»Heureka, ich habe es gefunden!« |
14.08.2012 17:55 Uhr |
Von Ulrike Viegener / Während es in manchen Kreisen als das Größte gilt, ein Kreativer zu sein, tun sich Wissenschaftler mit ihrer Kreativität oft schwer. Kreativität – diese schillernde, schwer fassbare Qualität – scheint mit Wissenschaftlichkeit auf den ersten Blick nur schwer vereinbar zu sein. Und doch: Ohne Kreativität wäre wissenschaftlicher Fortschritt gar nicht denkbar.
In der Badewanne hat der altgriechische Wissenschaftler Archimedes eine wichtige Entdeckung gemacht. Tage- lang hatte er zuvor erfolglos über der Aufgabe gebrütet, die der König ihm gestellt hatte: Archimedes sollte herausfinden, ob die gelieferte Krone wirklich aus purem Gold gefertigt war oder ob ihr minderwertige Metalle beigemischt wurden. Erst als er in die randvoll gefüllte Badewanne stieg und das Wasser überlief, kam ihm die zündende Idee: Die Auftriebskraft eines Körpers ist identisch mit der Gewichtskraft der von ihm verdrängten Flüssigkeit – ein physikalischer Grundsatz, mit dessen Hilfe man auch heute noch die Dichte von Festkörpern bestimmt. Archimedes tauchte die Krone sowie einen gleich schweren Goldbarren in Wasser, und konnte anhand der verdrängten Wassermenge nachweisen, dass man den König mit billigen Beimischungen hatte täuschen wollen.
»Heureka«, soll Archimedes ausgerufen haben. « Ich habe es gefunden!« Heureka steht für einen kreativen Geistesblitz. Die Entdeckung des Archimedes weist viele Merkmale auf, die typisch sind für eine kreative Erkenntnis:
Die Expertise: Der kreative Geistesblitz setzt eine große Sachkundigkeit voraus.
Die Krise: Der kreativen Idee geht in der Regel eine längere Phase zielgerichteter Arbeit voraus, die aber zu keinem Ergebnis führt.
Die Loslösung: Kreative Ideen stellen sich häufig in Situationen ein, die mit der gestellten Aufgabe nichts zu tun haben – entspannten Situationen wie ein Wannenbad. Erst wenn man das Problem »losgelassen« hat, kann sich ein kreativer Prozess entfalten.
Die Offenheit für das Neue: Kreativität fußt darauf, dass man alte Sichtweisen verlässt und neuartige Assoziationen zulässt.
Der Blitzcharakter: Kreative Ideen stellen sich blitzartig ein.
Woher kommt die Erleuchtung?
Gerade dieses Plötzliche, Nicht-Erklärbare macht kreative Eingebungen für viele Wissenschaftler suspekt. Es besteht nachweislich die Tendenz, dass Wissenschaftler den kreativen Anteil an ihrer Arbeit unterschätzen und den Anteil systematisch-rationaler Prozesse überbewerten. Was den zeitlichen Aufwand betrifft, ist es sogar richtig, dass systematisches Arbeiten die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Kreative Erleuchtung dagegen geschieht in Sekunden.
»Geistesblitze« sind vielen Wissenschaftlern suspekt. Sie bevorzugen systematisch-rationale Prozesse.
Foto. Fotolia/Javier Brosch
Einer, der sich mit Erleuchtung auskannte – der Erfinder der Glühlampe Thomas Alva Edison – hat das auf den Punkt gebracht: »Genie ist 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration«. Aber dieses eine Prozent ist es eben, was oft den Fortschritt bringt. Max Planck schreibt dazu in seiner Autobiografie: »Ein Wissenschaftler muss eine lebhafte intuitive Vorstellungskraft für neue Ideen haben, die nicht auf Deduktion beruht, sondern auf künstlerischem kreativem Vorstellen.«
Erleuchtung, Inspiration, göttlicher Funke – das alles sind Begriffe, die das Mysterium der Kreativität zu fassen versuchen. Begriffe, auf die in der heutigen Zeit viele Menschen mit Unverständnis, wenn nicht gar Abwehr reagieren. Andererseits gibt es sehr wohl Wissenschaftler, die ähnlich wie viele Künstler davon überzeugt sind, dass die schöpferische Leistung eine für sie selbst nicht greifbare Dimension besitzt. »Es malt«, ist eine Erfahrung, die von vielen bildenden Künstlern geteilt wird.
Ein leerer Kopf ist gut für Kreativität
Dieses Es, was da im Spiel ist, kann man »göttlich« nennen. Man kann aber auch sagen, kreative Prozesse speisen sich aus unterbewussten Persönlichkeitsschichten, die willentlich nicht zu beeinflussen sind. So viel steht fest: Wille und bewusste Kontrolle sind hinderlich für Kreativität. Man muss versuchen, sich davon freizumachen. Ein leerer Kopf ist der beste Nährboden für kreative Prozesse. Der Maler Emil Schumacher hat es einmal so formuliert: »Wenn ich rechts denke, male ich links. Ich muss mich selbst überlisten.« Weitermachen über den müden Punkt hinaus oder monotone Tätigkeiten sind ebenfalls hilfreiche Tricks, um schöpferische Energie zum Fließen zu bringen.
Dass die Quelle kreativer Ideen dem Unterbewussten entspringt, darauf weist auch die Entdeckungsgeschichte des Benzolrings hin: Lange haben die Gelehrten darum gestritten, wie die Struktur dieses »subtilen und lieblichen Oleums«, das von Johann Rudolph Glauber bei der Destillation von Steinkohleteer entdeckt worden war, beschaffen sein könnte. Schließlich hat ein Traum dem deutschen Chemiker August Kekulé die Erleuchtung gebracht: Er sah eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Und dieses Symbol hat ihn am nächsten Tag auf die Ringstruktur des Benzols gebracht.
Rationale und kreative Intelligenz
Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist Kreativität selbst Gegenstand systematischer Forschung. Das Problem dabei: Kreative Prozesse vollziehen sich spontan und können nicht auf Knopfdruck generiert werden. Was weiß man also? Man weiß, dass Kreativität nichts mit herkömmlicher Intelligenz zu tun hat. Menschen mit hohem IQ sind häufig überhaupt nicht kreativ. Der Physiker Gerd Binnig, der für die Erfindung des Rastertunnelmikroskops mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, erklärt das so: Viele intelligente Menschen neigen – wenn sie mit etwas Neuem konfrontiert werden – dazu, das Neue rasch in bestehende Raster einzuordnen. Damit kann der neue Impuls nicht mehr fruchtbar werden.
Der Kreative dagegen ist der unkonventionelle Querdenker, der weniger sortiert. Vielmehr lässt er seinen Ideen freien Lauf, weil er offen ist für die Fülle von Möglichkeiten. Der Kreative lässt zu, dass er scheinbaren Blödsinn produziert, sagt Binnig. Im Unterschied zur rationalen Intelligenz wurde der Begriff der kreativen Intelligenz eingeführt. Große Wissenschaftler sind oft Menschen, die beide Formen der Intelligenz besitzen.
Total entspannt: Erst wenn man Probleme »loslässt«, kann ein kreativer Prozess entstehen.
Foto: Fotolia/Yanlev
Heftig diskutiert wird seit Langem die Frage, ob beziehungsweise inwieweit Kreativität erlernbar ist. Der aktuell vielgefragte Psychologe und Unternehmensberater Peter Kruse betont: Kreativität ist nicht durch Projektarbeit zu erzeugen. Man kann »nur« die Rahmenbedingungen optimieren, um ein gutes Klima für die Entfaltung von Kreativität zu schaffen. Laut Kruse sind die beiden entscheidenden Faktoren, die ein kreatives Klima ausmachen, eine hohe Vielfalt und eine gut funktionierende Vernetzung.
Sechs Hüte und eine Kappe
Diese Offenheit für die Vielfalt hat bereits einer der Pioniere der Kreativitätsforschung – der Brite Edward de Bono – als elementar erkannt. Zur Förderung von kreativem Denken entwickelte de Bono die Technik der sechs Hüte. Durch Aufsetzen sechs verschiedenfarbiger Hüte sollen verschiedene Perspektiven durchgespielt werden mit dem Ziel, eine Fülle unterschiedlicher Ideen zu ein und demselben Thema zu produzieren. Der weiße Hut steht für analytisches Denken, rot für emotional, schwarz für kritisch, gelb für optimistisch, grün für assoziativ und blau für ordnend.
Neben der Psychologie die zweite Disziplin, die sich mit dem Phänomen der Kreativität befasst, ist die Hirnforschung. Hirnströme werden gemessen, Hirnaktivitäten farbig dargestellt. Die wichtigste Erkenntnis bislang: Es gibt kein umgrenztes Kreativitätszentrum im Gehirn. Allerdings ist bei kreativen Prozessen wohl eher die rechte Hirnhälfte involviert. Sie arbeitet offenbar assoziativ, bildhaft und ganzheitlich, während die linke Hemisphäre – eher zuständig für rationale Prozesse – analytisch, kausal und begrifflich denkt.
Australische Hirnforscher wollen diese Asymmetrie nutzen, um Kreativität per Elektrostimulation zu erzeugen: Mit leichten Stromschlägen soll die rechten Hirnhälfte stimuliert und die Aktivität der linken Hirnhälfte unterdrückt werden. Die Forschergruppe um Allan Snyder vom Centre For the Mind der Universität Sydney hat zu diesem Zweck eine Kappe der besonderen Art – eine Kreativitätskappe – konstruiert.
»Unser Traum ist«, sagt Allan Snyder, »dass wir das Gehirn eines Tags so stimulieren können, dass ein ungefilterter Blick auf die Welt möglich ist«. Man setzt sich eine Kappe auf und erlangt Erleuchtung, so könnte man es auch ausdrücken. Aber – ganz abgesehen von der Machbarkeit, die höchst fraglich ist – wäre das wirklich erstrebenswert? Wer weiß, ob sich Kreativität nicht verflüchtigt, wenn man sie manipulieren will.
Einer der ganz Großen unter den Naturwissenschaftlern – Albert Einstein – hat den Drang der Wissenschaft nach immer mehr Erkenntnis und immer mehr Kontrolle durchaus ambivalent gesehen: »Der Fortgang der wissenschaftlichen Entwicklung ist im Endeffekt eine ständige Flucht vor dem Staunen«, sagte Einstein. Und weiter: »Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. /
Walter Berka, Emil Brix, Christian Smekal (Hg.): Woher kommt das Neue? Kreativität in Wissenschaft und Kunst, Böhlau Wien 2003, ISBN 978-3205771524.
Martin Dresler, Tanja Baudson: Kreativität – Beiträge aus den Natur- und Geisteswissenschaften, Hirzel Stuttgart 2008, ISBN 978-3777616308.
Edward de Bono: Think!, mvg München 2009, ISBN 978-3868820188.
Howard Gardner: Kreative Intelligenz – Was wir mit Mozart, Freud, Woolf und Gandhi gemeinsam haben, Piper München 2002 ISBN: 978-3492234153
Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein können: Ein neurobiologischer Mutmacher, Fischer Frankfurt 2012, ISBN 978-3100324054.