Krankes Entgiftungsorgan |
03.07.2012 14:06 Uhr |
Von Maria Pues, Hannover / Erkrankungen der Leber entwickeln sich meist schleichend. Das ist tückisch, denn eine frühe Diagnose ist in vielen Fällen Voraussetzung für einen Therapieerfolg. Diverse Leberwerte geben Aufschluss über den Zustand des Entgiftungsorgans.
Was sich alles verändern kann, wenn die Leber nicht mehr wie gewohnt funktioniert, zeigt eine Liste ihrer Aufgaben. Das Organ produziert unter anderem Gallenflüssigkeit für den Fettstoffwechsel, hilft bei der Regulierung der Blutglucose, speichert Vitamine, produziert Cholesterol, Plasmaproteine und Gerinnungsfaktoren, entsorgt Ammoniak aus dem Blut und ist maßgeblich am Um- und Abbau von Arzneistoffen beteiligt.
Probleme im mittleren Lebensalter
All das tut sie meist über viele Jahre völlig unauffällig. »Doch wenn zehn oder 20 Jahre lang alles gut gegangen ist, heißt das nicht, dass das auch in den nächsten Jahren so bleiben muss«, warnte Professor Dr. Heiner Wedemeyer von der Medizinischen Hochschule Hannover im Eröffnungsvortrag eines Symposiums der Deutschen Leberstiftung in Hannover. Erste Symptome eines Leberschadens treten häufig zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf. »In diesem Alter verschlechtern sich manche Lebererkrankungen teils dramatisch, die zuvor noch unauffällig verlaufen waren«, so Wedemeyer.
Alkoholabusus ist ein häufiger Grund für chronische Leberschäden, aber bei Weitem nicht der einizige.
Foto: imago/Seeliger
Zuvor könne ein chronisches Leberleiden oft über Jahre und Jahrzehnte völlig symptomlos verlaufen, erläuterte er. Als Risikofaktoren für solche Erkrankungen nannte er neben dem Alter männliches Geschlecht, regelmäßiger und/oder reichlicher Alkoholgenuss, starkes Übergewicht sowie Diabetes. Dabei erhöhe ein Typ-2-Diabetes das Risiko stärker als Alkoholkonsum. »Die Leber schreit nicht«, sagte der Gastroenterologe. Die Leberkapsel könne jedoch wehtun und einen Druck im Oberbauch verursachen.
Viele Patienten mit chronischem Leberversagen klagen außerdem über quälenden Juckreiz. Dieser entsteht als Folge der gestörten Entgiftungsfunktion der Leber. In stark fortgeschrittenem Stadium sind die Patienten außerdem sehr müde. Die starke Erschöpfung hat ihre Ursache zumeist – wie auch eine Leber-bedingte Enzephalopathie – in der Anreicherung von Ammoniak im Blut. In einem späteren Stadium kann es zu einem Pfortaderstau kommen, in dessen Folge Umgehungskreisläufe der Pfortader (portokavale Anastomosen) und damit Ösophagusvarizen und Aszites entstehen können. Krampfaderblutungen in der Speiseröhre stellen die häufigste Todesursache bei Leberzirrhose dar.
Fulminant verläuft ein akutes Leberversagen. Allein in Hannover behandelt man laut Wedemeyer etwa 20 bis 30 Fälle jährlich. Häufig kann nur noch eine Lebertransplantation das Leben des Patienten retten.
Anhaltspunkte zur Dringlichkeit einer Lebertransplantation – nicht zu deren Erfolgswahrscheinlichkeit – erlaubt der sogenannte MELD-Wert (Model of end stage liver disease). In ihn fließen bestimmte Blutwerte wie Serumkreatinin, Bilirubin und INR ein. Mithilfe des MELD-Wertes kann die Dreimonats-Mortalität anhand von Tabellen abgeschätzt werden. Die Berechnung muss in meist kürzer werdenden Abständen wiederholt werden, da sich Zustand und Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten nicht linear verschlechtern.
Untersuchungsmethode für französischen Käse
Für die Diagnostik von Lebererkrankungen stehen neben Leberwerten, Biopsie und Ultraschall auch eine Kontrastdarstellung der Gallenwege sowie der nichtinvasive Fibroscan® zur Verfügung. Dieses Gerät wurde ursprünglich für die französische Käseindustrie entwickelt. Mittels Impulsschall misst das Gerät die Elastizität und damit den Reifegrad im Innern des Käses, ohne dass man diesen aufschneiden muss. »Und was mit Käse geht, geht auch mit der Leber«, sagte Wedemeyer.
Ist die Leber beschädigt, sammeln sich Giftstoffe im Körper an. Diese können quälenden Juckzeiz verursachen.
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Mehr als 20 Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben erhöhte Leberwerte. »Doch wann ist ein erhöhter Wert eigentlich schlecht?«, lautete Wedemeyers – rhetorische – Frage. Und welche Erkrankung verändert welchen Wert? Zu bedenken sei in jedem Fall, dass erhöhte Leberwerte nicht nur auf Erkrankungen der Leber hinweisen, sondern auch auf zahlreiche weitere Erkrankungen, die erst sekundär mit einer Leberbeteiligung einhergehen können, aber nicht müssen. Dazu gehört zum Beispiel das Pfeiffersche Drüsenfieber.
Gamma-GT allein wenig aussagekräftig
Ein isoliert erhöhter Wert der Gamma-Glutamyl-Transferanse (Gamma-GT) besitze für sich genommen noch keinen Krankheitswert, erläuterte er weiter. Dieser könne zwar durch eine akute Vergiftung mit dem Knollenblätterpilz, chronischen Alkoholabusus oder Tumorerkrankungen der Leber zustande kommen. Allerdings könne er ebenso ein Hinweis auf die Therapietreue des Patienten sein, da viele Arzneistoffe den Wert erhöhen. Aussagekräftiger sei der Wert der Alaninaminotransferase (ALAT oder ALT). Dieses Enzym wurde früher als Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT) bezeichnet.
ALAT gehört wie ASAT (Aspartataminotransferase) zur Gruppe der Transaminasen. ASAT findet sich vor allem im Cytosol, ALAT in den Mitochondrien. In Leberzellen kommen beide vor, in den Zellen von Herz und quergestreifter Muskulatur nur ASAT. Erhöhte Werte sprechen für eine Schädigung der entsprechenden Zellen, aus denen die Enzyme dann freigesetzt werden. Wedemeyer nannte eine Erhöhung von ALAT und ASAT die »hepatitische Konstellation«. Die Normwerte liegen methodenabhängig für Frauen bei 10 bis 35 U/l und bei Männern bei 10 bis 50 U/l. Nicht nur die absolute Höhe der Werte, sondern auch deren Verhältnis zueinander, der sogenannte de-Ritis-Quotient aus ASAT und ALAT, gibt diagnostische Hinweise. Ist der Quotient kleiner als 1, spricht dies eher für eine geringgradige Schädigung; bei stärkeren Schäden ist er meist größer als 1.
Als »cholestatische Konstellation« bezeichnete der Referent, ein Blutbild, in dem vorwiegend Gamma-GT und alkalische Phosphatase erhöht sind. Dies ist unter anderem bei Abflussstörungen in den Gallengängen, zum Beispiel durch Gallensteine, der Fall. Die Gamma-GT-Normwerte für Frauen liegen methodenabhängig im Bereich von 9 bis 36 und für Männer zwischen 12 und 64 U/l. Die Normwerte der alkalischen Phosphatase sind stark methodenabhängig. Sie liegen für Frauen und Männer zwischen 30 und 120 U/l.
Für eine Schädigung der sogenannten zentroazinären Zellen der Bauchspeicheldrüse sprechen erhöhte Werte der Glutamatdehydrogenase. Der Normwert liegt methodenabhängig für Frauen unter 5 und für Männer unter 7 U/l. Pilzgifte, Chemikalien wie Tetrachlokohlenstoff oder Pharmaka wie Halothan können ihn auf das bis zu 200-Fache erhöhen.
»Frühe Diagnostik lohnt sich«, betonte Wedemeyer. Leberzirrhosen in einem frühen Stadium seien bei rechtzeitiger Therapie rückbildungsfähig. Auch die Behandlungsmöglichkeiten viraler Hepatitiden haben sich in den letzten zehn Jahren dramatisch verbessert. So könne heute fast jeder Patient mit Hepatitis B erfolgreich therapiert werden. Bei Hepatitis C liegen die Heilungschancen zwischen 50 und 80 Prozent. /