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Arzneimittelrückstände in Gewässern

Grenzwerte fehlen

02.08.2017  09:50 Uhr

Von Hannelore Gießen / Etwa 30 Prozent aller Fließgewässer in Niedersachsen sind durch Arzneimittel belastet. Das ist das Ergebnis eines Forschungsvorhabens Jülicher Agrosphärenforscher, das unlängst im niedersächsischen Umweltministerium vorstellt wurde. Allgemeingültige Grenzwerte gibt es bislang nicht.

Ziel des Vorhabens »Identifizierung und Priorisierung von niedersächsischen Fließgewässern mit erhöhter Belastung durch Human-Pharmaka « war es, landesweite Erkenntnisse über die Verbreitung von Arzneimitteln in Fließgewässern zu gewinnen. Als Auftraggeber fungierte der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Laut dem Endbericht sind 7 Prozent der Flüsse hoch oder sehr hoch, 7 Prozent mittel und lediglich 16 Prozent gering belastet. »Anhand von Computersimulationen konnten wir am Beispiel Niedersachsen zeigen, wo besonders hohe Mengen an Arzneimitteln gefunden werden und wie sie sich weiter verteilen«, sagte Bearbeiter Dr. Björn Tetzlaff vom Forschungszentrum Jülich im Gespräch mit der PZ. Für ihre Untersuchungen ­simulierten die Forscher den Abfluss in den Fließgewässern und korrelierten die Ergebnisse mit Daten von 450 von Kläranlagen. So ließ sich für jeden Flussabschnitt der Abwasseranteil an der natürlichen Wasser­menge ermitteln und auf die zu erwartende Belastung mit Arzneimitteln schließen.

 

Drei Substanzen im Fokus

 

Die Studie konzentrierte sich auf drei Wirkstoffe: Diclofenac, Sulfameth­ox­azol und Carbamazepin. Besonders ­Diclofenac wurde in den Gewässern in erheblichen Mengen gefunden: Die mittlere Konzentration des nicht stero­idalen Antirheumatikums lag an zahlreichen Messstellen in den untersuchten Flüssen oberhalb der halben Umweltqualitätsnorm, ein Maß, das aus öko­logischen und gesundheitlichen Gründen nicht überschritten werden soll. Das Antiepileptikum Carbamazepin wird als besonders problematisch eingestuft, da es dem Klärprozess widersteht und im Abwasser der Kläranlagen auftaucht. Carbamazepin, das deutlich seltener verordnet wird als Diclofenac, wurde in der aktuellen Untersuchung nur in zwei der untersuchten Flüsse gefunden. Sulfa­methoxazol gilt ebenfalls als ökologisch problematische Substanz, da es nach der Aufnahme in den Körper zum großen Teil unverändert wieder ausgeschieden und auch in Kläranlagen nicht vollständig abgebaut wird. In der Human­medizin wird das Sulfonamid nur in Kombination mit Trimethoprim eingesetzt. Sulfonamide werden jedoch auch in der Tiermedizin verwendet und in Flüsse und Seen geschwemmt, wenn Mist oder Gülle auf landwirtschaftliche Nutzflächen ausgebracht werden.

 

Kürzlich wurde in Niedersachen ein Nachfolgeprojekt gestartet, das 17 Wirkstoffe beinhaltet. Darunter Beta­blocker und Antibiotika sowie die beiden Röntgenkontrastmittel Iopamidol und Iomeprol, die in Kläranlagen nur sehr schwer abgebaut werden können.

 

Wie viel ist zu viel?

 

Während innerhalb der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) für eine Reihe von Schadstoffen wie Schwermetalle, Pestizide und Industriechemikalien gesetzlich verbindliche Umweltqualitätsnormen vorliegen, enthält weder die EU-Richtlinie 2013/39/EU noch die neue Oberflächengewässerverordnung auf nationaler Ebene Grenzwerte für Arzneimittel. Wie sich der Arzneimittelcocktail im Abwasser in Fauna und Flora verteilt und auf das Ökosystem auswirkt, ist bisher unzureichend erforscht. »Wir wissen auch noch nicht, welchen Einfluss die Rückstände im Abwasser auf das Trinkwasser haben«, sagte Tetzlaff. Deshalb sei es schwierig, Grenzwerte festzulegen. Geplant sei jedoch eine Mikroschadstoffstrategie, die mittels mehrerer Maßnahmen der Belastung der Gewässer durch Arznei- und Pflanzenschutzmittel, Industrie- und Haushaltschemikalien sowie Biozide entgegenwirken soll.

 

Arzneistoffe gehören überwiegend zu den mobilen Substanzen, die sich mit dem Wasserkreislauf bewegen, weil sie sich nicht an feste Stoffe wie Sand oder Aktivkohle binden. Deshalb durchbrechen sie natürliche Barrieren wie die Uferzonen von Flüssen und Seen und bleiben auch nicht in Filtern im Wasserwerk haften. Entfernen lassen sich die mobilen Substanzen nur durch eine aufwendige weitere Reinigungsstufe in den Kläranlagen mithilfe von Ozon und UV-Licht. »Noch wissen wir aber zu ­wenig darüber, ob dabei Metaboliten entstehen, die möglicherweise noch ­toxischer sind«, so Tetzlaff. /

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