Weniger Arztsitze per Gesetz |
12.07.2011 17:34 Uhr |
Von Martina Janning / Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen im Versorgungsgesetz verpflichtet werden, überzählige Arztsitze aufzukaufen. Das fordern die Krankenkassen. Nach einem aktuellen Gutachten könnten Tausende Arztsitze problemlos wegfallen. Ärzteverbände reagieren empört.
In Deutschland könnten 12 000 der mehr als 138 000 Kassenarztsitze wegfallen, ohne dass eine Unterversorgung entstünde. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens, das das Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos AG im Auftrag des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durchgeführt hat. Dabei setzen die Gutachter einen Versorgungsgrad von 110 Prozent je Planungsbezirk an. Als unterversorgt gilt ein Bezirk, wenn die Quote bei Hausärzten unter 75 Prozent und bei Fachärzten unter 50 Prozent liegt.
Nach Ansicht der Krankenkassen gibt es in zahlreichen Regionen Deutschlands zu viele Ärzte. Sie fordern, dass Arztsitze nicht wiederbesetzt werden, die aus Altergründen frei werden.
Foto: imago/blickwinkel
Laut der Untersuchung gibt es vor allem zu viele Fachärzte. Besonders stark betrifft dies den Nordostens Deutschlands, Nordhessen, das südliche Niedersachsen, den Süden Baden-Württembergs und Bayern. Die Prognos AG hat errechnet, dass sich erhebliche Einsparungen ergäben, wenn diejenigen Arztsitze nicht wiederbesetzt würden, die in den nächsten Jahren aus Altergründen freiwerden. Für den Aufkauf dieser Arztsitze müssten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) maximal 1,5 Milliarden Euro aufbringen. Auf die nächsten fünf Jahre verteilt, wären dies weniger als 1 Prozent des jährlichen Honorarvolumens in der ambulanten Versorgung.
»Heute wird die Überversorgung mit Ärzten in Ballungszentren de facto nicht abgebaut, sondern sogar verfestigt«, kommentierte Ann Marini, stellvertretende Pressesprecherin des GKV-Spitzenverbandes, das Gutachten. Das gehe zulasten von Ärzten und Patienten in wirtschaftlich schwachen Regionen. Der Kassenverband fordert deshalb eine Korrektur der »ungünstigen Verteilung der Ärzte« in dem geplanten Versorgungsgesetz. Marini: »Wir fordern eine Klarstellung im Gesetz, dass in überversorgten Gebieten Arztpraxen von Kassenärztlichen Vereinigungen aufgekauft werden müssen, wenn ein Arzt ausscheidet und eine Wiederbesetzung für die Versorgung nicht erforderlich ist.«
Im Referentenentwurf für das Versorgungsgesetz ist bislang lediglich ein Vorkaufsrecht der KVen für freiwerdende Arztpraxen in überversorgten Gebieten vorgesehen. Sie können Arztsitze demnach leichter aufkaufen, sind dazu aber nicht verpflichtet.
Gutachten geht an Realität vorbei
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wies diese Forderung zurück. Das Streichen von 12 000 Arztsitzen gehe völlig an der Realität vorbei, sagte der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Köhler. »Bevor eine Praxis aufgekauft wird, muss deshalb genau geprüft werden, ob es eine ›echte‹ oder nur eine rechnerische Überversorgung gibt. Alles andere geht zulasten der Versorgung der Patienten.«
Der Deutsche Facharztverband (DFV) widersprach dem Gutachten. In den kommenden 30 Jahren steige der Bedarf vor allem an Fachärzten im Schnitt zwischen 15 und 20 Prozent, erklärte der DFV-Bundesvorsitzende Dr. Thomas Scharmann. Er verwies auf ein Gutachten des Gesundheitsökonomen Professor Dr. Eberhard Wille zu diesem Thema. /