Häufigstes Problem auf Fernreisen |
16.07.2012 16:57 Uhr |
Von Hermann Feldmeier / Durchfallerkrankungen sind die häufigste Reisekrankheit weltweit. Sie können den Urlaub gründlich verderben, sind aber in der Regel nicht lebensbedrohlich. Verschiedene Arzneimittel helfen, das Übel abzukürzen. Ein Überblick über Pro und Kontra der Wirkstoffgruppen zu Therapie und Prävention.
Rund 1,5 Milliarden Menschen reisen jedes Jahr in die Ferne. Davon machen zwischen 25 und 40 Millionen während ihres Urlaubs oder ihrer Geschäftsreise die unangenehme Erfahrung, dass die Toilette nicht nahe genug sein kann (1). Darunter sind schätzungsweise zwei Millionen Touristen aus Deutschland. Bei Reisen in tropische und subtropische Gebiete tritt akuter Durchfall bei 30 bis 40 Prozent der Reisenden auf, auf Nilkreuzfahrtschiffen sind bis zu 80 Prozent der Passagiere betroffen.
Essen auf einheimischen Märkten verlockt manche Touristen, kann aber üble Folgen haben.
Foto: Fotolia/Siegfried Schnepf
Eine Reisediarrhö (Synonym: Turista, Montezumas Rache, Delhi-Bauch) liegt vor, wenn sich die Stuhlkonsistenz während einer Reise oder bis zu zehn Tage nach Rückkehr verändert und mehr als drei Darmentleerungen mit breiig-flüssigem Stuhl pro Tag auftreten. Gleichzeitig muss mindestens eines der folgenden Krankheitszeichen vorliegen: Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, (schmerzhafter) Stuhldrang, blutig-schleimige Stuhlbeimengungen und Fieber. Bestehen außer Durchfall nur Übelkeit, Bauchschmerzen oder Stuhldrang, spricht man von einer unkomplizierten Reisediarrhö. Bei blutig-schleimigen Stuhlbeimengungen und/oder Fieber ist von einem invasiven, also schweren Krankheitsverlauf auszugehen.
Riskante Reiseziele
Das Erkrankungsrisiko hängt von verschiedenen Faktoren ab. Neben der Art zu reisen, der Jahreszeit und der Unterbringung spielt das Reiseziel eine wesentliche Rolle. Hochrisikogebiete sind Südasien, Afrika südlich der Sahara und Südamerika. Hier erkranken 200 bis 900 von 1000 Reisenden (1). Reisende nach Südostasien, dem Mittleren Osten, Nordafrika, Mittelamerika, Karibik und Ozeanien sind deutlich seltener betroffen (35 bis 140 pro 1000 Reisende). Europa, Nordamerika, Nordostasien und Australien sind mit einer Durchfallhäufigkeit unter 25 pro 1000 Reisende Niedrigrisikogebiete (1).
Kinder, schwangere Frauen, ältere Menschen, Personen mit geringer Magensäurebildung und solche, die magensäureblockierende Medikamente, zum Beispiel Protonenpumpenblocker, einnehmen, bekommen besonders leicht eine Reisediarrhö. Neue Untersuchungen deuten darauf hin, dass auch individuelle genetische Faktoren das Auftreten beeinflussen (2). Dies könnte erklären, warum bei einer Fernreise einzelne Familienmitglieder erkranken und andere nicht, obwohl alle dieselben Speisen und Getränke zu sich genommen haben.
In neun von zehn Fällen ist die Erkrankung selbstlimitierend. Die Dauer des Durchfalls variiert jedoch erheblich. So sind Reisende nach Westafrika typischerweise 1 bis 3,5 Tage krank (3). Bei einer Minderheit persistieren die Beschwerden über Wochen oder sogar Monate. Bei 5 bis 10 Prozent entwickelt sich im Anschluss an eine Reisediarrhö ein sogenanntes Reizdarmsyndrom, das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt und schwierig zu behandeln ist (2).
Da die Reisediarrhö typischerweise in der ersten Urlaubswoche auftritt (in über 90 Prozent der Fälle beginnt sie zwischen dem dritten und neunten Reisetag), ist der Urlaub häufig komplett verdorben: Die Patienten meiden den Aufenthalt am Strand, streichen Ausflüge und meiden gesellschaftliche Aktivitäten, um jederzeit in direkter Nähe zu einer Toilette zu sein.
Typische Auslöser
Reisediarrhöen sind klassische fäkal-orale Infektionen (Grafik). Die hygienischen Zustände und die Art der Lebensmittelzubereitung und -aufbewahrung in vielen Reiseländern bringen es mit sich, dass eine Infektion mit Fäkalkeimen extrem häufig ist.
Fäkal-oraler Infektionsweg
Bakterien sind mit über 80 Prozent die häufigsten Verursacher einer Reisediarrhö (4). Das Erregerspektrum unterscheidet sich allerdings erheblich zwischen den Urlaubsregionen (Tabelle 1). Während enterotoxische Escherichia coli (ETEC) und enteroaggregative E. coli (EAEC) besonders häufig in Afrika und in Südamerika vorkommen, sind Campylobacter jejuni, Salmonellen und Shigellen in Südostasien die häufigsten Verursacher (5, 6). Noroviren sind in 12 bis 17 Prozent der Fälle für eine Reisediarrhö verantwortlich (7). Sie sind insbesondere auf Kreuzfahrtschiffen gefürchtet und haben dort schon mehrfach Epidemien mit mehreren Hundert erkrankten Passagieren und Besatzungsmitgliedern verursacht (8).
Einzellige Parasiten (Protozoen) sind eher selten die Auslöser. Typische Vertreter sind Giardia lamblia, Cryptosporidien und Entamoeba histolytica (9). Durch Protozoen verursachte Reisediarrhöen führen in der Regel zu einem ausgeprägten Krankheitsbild, dauern länger als zwei Wochen und können lebensbedrohliche Folgen haben, beispielsweise einen Amöbenleberabszess (4). Sehr selten sind Darmwürmer die Verursacher; dann tritt der Durchfall zeitverzögert einige Wochen nach der Rückkehr auf.
Wie entsteht Durchfall?
Im menschlichen Darm leben mehrere Trillionen (!) Bakterien, die zu rund 1000 verschiedenen Spezies gehören. Die große Mehrzahl dieser Mikroorganismen sind sogenannte Kommensalen, das heißt, sie fördern die Verdauung und haben keinerlei krankmachendes Potenzial. Gelangen pathogene Keime über Speisen oder Getränke in den Darm, versuchen sie die Darmschleimhaut zu kolonisieren. Gelingt das, kommt es zu einer Entzündung der Schleimhautzellen. In der Folge wird das fein austarierte Gleichgewicht des Wasseraustauschs zwischen dem Darmhohlraum (Lumen), den Zellen der Darmschleimhaut und den Blutgefäßen gestört. Ionenströme verändern sich und Wasser und Elektrolyte strömen in das Darmlumen ein. Der Betroffene merkt das als Durchfall.
Infektionen mit Noroviren sind auf Kreuzfahrtschiffen ebenso gefürchtet wie verbreitet.
Foto: Fotolia/Torsten Bothe
Wie wirken die einzelnen Pathogene? Rotaviren und Noroviren vermehren sich nur innerhalb von Schleimhautzellen. Die betroffenen Zellen sterben, und die oberste Zellschicht wird abgestoßen. Anschließend kommt es zu einer reaktiven Größenzunahme der Schleimhaut, was wiederum eine verstärkte Flüssigkeitsabgabe in das Darmlumen zur Folge hat.
Cholera-Vibrionen und ETEC binden an Rezeptoren von Schleimhautzellen und bilden sogenannte Virulenzfaktoren. Die Giftstoffe greifen in den Zellstoffwechsel ein und aktivieren unter anderem das Enzym Adenylatcyclase. Dies hat eine Flüssigkeitssekretion in das Darmlumen zur Folge. Da die Darmschleimhaut meist großflächig entzündet ist, persistiert der Durchfall, auch wenn keine Nahrung mehr aufgenommen wird.
Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Yersinien und EAEC dringen in die Darmschleimhaut ein und können auch tiefere Zellschichten schädigen. Gleichzeitig können sich die Keime über die Blutbahn ausbreiten und schwere Komplikationen auslösen, beispielsweise ein hämolytisch-urämisches Syndrom (bedingt durch Shiga-Toxin bildende Bakterien), ein Guillain-Barré-Syndrom (nach einer Campylobacter-Infektion) oder eine postinfektiöse Gelenkschädigung (Reiter-Syndrom; nach Yersinien-, Shigellen- oder Campylobacter-Infektionen) (10).
Häufigkeit bei Reisen nach | |||
---|---|---|---|
Erreger | Mittel- und Südamerika, Karibik | Afrika | Süd- und Südost- asien |
Enterotoxische E. coli (ETEC) | +++ | +++ | +++ |
Enteroaggregative E. coli (EAEC) | ++ | + | ++ |
Shigellen, Salmonellen | + | +/++ | +/++ |
Campylobacter | + | +/++ | +/++ |
Aeromonas, Plesiomonas | + | + | +/++ |
Noroviren | ++ | ++ | unbekannt |
Protozoen | + | + | ++ |
+++: sehr häufig; ++: häufig; +: gelegentlich |
Staphylococcus aureus, Bacillus cereus und Clostridium perfringens setzen ihre Gifte bereits in kontaminierten Lebensmitteln frei. Die Toxine werden beim Verzehr der Lebensmittel aufgenommen und führen ähnlich wie das Gift von ETEC zu einer vermehrten Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten in das Darmlumen.
Basistherapie: Flüssigkeit und mehr
Die Grundlage jeder Therapie ist der Ersatz der verlorenen Flüssigkeit und Mineralien durch eine orale Rehydratationstherapie (ORT). Die meisten Reisenden kennen die Bedeutung der Flüssigkeitssubstitution bei Durchfall. Sie helfen sich entweder selbst und mischen beispielsweise einen Liter sauberes Wasser mit einem Teelöffel Kochsalz und acht Esslöffeln Zucker oder sie haben ein ORT-Präparat dabei. Ergänzende Maßnahmen sind die Einnahme eines Breitspektrumantibiotikums, eines Darmmotilitätshemmers oder eines Probiotikums (Tabelle 2).
Substanzgruppe | Typischer Vertreter | Selbstmedikation sinnvoll | Kontra | Pro |
---|---|---|---|---|
Antibiotika | Ciprofloxacin | Nein | Patient muss selbst entscheiden, ob und wenn ja, welches Antibiotikum sinnvoll ist; unwirksam bei Reisediarrhö durch Lebensmittelintoxikation; Resistenzentwicklung von Durchfallerregern im Reisegebiet; teilweise zahlreiche Nebenwirkungen und Kontraindikationen | lebensbedrohliche Verläufe durch invasive Bakterien werden möglicherweise verhindert |
Azithromycin | (Ja) | dito | dito | |
Rifaximin | (Ja) | dito | dito | |
Darmmotilitätshemmer | Loperamid | Ja | rein symptomatische Therapie; Einnahme auf maximal 48 h begrenzt; zahlreiche Gegenanzeigen und Nebenwirkungen* | hilft im Notfall, einen Reisetag zu überbrücken, wenn kein Zugang zu einer Toilette besteht; schnell auflösende Arzneiform verfügbar |
Probiotika | Laktobazillen: Lactobacillus acidophilus | Ja | Selbstmedikation bei Kindern unter 6 Jahren nur nach Rücksprache mit einem Arzt | Wirkung unabhängig vom Erregertyp; in der Regel sicher und nebenwirkungsarm |
medizinische Hefen: Saccharomy-ces boulardii | Ja | Überempfindlichkeit gegen Hefen (cave: Immunschwäche); nicht für Kinder unter 2 Jahren | dito |
*) Nebenwirkungen: Hautausschlag, Urtikaria, Darmverschluss, Harnretention; Akkumulation von pathogenen Bakterien/Toxinen im Darm; Gegenanzeigen: Kinder unter 8 bis 12 Jahre (je nach Hersteller); Fieber und/oder blutige Stuhlbeimengungen, Durchfall ausgelöst durch invasive Keime
Sinnvollerweise hat der Reisende entsprechende Medikamente dabei und nimmt diese als Selbstmedikation oder in Rücksprache mit einem Arzt am Ort ein. Dies wiederum setzt eine gute Beratung in der Apotheke über Indikation, Risiken und Nebenwirkungen der Präparate voraus.
Darmmotilitätshemmer
Hemmstoffe der Darmmotilität wie Loperamid greifen an den Muskelzellen der Darmwand an und inhibieren die Peristaltik. Ihre Wirksamkeit bei der Reisediarrhö ist in zahlreichen Studien belegt (4). Sie wirken schnell, aber nur symptomatisch. Die eigentliche Ursache des Durchfalls, die Präsenz von pathogenen Keimen und/oder Giftstoffen im Darm, wird nicht beeinflusst.
Motilitätshemmer verlängern die Transitzeit des Nahrungsbreis, sodass die Erreger mehr Zeit für eine Bindung an Darmzellen haben und gleichzeitig die Konzentration von Toxinen kumulieren kann. Eine mögliche lebensbedrohliche Folge einer hohen Giftkonzentration ist ein toxisch bedingter Darmverschluss (11).
Ein praktisches Problem sind die zahlreichen Gegenanzeigen bei dieser Substanzgruppe. Loperamidhydrochlorid ist bei Säuglingen und Kleinkindern unter zwei Jahren kontraindiziert (11) und darf bei Kindern unter 12 Jahren nur nach ärztlicher Verordnung eingesetzt werden. Dies muss das Apothekenteam bei der Abgabe ausdrücklich erklären. Vor der Einnahme müsste ausgeschlossen werden, dass der Durchfall durch invasive Bakterien wie Salmonellen, Shigellen oder Campylobacter verursacht wird. Dies setzt aufwendige mikrobiologische Untersuchungen voraus, die am Urlaubsort nicht machbar sind.
Darmmotilitätshemmer haben ihre Berechtigung in der Selbstmedikation als Notfallmedikation, wenn der Patient beispielsweise einen Reisetag überstehen muss, an dem der Zugang zu einer Toilette nicht gesichert ist (Ausflug, Busfahrt, Safari, Fahrt zum Flughafen).
Absorbenzien
Aktivkohle, Kaolin-Pektin, Heilerde und Tannin haben keinen oder keinen gesicherten Effekt. Wismut-Subsalizylat darf bei Kindern nicht gegeben werden.
Probiotika
Probiotika sind Mikroorganismen, die zur normalen Darmflora zählen und eine günstige Wirkung auf den Darm und andere Körpersysteme haben (Tabelle 2). Es handelt sich typischerweise um Milchsäurebakterien (Laktobazillen), apathogene Varianten von E. coli oder Hefen (Saccharomyces). Probiotika gelten als sehr sichere Medikamente für die meisten Menschen (12, 13). Die Wirksamkeit bei akuten Durchfallerkrankungen ist gut dokumentiert (14-23). Wirksamkeit und Wirkeintritt der einzelnen Produkte sind allerdings unterschiedlich (12, 13, 24, 25).
Reisedurchfall kann den schönsten Urlaub verderben.
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In der aktuellen Leitlinie der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) werden Probiotika zur Therapie der akuten Diarrhö empfohlen (11). Es sollen aber nur solche Stämme zum Einsatz kommen, deren Wirksamkeit in randomisierten kontrollierten Studien nachgewiesen wurde. Betont wird auch, dass sich eine hohe Dosis und ein früher Einsatz positiv auf den Therapieerfolg auswirken.
Bei der Beratung in der Apotheke ist darauf zu achten, dass die Produkte unterschiedliche Gegenanzeigen haben und unterschiedliche Mengen an probiotischen Bakterien enthalten. Letzteres ist wichtig, weil bei Lactobazillen eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Bakteriendosis und Dauer der Durchfallerkrankung besteht, eine hohe Dosis also für einen raschen Therapieerfolg entscheidend ist (11, 25). Kinder unter zwei Jahren dürfen keine Probiotika in Selbstmedikation bekommen. Probiotika, die gekühlt aufbewahrt werden müssen, sind für die meisten Reisen ungeeignet.
Antibiotika
Fluorochinolone, Rifaximin und Azithromycin (Tabelle 2) gelten als Standardantibiotika zur Behandlung einer bakteriell verursachten Reisediarrhö (32). Eine Metaanalyse von sechs Studien zum Einsatz von Antibiotika bei der unkomplizierten Reisediarrhö zeigte, dass die Durchfallerkrankung im Durchschnitt um einen bis zwei Tage verkürzt wird, aber die Häufigkeit von Nebenwirkungen beträchtlich war (33).
Das Fluorochinolon Ciprofloxacin ist das am längsten in der Reisemedizin eingesetzte Antibiotikum. Es wirkt schnell und erfasst viele pathogene Keime. Seit 2008 bestehen zunehmend Bedenken in Bezug auf die Arzneimittelsicherheit von Fluorochinolonen (4). Unter anderem wurden vermehrt Sehnenentzündungen, psychiatrische Störungen oder eine Überwucherung der normalen Darmflora durch Clostridium difficile beobachtet (4). Neuere Studien zeigen, dass einige häufige Durchfallverursacher wie EHEC und Campylobacter jejuni in diversen Urlaubsregionen resistent gegen Ciprofloxacin geworden sind (34, 35).
Rifaximin ist seit 2004 für die Behandlung der unkomplizierten, bakteriell bedingten Reisediarrhö (kein Fieber, keine blutig-schleimigen Stuhlauflagerungen) zugelassen. Da weniger als 0,04 Prozent der Substanz im Darm resorbiert werden, ist das Nebenwirkungsprofil deutlich geringer als bei Fluorochinolonen. Die Wirksamkeit ist ähnlich gut (36-40).
Azithromycin ist ein Breitspektrumantibiotikum und wirkt auch auf Bakterien, die zu einer invasiven Darmerkrankung (gekennzeichnet durch Fieber und blutig-schleimige Beimengungen) führen, beispielsweise Shigellen, Campylobacter und invasive E. coli (32). Es wird als Einmaldosis eingenommen, was die Compliance wesentlich erleichtert.
Ein Antibiotikum muss von einem Arzt verordnet werden. Je nach Reiseziel sollte der Reisende zwei verschiedene Wirkstoffe dabeihaben (Ciprofloxacin oder Rifaximin plus Azithromycin). Ist im Erkrankungsfall kein Arzt erreichbar, muss er selbst anhand der Symptome entscheiden, welches Medikament geeignet ist (Notfall-Selbsttherapie). Bei wässrigem Durchfall ohne Fieber und Blutbeimengungen im Stuhl: Ciprofloxacin oder Rifaximin, bei Anzeichen einer invasiven Erkrankung: Azithromycin. Mit der Unterscheidung ist der medizinische Laie in der Regel überfordert.
Die wenigsten Reisenden halten sich im fernen Urlaubsland an die allgemeinen Hygiene- und Ernährungsregeln.
Foto: DAK
Hinzu kommt, dass im Einzelfall unbekannt ist, ob der Reisedurchfall durch Bakterien, eine bakteriell bedingte Lebensmittelintoxikation, Viren oder Parasiten verursacht wird. In den letztgenannten Fällen sind Antibiotika wirkungslos, das Risiko von Nebenwirkungen besteht aber. Einige Reisemediziner empfehlen, die Auswahl des Antibiotikums dem Zielland anzupassen; dies ist sicher nur eine Option für wenige, gut informierte Reisende (2). Aus infektionsmedizinischer Sicht beinhaltet eine Selbstmedikation das Risiko, dass sich resistente Bakterien entwickeln, wenn die Behandlung nach Besserung der Symptome zu früh abgebrochen wird.
Klar ist: Bei unkompliziertem Reisedurchfall ist eine Selbstmedikation mit Antibiotika nicht gerechtfertigt (10, 41).
Was nützt präventiv?
Die wirksamste Präventionsmaßnahme ist, bei der Auswahl von Speisen und Getränken kritisch zu sein (»peel it, boil it, cook it or forget it«, salopp gesagt: Schäle, brate, koche oder vergiss es). Allerdings halten sich Reisende selten an die Empfehlung. Eine Studie mit 30 000 Touristen in Jamaika ergab, dass 95 Prozent Eiswürfel in Getränken akzeptiert, 90 Prozent Salate gegessen, 80 Prozent Leitungswasser getrunken und nur 3 Prozent potenziell gefährliche Nahrungsmittel komplett gemieden hatten (42). Neben den Empfehlungen zu Ernährung und Hygiene sollte das Apothekenteam daher in der reisemedizinischen Beratung auch die anderen Präventionsmöglichkeiten erklären.
Eine wirksame Impfung gegen Reisediarrhö gibt es bislang nicht. Sie wird auch schwierig zu entwickeln sein, da sehr verschiedene Mikroorganismen die Ursache sind. Aufgrund der Ähnlichkeit des Cholera-Toxins mit dem ETEC-Toxin induzieren Impfstoffe gegen Cholera einen partiellen kurzzeitigen Schutz gegen Infektionen mit enterotoxischen E. coli (43). Gegen andere Durchfallverursacher schützt die Vakzine nicht.
Probiotika können über drei Mechanismen auf die Durchfallerkrankung einwirken (26).
Direkte antibakterielle Wirkung: Verschiedene Laktobazillenarten sondern Wirkstoffe ab, die direkt auf Durchfall auslösende Keime wirken und deren Vermehrung blockieren (27-29). Es handelt sich um sogenannte Bakteriozine; das sind saure, thermostabile Substanzen mit geringem Molekulargewicht, die gegen gramnegative und positive Bakterien wirken.
Aktivierung des Schleimhaut-assoziierten Immunsystems: Dies führt unter anderem zu einer vermehrten Freisetzung von IgA-Antikörpern und zur Aktivierung der zellvermittelten Immunität (26).
Exklusion: Liegen probiotische Bakterien und Hefen in ausreichend hoher Konzentration vor, bilden sie einen biologischen Schutzfilm auf der Oberfläche der Schleimhautzellen. Der Biofilm verhindert, dass sich pathogene Erreger an »ihre« Rezeptoren auf der Oberfläche der Darmzellen binden (30).
Lactobacillus acidophilus scheint zusätzlich direkt antidiarrhoisch zu wirken, indem die intestinale Rückresorption von Elektrolyten gesteigert wird (31). Mehrere Studien zeigten, dass die Wirksamkeit unabhängig davon ist, ob Bakterien oder Viren den akuten Durchfall verursacht haben (17, 23).
Eine neue Entwicklung ist die Applikation eines gereinigten ETEC-Toxins mittels Hautpflaster. Dies führt zu einem raschen Anstieg von schützenden Antikörpern. In einer Phase-II-Studie schützte dieser Impfstoff 70 Prozent der Reisenden nach Mexiko vor einer moderaten bis schweren Reisediarrhö (44). Unklar ist, wann das Impfstoff-Pflaster auf den Markt kommen könnte; bislang ist keine Phase-III-Studie veröffentlicht.
Der vorbeugende Einsatz von Antibiotika wird grundsätzlich kritisch gesehen (45). Einzig Rifaximin wird von einigen Experten empfohlen (2).
Probiotika bieten sich aus mehreren Gründen zur Prävention an. Sie wirken unabhängig davon, ob Bakterien oder Viren die möglichen Verursacher des akuten Durchfalls sind und eignen sich für Erwachsene und Kinder (13). Laut Metaanalysen sinkt das Risiko für eine Reisediarrhö leicht, aber signifikant nachweisbar um 6 bis 21 Prozent (46, 47). Generell milderte die präventive Einnahme probiotischer Bakterien die Schwere der Erkrankung und/oder verkürzte die Dauer des Durchfalls um einen bis zwei Tage (13). Die Studien zeigten allerdings erhebliche Unterschiede in der Wirksamkeit verschiedener Probiotika (26, 46, 47). /
Literatur
...beim Verfasser
Hermann Feldmeier ist Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Er hat in Köln, Aachen und Paris Medizin studiert, wurde promoviert und hat Tropenmedizin im Hôpital Pitié-Salpetrière in Paris und im Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg gelernt. Er erforschte Infektionskrankheiten im Inland und Ausland. 1990 folgte die Habilitation. Feldmeier war stellvertretender Leiter des Landesinstituts für Tropenmedizin in Berlin und lehrt und forscht seit 1987 im Bereich der Tropenmedizin, zuerst an der Freien Universität Berlin und seit 2002 an der Charité Universitätsmedizin in Berlin.
Professor Dr. med. Hermann Feldmeier, Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Campus Benjamin Franklin, Charité Universitätsmedizin, Hindenburgdamm 27, 12203 Berlin, E-Mail: hermann.feldmeier(at)charite.de