HIV-frei ohne Medikamente |
26.07.2013 10:39 Uhr |
Von Annette Mende / In den USA ist bei zwei HIV-infizierten Männern nach einer Stammzelltransplantation kein HI-Virus mehr im Blut nachweisbar. Sie können zwar nicht als Präzedenzfälle für einen kurativen Therapieansatz dienen. Ihre Krankheitsverläufe sind aber für Infektiologen dennoch sehr aufschlussreich.
Am Rande der internationalen Aids-Konferenz in Kuala Lumpur berichteten Dr. Timothy Henrich und Dr. Daniel Kuritzkes vom Brigham and Women’s Hospital in Boston in einem Satellitensymposium über die beiden Patienten. Nach langjähriger HIV-Infektion ist bei den Männern nun nach einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT) trotz Absetzen der antiretroviralen Therapie (ART) kein HIV mehr im Blut nachweisbar. Sie nehmen jetzt seit nunmehr acht beziehungsweise 15 Wochen keine HIV-Medikamente mehr ein. Das meldet das Fachjournal »The Lancet Infectious Diseases« (doi: 10.1016/S1473-3099(13)70158-0).
Graft-versus-Host-Disease
Dr. Timothy Henrich bei der Aids-Konferenz in Kuala Lumpur. Der Bostoner Infektiologe stellte dort die Fälle der beiden HIV-Patienten vor, die jetzt ohne Medikamente offenbar virusfrei sind.
Foto: dpa
Unmittelbar nach der HSCT war im Blut der Patienten noch HIV gefunden worden ? ein Zeichen dafür, dass noch einige ihrer eigenen infizierten T-Zellen vorhanden waren. Unter ART sank die Viruslast jedoch im Laufe der Zeit unter die Nachweisgrenze. Neun Monate nach der HSCT war der Erreger weder mit RNA- noch DNA-Analyseverfahren detektierbar. Henrich und Kuritzkes vermuten, dass dafür die Graft-versus-Host-Disease (GvHD) verantwortlich ist, eine nach Stammzelltransplantationen eigentlich gefürchtete Reaktion, bei der die Immunzellen des Spenders die Körperzellen des Empfängers attackieren. Die Infektiologen glauben, dass die GvHD die noch verbliebenen infizierten T-Zellen der Patienten abtötete, während die gesunden Spenderzellen durch die ART vor eine Infektion durch die zirkulierenden Viren geschützt waren.
Den Begriff »Heilung« wollten die Wissenschaftler allerdings nicht verwenden. Dafür sei es noch zu früh. »Das Virus ist zwar im Blut nicht mehr nachweisbar, könnte aber in anderen Geweben, etwa dem Gehirn oder dem Gastrointestinaltrakt, immer noch vorhanden sein«, sagte Henrich. Sollte die Viruslast im Blut der Patienten wieder steigen, sei das ein Zeichen dafür, dass diese Körpergewebe Reservoirs des Erregers darstellen können. Die Viruslast in diesen Reservoirs zu bestimmen, sei dann eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung kurativer Ansätze.
Die HIV-Infektion ist mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln zwar kontrollierbar, aber nicht heilbar. Dennoch sind die beiden Bostoner Patienten nicht die ersten HIV-Infizierten, bei denen das Virus wieder aus dem Blut verschwunden ist. Erst vor Kurzem sorgte das sogenannte Mississippi- Baby für Schlagzeilen. Ärzte der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore hatten das Kind unmittelbar nach der Geburt bis zum 18. Lebensmonat mit einer antiretroviralen Dreifachkombi behandelt. Nach Absetzen der Medikamente fand sich im Blut des zweijährigen Mädchens kein vermehrungsfähiges Virus mehr. Da mittels empfindlichster Analyseverfahren aber noch (nicht vermehrungsfähige) Viruspartikel nachweisbar waren, sprachen die Ärzte nicht von einer Eradikation, sondern von einer funktionellen Heilung.
Der Berliner Patient
Schon länger her, dafür den aktuellen Fällen ähnlicher ist der von Timothy Ray Brown, dem sogenannten Berliner Patienten. Er war bereits mehrere Jahre lang HIV-infiziert und auf eine ART eingestellt, bevor er im Jahr 2007 aufgrund einer Krebserkrankung eine HSCT erhielt. Unter den geeigneten Stammzellspendern wählten die behandelnden Ärzte an der Berliner Charité einen Menschen mit einer bestimmten Mutation aus. Der Spender wies homozygot eine Deletion von 32 Basenpaaren (Δ32) im CCR5-Allel auf. Diese Mutation führt zu einem inaktiven CCR5-Genprodukt, was den Träger gegen HIV-Infektion nahezu komplett resistent macht.
Brown ist seit der Behandlung nicht mehr auf die ART angewiesen und virusfrei. Im Unterschied zu den beiden Bostoner Patienten erhielt er jedoch vor der HSCT eine deutlich aggressivere Konditionierungsbehandlung, die sein eigenes Immunsystem komplett ausschaltete. »Beim Berliner Patienten war unklar, ob es an der CCR5-Mutation, der Immunsupprimierung oder der Bestrahlung lag«, sagte Professor Dr. Françoise Barré-Sinoussi, Präsidentin der internationalen Aids-Gesellschaft, in Kuala Lumpur. Durch die beiden aktuellen Fälle sei man dem Verständnis, warum diese Patienten keine nachweisbaren Viruskonzentrationen mehr im Blut haben, näher gekommen. Auch Barré-Sinoussi, die 2008 für die Entdeckung von HIV den Nobelpreis erhielt, warnte vor unrealistischen Hoffnungen: »Wir sind nicht auf der Suche nach einer Heilung, unser Ziel ist die Remission.« Ohnehin kommt eine HSCT nicht als Standardtherapie für HIV-Infizierte infrage, da die Behandlung viel zu belastend ist und nicht selten sogar tödlich endet. /