Extrem übel |
26.07.2013 10:40 Uhr |
Von Nicole Schuster / Morgenübelkeit und gelegentliches Erbrechen gehören fast zu jeder Schwangerschaft. Bedenklich wird es, wenn sich werdende Mütter mehr als fünfmal täglich über eine längere Dauer erbrechen und dabei bedrohlich Gewicht verlieren. Zum Teil ist eine Versorgung im Krankenhaus erforderlich.
Nun ist er da – der neue Thronfolger im britischen Könighaus. Ein glückliches Ende für eine nicht unproblematische Schwangerschaft. Ende 2012 ging es durch die Medien: Herzogin Catherine, Ehefrau von Prinz William, litt an einer schweren Form der Schwangerschaftsübelkeit. Wegen der auch als Hyperemesis gravidarum bezeichneten Beschwerden musste sich die junge Frau einige Tage lang im Krankenhaus behandeln lassen. Jessica Schmidt* weiß aus eigener Erfahrung, was die Herzogin durchgemacht hat. Sie lag einen ganzen Monat lang wegen derselben Beschwerden im Krankenhaus.
Manche Schwangere leiden an einer besonders schweren Form der Schwangerschaftsübelkeit – Hyperemesis gravidarum. Auch Herzogin Catherine, Ehefrau des britischen Thronfolgers Prinz William, war betroffen.
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Zu den schlimmsten Zeiten musste sie sich mehr als 30-mal täglich erbrechen und behielt nichts mehr bei sich. Ihre Frauenärztin stellte die Diagnose Hyperemesis gravidarum. Dahinter verbirgt sich ein übermäßiges und anhaltendes Erbrechen, das auch bei leerem Magen auftritt und über Tage fortbesteht. Noch nicht einmal in der Nacht haben die Betroffenen Ruhe. Sie verlieren in dieser Zeit mehr als 5 Prozent an Gewicht und dehydrieren. Etwa 10 Prozent aller Schwangeren sind davon betroffen. Die Hyperemesis gravidarum tritt überwiegend im ersten und zweiten Trimenon auf, kann aber auch die ganze Schwangerschaft hindurch bestehen.
Ursache unklar
Die Ursachen der Krankheit sind ungeklärt. Mediziner nehmen unter anderem einen Zusammenhang mit einem erhöhten Spiegel am humanen Choriongonadotropin (HCG) an. »Darauf deutet das häufigere Vorkommen der Krankheit bei Mehrlingsschwangerschaften hin«, sagt die Gynäkologin Dr. Gabriela Bankos aus Bad Iburg gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. Bei Mehrlingsschwangerschaften befindet sich mehr HCG im Blut der Mutter als bei einer Schwangerschaft mit nur einem Kind. Das häufige Nachlassen oder völlige Verschwinden der Übelkeit nach dem dritten Monat ist ein weiteres Indiz dafür, dass HCG eine Rolle spielen könnte. Der Spiegel des Hormons sackt nämlich zwischen der 12. und der 18. Schwangerschaftswoche wieder ab.
Als weitere Ursachen diskutieren Mediziner unter anderem einen Einfluss der Geschlechtshormone Estrogen und Progesteron, eine Schilddrüsenüberfunktion oder bestimmte bakterielle Infekte. Bankos weiß, dass auch die soziale oder partnerschaftliche Situation ein Einflussfaktor ist. Zwar spüren die meisten werdenden Mütter Vorfreude, wenn sie an ihr Kind denken. Doch es machen sich häufig auch Ängste breit, vor allem wenn die soziale Lage der Frau schwierig ist oder es in der Partnerschaft Probleme gibt. Sorgen, Stress und emotionale Anspannungen schlagen dann sprichwörtlich auf den Magen. Spezifische Auslöser für einen Brechanfall sind oft Reize aus der Umgebung. Schmidt erinnert sich: »Auf Gerüche wie starkes Parfüm, in stickigen Räume, Kälte oder beim Anblick bestimmter Speisen folgte sofort wieder das quälende Erbrechen.«
Lästig, aber weniger dramatisch
In moderater Form kennen viele Schwangere Phasen der Übelkeit, häufig am Morgen. Oft ist es auch nur ein flaues Gefühl im Magen, dass die Frauen wahrnehmen. Diese Beschwerden gelten als typisches, frühes Schwangerschaftsanzeichen. An der sogenannten Emesis gravidarum leiden bis zu 90 Prozent der Frauen. »Im Gegensatz zur Hyperemesis gravidarum kommt es hier nur zu gelegentlichem Erbrechen«, sagt die Gynäkologin.
Das häufige Erbrechen kann zur Exsikkose führen und Infusionen nötig machen.
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Verschiedene Maßnahmen können ausprobiert werden, um die Beschwerden zu lindern. Beispiele sind Akupressur oder die Einnahme von Ingwer. Die Schwangeren werden angehalten, mehrmals täglich kleine, kohlenhydratreiche und fettarme Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Ziel ist es, den Magen zu beschäftigen, aber nicht mit zu üppigen Portionen zu überfordern. »Stellen Sie sich schon abends eine Kleinigkeit auf den Nachttisch und nehmen Sie dieses Mini-Frühstück noch im Bett ein«, rät die Ökotrophologin Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (dge) aus Bonn. Jede Schwangere sollte ihren eigenen Rhythmus finden und zum Beispiel nach dem eigenen Wohlbefinden entscheiden, wann warm gegessen wird und wann ein Butterbrot reicht. »Wählen Sie bewusst die Lebensmittel und Speisen aus, die Sie gut vertragen«, empfiehlt die Expertin. Nach dem Erbrechen ist es wichtig, den Verlust an Flüssigkeit und Mineralstoffen auszugleichen. Dafür sind laut Restemeyer Mineralwasser, Tee oder Gemüsebrühe geeignet. Bei stärkerem Erbrechen bieten sich Elektrolytlösungen aus der Apotheke an.
Therapie folgt Stufenplan
Anders als bei dem normalen Schwangerschaftserbrechen ist das Gefährliche an der Hyperemesis gravidarum, dass die Frauen schnell einen behandlungsbedüftigen Flüssigkeitsmangel bis hin zur Exsikkose erleiden können. »Eine mögliche Komplikation sind auch schwere Elektrolytentgleisungen«, sagt Bankos.
Bei der Diagnose orientiert sich der Arzt am klinischen Bild und lässt eine Blutprobe untersuchen. Ein starkes Indiz für eine Hyperemesis gravidarum ist zudem Acetongeruch aus dem Mund der Schwangeren. Aceton entsteht, wenn es bei Patienten, die lange nüchtern sind oder fasten, zum Abbau von körpereigenem Fett kommt. Im Harn der betroffenen Frauen treten häufig Ketonkörper und Zylinder auf.
Der Elektrolyt- und Flüssigkeitsmangel sowie der teils große Gewichtsverlust gefährdet die optimale Versorgung des Ungeborenen mit allen wichtigen Nährstoffen. Zudem reichern sich giftige Abbauprodukte im Blut an, die auf den Fetus übergehen können. Weitere gesundheitliche Folgen bei der Mutter sind Kreislaufschwäche und ein beschleunigter Puls sowie ein niedriger Blutdruck. Dies kann dazu führen, dass die Schwangere im Alltag leicht umkippt und sich dabei verletzen kann. Mögliche schwerwiegende Komplikationen sind unter anderem die Wernicke-Enzephalopathie, eine degenerative enzephaloneuropathische Erkrankung, die bei starkem Vitamin-B1-Mangel auftritt, ein Vasospasmus der Zerebralarterien oder Rhabdomyolyse. Im schlimmsten Fall kann eine unbehandelte Hyperemesis gravidarum für die werdende Mutter lebensbedrohlich sein.
Hyperemesis gravidarum tritt meist im ersten und zweiten Trimenon auf, kann aber auch länger anhalten.
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Bei der Therapie richten sich Ärzte nach einem Stufenplan. Zuerst versuchen sie mit Allgemeinmaßnahmen und einer Ernährungsumstellung ähnlich wie bei einem normalen Erbrechen die Hyperemesis gravidarum in den Griff zu bekommen. »Eine alternative Methode ist die therapeutische Hypnose«, erzählt Bankos. Auch Herzogin Catherine soll damit behandelt worden sein.
Aufbaukur für Körper und Geist
Schlagen die Maßnahmen nicht an, gehen Ärzte zu einer ambulanten medikamentösen Therapie über. »Hierbei kommen vor allem antiemetisch wirksame Vitamine des B-Komplexes, Dymenhidrat, Diphenhydramin oder Metoclopramid zum Einsatz«, so die Frauenärztin. Scheitern auch diese Therapieversuche, ist in vielen Fällen aufgrund drohender Komplikationen eine stationäre Behandlung erforderlich. Im Vordergrund steht, den Betroffenen intravenös Flüssigkeit, Vitamine und Elektrolyte zuzuführen. Als medikamentöse Behandlung kommen dieselben Medikamente wie bei der ambulanten Therapie infrage. Einen zusätzlichen Behandlungsversuch können Ärzte noch mit dem intravenös zu applizierenden Ondansetron unternehmen. Normalerweise werden mit diesem Medikament Krebspatienten bei einer Chemotherapie behandelt. Der hochselektive, kompetitive 5-HT3-Rezeptor-Antagonist ist plazentagängig. Im ersten Trimenon konnte ein Übergang auf den Feten nachgewiesen werden. Ein Auftreten von Fehlbildungen wurde bisher allerdings noch nicht bestätigt.
Fast ebenso wichtig wie den Körper aufzubauen ist es, die Psyche zu stärken. Neben Therapeuten sind hier vor allem der Partner und die Familie gefragt. Sie geben Halt und leisten emotionale Unterstützung in der schweren Zeit. Das verringert auch die Gefahr, dass die Qual der Hyperemesis gravidarum die werdende Mutter derartig zermürbt, dass sie über Abtreibung nachdenkt.
Bei einigen Frauen bleibt trotz des Leidensdrucks die Vorfreude auf den Nachwuchs ungetrübt. »Beim Durchhalten hat mir der Gedanke an mein Baby geholfen«, sagt Schmidt im Gespräch mit der PZ. Für sie und andere werdende Mütter mag es ein – wenn auch nur geringer – Trost sein, dass der mit der Übelkeit verbundene Ekel einen schützenden Effekt für das Kind haben kann. So entwickeln Schwangere typischerweise eine besonders große Abneigung gegen für das Ungeborene schädliche Genussmittel wie Alkohol, Nicotin und Coffein oder tierische Produkte wie Fleisch, Eier, Geflügel und Fisch. Letztere können mit krankmachenden Bakterien befallen sein. So hat selbst das Unwohlsein in der Schwangerschaft noch sein Gutes. /
*) Name von der PZ-Redaktion geändert.