Pharmazeutische Zeitung online
Präeklampsie und HELLP-Syndrom

Hochdruck in der Schwangerschaft

05.07.2011  12:59 Uhr

Von Iris Hinneburg / In der Frühschwangerschaft sind Übelkeit und Erbrechen häufige Beschwerden. Im letzten Schwangerschaftsdrittel können die Symptome aber auf eine gefährliche Komplikation hinweisen: die Präeklampsie. Die hypertensive Erkrankung ist weltweit eine der häufigsten Ursachen, wenn Frauen vor, während oder nach der Geburt versterben.

Für Schwangere gehören Kontrollen von Blutdruck und Gewicht sowie der Test auf Eiweiß im Urin zum Pflichtprogramm der regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen beim Frauenarzt. Damit sollen pathologische Prozesse frühzeitig erkannt werden, etwa die Präeklampsie (Gestose). Nach der klassischen Definition wird die Erkrankung diagnostiziert, wenn bei einer Schwangeren nach der vollendeten 20. Schwangerschaftswoche erstmals eine Hypertonie (Blutdruck ≥ 140/90 mmHg) sowie eine Proteinurie (≥ 300 mg innerhalb von 24 Stunden) auftreten.

Allerdings können sich bei einer Präeklampsie statt der renalen Eiweißausscheidung auch andere Symptome zeigen: etwa neurologische oder hämatologische Störungen oder ein verzögertes Wachstum des Fetus. Die deutsche Leitlinie zu hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen wertet stark erhöhte Blutdruckwerte (≥ 170/110 mmHg) oder Komplikationen an anderen Organen wie Lunge oder Leber als schweren Verlauf der Erkrankung. International ist das Krankheitsbild Präeklampsie mit seinen unterschiedlichen Schweregraden jedoch nicht einheitlich definiert.

 

Schwerwiegende Folgen

 

Von einer Präeklampsie sind etwa 2 bis 5 Prozent aller Schwangeren betroffen. Zu den schweren Verlaufsformen gehören auch die Eklampsie mit tonisch-klonischen Krämpfen und das HELLP-Syndrom, bei dem Hämolyse (hemolysis), erhöhte Leberenzymwerte (elevated liver enzymes) sowie eine verringerte Thrombozytenzahl (low platelet count, Thrombozytopenie) auftreten. Wie die Erkrankung entsteht, ist bisher noch nicht abschließend geklärt (siehe Kasten). Eine schwere Präeklampsie ist potenziell lebensbedrohlich für Mutter und Kind. Gefürchtet sind vor allem mütterliche Komplikationen wie Hirnblutungen, Schlaganfall oder eine Leberruptur. Bei Schwangeren mit Prä­eklampsie kommt es auch häufiger zu Früh- und Totgeburten. Außerdem haben die betroffenen Frauen ein erhöhtes Risiko für spätere kardiovaskuläre Erkrankungen wie Hypertonie, Schlaganfall, venöse Thromboembolien und Nierenversagen.

Pathogenese fast unbekannt

Die Pathogenese der Präeklampsie ist bisher nur in Ansätzen bekannt. Vermutlich liegen die Ursachen in einer veränderten Plazentaentwicklung in der Frühschwangerschaft. So ist wahrscheinlich bei einer Prä­eklampsie der physiologische Umbau der mütterlichen Spiralarterien gestört, die die äußeren Schichten der Gebärmutterschleimhaut versorgen. Dadurch wird die Plazenta schlechter durchblutet, was zu oxidativem Stress und einer lokalen Unterversorgung mit Sauerstoff führt. In der Folge schüttet die Plazenta Substanzen aus, die im mütterlichen Organismus ein generalisiertes Entzündungssyndrom und Fehlfunktionen des Gefäßendothels hervorrufen. Je nachdem, ob eine Präeklampsie vor oder nach der 34. Schwangerschaftswoche auftritt, können auch noch weitere pathophysiologische Faktoren beteiligt sein. Das HELLP-Syndrom entwickelt sich vermutlich durch eine verringerte Mikrozirkulation in der Leber.

Viele verschiedene Risikofaktoren

 

Als besonders gefährdet für eine Prä­eklampsie gelten Frauen mit Übergewicht, chronischer Hypertonie, Nierenerkrankungen sowie bei vorbestehendem Diabetes mellitus beziehungsweise einem Gesta­tionsdiabetes. Auch hypertensive Erkrankungen in einer vorhergehenden Schwangerschaft, Mehrlingsschwangerschaften, eine familiäre Disposition und höheres Alter (über 40 Jahre) sind bekannte Risikofaktoren. Besondere Achtsamkeit benötigen Frauen mit neu aufgetretenem Bluthochdruck in der Schwangerschaft. Statistisch betrachtet entwickelt jede zweite von ihnen im weiteren Schwangerschaftsverlauf eine Präeklampsie. Auch bei vorbestehender chronischer Hypertonie ist das Risiko erhöht. Eine sichere Vorhersage ist bisher nicht zuverlässig möglich. Neben den allgemeinen Risikofaktoren gelten vor allem pathologische Durchblutungsmuster in der Uterusarterie, wie sie mithilfe der Doppler-Sonografie entdeckt werden können, als Frühindikator für eine Präeklampsie. Verschiedene Parameter werden derzeit als Biomarker für die Vorhersage einer Präeklampsie diskutiert, etwa die Werte von Serumkreatinin und Aspartat-Trans­aminase, die Thrombozytenzahl und die Blutdruckentwicklung.

 

Die Entbindung ist die einzige kausale Therapie der Präeklampsie. Da eine vorzeitige Geburt, vor allem vor der 34. Schwangerschaftswoche, ein Gesundheitsrisiko für das Kind bedeutet, stellt die Behandlung immer einen Kompromiss zwischen den Risiken für Mutter und Kind dar. Für die Gesundheit der Mutter sind die Blutdruckwerte von besonderer Bedeutung, auch wenn sich Eklampsie und HELLP-Syndrom in manchen Fällen ohne gleichzeitige Hyper­tonie entwickeln können. Bei der Therapie gelten allerdings andere Regeln als bei Nicht-Schwangeren, da eine zu starke Senkung des Blutdrucks das Wachstum des ungeborenen Kindes verzögern kann. Viele gängige Antihypertonika wie ACE-Hemmer und Diuretika sind außerdem in der Schwangerschaft kontraindiziert. Bei Blutdruckwerten oberhalb von 160-170/ 100-110 mmHg erfolgt die Akutbehandlung stationär. Dabei werden in der Regel Nifedipin oder Urapidil eingesetzt. Das früher gebräuchliche Dihydralazin wird heute nur noch selten zur intravenösen Akuttherapie verwendet, da erhebliche Nebenwirkungen bei Mutter und Kind auftreten können.

 

Bei schwerer Präeklampsie wird auch Magnesiumsulfat intravenös verabreicht, um Eklampsien zu verhindern. Bei leichten Formen der Gestationshypertonie und Prä­eklampsie sowie nach stationärer Ersteinstellung werden viele Schwangere ambulant behandelt. Mittel der Wahl zur Langzeitbehandlung der Hypertonie in der Schwangerschaft ist α-Methyldopa. Als eingeschränkt geeignet gelten Nifedipin und selektive β1-Blocker, vor allem Meto­prolol (siehe Tabelle). International wird vor allem Labetalol eingesetzt, das in Deutschland aber nicht auf dem Markt ist. Schwangere mit Hypertonie sollen sich schonen und Stressfaktoren möglichst ausschalten. Spezielle Gestosediäten mit niedrigem Energie- oder Salzgehalt werden nicht empfohlen.

Orale Antihypertensiva zur Langzeitbehandlung in der Schwangerschaft (nach AWMF-Leitlinie)

Wirkstoff Anwendung in der Schwangerschaft
α-Methyldopa Mittel der ersten Wahl
Nifedipin eingeschränkt geeignet, nicht im ersten Trimenon
Metoprolol eingeschränkt geeignet, erhöhtes Risiko für Wachstumshemmung des Fetus
Dihydralazin eingeschränkt geeignet, mögliche Nebenwirkungen Reflextachykardie, Kopfschmerzen, Tachyphylaxie

Grenzen der Selbstmedikation

 

Auch wenn Risikoschwangere meist gut ärztlich betreut sind, kann auch die Apotheke dazu beitragen, dass hypertensive Probleme in der Schwangerschaft schnell erkannt werden. Eine drohende Eklampsie kann sich mit Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit und Erbrechen bemerkbar machen. Wenn bei Frauen in der fortgeschrittenen Schwangerschaft diese Symptome auftreten, besonders bei bestehender Hypertonie, sollte der Apotheker dringend zu einem umgehenden Arzt­besuch raten. Gleiches gilt bei Augenflimmern oder anhaltenden Kopfschmerzen. Auch plötzliche Schwellungen an Händen, Füßen oder im Gesicht können ein Warnzeichen sein, ebenso wie Gewichtszunahmen von mehr als 1 kg pro Woche im letzten Schwangerschaftsdrittel.

Ob bei Frauen mit Risikofaktoren präventive Maßnahmen das Risiko für eine Präeklampsie senken können, ist derzeit noch nicht vollständig geklärt. In randomisierten kontrollierten Studien wurden diverse Nahrungsergänzungsmittel untersucht, doch zeigte sich weder für Ascorbinsäure, Vitamin E, Magnesium oder Fischöle ein eindeutiger positiver Effekt. Hoch dosierte Calcium-Supplemente konnten nur bei Frauen das Prä­eklampsierisiko senken, die mit dem Mineralstoff deutlich unterversorgt waren. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde durch die Supplementierung mit L-Arginin eine geringe Präeklampsierate bei mexikanischen Frauen ereicht, allerdings sind die Stu­dien­auswertung und die Übertragbarkeit der Ergebnisse umstritten. Die aktuellen Leit­linien empfehlen bei Frauen, die in einer vorhergehenden Schwangerschaft unter einer schweren Präeklampsie gelitten ­haben, die Einnahme von 100 mg Acetyl­salicylsäure pro Tag spätestens ab der 16. Schwangerschaftswoche.

 

Fazit für die Apothekenpraxis

 

Anhaltende Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen oder Schmerzen im Oberbauch sind bei Frauen gerade in der fortgeschrittenen Schwangerschaft kein Fall für die Selbstmedikation, besonders wenn bereits eine hypertensive Erkrankung bekannt ist. Apotheker sollten diese wichtigen Symptome kennen, die auf eine akute Verschlechterung des Krankheitsbildes hinweisen. Die Schwangere sollte dann umgehend ihren Arzt aufsuchen. Für die Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln zur Prävention der Präeklampsie gibt es bisher keine ausreichende Evidenz. / 

Mehr von Avoxa