Dauermedikation trifft Urlaubsapotheke |
03.08.2010 12:29 Uhr |
Von Nadine Sander und Maria Pues / Nicht nur vom Urlaubsziel hängt ab, was in die Reiseapotheke gehört. Auch mögliche Wechselwirkungen der Akutarzneimittel mit regelmäßig eingenommenen Medikamenten müssen berücksichtigt werden. Hier ist die Beratung durch den Apotheker gefragt.
Nicht exotische Erkrankungen, sondern schlichte Durchfälle rauben Reisenden am häufigsten die Freude an Sonne, Strand und Palmen. Je nach Reiseziel trifft es bis zu 90 Prozent der Urlauber.
Montezumas Rache
Zum Beispiel Loperamid, Tannine oder medizinische Kohle können die akuten Beschwerden lindern. Eine Erhöhung der Plasmaspiegel des üblicherweise peripher wirksamen Loperamids wurde durch Chinidin, Verapamil oder Ritonavir zwar beobachtet, zu zentralnervösen Nebenwirkungen kam es dabei nach Herstellerangaben jedoch nicht. Die Bedeutung des Plasmaanstiegs gilt als noch nicht geklärt.
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Als problematisch kann sich die gleichzeitige Gabe von Antibiotika und Loperamid erweisen: Die verlängerte Transitzeit kann eine Antibiotika-assoziierte Kolitis fördern. Tannine interagieren hingegen vor allem mit Eisen-haltigen Arzneimitteln, indem sie deren Resorption hemmen. Eine zeitlich getrennte Einnahme kann dies bereits verhindern. Medizinische Kohle absorbiert neben Flüssigkeit auch Bakterien- und andere Toxine, die auf diesem Wege ausgeschieden werden können. Leider gilt das auch für zahlreiche Arzneistoffe, zum Beispiel herzwirksame Glykoside oder trizyklische Antidepressiva. Darüber hinaus eignen sich Hefepräparate zur Prophylaxe und Therapie von Durchfallerkrankungen. Sie können durch peroral applizierte Antimykotika inaktiviert werden. Durchfallerkrankungen, die mit Fieber und blutigen Stühlen einhergehen, gehören selbstverständlich in ärztliche Behandlung.
Was tun bei Verstopfung
Auch das kommt häufig vor: Der Darm streikt. Bisacodyl oder Natriumpicosulfat bringen ihn praktisch über Nacht wieder in den gewohnten Rhythmus. Zwar können diese Substanzen bei bestehender Diuretikatherapie einen Kaliummangel verstärken und so die Empfindlichkeit gegenüber Herzglykosiden erhöhen. Das gilt jedoch vorwiegend für einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch. Eine einmalige Verwendung gilt auch hier als unproblematisch. Keinen Einfluss auf den Kaliumspiegel und einen rascheren Wirkungseintritt haben Glycerinzäpfchen oder (Mini-)Klistiere.
Erkältung auch auf Reisen ein Thema
Wer denkt vor einer Reise in den sonnigen Süden schon an Erkältungen? Und doch stehen diese auf der Top-Ten-Liste der Urlaubs-Erkrankungen ganz weit oben. Zu Paracetamol, Acetylsalicylsäure (ASS) oder Ibuprofen greifen Patienten am häufigsten, um die Fieber und Schmerzen zu lindern. Paracetamol eignet sich für Patienten, die regelmäßig gerinnungshemmende Arzneimittel benötigen, am ehesten, da hierbei am wenigsten Wechselwirkungen zu erwarten sind. Hingegen können zusätzliche Gaben von ASS die Blutungsneigung bekanntermaßen erhöhen.
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Dass zeitgleich eingenommenes Ibuprofen die Wirkung von niedrig dosiertem ASS hingegen schwächen kann, ist den meisten Patienten weniger geläufig. Es blockiert die Cyclooxygenase nur vorübergehend, aber immerhin so lange, dass ein Teil des ASS seine protektive Wirkung nicht entfalten kann. Durch zeitversetzte Einnahme oder einen Wechsel zu Paracetamol lässt sich dies umgehen. Auch für Patienten mit einer systemischen Corticoid-Therapie eignen sich Analgetika aus der Gruppe der Cyclooxygenasehemmer weniger, da sich so die schädigenden Einflüsse auf die Magenschleimhaut verstärken können. Verbindungen aus der Gruppe der Prostaglandine sind nicht nur für Schmerzen und Entzündungen zuständig. Prostaglandin E2 sorgt für den Schutz des Magens. Seine Bildung wird durch Corticoide und Cyclooxygenase-Hemmer ebenfalls vermindert.
Ein abschwellendes Nasenspray sollte ebenfalls nicht fehlen. Während man sich »am Boden« mit befeuchtenden Sprays und Taschentüchern über die Runden retten kann, führt eine verstopfte Nase während einer Flugreise durch den behinderten Druckausgleich nicht selten zu nachhaltigen Problemen mit dem Gehör. Bei gleichzeitiger Anwendung von MAO-Hemmern vom Tranylcypromin-Typ oder trizyklischen Antidepressiva kann es zu einer Erhöhung des Blutdrucks kommen. Eine Rücksprache mit dem behandelnden Arzt kann hier ratsam sein – umso mehr, wenn noch weitere Arzneimittel benötigt werden. Auch wer wegen eines erhöhten Blutdrucks oder Augeninnendrucks behandelt wird, sollte abschwellende Nasensprays zurückhaltend verwenden. Ein Versuch, ob die Kinderdosierung eine ausreichende Wirkung erzielt, kann lohnen. Dass gefäßverengende Nasensprays die Wirkung blutdrucksteigernder Mittel verstärken können, versteht sich zwar für den Fachmann von selbst. Für den Laien gilt dies in vielen Fällen sicher nicht.
Immer wieder gern genommen
Ungewohnt fettes oder scharf gewürztes Essen führt bei empfindlichen Personen häufig zu einer unangenehm gesteigerten Magensaftsekretion. H2-Blocker wie Ranitidin oder Famotidin, die es seit einiger Zeit in niedriger Dosierung rezeptfrei gibt, bieten neben Antacida wechselwirkungsarme Möglichkeiten, die Beschwerden schnell wieder loszuwerden. Bei Patienten, deren Asthma mit Theophyllin-haltigen Arzneimitteln behandelt wird, kann sich jedoch der Theophyllin-Spiegel erhöhen. Für sie eignet sich ein Antazidum in ausreichendem Abstand zum Asthmamittel genommen besser. H2-Blocker verstärken allerdings die Wirkungen alkoholischer Getränke – eine im Urlaub sicher nicht zu unterschätzende Wechselwirkung.
Größere Vorsicht ist bei Protonenpumpenhemmern (PPI) wie Omeprazol oder Pantoprazol geboten. Da sie über das Cytochrom-P-450-System verstoffwechselt werden, besteht nach Aussage von Studien die Möglichkeit zu zahlreichen Wechselwirkungen. Als Beispiele seien genannt: Cumarine (verstärkte Wirkung, dadurch erhöhte Blutungsneigung), Benzodiazepine (Verlängerung der Halbwertszeit und damit der Wirkdauer) und selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (verlängerte Halbwertszeit, dadurch Verstärkung von Wirkung und Nebenwirkungen). In welchem Maße sie tatsächlich eintreten, lässt sich nur schwer vorhersagen. Zu vermeiden ist die Gabe von Omeparazol beziehungsweise Esomeprazol an Patienten, die Clopidogrel verwenden, da sie den Umbau des Prodrugs in dessen Wirkform hemmen. Eine verminderte Clopidogrel-Wirkung und damit fehlender Schutz können die Folge sein.
Eine ganz entscheidende Wechselwirkung darf natürlich gerade bei Patienten mit einer oder mehreren Dauermedikation(en) nicht vergessen werden: die mit den alkoholischen Getränken des Urlaubslandes, deren Wirkung auch durch das ungewohnt (warme) Klima zuweilen unberechenbar gesteigert werden kann. /