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Arzneimittelpreise

Kritik an der frühen Nutzenbewertung

13.07.2010  14:30 Uhr

Von Nils Franke, Berlin / Das Parlament berät über die sogenannte frühe Nutzenbewertung von innovativen Arzneimitteln. Drei Monate seien dafür zu kurz, kritisieren Fachleute. Im Bundesministerium für Gesundheit stellt man sich auf Streit zwischen Krankenkassen und Industrie ein.

Er sei sehr froh, dass er nun nicht mehr nur über Zwangsrabatt und Preismoratorium diskutieren müsse, sagte der Staatssekretär des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), Stefan Kapferer, bei einem Symposium zur frühen Nutzenbewertung des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) in Berlin. Auch wenn er Verständnis für das Bedürfnis der Pharmaindustrie habe. Er habe sogar auch Verständnis, »wenn Sie sagen, das ist doch aber gar kein liberaler Ansatz. Stimmt«, räumte Kapferer ein.

 

Dennoch sei der Ansatz notwendig, um den Markt insgesamt neu zu ordnen und jetzt das Wesentliche voranzubringen: die Vertragsverhandlungen und die vorgeschaltete Nutzenbewertung.

 

Vor allem die innovativen Arzneimittel und Spezialpräparate wiesen eine große Kostensteigerung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf. Das jetzt in der ersten Lesung befindliche Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) sehe deshalb ein neues Verfahren der Preisfindung vor.

 

Bewertung in drei Monaten

 

Es sei weiterhin so, dass ein pharmazeutisches Unternehmen den Preis zunächst allein festsetze und auch »selbstverständlich« von der GKV erstattet bekomme. »Danach werden wir sehr schnell die Nutzenbewertung und das Ergebnis durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) haben«, kündigte Kapferer an. Diese frühe Nutzenbewertung soll in einem Zeitraum von drei Monaten nach der Zulassung erfolgen. Anschließend starten die Vertragsverhandlungen, sofern ein Zusatznutzen erkennbar ist. Sollten sich GKV und Unternehmen nicht verständigen können, ist eine Schiedsstellenlösung vorgesehen.

 

»Wir reden hier nicht über einen deutschen Sonderweg, sondern über etwas, das es in anderen europäischen Ländern durchaus als Instrument schon gibt«, betonte Kapferer. In Deutschland sei es neues Terrain und eine Herausforderung, nicht nur für den GBA, sondern auch für das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Dieses treffe heute schon Vorbereitungen, um sich auf eine wesentlich größere Zahl an frühen Nutzenbewertungen einzustellen.

 

Das BMG wolle zwei Forderungen der Industrie durchaus ernst nehmen. Erstens könne eine Rechtsverordnung statt einer Verfahrensordnung des GBA möglicherweise tatsächlich effizienter sein. Die Hersteller hatten das aus Angst vor einer zu großen Machtfülle des GBA gefordert. Doch Kapferer warnte vor dem Irrglauben, dass dann die Verhandlungen streitfrei abliefen. »Eine frühe Nutzenbewertung birgt immer Konfliktstoff.« Man wolle zweitens auch darüber nachdenken, wie die Industrie frühzeitig ins Verfahren eingebunden werden könne. Dr. Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums in Freiburg, verdeutlichte die Schwierigkeit, Studien über Arzneimittel zu erfassen und in die Nutzenbewertung einfließen zu lassen. Die Cochrane Collaboration hat nach eigenen Angaben die größte Bibliothek von klinischen Studien. Sie ist nach Archie Cochrane benannt, der als Begründer der evidenzbasierten Medizin gilt.

 

»Deutschland ist in der Gesundheitsversorgung noch nicht in der Wissensgesellschaft angekommen«, bedauerte Antes. Es gebe fast keine relevanten Studien in Deutschland und in die Übersetzung englischsprachiger Studien werde so gut wie nichts investiert.

 

Nutzen auch später bewerten

 

Vor allem warnte er davor, die Nutzenbewertung mit der Zulassung eines Arzneimittels für beendet zu erklären. Sie beginne dann erst. Denn erst die Anwendung unter Alltagsbedingungen liefere die wesentlichen Informationen.

 

In der folgenden Podiumsdiskussion erhielt er in diesem Punkt Zuspruch von Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Er verstehe nicht, warum das Gesetz nicht zusätzlich eine spätere Nutzenbewertung vorsehe, welche die Erkenntnisse aus einer etwa zweijährigen Verfügbarkeit am Markt einfließen lasse, insistierte Ludwig.

 

Ulrich Dietz, Referatsleiter Arzneimittelversorgung im BMG, konnte dazu nur erklären, dass die Diskussion sicher weitergehe. Das Gesetz sei zunächst einmal im Plenum. Professor Dr. Hans J. Trampisch vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie der Ruhr-Universität in Bochum wies darauf hin, dass die frühe Nutzenbewertung keineswegs neu sei für Deutschland. Er selbst sei bereits seit dreißig Jahren, damals in der mit dem Erstellen von Positivlisten beauftragten Transparenzkommission, damit befasst gewesen. Daher könne er aus Erfahrung sagen, dass die vorgesehenen drei Monate durchaus für eine Bewertung ausreichten. Trampisch bedauerte, dass die Nutzenbewertung bisher immer am Widerstand der Pharmalobby gescheitert sei.

 

Dr. Ansgar Hebborn, Leiter Global Payer & HTA Program Policy bei der F. Hoffmann-La Roche AG in Basel, sagte, er halte den Drei-Monats-Zeitraum ebenfalls für ausreichend. Sein Unternehmen erhoffe sich mehr Klarheit, welche Informationen die Industrie liefern müsse und nach welchen Regeln die Bewertung erfolge. /

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