AOK bereitet neue Runde vor |
05.08.2008 17:03 Uhr |
AOK bereitet neue Runde vor
Von Daniel Rücker, Frankfurt am Main
Rabattverträge bleiben umstritten. Die Krankenkassen setzen weiter auf das Instrument zur Kostendämpfung; die Apotheker werben für Alternativen; der Großhandel mahnt Verbesserungen an.
Aller Kritik und Widerständen zum Trotz werden die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) ihre Politik fortsetzen. Auch im kommenden Jahr wollen sie mit Wirkstoff-Rabattverträgen ihre Arzneimittelausgaben senken. Eine entsprechende Ausschreibung stellte Dr. Christopher Hermann, stellvertretender Vorsitzender der AOK Baden-Württemberg für diese Woche in Aussicht.
Die europaweite Ausschreibung leitet eine Rückkehr zu den Wirkstoffverträgen ein. Die in diesem Jahr verfolgte sogenannte »Open-house-Strategie« werde 2009 nicht mehr verfolgt, kündigte Hermann bei einer Veranstaltung von IIR am 31. Juli in Frankfurt am Main an. Sie sei »ein Übergangsszenario für 2008«. Nach dem juristischen Scheitern der Rabattverträge im Frühjahr dieses Jahres hatten die AOKs mit jedem Hersteller abgeschlossen, der ihnen ein ausreichendes Angebot machte. So wollten sie einen Teil der entgangenen Einsparungen retten.
Genaue Angaben zur anstehenden Ausschreibung machte Hermann nicht. Der grobe Rahmen ist dennoch klar. Der AOK-Vize machte keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Rabattverträgen über Teile oder das gesamte Sortiment eines Herstellers. Dies sei weder sinnvoll noch rechtssicher. Eine bundesweite Ausschreibung scheidet auch aus. Das Landessozialgericht Stuttgart hatte mit seinem Urteil vom April die gemeinsame Ausschreibung aller AOK-Landesverbände für rund 60 Wirkstoffe gestoppt, weil die geforderte bundesweite Versorgung den Mittelstand benachteilige. Deshalb sei die neue Ausschreibung »sehr kleinteilig« angelegt, so Hermann.
Juristische Probleme wie 2007 und 2008 erwartet er nicht. Hermann ist sich sicher, dass die Bundesregierung in den kommenden Monaten den rechtlichen Rahmen für Rabattverträge eindeutig definieren wird. Es sei geplant, dieses Gesetz an das GKV-Organisationsweiterentwicklungsgesetz anzuhängen, das nach der Sommerpause im Gesundheitsausschuss des Bundestages beraten wird. Hermann hat recht klare Vorstellungen, wie diese Regelung aussehen wird. Danach sollen in kleinere Lose aufgeteilte Wirkstoffverträge unproblematisch sein, während Sortimentsverträge dann »vom Markt gefegt« werden.
Zielpreise überlegen
Für die Apotheker ist Hermanns Ankündigung für die nächste Rabattrunde keine Überraschung, aber auch keine erfreuliche Botschaft. Zu negativ sind die Erfahrungen vor allem mit dem AOK-Vertrag des vergangenen Jahres. Der Vorsitzende des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein und Besitzer der Nordapotheke in Flensburg, Dr. Peter Froese, machte bei der Frankfurter Veranstaltung deutlich, welche Probleme die Vereinbarungen in der Apotheke bereitet hätten: Viele Patienten hätten die Umstellung der Medikation nicht verstanden, zu Beginn habe es erhebliche Lieferschwierigkeiten gegeben. Zudem blähten die Rabattverträge das Warenlager der Apotheker unnötig auf. Froese: »Es ist nicht einzusehen, dass ich auch noch das dreiundzwanzigste Ramipril auf Lager haben soll, nur weil noch eine Krankenkassen einen neuen Vertrag darüber abgeschlossen hat.« Diese pharmazeutisch nicht nachvollziehbare Aufblähung bewirke, dass für seltener benötigte, aber notwendige Medikamente kein Platz mehr im Lager sei.
Froese berichtete von einer ganzen Reihe weiterer Probleme, die in seiner Apotheke aufgetreten seien und die die meisten Apotheker wohl kennen. So verstünden Patienten nicht, dass sie auch dann nicht ihr gewohntes Medikament erhielten, wenn sie die Differenz selbst bezahlten. Für Ärger sorgten auch Fälle, in denen ein Patient für ein Rabattarzneimittel zuzahlen musste, obwohl der Wirkstoff von einem anderen Hersteller wegen des niedrigen Listenpreises von der Zuzahlung befreit war. Manche Patienten unterstellten dem Apotheker auch, er profitiere selbst von der Umstellung. Ohnehin, so Froese, hätten die Rabattverträge die Steuerungsfunktion der Zuzahlung zerstört. Die häufige Umstellung und die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Rabattverträge seien eine erhebliche Gefahr für die Compliance.
Zudem nehme die Aufklärung der Patienten über Rabattverträge und die mit den Verträgen verbundene Bürokratie dem Apothekenpersonal viel Zeit für notwendige Arbeiten. Sie hätten einen negativen Einfluss auf die Beratungsqualität.
Kassen verweigern Zahlung
Hochgradig verärgert ist Froese über das Ansinnen einiger Ersatzkassen, die Apotheker auf null zu retaxieren, wenn ein falsches Arzneimittel abgegeben wurde. »Die Zahlungsverweigerungen der Krankenkassen sind absolut inakzeptabel.« Die Rabattverträge würden von den Apothekern mit hohem Aufwand und ohne Vergütung zu rund 90 Prozent umgesetzt. Es bestehe keinerlei Anlass für die Kassen, den Apotheken bei Fehlern nicht einmal die Beschaffungskosten für das abgegebene Medikament zu bezahlen. Zumal sich die Forderungen in vielen Fällen als haltlos erwiesen und auf unterschiedliche Angaben in der Software von Apotheken und Kassen zurückzuführen seien.
Angesichts der massiven Probleme mit den Rabattverträgen ist es kaum verwunderlich, dass Froese erneut für Zielpreisvereinbarungen als praxisnähere Alternative warb. Zielpreise schadeten nicht der Compliance, Lieferprobleme seien weitgehend ausgeschlossen und die Lagerhaltung werde dennoch einfacher. Zudem könne über Zielpreisvereinbarungen weitaus mehr eingespart werden als 100 Millionen Euro, die die Krankenkassen nach den vorliegenden Informationen in diesem Jahr mit Rabattverträgen gespart haben.
Deutlich mehr sogar: »Nach Berechnungen des DAPI könnten Zielpreisvereinbarungen bei den 124 dafür geeigneten Wirkstoffen Bruttoeinsparungen von 674 Millionen Euro generieren«, konkretisierte Alexandra Franzmann vom Deutschen Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) Froeses Ausführungen. Grundlage für diese Berechnung ist ein Zielpreis für die einzelnen Wirkstoffgruppen, für den nach Marktanteil mindestens 25 Prozent der Präparate dieser Gruppe verfügbar sind. Bei diesem Markvolumen seien Versorgungsengpässe unwahrscheinlich. Selbst bei einer Beschränkung auf die 20 wichtigsten Wirkstoffe sei die Ersparnis mit 260 Millionen Euro pro Jahr noch deutlich größer als die bislang erzielten Einsparungen über Rabattverträge.
Der entscheidende Vorteil der Zielpreise ist laut Franzmann aber die im Vergleich zu Rabattverträgen weitaus größere Flexibilität. Die Apotheker können nämlich in einzelnen Fällen auch teurere Medikamente abgeben, wenn dies pharmazeutisch sinnvoll ist. Dafür bauen sie sich über die Abgabe von Präparaten, die im Preis noch unter dem Zielpreis liegen, ein Guthaben auf, dass sie für den Einsatz der höherpreisigen Medikamente nutzen. So können Patienten, die eine Umstellung wahrscheinlich nicht tolerieren würden, weiterhin mit ihrem vertrauten Präparat versorgt werden. Außerdem bescheren Zielpreisvereinbarungen den Krankenkassen, die sich darauf einlassen, garantierte Einsparungen.
Bislang ist die Reaktion der Krankenkassen auf dieses Angebot jedoch zurückhaltend. Sie favorisieren trotz der offenkundigen Schwierigkeiten Rabattvereinbarungen. Das liegt wohl auch an dem Vorurteil, die Apotheker wollten einen Teil des Geldes, dass sie durch die Abgabe besonders preisgünstiger Medikamente auf ihr Ausnahmenkonto bekommen, als Honorar. Froese stellte deshalb noch einmal klar, dass der Mehraufwand der Apotheker zwar vergütet werden müsste, dies aber nicht an den Medikamentenpreis gekoppelt sein dürfte. Es wäre eine Belastung des Apotheker-Patienten-Verhältnisses, wenn der Apotheker an der Abgabe besonders preiswerter Medikamente verdiene.
Großhandel will einbezogen werden
Der pharmazeutische Großhandel hat sich bislang zwar nicht als großer Freund der Rabattverträge dargestellt, er könnte aber wohl mit ihnen leben, wenn die Unternehmen stärker in die Umsetzung einbezogen würden. Wie der Geschäftsführer des Bundesverbands des pharmazeutischen Großhandels (Phagro), Hermann Ringenaldus erläuterte, steht dabei eine bessere Lieferfähigkeit und Bevorratung sowie mehr Flexiblität im Vordergrund. So sollten die Krankenkassen bereits vor dem Vertragsabschluss klären, ob der Hersteller zu marktüblichen Konditionen und in ausreichender Menge liefern könne.
Zudem müssten die Bestellungen des Großhandels mindestens zwei Wochen vor Vertragsbeginn erfüllt sein und es muss im Vorfeld geklärt sein, dass der Großhandel die Produkte zurückgeben kann, wenn der Vertrag zwischen Kasse und Hersteller aufgehoben wird. Da der Nachweis von Defekten in der Vergangenheit für den Großhandel einen erheblichen Aufwand bedeutet habe, sollte auch ein elektronisches System eingeführt werden, mit dem die Nichtverfügbarkeit ohne großen Aufwand belegt werden kann. An einer schon bei den abgelaufenen Verträgen vereinbarten Friedenspflicht zum Abverkauf von Präparaten, deren Rabattierung ausläuft, sollte nach Ringenaldus Überzeugung festgehalten werden.
Weitaus weniger Vorbehalte gegen Rabattvereinbarungen haben die forschenden Arzneimittelhersteller. Nachdem die Krankenkassen im vergangenen Jahr fast ausschließlich nach Rabatten für Generika schielten, geraten nun zunehmend Originale in den Fokus. Unter Begriffen wie Risk share und Capitation handeln die Hersteller und Kassen die Bedingungen aus, zu denen patentgeschützte Arzneimittel eingesetzt werden. Als eines der ersten Unternehmen war der schweizerische Pharmariese Novartis an dieser Front aktiv. Das Unternehmen hat mit der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) einen Risk-share-Vertrag über verschiedene Immunsuppressiva abgeschlossen. Dieser beinhaltet eine Geld-zurück-Garantie. Wird ein DAK-Patient mit einem der Medikamenten behandelt, dann erstattet das Unternehmen die Arzneimittelkosten zurück, wenn der Patient innerhalb eines Jahres das transplantierte Organ abstößt.
Eine ähnliche Vereinbarung hat Novartis mit der DAK und der Barmer zum Osteoporosemedikament Aclasta® abgeschlossen. Hier erhält die Kasse ihr Geld zurück, wenn der Patient einen Oberschenkelhalsbruch erleidet. Unter den Begriff Capitation fällt der Vertrag zwischen Novartis und verschiedenen Ortskrankenkassen über Lucentis®. Hier sind die Kosten zur Behandlung altersbedingter Makuladegeneration gedeckelt. Die Krankenkasse bezahlt einen Fixbetrag für die Therapie ihrer Versicherten unabhängig davon, wie vielen Patienten das Medikament verordnet wird.
Die Pharmaindustrie kann über diese Verträge ihre Präparate auch für GKV-Patienten zugänglich machen, ohne den Listenpreis zu senken. Martin Eschbach, Leiter der Rechtsabteilung von Novartis Deutschland sieht auch für die Krankenkasse Vorzüge: »Mit diesen Verträgen können sich die Krankenkassen im Wettbewerb positionieren und ihren Versicherten früh innovative Medikamente anbieten.«
Tatsächlich haben diese Verträge Konjunktur. Fast täglich vermelden Hersteller neue Verträge. So hat Janssen-Cilag mit der AOK Rheinland/Hamburg einen Vertrag über die Versorgung von Alzheimer-Patienten abgeschlossen, der neben dem Einsatz von Reminyl® auch nicht-medikamentöse Therapien umfasst. Diese werden von Janssen-Cilag mit angeboten. Zudem hat die Taunus BKK mit Wyeth einen Vertrag über die Behandlung über die Complinaceförderung bei Rheumapatienten, die mit Enbrel® behandelt werden, abgeschlossen und die AOK Berlin bekommt in Zukunft einen Preisnachlass auf alle generikafähigen Wirkstoffe von Grünenthal.