Tagtägliche Herausforderung |
15.08.2016 11:50 Uhr |
Von Iris Hinneburg / Die Diagnose Diabetes mellitus bei einem Kind stellt alle Betroffenen vor große Herausforderungen. Eltern und Ärzte sollten jedoch nicht nur eine gute Stoffwechseleinstellung im Blick haben, sondern auch ein unbeschwertes Aufwachsen ermöglichen.
Diabetes mellitus gehört in Deutschland zu den häufigsten Stoffwechselerkrankungen im Kindesalter. Experten schätzen, dass derzeit etwa 15 000 bis 17 000 Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre betroffen sind. Da es in Deutschland keine bundesweiten Register für Diabetes gibt, sind solche Zahlen mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet und beruhen auf Modell-Annahmen. Am häufigsten tritt Typ-1-Diabetes auf, andere Formen sind deutlich seltener (1). Dazu gehören zum Beispiel Typ-2-Diabetes, der sich häufig erst in der Pubertät bemerkbar macht, der genetisch bedingte MODY (maturity onset diabetes of the young) und neonataler Diabetes, der sich in den ersten Lebensmonaten oder -jahren manifestiert.
Alle Kinder essen gerne Eis – aber dürfen das auch Kinder mit Diabetes?
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Eine 2015 veröffentlichte Auswertung der Diabetes-Neuerkrankungen in Deutschland bis zum Jahr 2008 zeigt, dass die Inzidenz in allen Altersgruppen bis 14 Jahre zugenommen hat. In anderen Ländern gibt es ähnliche Trends, auch wenn sich die absoluten Zahlen von Region zu Region deutlich unterscheiden. Europaweit liegen die Erkrankungszahlen für Deutschland im Mittelfeld. Warum Diabetes zunimmt, ist noch nicht geklärt (2, 3).
Der wichtigste Krankheitsmechanismus bei Typ-1-Diabetes ist eine autoimmun vermittelte Zerstörung der Insulin-produzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse. Beteiligt sind auch genetische Faktoren: 10 bis 15 Prozent aller neu erkrankten Kinder unter 15 Jahren haben einen erstgradigen Verwandten mit Typ-1-Diabetes (1). Allerdings kommt vermutlich auch Umweltfaktoren eine wichtige Rolle zu. Diskutiert werden etwa Virusinfektionen, Ernährung in der frühen Kindheit, Geburtsgewicht, frühe Gewichtszunahme, chronische Stressbelastung oder kritische Lebensereignisse. Für keinen dieser Faktoren liegen bisher eindeutige und gesicherte Erkenntnisse vor (4).
Blutglucose | Einstellung | ||
---|---|---|---|
gut | mäßig | schlecht | |
nüchtern oder präprandial | 5 bis 8 mmol/l 90 bis 145 mg/dl | > 8 mmol/l > 145 mg/dl | > 9 mmol/l > 162 mg/dl |
postprandial | 5 bis 10 mmol/l 90 bis 180 mg/dl | 10 bis 14 mmol/l 180 bis 250 mg/dl | > 14 mmol/l > 250 mg/dl |
nachts | 4,5 bis 9 mmol/l 80 bis 162 mg/dl | < 4,2 oder > 9 mmol/l < 75 oder > 162 mg/dl | < 4,0 oder > 11 mmol/l < 70 oder > 200 mg/dl |
HbA1c-Wert | < 7,5 Prozent < 58 mmol/mol | 7,5 bis 9,0 Prozent 58 bis 75 mmol/mol | > 9,0 Prozent > 75 mmol/mol |
Warnzeichen Durst
Bei den meisten Kindern gehen die Eltern zum Arzt, weil die klassischen Symptome eines Diabetes mellitus auffallen. Die Kinder haben vermehrt Durst, trinken extrem viel und müssen häufig zur Toilette. Viele leiden unter wiederkehrenden Infektionen und Gewichtsverlust. Einige klagen auch über Mattigkeit, Leistungs- und Konzentrationsschwierigkeiten.
Wie bei Erwachsenen stellt der Arzt bei Kindern die Diagnose, wenn der Gelegenheitsblutglucose-Wert mindestens 200 mg/dl (11,1 mmol/l) beträgt. Bei bis zu einem Viertel der Patienten ist zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eine diabetische Ketoazidose nachweisbar (1).
Unmittelbar nach der Diagnosestellung beginnt die Insulintherapie, da sich bei Kindern der Stoffwechsel rapide verschlechtern kann. In der Regel erfolgt die Erstbehandlung in einer Klinik, die auf die Behandlung von pädiatrischen Patienten spezialisiert ist. Dort gehören zum Diabetesteam nicht nur Ärzte, sondern auch Ernährungs- und Diabetesberater, Sozialarbeiter und Psychologen.
Individuelle Therapieziele
Kinder und Eltern brauchen eine umfassende Schulung, damit sie die Krankheit im Alltag gut bewältigen können.
Foto: Your Photo Today
Die Therapieziele bei Kindern bestehen nicht nur in einer Optimierung der Stoffwechseleinstellung, der Vermeidung von akuten Entgleisungen (Ketoazidosen und Hypoglykämien) und Folgekomplikationen. Zudem sollen die Kinder unbeschwert am sozialen Leben teilnehmen können, sich normal entwickeln und eine gute Lebensqualität haben (1).
Entsprechend empfiehlt die Leitlinie, dass das Diabetesteam mit jedem Kind und seiner Familie individuelle Therapieziele vereinbart. Das betrifft nicht nur die Zielwerte für die Blutglucose, sondern gerade bei älteren Kindern beispielsweise die zunehmende Selbstständigkeit bei der Blutzuckermessung, Berechnung und Applikation der Insulindosis. Generell wird ein HbA1c-Wert unter 7,5 Prozent (58 mmol/mol) angestrebt. Dabei ist es wichtig, Hypoglykämien zu vermeiden und Blutzuckerschwankungen möglichst gering zu halten.
Die Leitlinie enthält Empfehlungen für Orientierungswerte bei der Blutzucker-Kontrolle (Tabelle 1), die individuell angepasst werden müssen. So können etwa abweichende Zielwerte für Kleinkinder, bei Patienten mit schweren Hypoglykämien oder Störungen der Hypoglykämie-Wahrnehmung sinnvoll sein. Liegen die morgendlichen Blutglucosewerte unter 72 mg/dl (4 mmol/l), sollten Eltern an eine nächtliche Unterzuckerung denken (1).
Wirkstoff | Zugelassen ab (Jahre) |
---|---|
Kurz wirksame Insuline | |
Humaninsulin | keine Altersbeschränkung |
Insulin lispro | keine Altersbeschränkung |
Insulin aspart | ab 2 |
Insulin glulisin | ab 6 |
Mittel und lang wirksame Insuline | |
NPH-Humaninsulin | keine Altersbeschränkung |
Insulin detemir | ab 1 |
Insulin glargin* | ab 2 |
* In der Konzentration 300 I.E./ml nur für Erwachsene
Schulung für Eltern und Kind
Für eine adäquate Behandlung des Diabetes benötigen Eltern und Kinder eine umfangreiche Schulung. Denn die Erkrankung stellt hohe Anforderungen an das Selbstmanagement. Die Schulung darf nicht nur theoretisches Wissen vermitteln, sondern muss vor allem die praktischen Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen.
Regelmäßige Blutzuckerkontrolle ist auch bei kleinen Patienten Pflicht. Erleichterung kann die kontinuierliche Glucosemessung bieten.
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Die konkreten Inhalte und didaktischen Konzepte unterscheiden sich vor allem nach dem Alter des Kindes. So erhalten Kleinkinder in der Regel noch keine strukturierte Schulung, sondern lediglich altersgemäße Erklärungen der Erkrankung. Das konkrete Training zum Umgang mit der Erkrankung beginnt in der Regel kurz vor dem Schulbeginn. So müssen Kinder in diesem Alter etwa wissen, wie sie eine Hypoglykämie erkennen und was sie dann tun müssen, und eine Vorstellung davon entwickeln, dass Insulindosis und Nahrungsaufnahme zusammenpassen müssen. Auch sollten sie im Grundschulalter in der Lage sein, Insulin zu injizieren und Blutzucker zu messen.
Eine zuverlässige selbstständige Anpassung der Insulindosis in Abhängigkeit von Blutzucker und zugeführten Kohlenhydraten gelingt häufig erst älteren Jugendlichen.
In der Elternschulung werden zusätzlich praktische Alltagsfragen thematisiert, etwa der Umgang mit Süßigkeiten oder das Verhalten bei einem Kindergeburtstag. Außerdem erhalten die Eltern Unterstützung bei pädagogischen und psychologischen Fragen – auch was die eigene Belastung angeht (1, 4, 5).
Kleinkinder können Hypoglykämien in der Regel noch nicht selbst einordnen. Eltern und Betreuungspersonen müssen daher besonders gut auf mögliche Anzeichen achten. Außer Zittern oder Schwindel können weitere Symptome auffallen. Manche Kinder erscheinen weinerlich oder schläfrig, andere sind ruhelos, aggressiv oder sprechen undeutlich. Im Grundschulalter können viele Kinder bereits selbst Hypoglykämien bei sich wahrnehmen und entsprechend handeln. Von Patient zu Patient können die Anzeichen jedoch stark variieren. Deshalb müssen Kinder und Eltern, aber auch Betreuer und Lehrer die individuellen Symptommuster kennen.
Besonders schwierig zu erkennen sind nächtliche Hypoglykämien. Als wichtige Hinweise gelten unruhiger Schlaf mit quälenden Träumen, zerwühltes oder verschwitztes Bettzeug, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit am nächsten Morgen (11).
Umstritten ist der Einsatz von Diabetes-Warnhunden, die Hypoglykämien erkennen sollen. Die Arbeitsgemeinschaft pädiatrische Diabetologie rät davon ab, da die Konzepte zum Training der Hunde nicht validiert sind und bisher keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, wie zuverlässig die Tiere Unterzuckerungen erkennen (12).
Pen oder Pumpe
Bei Kindern gilt heute eine intensivierte Insulintherapie nach dem Basis-Bolus-Schema als Standard. Dazu können neben Insulinspritzen Pens eingesetzt werden. Kindermodelle bieten in der Regel die Möglichkeit, die Insulineinheiten auch in halben Schritten einzustellen. Grundsätzlich sind sowohl Humaninsulin als auch Insulinanaloga bei Kindern geeignet. Zu beachten sind die unterschiedlichen Altersbeschränkungen in der Zulassung (Tabelle 2).
Am besten immer griffbereit
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Gerade bei niedrigem Körpergewicht, etwa bei sehr kleinen Kindern, reicht diese Gradierung jedoch nicht aus. Daher erhalten Kinder bis zum Vorschulalter in der Regel für die Ersteinstellung eine Insulinpumpe, die ihnen eine größere Flexibilität ermöglicht. Für die Pumpentherapie kommen ausschließlich kurz wirksame Insuline, häufig Insulinanaloga, zum Einsatz.
Nach der aktuellen Leitlinie gibt es bei Kindern weitere Indikationen für die Pumpentherapie. Dazu gehören etwa ein ausgeprägter Blutzucker-Anstieg in den frühen Morgenstunden (Dawn-Phänomen) oder schwere, rezidivierende und nächtliche Hypoglykämien. Auch wenn trotz mehrfacher Therapieanpassung der Zielbereich für den HbA1c-Wert nicht erreicht wird oder die Blutzuckerspiegel stark schwanken, sollte eine Pumpentherapie erwogen werden. Gleiches gilt bei beginnenden mikro- oder makrovaskulären Folgeerkrankungen. Die Krankenkasse muss die Kostenübernahme der Pumpentherapie jedoch vorab genehmigen.
Ob Pen oder Pumpe: Eltern und Kind sollten im Fall eines technischen Defekts in der Lage sein, Insulin auch mithilfe einer Insulinspritze zu applizieren. Die Spritzen bieten im Vergleich zu Pens den Vorteil, dass sich kurz wirksames und länger wirksames Insulin mischen lassen, was die Anzahl der Einstiche pro Tag reduzieren kann (4).
Blutzucker messen
Eine Diabetes-Erkrankung des Kindes ist eine Herausforderung für jede Familie.
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Um die Zielwerte zu erreichen, sind häufige Blutzuckerkontrollen notwendig, in der Regel fünf- bis sechsmal pro Tag. Eltern sollten die Blutglucose jeweils vor den Mahlzeiten sowie bei Bedarf nach dem Essen messen, um die Therapie anpassen zu können. Auch vor und nach körperlicher Intensität ist eine Kontrolle sinnvoll, um Hypoglykämien zu vermeiden. Bei Krankheit oder ungewohnten Situationen, etwa auf Reisen, können häufigere Messungen sinnvoll sein (4).
Eine neuere Entwicklung zur Beobachtung der Blutzuckerwerte ist die kontinuierliche Glucosemessung (CGM). Dabei misst ein Glucosesensor, der im subkutanen Fettgewebe platziert ist (zum Beispiel am Bauch) etwa alle ein bis fünf Minuten den Glucosegehalt im Gewebe. Der Sensor muss modellabhängig alle fünf bis 14 Tage gewechselt werden. Die meisten Geräte übertragen die Messwerte über einen Transmitter per Funk auf einen Monitor. Inzwischen gibt es auch ein Modell, bei dem der Wert bei Bedarf mit einem speziellen Messgerät vom Sensor abgelesen wird (Flash Glucose Messsystem). Dieses System ist erst für Kinder ab vier Jahren zugelassen. Neben den aktuellen Blutzuckerwerten stellen CGM-Systeme auch Trends der Blutzuckerentwicklung dar.
Allerdings macht die kontinuierliche Glucosemessung die herkömmliche Blutentnahme nicht gänzlich überflüssig. Da es Abweichungen in den Glucosewerten zwischen Gewebe und Blut gibt, müssen die meisten CGM-Systeme regelmäßig kalibriert werden. Bisher sind nur zwei Systeme offiziell dafür zugelassen, dass auf der Basis der angezeigten Messwerte Therapieentscheidungen, etwa für die Insulindosierung, getroffen werden.
Diabetologen warnen davor, sich blind auf die angezeigten Ergebnisse zu verlassen. Bei stark schwankenden Glucosespiegeln oder drohenden Hypoglykämien wird in jedem Fall eine herkömmliche Blutzuckermessung empfohlen (6).
Für eine altersgemäße Entwicklung ist es wichtig, dass Kinder mit Diabetes wie ihre Altersgenossen Kindergarten und Schule besuchen können. In der Praxis birgt dies einige Herausforderungen, da Kinder in diesem Alter in der Regel noch Hilfe beim Diabetes-Management benötigen. Ein fester vorhersagbarer Tagesablauf und eine Insulinpumpe können hilfreich sein. Auf jeden Fall müssen Erzieher und Lehrer wissen, woran sie eine Hypoglykämie erkennen und was sie bei Verdacht darauf unternehmen müssen.
In Einzelfällen kann der behandelnde Arzt ambulante Krankenpflege für die Blutzuckermessung und Insulinapplikation tagsüber verordnen, wenn Eltern dies nicht selbst leisten können. Weitere Informationen für Erzieher und Lehrer enthalten Broschüren der Arbeitsgemeinschaft pädiatrische Diabetologie, die kostenlos erhältlich sind (www.diabetes-kinder.de, unter »Materialien«).
Zukünftig GKV-Leistung
Mitte Juni 2016 beschloss der gemeinsame Bundesausschuss die Aufnahme von CGM-Systemen mit Alarmfunktion in den Hilfsmittelkatalog, sodass zukünftig die Kosten unter bestimmten Bedingungen als gesetzliche Leistung von den Krankenkassen übernommen werden (vorbehaltlich der Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit). Einige gesetzliche Krankenkassen zahlen derzeit Systeme mit Flash-Messung ohne Alarmfunktion als freiwillige Leistung. (7).
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Grundlage des Beschlusses war ein positives Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, IQWiG (8). Für Kinder unter 18 Jahren fand das Gutachten in Studien Anhaltspunkte dafür, dass die kontinuierliche Glucosemessung kombiniert mit der üblichen Blutglucose-Selbstmessung zu niedrigeren HbA1c-Werten führt als eine alleinige Selbstmessung, ohne dass schwere Hypoglykämien häufiger auftreten.
Nach der aktuellen Leitlinien-Empfehlung sollte CGM bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes mit oder ohne Insulinpumpe zum Einsatz kommen, wenn die Patienten häufig an Hypoglykämien leiden, diese nicht ausreichend wahrnehmen oder immer wieder nächtliche Unterzuckerungen auftreten. Auch wenn der Patient bereits schwere Hypoglykämien mit Bewusstlosigkeit erlitten hat, empfehlen die Kinderdiabetologen ein CGM-System (1).
Akute Komplikationen
Zu den wichtigsten akuten Problemen bei Diabetes mellitus gehören Ketoazidosen und Hypoglykämien. Ketoazidosen entwickeln sich bei einem Insulinmangel, meist liegen dann erhöhte Blutzuckerspiegel vor. Da der Körper wegen des fehlenden Insulins die Glucose in den Zellen nicht verwerten kann, werden Fettsäuren für die Energiegewinnung herangezogen. Als Abbauprodukt entstehen Ketonkörper, die bei höheren Konzentrationen den pH-Wert im Blut in den sauren Bereich verschieben. Bei einer Pumpentherapie können auch technische Defekte, etwa ein abgeknickter Katheter, zu einer unzureichenden Insulinzufuhr führen. In diesem Fall können Ketoazidosen sehr schnell entstehen, da auch der basale Insulinbedarf über die Pumpe abgedeckt wird.
Wird eine Ketoazidose zu spät erkannt, droht ein diabetisches Koma oder – bedingt durch ein Hirnödem – eine zerebrale Krise, die tödlich enden kann. Daher ist es wichtig, dass die Eltern in bestimmten Situationen Blut oder Urin auf Ketonkörper testen. Dazu gehören etwa schwere Infektionen, sehr hohe Blutzuckerwerte über 250 mg/dl (13,9 mmol/l), Erbrechen, Durchfall oder wenn das Kind wegen Übelkeit keine Nahrung zu sich nimmt. Lassen sich Ketonkörper nachweisen, sollten die Eltern Insulin injizieren; außerdem sollten die Kinder viel trinken. Bei Ketonwerten im Blut über 1,5 mmol/l ist Rücksprache mit dem Diabetologen ratsam. Bei Werten über 3 mmol/l muss das Kind ins Krankenhaus, da eine diabetische Ketoazidose vorliegt (4).
Zu niedrige Blutzuckerwerte entstehen häufig durch vermehrte Bewegung, wenn die Insulindosis nicht angepasst wurde, wenn das Kind für die verabreichte Insulindosis zu wenig isst oder die Mahlzeit ganz auslässt. Es ist wichtig, die Warnzeichen rechtzeitig zu erkennen, da bei schweren Unterzuckerungen Bewusstlosigkeit und möglicherweise auch Krampfanfälle drohen. Daher sollten immer Traubenzucker oder zuckerhaltige Getränke verfügbar sein. Bei Verdacht auf eine Hypoglykämie sollte das Kind zuerst schnell wirksame Kohlenhydrate zu sich nehmen und dann erst den Blutzucker bestimmen (4).
Iris Hinneburg studierte Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg und wurde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg promoviert. Nach Tätigkeiten in Forschung und Lehre in Halle und Helsinki (Finnland) arbeitet sie heute freiberuflich als Medizinjournalistin. Ihr Schwerpunkt ist die pharmazeutische Fortbildung. Sie ist Fachbuchautorin und produziert einen Podcast mit Themen aus Medizin und Pharmazie für die Fortbildung in der Apotheke.
Dr. Iris Hinneburg
Wegscheiderstraße 12
06110 Halle (Saale)
Folgeprobleme vermeiden
Kinder mit frühem Diabetesbeginn, schweren Hypoglykämien und schlechter Stoffwechseleinstellung in jungen Jahren haben ein erhöhtes Risiko für Lernstörungen. Die Leitlinie empfiehlt deshalb, hier besonders auf die schulischen Leistungen zu achten. So lässt sich eine mögliche Lernbehinderung frühzeitig erkennen und die Kinder können entsprechend gefördert werden (1).
Daneben sind vor allem die körperlichen Langzeitfolgen der Stoffwechselerkrankung gefürchtet. Folgeerkrankungen oder Risikofaktoren dafür können sich schon bei Kindern und Jugendlichen bemerkbar machen. Solche Hinweise gibt es etwa für eine Retinopathie; eine erhöhte Albuminausscheidung im Urin gilt als Risikofaktor für eine spätere Nephropathie. Auch erhöhte Blutdruck- und Blutfettwerte lassen sich bei einigen Kindern mit Diabetes beobachten.
Als beste Strategie für die Vermeidung von Folgeerkrankungen gelten eine gute Stoffwechseleinstellung und die Kontrolle, bei Bedarf auch Behandlung von Risikofaktoren. Die aktuelle Leitlinie sieht vor, dass bei Kindern mindestens vierteljährlich der HbA1c-Wert kontrolliert wird. Augenärztliche Untersuchungen empfehlen sich ab einer Diabetesdauer von fünf Jahren oder spätestens ab dem elften Lebensjahr alle ein bis zwei Jahre. Außerdem sollte der Arzt jährlich die Albuminausscheidung quantifizieren. Bei schlechter Stoffwechseleinstellung ist ab diesem Zeitpunkt auch ein jährliches Neuropathie-Screening sinnvoll. Spätestens ab dem elften Lebensjahr rät die Leitlinie zu einer mindestens einmal jährlichen Blutdruckmessung.
Innerhalb des ersten Jahres nach der Diagnosestellung sollte der behandelnde Arzt die Blutfettwerte untersuchen, sobald sich der Glucosestoffwechsel stabilisiert hat. Ergeben sich keine Auffälligkeiten, reichen Screeningintervalle von zwei Jahren aus beziehungsweise alle fünf Jahre, wenn das Kind noch nicht in der Pubertät ist (1).
Herausforderungen im Alltag
Für Eltern und Kind bedeutet die Diagnose Diabetes zu Beginn meist einen Schock. Aber auch die erheblichen Anforderungen an das Selbstmanagement können psychisch und sozial erheblich belasten.
Da Kleinkinder meist wenig Verständnis für die Notwendigkeit der Therapie aufbringen, sind Kämpfe in der Familie programmiert. Viele Eltern sind hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, die zunehmende Selbstständigkeit des Kindes zu fördern, und der Notwendigkeit, die Therapie engmaschig zu überwachen. Daher kommt Sozialarbeitern und Psychologen in den interdisziplinären Diabetesteams eine wichtige Rolle zu (1). Der Apotheker sollte Eltern ermutigen, solche Angebote anzunehmen und bei Bedarf Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Mitunter ist es im Einzelfall schwierig, die Stoffwechselkontrolle in den Griff zu bekommen. Das liegt zum einen an den physiologischen Besonderheiten des Glucosestoffwechsels: Nach Beginn der Insulintherapie kommt es in vielen Fällen zu einer teilweisen Remission der Erkrankung, sodass die Kinder nur wenig Insulin benötigen. Diese »Honeymoon«-Phase kann einige Wochen, aber auch ein oder zwei Jahre andauern. Danach steigt der Insulinbedarf wieder an. Besonders in der Initialphase der Erkrankung sind also häufige Anpassungen der Insulindosis notwendig. Dieser Prozess verläuft bei jüngeren Kindern schneller als bei älteren. Im weiteren Verlauf beeinflussen auch das Wachstum und hormonelle Veränderungen den jeweiligen Insulinbedarf. Zum anderen lassen sich gerade bei Kleinkindern Nahrungsaufnahme und körperliche Aktivität oft nur schlecht vorhersagen (4).
Auch Infekte verändern die Stoffwechsellage. Gefährlich sind vor allem solche, die den Allgemeinzustand beeinträchtigen und mit Fieber einhergehen. Dabei steigt der Grundbedarf an Insulin in der Regel an, da der Körper vermehrt Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol ausschüttet. Essen die Kinder weniger als sonst oder ist die Resorption gestört, etwa bei einem Magen-Darm-Infekt, muss die Insulindosis zu den Mahlzeiten aber reduziert werden (4).
Kein Süßigkeiten-Verbot
Früher galt die strenge Regel: Kinder mit Diabetes dürfen keine Süßigkeiten essen. Das ist inzwischen überholt. Wie bei stoffwechselgesunden Kindern auch gilt es, ein vernünftiges Maß zu finden.
Kinder mit Diabetes müssen allerdings die Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel beachten. Wenn die Süßigkeiten außer Zucker auch Fett, Eiweiß oder Ballaststoffe enthalten, lassen sie den Blutzucker langsamer ansteigen. Kekse, Schokolade oder Eis sind deshalb günstiger als zuckerhaltige Bonbons. Bei Bonbons oder Lutschern gibt es zuckerfreie (»zahnfreundliche«) Varianten, die eher geeignet sind. Da diese in der Regel Xylit enthalten, das zu Blähungen und Durchfall führen kann, sollten die Kinder sie nicht im Übermaß verzehren.
Bei zuckerhaltigen Süßwaren ist der Gehalt an Kohlenhydraten bei der Insulinzufuhr zu berücksichtigen. Experten empfehlen deshalb, Süßigkeiten als Nachtisch oder eigene Zwischenmahlzeit, etwa Kekse oder Kuchen am Nachmittag, zu essen und nicht unkontrolliert zwischen den Mahlzeiten zu knabbern (9).
Typ-1-Diabetes vorbeugen?
In den letzten Jahren beschäftigen sich Forscher vermehrt mit der Frage, ob sich bei Kindern mit einem erhöhten Risiko der Ausbruch der Erkrankung verzögern oder sogar verhindern lässt. Im Blick sind vor allem Kinder mit familiärer Belastung, wenn also zum Beispiel ein oder sogar beide Elternteile an Typ-1-Diabetes erkrankt sind.
Ansätze zur Primärprävention konzentrieren sich vor allem auf Kinder mit bestimmten genetischen Konstellationen, die die Ausprägung des humanen Leukozyten-Antigens (HLA) betreffen. HLA spielt eine wichtige Rolle bei der Unterscheidung von körpereigenen und körperfremden Strukturen und damit auch bei der Entwicklung von Autoantikörpern gegen die Inselzellen.
Dagegen richten sich sekundärpräventive Maßnahmen an Kinder, bei denen Autoantikörper gegen die Inselzellen nachgewiesen werden können, ohne dass bereits ein manifester Diabetes vorliegt. Derzeit laufende Studien untersuchen vor allem den Einsatz von oralem Insulin (10). /
Literatur