht, der nach jedem Lesbarkeitstest erarbeitet wird und den der Hersteller der Zulassungsbehörde vorlegen muss.

 

Inhaltliches Verständnis von Fachbegriffen

Die Begriffe Neben- und Wechselwirkungen sowie Kontraindikationen/Gegenanzeigen werden auch in der Laienpresse häufig verwendet und dürften daher bekannt sein. Dennoch werden sie nicht immer inhaltlich verstanden. Dies belegt eine Studie mit insgesamt 30 Teilnehmern (5), von denen 80  Prozent wussten, was ­Nebenwirkungen sind. 37 Prozent hätten jedoch gern zusätzliche Informationen darüber.

 

Bei den Wechselwirkungen konnten immerhin 63 Prozent den Begriff fachlich einordnen, hatten aber ebenfalls Informationsbedarf. Am wenigsten ­bekannt waren Kontraindikationen/Gegenanzeigen. Nur 33 Prozent wussten, was damit gemeint war. Immerhin die Hälfte wünschte sich zusätzliche Informationen.

 

Missverständliche Dosierungsangaben

 

Vor allem bei der Dosierung kommt es immer wieder zu Fehlinterpretationen von formal korrekten Dosierungsangaben, die aus fachlicher Sicht häufig völlig abwegig erscheinen. Unerkannt gefährden sie die Arzneimitteltherapiesicherheit bei den Patienten. Im Kasten sind drei Beispiele dargestellt, die sich nicht auf Packungsbeilagen, sondern auf Dosierungsangaben im bundeseinheitlichen Medikationsplan beziehen (5).

 

Generell scheinen Dosierungsangaben wie »Nehmen Sie 1 x 1 Tablette täglich« besser verstanden zu werden als »Die übliche Dosis beträgt 200 mg am Tag« oder »Die Tabletten werden einmal täglich eingenommen«. Da die korrekte Dosis besonders wichtig für den Therapieerfolg beziehungsweise das Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen ist, sollten Apotheker bei neu verordneten Arzneimitteln – aber auch bei vertrauter Medikation – möglichst immer nachfragen, ob der Patient die Dosierungsanleitung verstanden hat und diese gegebenenfalls präzisieren und erläutern.

Dosierungsangaben – und was der Patient darunter versteht

Beispiele von Dosierungsangaben im bundeseinheitlichen Medikationsplan, die bei Patienten zu Fragen und Missverständnissen führen können (5):

 

Beispiel 1: Dosierungsempfehlung 2 x täglich 1 Tablette morgens und abends. Interpretation des Patienten (Zitat): »Hier sehe ich 24 Stunden als Einheit. Da würde ich bei 1000 mg morgens 500 mg und zur Nacht 500 mg nehmen.«

 

Beispiel 2: Dosierungsempfehlung: 1 Tablette Benazeplus morgens, enthält 20 mg Benazeprilhydrochlorid und 25 mg Hydrochlorothiazid. Interpretation des Patienten (Zitat): »Das ist verwirrend ... 20 zu 25 mg. Das heißt, dass ich morgens eine Tablette vierteln muss.«

 

Beispiel 3: Dosierungsempfehlung: 2 x täglich 1 Tablette mittags und abends 375 mg. Interpretation des Patienten (Zitat): »Das ist für mein Gefühl zu viel. Das klingt nach so viel ..., würde ich halbieren. Morgens eine halbe und abends eine halbe Tablette.«

Fehlende Angaben

 

Testleser sind durchaus in der Lage, das Fehlen von Informationen zu bemerken, die die Arzneimittelanwendung sicherer machen würden. Ein Beispiel sind nähere Informationen dazu, welche konkreten Symptome bei einer versehentlichen Überdosierung auftreten können und was in diesem Fall zu tun ist.

 

Mitunter findet man die Aussage, dass bisher keine entsprechenden ­Untersuchungen, zum Beispiel zum Übergang des Wirkstoffs in die Muttermilch oder zur Verkehrstüchtigkeit durchgeführt wurden. Dies kann bei kritischen Testlesern die Befürchtung auslösen, dass das Arzneimittel nicht ausreichend ­getestet sei.

 

Zu lang, zu unstrukturiert

 

Nach wie vor kritisieren Testleser häufig den Umfang und die Komplexität der Packungsbeilage. Auch die Auflistung der meist zahlreichen Nebenwirkungen verunsichert sie und schreckt mitunter sogar von einer Anwendung des Arzneimittels ab.

 

Patienten bevorzugen kürzer gefasste Informationen, die das Wichtigste für eine wirksame und sichere Anwendung des jeweiligen Arzneimittels hervorheben. Auch optisch unterstützte Gliederungspunkte werden geschätzt, da sie die Orientierung in der Packungsbeilage fördern.

 

Mehr Übersicht, mehr ­Bilder erwünscht

Das vorgeschriebene einheitliche Format der Packungsbeilagen stellt sicher, dass Informationen zum jeweiligen Arzneimittel immer in einer standardisierten Gliederung vermittelt werden. Einmal damit vertraut, ermöglicht sie dem Anwender, gezielt nach bestimmten Informationen zu suchen, ohne bei konkreten Fragen immer die komplette Packungsbeilage durchlesen zu müssen. Aber auch hier gibt es Schwächen oder Kompromisse, die verwirrend sein können oder die Auffindbarkeit bestimmter Informationen erschweren.

 

So werden beispielsweise die Kon­traindikationen oft nicht gleich gefunden, da sie nicht im Abschnitt 2 »Was müssen Sie vor der Anwendung / Einnahme beachten« stehen und leicht überlesen werden. Testleser schlugen daher vor, die Kontraindikationen als eigenen Gliederungspunkt in das Inhaltsverzeichnis aufzunehmen. Dieses nutzen nämlich viele Patienten zur ­Orientierung und zum Auffinden von Informationen.

 

Doch selbst wenn man derartige Auffindungsprobleme ausschließt, bleibt die Informationsvermittlung über die Packungsbeilage oft abstrakt oder wenig anschaulich. Um die Verständlichkeit zu erhöhen, wären zumindest bei bestimmten Anwendungsformen zusätzliche Bilder, Grafiken oder anschaulichere Medien hilfreich. Dies gilt zum Beispiel für Arzneiformen, deren Handhabung verbal nur mühsam zu beschreiben ist.

 

In einem Pilotprojekt wurde bei ­Fentanyl Matrixpflastern untersucht, welches der drei Informationsmedien Packungsbeilage, Booklet oder Film die besten Hinweise und Erklärungen für die sichere und effektive Anwendung liefert (6). Die Kombination aus allen drei Medien zeigte das beste Ergebnis hinsichtlich der Anwendungssicherheit. In der Packungsbeilage fehlten ­anschaulich dargestellte, anwendungsrelevante Informationen. Würden diese ergänzt, könnte das Booklet entfallen. Bietet man den Anwendern den Film als zusätzliche ­Information aktiv an, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ­genutzt. Im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung von Information und Kommunikation sollten auch neue Wege der Informationsvermittlung zur Arzneimittelanwendung erprobt werden.

 

Erkenntnisse aus den ­Lesbarkeitstests nutzen

 

Lesbarkeitstests sind unerlässlich bei der Identifizierung von un- oder missverständlichen Begriffen oder Textpassagen in Packungsbeilagen und schon deshalb gerechtfertigt. Da die Testberichte zunächst dem Hersteller vorgelegt werden, kann dieser vor Zulassung und Markteinführung eines Arzneimittels noch zweckmäßige Änderungen in der Packungsbeilage vornehmen.

 

Testleser sind durchaus in der Lage, auch widersprüchliche Formulierungen und sogar Informationslücken zu identifizieren. Daher ist zu überlegen, ob die künftigen Anwender nicht schon während der Erarbeitung einer Packungsbeilage, etwa über Patientenfokusgruppen, oder während einer klinischen Prüfung einbezogen werden sollten. Deren Rückmeldungen, Erfahrungen und Informationsbedürfnisse liefern wichtige Hinweise aus dem Therapiealltag.

 

Es ist allerdings naiv zu glauben, dass eine gut verständliche Packungsbeilage zwangsläufig die Adhärenz des Patienten nachweisbar verbessert. Tradierte Grundüberzeugungen, verbunden mit einer generellen Skepsis gegenüber »chemischen« Mitteln, können durchaus verhindern, dass sich Einstellung und Verhalten ändern.

 

Heilberufler sind gefragt

 

Schriftliche Arzneimittelinformationen, die sich Patienten aus dem Internet oder aus anderen Quellen holen, und auch Packungsbeilagen werden vermutlich immer bis zu einem gewissen Grad erklärungsbedürftig sein. Für die Heilberufler, insbesondere die Apotheker, ist dies eine gute Nachricht. Es ist ihre Aufgabe, bei jeder Abgabe eines Arzneimittels zu hinterfragen, ob der Patient die Anwendung verstanden hat. Denn nur sie verfügen über die fachliche Kompetenz, alle offenen Fragen im persönlichen Gespräch zu klären.

 

Der Bericht der EU-Kommission vom März 2017 hat unter anderem angeregt zu untersuchen, »inwiefern in Zukunft elektronische Medien für die Bereitstellung der Informationen in der Fach­information und der Packungsbeilage genutzt werden können«. Diese Form der Information hätte den Vorteil, dass potenziell unbekannte oder wenig bekannte Fachtermini mit kurzen Erläuterungen hinterlegt werden können. Der Nutzer kann diese bei Bedarf jeweils mit einem Klick aufrufen, ohne dass dies den Lesefluss stört.

 

Aber auch dann ist das persönliche Gespräch von Apothekern mit ihren Patienten unerlässlich, denn nur sie können herausfinden, welche Informationen tatsächlich verstanden wurden und welche der Patient noch benötigt. Zudem können sie bei Missverständnissen korrigierend eingreifen. Das gilt vor allem für ältere und multimorbide Menschen, die gerade wegen der zunehmenden Digitalisierung mehr denn je auf die persönliche Betreuung und Beratung in der Apotheke angewiesen sind. /

 

Literatur 

  1. Dtsch. Apoth.Ztg. 157, Nr. 13 (2017) 1178.
  2. Dtsch. Apoth.Ztg. 157, Nr. 47 (2017) 4566.
  3. Räuscher, E., Birnbaum, U., Schaefer, M., Erste Erfahrungen mit Lesbarkeitstests von Packungsbeilagen. Pharm. Ind. 2006/68 (12) 1347-1350.
  4. Abschlussbericht eines vom BMG geförderten AMTS-Projektes zur »EDV-gestützten kooperativen Betreuung bei nierentransplantierten Patienten zur Förderung der Compliance bei immunsuppressiver Therapie unter Berücksichtigung der Komedikation«. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/Abschlussbericht_EDV-gestuetzte_kooperative_Betreuung_bei_nierentransplantierten_Patienten_zur_Foerderung_der_Compliance.pdf
  5. Vogt, B., Gesundheitskompetenz und Arzneimitteltherapiesicherheit – Berücksichtigung der Patientenfähigkeiten bei der flächendeckenden Implementierung des standardisierten Medikationsplanes. Masterarbeit Studiengang Consumer Health Care. Charité Universitätsmedizin Berlin, 2015.
  6. Räuscher, E., et al., Packungsbeilage, Booklet oder Film – welches Informationsmedium ist für die sichere Anwendung von Arzneimitteln am besten geeignet? Pharm. Ind. (2011/78 (8) 1378-1386.

Die Autorinnen

Editha Räuscherstudierte Pharmazie an der Freien Universität Berlin und erhielt 1992 ihre Approbation als Apothekerin. Sie arbeitete in einer öffentlichen Apotheke und wurde 2000 promoviert. Dr. Räuscher war viele Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité–Universitätsmedizin Berlin beim postgradualen Masterstudiengang Consumer Health Care tätig. Seit 2006 sind Dr. Räuscher und Professor Dr. Schaefer Geschäftsführerinnen der Consumer Health Care – Science & Services GmbH, jetzt CHC – Science & Services / Schaefer & Räuscher GbR.

 


Marion Schaefer studierte Pharmazie in Halle und habilitierte sich 1984 an der Humboldt-Universität Berlin. Seit 1985 ist sie als Dozentin für Arzneimittelepidemiologie/Sozialpharmazie an der Humboldt-Universität. Von 2001 bis 2017 leitete sie den Masterstudiengang Consumer Health Care. Seit 2018 ist Professor Schaefer als Gastwissenschaftlerin an der Charité tätig.

 

Professor Dr. Marion Schaefer, Institut für Klinische Pharmakologie, Invalidenstraße 115, 10115 Berlin E-Mail: marion.schaefer@charite.de

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