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Antipsychotika

Risiken bei älteren Patienten

13.08.2013  09:06 Uhr

Von Kristina Leuner, Walter E. Müller, Carolin Wolf, Anne Pauly / In den letzten Jahren wurde wiederholt vor dem Einsatz von Antipsychotika bei älteren Patienten gewarnt. Dies bezog und bezieht sich hauptsächlich auf Menschen, die im Rahmen einer Demenzerkrankung an Symptomen wie Wahnvorstellungen, Enthemmungen oder Aggressivität leiden. Welche Risiken bergen Antipsychotika?

Wie häufig Antipsychotika bei Demenzpatienten mit psychopathologischen Symptomen (Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia, BPSD) in Deutschland tatsächlich verordnet werden, lässt sich nur anhand kleinerer Studien oder Daten aus dem europä­ischen Ausland hochrechnen. Studien in Italien, Spanien oder Großbritannien zeigten, dass zwischen 20 und 25 Prozent der Demenzkranken damit behandelt wurden. Überträgt man diese Zahlen auf Deutschland, würden etwa 250 000 Menschen (von etwa 1 bis 1,5 Millionen Demenzkranken) ein Antipsychotikum erhalten. In einer kleinen Studie in 31 Münchner Altenheimen erhielten sogar 30 Prozent der Patienten diese Medikamente (1).

 

Kritiker unterstellen schnell, dass man die Patienten nur medikamentös ruhigstellen wolle. Mit dieser Ansicht sollte man vorsichtig sein, denn das heraus­fordernde Verhalten dementer Patienten kann sehr belastend für pflegende Angehörige oder das Pflege­personal im Altenheim sein. Antipsychotika können hier sinnvoll eingesetzt werden. Weitere berechtigte Indika­tionen wurden im Titelbeitrag der PZ 29/2013 vorgestellt.

 

Die klassischen Antipsychotika (first generation antipsychotics, FGA) teilt man in nieder-, mittel- und hochpotente Stoffe ein. Niederpotente Stoffe wirken erst in sehr hoher Dosierung antipsychotisch, werden aber wegen ihrer H1- und 5HT2-Rezeptorblockade als gut verträgliche Schlafmittel bei Senioren eingesetzt. Die neueren »atypischen« Antipsychotika (second generation antipsychotics, SGA) haben ein günstigeres Nebenwirkungsprofil in Bezug auf extra­pyramidal-motorische Störungen. Sie haben die mittel- und hochpotenten klassischen Antipsychotika eher in den Hintergrund gedrängt (2, 3).

 

Erhöhte Sensitivität im Alter

 

Ältere Menschen entwickeln unter den üblichen Antipsychotika-Tagesdosen häufiger unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) als jüngere Patienten. Eine Dosisreduktion ist daher oft erforderlich. Eine Ursache liegt in der Änderung pharmakokinetischer und -dynamischer Parameter im Lauf des Lebens (4). Zudem können verschiedene Mechanismen zur erhöhten Sensitivität dieser Patientengruppe beitragen und damit das vermehrte Auftreten von UAW erklären (Grafik).

 

Wissenschaftler erklären dies mit der peripheren und der zentralen pharmakokinetischen sowie der pharmakodynamischen Hypothese (5).

Die periphere pharmakokinetische Hypothese bezieht sich auf die niedrigere Eliminationsgeschwindigkeit verschiedener Pharmaka durch Abnahme der glomerulären Filtrationsrate in der Niere. Dies kann zu einer reduzierten Clearance und damit zu erhöhten Plasmaspiegeln führen. Auch Biotransformationsreaktionen in der Leber wie Oxidation, Reduktion und Hydrolyse sind im Alter reduziert. Dagegen laufen Glukuronidierungs- und Acetylierungsreaktionen fast unverändert ab (6).

 

Paliperidon, der aktive Metabolit von Risperidon, und Amisulprid werden hauptsächlich renal ausgeschieden. Deren Dosis muss daher bei eingeschränkter Nierenfunktion angepasst werden (7, 8). Alle anderen Antipsychotika werden größtenteils über die Leber verstoffwechselt (2). Die Zunahme von Fettgewebe und Abnahme des Körperwasseranteils beeinflussen die Verteilung lipophiler Substanzen, zum Beispiel von Diazepam und den meisten Antipsychotika, im Körper. Deren Halbwertszeit kann zunehmen.

 

Diese Hypothese geht also davon aus, dass die Plasmaspiegel der Antipsychotika bei gleichbleibenden Dosen im Alter steigen. Einen größeren Einfluss dürften jedoch zentrale pharmakokinetische und pharmakodynamische Parameter haben (5).

 

Zentrale pharmakokinetische Hypothese

 

Diese betrifft den Eintritt des Arzneistoffs ins Zentralnervensystem (ZNS), dessen regionale Verteilung und die Kompetition um Bindungsstellen mit dem endogenen Agonisten Dopamin (Grafik, Mitte). Es wird vermutet, dass die Blut-Hirn-Schranke beim älteren Patienten durch Lockerung der Tight-Junctions weniger gut ausgeprägt und somit der Eintritt von Antipsychotika ins ZNS erleichtert ist. Dieser Zusammenhang wurde in Studien aber noch nicht belegt.

Ebenfalls wichtig ist die abnehmende Aktivität von P-Glykoprotein (P-gp), das Xenobiotika aus dem ZNS zurück in die Peripherie pumpt. Im ZNS von alternden Ratten wurden höhere Konzentrationen von Haloperidol nachgewiesen (9). Obwohl Quetiapin und Risperi­don gute Substrate von P-gp sind, gibt es keine Studien, die diesen altersbedingten Effekt in vivo zeigen.

 

Eine niedrigere endogene Dopaminkonzentration im ZNS von 5 bis 15 Prozent (vom Normalwert) wurde in Stu­dien post mortem bei alten Patienten konsistent nachgewiesen (5). Die Ursachen liegen laut PET-Studien einerseits in der reduzierten Dopaminsynthese durch abnehmende Aktivitäten beteiligter Enzyme (Tyrosinhydroxylase und Aromatische-L-Aminosäure-Decarb­oxylase), andererseits im gesteigerten Dopaminabbau durch erhöhte Mono­aminoxidase-(MAO-B)-Aktivität (10).

 

Die genannten Veränderungen führen insgesamt zu einer erhöhten Antipsychotika-Konzentration im ZNS und damit zu einer höheren D2-Rezeptorbesetzung bei gleichbleibender Dosierung.

 

Pharmakodynamische Hypothese

 

Beim jüngeren Patienten wird die optimale Wirkung eines klassischen Antipsychotikums bei einer 60- bis 80-prozentigen D2-Rezeptorbesetzung erreicht (11, 12). Bei einer Besetzung über 80 Prozent nehmen unerwünschte Wirkungen (UAW) wie extrapyramidal-motorische Störungen (EPS) zu. Unterhalb von 60 Prozent ist die antipsychotische Wirksamkeit gering.

 

Die altersbedingte Degeneration des dopaminergen Systems in Struktur und Funktionalität beinhaltet einen Rückgang dopaminerger Neuronen (um bis zu 10 Prozent pro Lebensjahrzehnt in der Substantia nigra) sowie eine Abnahme dopaminerger Bindungsstellen und der Rezeptordichte in verschiedenen Hirnarealen (Grafik, rechte Seite). Auch die postsynaptische Signaltransduktion über G-Proteine scheint durch die veränderte Mem­branfluidität im Alter beeinträchtigt zu sein (13). Dies stört die Weitergabe des Signals. Dieser Mechanismus ist noch nicht explizit für Dopaminrezeptoren erforscht (5).

 

Nun könnte man davon ausgehen, dass im Alter der Anteil der durch D2-Antagonisten besetzten Dopaminrezeptoren erhöht ist, da mehr Wirkstoff ins ZNS gelangt. Doch die Besetzung der Rezeptoren wird durch einen Prozess 1. Ordnung bestimmt. Das bedeutet, dass die Reduktion dopaminerger Bindungsstellen auch eine niedrigere absolute Besetzung der Rezeptoren durch das Antipsychotikum mit sich bringt. Die prozentuale Besetzung der Rezeptoren bleibt dabei gleich.

Tabelle 2: Übersicht über extrapyramidal-motorische Störungen (EPS); modifiziert nach (2, 32)

Störung Symptome Wahrscheinlichkeit (in Prozent) Typischer Beginn
Frühdyskinesie Blickkrämpfe, Hyperkinese bei jüngeren Patienten: 25, bei Älteren: 2 in der 1. Woche
Parkinsonoid Einschränkung der Feinmotorik, Rigor, Tremor, Akinese 15 bis 30, leicht erhöht bei älteren Patienten (Dosierung ist relevant, normalerweise niedrigere Dosierung bei Älteren, dadurch geringeres Risiko) 1. bis 10. Woche
Akathisie Sitz- und Stehunruhe, Reizbarkeit, Angst 20 bis 25, gleiche Prävalenz bei alten Patienten 1. bis 7. Woche
tardive Dyskinesie hyperkine­tische Dauersyndrome 15 bis 20, bei älteren Patienten um das 4- bis 5-Fache erhöht 3 Monate bis mehrere Jahre nach Therapiebeginn

Die erhöhte Sensitivität wird vielmehr durch die Abnahme der absoluten Rezeptorzahl erklärt, die durch körpereigene endogene Agonisten besetzt werden und damit eine angemessene physiologische Transmission gewährleisten können (5). Wissenschaftler wiesen in einer Studie an älteren Patienten (62 ± 9 Jahre) Symptome von EPS bei einem deutlich niedrigeren Anteil an besetzten Rezeptoren (33 bis 79 Prozent) nach (14). Das heißt: Mit Abnahme der absoluten Anzahl von Rezep­toren muss ein größerer Prozentsatz an D2-Rezeptoren (20 + x Prozent) für endo­genes Dopamin verfügbar sein, damit EPS verhindert werden.

 

Die erhöhte Sensitivität alter Menschen gegenüber Antipsychotika wird also durch verschiedene Mechanismen bestimmt (15). Nebenwirkungen stellen häufig den therapielimitierenden Faktor dar. Meldungen über eine erhöhte Mortalität von mit Antipsychotika behandelten Demenzkranken wiesen auf potenzielle Gefahren dieser Arzneimittelgruppe hin. Daher erfordern Einsatz und Auswahl eines Antisychotikums (Tabelle 1) immer eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse.

 

EPS vor allem bei klassischen Substanzen

 

Je älter der Patient ist, desto geringer ist die körpereigene Schwelle für extrapyramidal-motorische Störungen (Tabelle 2). Diese äußern sich unter anderem mit Rigor (Muskelverspannungen), Tremor (Zittern), Akinese (Bewegungsarmut), Früh- und Spätdyskinesien (motorische Fehlfunktionen wie Zuckungen im Gesicht oder ruckartiges Herausstrecken der Zunge). Beispielsweise ist die Gefahr für Spätdyskine­sien bei geriatrischen Patienten 6- bis 7-fach erhöht (15).

 

Das Risiko für EPS steigt nicht nur mit der Behandlungsdauer, sondern auch mit der Dauer der Dopamin-Rezeptorbesetzung. Hier zeigen die SGA deutliche Vorteile gegenüber den FGA, da sie weniger fest am D2-Rezeptor binden und somit auch eine endogene Dopamin­aktivität erlauben (16).

Tabelle 3: Medikamente mit hohem anticholinergen Index und mögliche Alternativen; nach Priscus-Liste (19), deutsche Version der Beers-Liste (33) und Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie (2)

Stoffgruppe Arzneistoff Mögliche Alternativen
Antiemetika Dimenhydrinat Domperidon, Metoclopramid
Antihistaminika Dimetinden Cetirizin, Levocetirizin, Loratadin, Desloratadin
Sedativa Diphenhydramin, Doxylamin, Promethazin Pipamperon, Melperon (Cave: CYP2D6-Hemmung), Valdoxan
Antiparkinsonmittel, Behandlung von EPS Biperiden wenn möglich: Wechsel der Therapie, Dosisreduktion des auslösenden Arzneimittels
Antidepressiva Amitriptylin, Doxepin, Imipramin, Paroxetin SSRI (außer Paroxetin), SNRI, Mirtazapin
Darmspasmolytika Butylscopolaminium- bromid wegen fehlenden Wirksamkeitsnachweises vermeiden, gerade zur längerfristigen Therapie

 

Clozapin, die Leitsubstanz der »Atypika«, ist am günstigsten in Bezug auf Antipsychotika-induzierte Bewegungsstörungen. Sie hat jedoch ausgeprägte metabolische und anticholinerge Nebenwirkungen. Zudem besteht unter der Therapie ein 1-prozentiges Agranulozytose-Risiko, was häufige Blutbildkontrollen erfordert. Clozapin ist daher nur zu empfehlen, wenn bei einem Patienten früher schon EPS aufgetreten sind. In der CATIE-AD-Studie traten unter Quetiapin weniger EPS als unter Olanzapin und Risperidon auf; daher ist diese Substanz bei Parkinson-Psychosen das Mittel der Wahl (6, 17, 18).

 

Zur Behandlung von EPS werden vor allem Dosisreduktion oder Wechsel des Arzneistoffs empfohlen. Die typischerweise zur Therapie von EPS verwendeten Anticholinergika wie Biperiden sollten bei älteren Patienten nur mit Vorsicht und unter Berücksichtigung von Komorbidität und Komedikation – aufgrund möglicher additiver anticholinerger Effekte – eingesetzt werden (17).

 

Vorsicht anticholinerge Effekte

 

Auch die anticholinergen Eigenschaften von Antipsychotika sollten bei deren Auswahl eine wichtige Rolle spielen. Bei jüngeren Patienten sind periphere anticholinerge Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation, verschwommene Sicht und reduzierte Schweißbildung zwar unangenehm, beim Älteren können sie aber Kompli­kationen hervorrufen. Beispielsweise kann ausgeprägte Mundtrockenheit die Resorption von Schmelztabletten, die sublingual appliziert werden, einschränken. Die verminderte Schweißbildung kann Hitzschläge begünstigen (15).

 

Zentrale anticholinerge Wirkungen können zu deliranten Symptomen führen. Ein Grund dafür ist die verminderte Anzahl cholinerger Neuronen im Gehirn, insbesondere bei Alzheimer-Patienten (6, 16).

Antipsychotika unterscheiden sich im Ausmaß ihrer Muskarin-Rezeptor­blockade. Ausgeprägte anticholinerge Eigenschaften zeigen Clozapin, Olanzapin und Quetiapin, während Risperidon, Aripiprazol und Ziprasidon ein günstigeres Rezeptorprofil aufweisen (17).

 

Ein weiteres Risiko für die Entwicklung eines anticholinergen Delirs stellt die Polypharmazie dar. Die anticholinergen Effekte der Antipsychotika können sich durch weitere anticholinerg wirksame Arzneistoffe potenzieren (Tabelle 3). Beim geriatrischen Patienten sollte die Anzahl der Medikamente mit hohem anticholinergen Index möglichst gering gehalten werden. Eine Hilfe zur Auswahl potenziell adäquater Arzneistoffe bietet auch die Priscus-Liste (19).

 

QTc-Zeit-Verlängerung: Risiko für Herzarrhythmien

 

Die kardialen Nebenwirkungen vieler Psychopharmaka sorgen seit Langem für FDA-Warnungen, beispielsweise bei Thioridazin (16). Das atypische Anti­psychotikum Sertindol wurde wegen kardialer Todesfälle 1998 vom Markt genommen (6). Sertindol ist inzwischen als Mittel der zweiten Wahl unter EKG-Kontrollen wieder zugelassen, wird aber wegen fehlendem Vorteil gegenüber anderen Substanzen nicht mehr empfohlen (2).

 

Die kardialen Todesfälle sind häufig auf Arrhythmien zurückzuführen, für die eine Verlängerung des QTc-Intervalls ein wichtiger Risikofaktor ist. Vereinfacht kann man sagen, dass die QTc-Zeit ein Maß für die Dauer der Repolarisation der Herzkammer ist (20, 21). Für die Repolarisation der Herzmuskelzelle ist ein Ausstrom von Kalium verantwortlich. Werden Kaliumkanäle, zum Beispiel durch Psychopharmaka, blockiert, verlängert sich die Repolarisa­tions­phase und damit die QTc-Strecke im Elektrokardiogramm (EKG). Normale QTc-Zeiten liegen für Männer unter 430 ms und für Frauen unter 450 ms. Eine Verlängerung der QTc-Zeit kann nicht per se als Risiko gewertet werden. Ab QTc > 500 ms und insbesondere ab QTc > 600 ms steigt jedoch das Risiko für ventrikuläre Arrythmien, den Torsades-de-pointes-Arrythmien (TdP), deutlich an. Diese können im schlimmsten Fall zu Kammerflimmern führen, was den plötzlichen Herztod auslösen kann (21).

Tabelle 4: Häufig eingesetzte Arzneistoffe mit nachweislich hohem Risiko für eine Verlängerung des QTc-Intervalls; nach Arizona CERT (www.QTdrugs.com)

Stoffgruppe Wirkstoff Anmerkung, Empfehlung
Herz-Kreislauf-Mittel Amiodaron engmaschige Kontrolle, Wechsel auf ein Antipsychotikum ohne Risiko für QTc-Zeit-Verlängerung
Antidepressiva Citalopram, Escitalopram Rote-Hand-Brief: Kontraindikation mit QTc-Zeit-verlängernden Substanzen, Wechsel auf Sertralin
Makrolide Erythromycin, Clarithromycin Auswahl eines alternativen Antibiotikums nach Erregerspektrum
Gyrasehemmer Moxifloxacin Auswahl eines alternativen Antibiotikums nach Erregerspektrum

Ein bedeutender Risikofaktor für ein verlängertes QTc-Intervall ist höheres Alter. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Weitere, vor allem im Alter wichtige Risikofaktoren sind kardiale Vorschädigung wie Herzinsuffi­zienz und Elektrolytstörungen, vor allem Hypomagnesiämie und Hypokali­ämie. Diese können durch Komedika­tion wie Diuretika oder Durchfall und Erbrechen ausgelöst werden (20). Mutationen in mehreren Genen, die für Untereinheiten von Natrium- oder Kalium­kanälen am Herzen kodieren, führen zu einer angeborenen verlängerten QT-Zeit. Diese stellen einen altersunabhängigen Risikofaktor dar. Es gibt weitere Faktoren, die das Risiko für Tor­sades-de-pointes-Arrythmien steigern; nach (15):

 

  • weibliches Geschlecht
  • Bradykardie
  • prolongierte QTc-Zeit vor Behandlungsbeginn, zum Beispiel durch Herzinsuffizienz oder genetische Polymorphismen
  • abnorm verlängerte QTc-Zeit oder T-Strecken-Veränderungen unter Behandlung mit Antipsychotika
  • Elektrolytstörungen, Diuretika
  • hohe Dosierung oder rasche intra­venöse Gabe von Anti­psychotika
  • kardiale Hypertrophie
     

Beide Untergruppen der Antipsychotika bergen ein Risiko für QTc-Zeit-Verlängerung. Bei den älteren hochpotenten Stoffen ist neben den obsoleten Substanzen Thioridazin und Pimozid auch Haloperidol i. v. in hoher Dosis zu erwähnen. Hierzu gab es im September 2007 eine FDA-Warnung, mit der Empfehlung für laufende EKG-Kontrollen während der Anwendung. Für das niederpotente Antipsychotikum Melperon, das in der Gerontopsychiatrie als Schlafmittel eingesetzt wird, liegen Fallberichte zur QTc-Verlängerung vor.

 

Auch unter den SGA Quetiapin, Ris­peridon, Olanzapin und – in deutlich stärkerem Ausmaß – Ziprasidon sind QTc-Verlängerungen aufgetreten. Aripiprazol scheint nach derzeitiger Studienlage kein Risiko zu bergen (2, 6).

 

Vor Beginn und während der Therapie mit Antipsychotika sollten regel­mäßige EKG- und Kaliumkontrollen erfolgen. Das Prinzip, die minimal wirk­same Dosis zu wählen, gilt hier besonders, da es sich um eine dosisabhängige Nebenwirkung handelt (2). Kombina­tionen mit Arzneimitteln, die nachgewiesenermaßen das QTc-Intervall verlängern, sollten nur unter engmaschiger Kon­trolle eingesetzt werden (Tabelle 4). Dies gilt auch für die im klinischen Alltag oft eingesetzte Kombination von Citalopram und Escitalopram mit Antipsychotika wie Risperidon oder Quetiapin.

 

Erhöhte Sturzgefahr

 

Der Zusammenhang zwischen psychotroper Medikation und Stürzen mit daraus resultierenden Frakturen in der Geriatrie wurde in den letzten Jahren häufiger untersucht (22). In einer kürzlich publizierten Metaanalyse wurden Antipsychotika mit einer erhöhten Sturzgefahr assoziiert. Jedoch birgt die Grunderkrankung, für die Antipsycho­tika eingesetzt werden, zum Beispiel psychopathologische Symptome bei Demenz, ebenfalls ein erhöhtes Sturz­risiko, weshalb die Kausalität unklar bleibt (23).

 

Gesichert ist, dass sowohl FGA als auch SGA durch α1-Antagonismus zu orthostatischer Dysregulation führen können. Clozapin und Quetiapin wirken zusätzlich sedierender als zum Beispiel Risperidon, was das Risiko weiter erhöht. Amisulprid, Aripiprazol und Ziprasidon zeigen weniger orthostatische Dysregulation und Sedation; daher sollten diese Substanzen bei Patienten, die zum Beispiel durch eine antihypertone Medikation ein erhöhtes Sturz­risiko haben, bevorzugt werden (6, 16).

Zu beachten ist, dass sich der Körper im Lauf der Zeit an die Medikamente und deren Nebenwirkungen gewöhnt. Durch langsames Aufdosieren und eine niedrige Erhaltungsdosis sind ortho­statische Effekte weit­gehend vermeidbar (6). Ist ein Patient sturzgefährdet, muss auch auf EPS, additive Sedierung durch Kombination mit Benzodiazepinen und verschwommene Sicht durch anticholinerge Effekte geachtet werden (16).

 

Schlaganfall und Mortalität bei Demenzkranken

 

2003 gab die FDA die erste Warnung heraus, die über einen in mehreren Studien gefundenen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Risperidon bei Demenzkranken mit psychopathologischen Symptomen und zerebrovaskulären Ereignissen, vor allem Schlaganfall und transitorischen ischämischen Attacken (TIA), informierte. Die Warnung wurde bald auf alle atypischen Antipsychotika ausgeweitet (24, 25). 2005 warnte die FDA vor einer mäßig erhöhten Mortalität (1,6 bis 1,7 Prozent) bei der Behandlung von BPSD-Patienten mit atypischen Antipsychotika (26). Daraufhin wurden die Fach­informa­tionen dieser Arzneimittelgruppe um ein »black-box-warning« ergänzt, das explizit auf den Off-Label-Einsatz bei Demenzpatienten hinweist. Nach entsprechenden Studien wurde die Warnung 2008 auf konventionelle Anti­psychotika erweitert, deren Risiko noch höher zu sein scheint (27).

 

In den klinischen Studien waren die meisten Todesfälle zwar auf kardiovaskuläre Ereignisse oder Infektionen wie Aspirationspneumonien zurückzuführen, der genaue Pathomechanismus der zerebrovaskulären Nebenwirkungen bleibt aber unklar. Einige Autoren vermuten, dass die Todesfälle durch ortho­statische Hypotension, thromboembolische Ereignisse oder Dehydrierung und venöse Stauung durch aus­geprägte Sedierung hervorgerufen wurden (24, 25).

 

Das Risiko für einen Schlaganfall ist in den ersten Wochen der Behandlung am höchsten. Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Dyslipid­ämie oder eine gerinnungshemmende Therapie erhöhen es weiter. Daher ist die gute Einstellung der Begleiterkrankungen bei Demenzpatienten besonders wichtig (16, 17).

 

Pneumonierisiko erhöht?

 

In einigen Studien wurde ein Zusammenhang zwischen ambulant erworbener Pneumonie und der Einnahme von antipsychotischen Medikamenten bei älteren Patienten nachgewiesen (17, 22, 28). Das Risiko war unter allen Arznei­stoffen, am meisten unter Risperi­don, erhöht. Auch hier sind die Ursachen nicht eindeutig geklärt. Verschiedene Mechanismen werden diskutiert, zum Beispiel anticholinerge Effekte, die über einen verminderten Speichelfluss die Nahrungsaufnahme stören und zur Aspiration führen können.

 

Multimorbide und immobile Patienten zeigten in den ersten Wochen der Therapie wiederum das höchste Risiko. Dies erschwert die Interpretation der Ergebnisse, da die Begleitumstände das Pneumonierisiko natürlich auch erhöhen. Bei diesen Patienten sollte man daher verstärkt auf Anzeichen einer Lungenentzündung achten (17, 28).

 

UAW meist dosis- und zeitabhängig

 

Neben den genannten Nebenwirkungen kann es zu weiteren unerwünschten Effekten kommen. Besonders wichtig sind metabolische Veränderungen unter den SGA, die zwar auch bei älteren Patienten auftreten, im Vergleich mit den anderen schwereren Nebenwirkungen aber in den Hintergrund treten.

 

Die meisten Nebenwirkungen treten dosis- und zeitabhängig auf (27). In den ersten Tagen der Therapie – bevor körpereigene Adaptionsmechanismen greifen können – sind schwere kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse signi­fikant häufiger. Nach dieser ersten sensiblen Phase zeigt sich ein zweiter Neben­wir­kungs­gipfel nach einigen Monaten der re­gel­mäßigen Antipsychotika-Einnahme. Jetzt kommen länger­fristige Effekte wie QTc-Zeit-Verlängerung, Immobilisation durch Sedierung mit dem Risiko für thromboembolische Ereignisse (17) und meta­bolische Veränderungen zum Tragen.

 

Je höher die Inital- und Erhaltungsdosis ist, desto größer ist die Gefahr, dass ältere Patienten Nebenwirkungen erleiden. Daher gilt die Devise: »Start low, go slow« (Kasten).

 

Pharmakokinetische Interaktionen

 

Alle FGA werden über das CYP2D6-Isoenzym verstoffwechselt. Mit erhöhten Plasmaspiegeln muss man also bei gemeinsamer Verabreichung mit potenten CYP2D6-Inhibitoren wie Fluoxetin, Paroxetin oder Duloxetin rechnen.

 

Inhibitorisch auf CYP2D6 wirken auch die FGA Melperon, Thioridazin und Levomepromazin. Gerade Melperon, das bei Verwirrtheitszuständen, psychomotorischer Unruhe und Schlafstörungen für geriatrische Patienten empfohlen wird, muss aufgrund der möglichen pharmakokinetischen Interaktionen mit Bedacht verordnet werden. Die Bioverfügbarkeit von Tramadol, das über CYP2D6 metabolisiert wird, kann bei gleichzeitiger Verabreichung mit diesen FGA steigen. In Stu­dien wurden erhöhte Plasmakonzentra­tionen von trizyklischen Anti­depressiva, die als Klasseneffekt auch über CYP2D6 verstoffwechselt werden, beobachtet. Damit steigt die Gefahr anticholinerger oder kardiovaskulärer Nebenwirkungen (2).

 

Die SGA haben weder eine inhibitorische noch eine induktorische Wirkung auf Cytochrom-P450-Enzyme, werden in der Leber jedoch extensiv darüber metabolisiert. Bei der Kombination mit Enzyminhibitoren muss daher mit erhöhten Plasmaspiegeln und vermehrten Nebenwirkungen gerechnet werden. Risperidon wird beispielsweise über CYP2D6 verstoffwechselt, was in Kombination mit Fluoxetin oder Par­oxetin zu erhöhten Risperidon-Blutspiegeln führen kann. Eine Dosisreduktion von Risperidon auf bis zu zwei Drittel der ursprünglichen Dosierung kann notwendig sein (29).

 

CYP1A2 spielt eine herausragende Rolle bei der Metabolisierung von Clozapin. Die Kombination mit Carbamazepin als Induktor von CYP1A2 kann zu subtherapeutischen Plasmaspiegeln führen. Ciprofloxacin, ein potenter Hemmer von CYP1A2, erhöht dagegen die Verfügbarkeit von Clozapin. Verändertes Rauchverhalten, vor allem ein plötzlicher Rauchstopp, kann die Clozapin-Plasmakonzentrationen erhöhen, da die im Tabakrauch enthaltenen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe das CYP-Isoenzym 1A2 indu­zieren (30).

 

Quetiapin und Aripiprazol werden hauptsächlich über CYP3A4, weniger über CYP2D6 verstoffwechselt. Bei der Kombination mit Inhibitoren von CYP3A4 wie Azol-Antimykotika oder Makrolidantibiotika muss man daher vermehrt mit Nebenwirkungen rechnen und eine Dosisreduktion erwägen. Die Plasmaspiegel von Ziprasidon (Verstoffwechselung über die zytosolische Aldehyd-Oxidase) und Amisulprid (über 50 Prozent werden unverändert renal ausgeschieden) werden durch Inhibitoren oder Induktoren der CYP-Enzyme nicht verändert (2, 29, 31). /

 

Literatur bei den Verfassern

Behandlungsempfehlungen für Antipsychotika

  • Dosierung: start low, go slow
  • Initialdosis: ein Drittel der normalen Erwachsenendosis
  • Erhaltungsdosis so niedrig wie möglich nach individuellem Wirkungs- und Risikoprofil
  • langsame Dosissteigerung unter engmaschiger Kontrolle
  • einfache Einnahmeschemata
  • regelmäßige Ausschleich­versuche, vor allem bei Patienten mit BPSD
  • generell möglichst wenig Medikamente einsetzen und Antipsychotika nach Komorbi­dität   auswählen

 

Nach (6, 22, 34)

Die Autoren

Kristina Leuner

studierte Pharmazie an der Freien Universität Berlin und erhielt 2001 die Approbation als Apothekerin. 2005 folgte die Promotion, 2006 die Anerkennung als Fachapothekerin für Arzneimittelinformation. Seit 2005 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Pharma­kologischen Institut für Naturwissenschaftler der Goethe-Universität in Frankfurt bei Professor Müller tätig. Seit 2011 hat Leuner die Professur für Molekulare und Klinische Pharmazie an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg inne.

 

Walter E. Müller

studierte Pharmazie in Frankfurt am Main und wurde an der Universität Mainz promoviert. Nach der Ausbildung zum Fachpharmakologen in Mainz und an der Johns Hopkins University, Baltimore, folgte 1980 die Habilitation für das Fach Pharmakologie und Toxikologie in Mainz. Von 1983 bis 1989 leitete er das Psychopharmako­logische Labor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und wurde 1989 zum Professor für Psychopharmakologie berufen. Seit 1997 ist Müller Ordinarius und Direktor des Pharmakologischen Instituts für Naturwissenschaftler an der Universität Frankfurt.

 

Anne Pauly

studierte Pharmazie an der FAU Erlangen-Nürnberg und absolvierte das Praktische Jahr beim Wissenschaft­lichen Institut für Prävention im Gesundheitswesen, München, und in der Einhorn-Apotheke, Nürnberg. Nach der Approbation 2011 begann sie die Weiterbildung zur Fachapothekerin für Arzneimittelinformation. Seit 2011 arbeitet Pauly an ihrer Dissertation bei Professor Leuner.

 

Caroline Wolf

studierte ebenfalls an der FAU Pharmazie und arbeitete im Praktischen Jahr in der Krankenhausapotheke der Charité, Berlin, und in der Medicon-Apotheke, Nürnberg-Eibach. 2011 erhielt sie die Approbation als Apothekerin und begann die Weiterbildung zur Fachapothekerin für Arzneimittel­information. Seit 2011 arbeitet sie an ihrer Dissertation bei Professor Leuner.

 

Kontakt für die Autoren:

Professor Dr. Kristina Leuner

E-Mail: leuner(at)pharmtech.uni-erlangen.de

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