Bekämpfen, bevor er entsteht |
18.06.2014 10:44 Uhr |
Von Maria Pues, Heidelberg / Je früher Darmkrebs erkannt wird, umso besser stehen nicht nur die Chancen auf Heilung, es besteht sogar die Möglichkeit, dass er gar nicht erst ausbricht. Häufig bleiben die Möglichkeiten der Vorsorge aber ungenutzt.
Rund 70 Prozent der Darmkrebs-Neuerkrankungen könnten Studien zufolge verhindert werden. Darauf wies Professor Dr. Hermann Brenner in einer gemeinsamen Pressekonferenz des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Netzwerkes gegen Darmkrebs und der Felix-Burda-Stiftung anlässlich eines internationalen, interdisziplinären Workshops in Heidelberg hin. Die Betonung liegt auf »könnten«, denn die vorhandenen Möglichkeiten der Prävention und Vorsorge bleiben häufig ungenutzt. Neben der Suche nach neuen Therapiemöglichkeiten haben sich die Organisationen eine verstärkte Aufklärung sowie eine Verbesserung der Präventions- und Vorsorgemöglichkeiten zur Aufgabe gemacht.
In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 65.000 Menschen neu an Darmkrebs, und jedes Jahr sterben etwa 26 000 Patienten daran. Bei den Frauen bildet er nach Brustkrebs die zweithäufigste Krebsart, bei den Männern liegt er nach Prostata- und Lungenkrebs auf Platz drei. Brenner rechnet aufgrund der demografischen Entwicklung mit einer Zunahme der Neuerkrankungen. Der genannte Anteil von 70 Prozent möglicherweise vermeidbaren Erkrankungen entspricht in absoluten Zahlen jährlich rund 45.500 Menschen. Die Wirklichkeit 2014: Fast jeder zweite Patient wird erst spät diagnostiziert; bei vielen haben sich bereits Metastasen gebildet. Darauf wies Professor Dr. Otmar Wiestler, Vorstandsvorsitzender des DKFZ, hin. Dabei ist die Überlebensrate stark abhängig vom Stadium, in dem der Darmkrebs entdeckt wird; sie sinkt stark mit der Dauer der Erkrankung.
Frühformen entfernen
Einer der Gründe für die hohen Erkrankungszahlen: Viele Menschen nehmen die Möglichkeit einer Vorsorge-Darmspiegelung nicht wahr. Da Darmkrebs sich nur sehr langsam aus harmlosen Vorstufen entwickelt, die dabei gleich entfernt werden, könnte die Erkrankung bereits in einem frühen, noch ungefährlichen Stadium gestoppt werden. Was viele nicht wissen: Bei einem negativen Ergebnis ist auch in den darauffolgenden zehn Jahren kaum mit einer Darmkrebserkrankung zu rechnen, weshalb eine Wiederholung der Koloskopie daher erst nach zehn bis fünfzehn Jahren nötig ist, erläuterte Brenner. Wenn aber Vorstufen entfernt wurden, sollte die nächste Koloskopie nach fünf bis zehn Jahren erfolgen, wenn weiter entwickelte Vorstufen gefunden wurden nach rund fünf Jahren.
Eine besser akzeptierte – allerdings weniger zuverlässige – Alternative stellen Tests auf okkultes Blut im Stuhl dar. Neben den gebräuchlichen chemischen Stuhltests gibt es inzwischen auch immunologische Tests, die allerdings eine IGel-Leistung sind. Da Blut im Stuhl verschiedene Ursachen haben kann, ist nach positivem Test eine Darmspiegelung erforderlich. Relativ neu sind Tests auf Tumor-DNA im Stuhl, die verschiedene Marker und die Hämoglobinkonzentration messen. Zu diesen liegen aber noch nicht ausreichend wissenschaftliche Daten vor, berichtete Brenner. Auch an spezifischen Bluttests auf tumor-assoziierte Antigene wird gearbeitet. Diese befinden sich in einem noch frühen Stadium der Entwicklung. Derzeit erforschen Wissenschaftler, welche Kombination von Markern eine hohe Sensitivität und Spezifität ermöglichen. Solche Tests würden die Hemmschwelle, die Vorsorge zu nutzen, weiter vermindern, erwarten die Wissenschaftler.
Die Hälfte bis fast drei Viertel aller Tumoren könnten durch Lebensstiländerungen verhindert werden. Darauf wies Professor Dr. Cornelia Ulrich vom DKFZ hin. Die Zahl variiert stark von Krebsart zu Krebsart: Relativ gering ist sie bei Hirntumoren, aber recht hoch bei Darmkrebserkrankungen. In einer Studie mit 20.000 Teilnehmern wird derzeit der Einfluss der einzelnen Faktoren auf das Risiko untersucht. Manche von ihnen lassen sich naturgemäß nicht beeinflussen – wie etwa höheres Lebensalter. Andere wie Ernährung, Bewegung und die Menge des abdominellen Fettes lassen sich jedoch variieren. Inwieweit das Mikrobiom die Darmkrebsentstehung beeinflusst, wird derzeit erforscht. Aus epidemiologischen Studien ist bekannt, dass hohe Vitamin-D-Spiegel mit einem niedrigen Darmkrebsrisiko assoziiert sind. Vor diesem Hintergrund hat eine Studie mit Teilnehmern, denen bereits Polypen entfernt worden waren, die Wirkung einer Vitamin-D-Einnahme untersucht. Dabei habe man keinen Effekt feststellen können, so Ulrich. Niedrige Vitamin-D-Spiegel reflektierten womöglich das Bewegungsprofil eines Patienten, sodass es sinnvoller sei, sich mehr im Freien zu bewegen, als Vitamin D zu ergänzen.
Präventiv wirke sich nachweislich die Einnahme von ASS aus, erläuterte sie weiter. Dabei würden 100 mg täglich bereits ausreichen. Wichtig sei dabei nicht die Gesamtmenge in einem Zeitraum, sondern die kontinuierliche Einnahme einer niedrigen Dosis, ergänzte sie auf Nachfrage der PZ. Die Einnahme von 500 oder 1000 mg alle ein bis zwei Wochen erziele nicht denselben Effekt. »Eine Wunderpille gegen Krebs ist die Tablette aber nicht«, sagte sie weiter. Ein Aufruf an alle, nun regelmäßig ASS 100 mg einzunehmen, folgt daraus auch nicht, denn nicht in jedem individuellen Fall schützt die Einnahme. Mancher nehme womöglich ASS-Nebenwirkungen wie Magenbeschwerden in Kauf, ohne von einer vorbeugenden Wirkung zu profitieren. Gesucht wird daher derzeit nach einem Gentest, mit dem sich prognostizieren lässt, welche Personengruppen von der Einnahme profitieren. Menschen mit familiär erhöhtem Risiko könne eine ASS-Einnahme heute empfohlen werden. Ein durch Rauchen und Alkohol erhöhtes Risiko könne man aber durch sie sicher nicht kompensieren.
Impfung gegen Krebs
Über die Möglichkeiten einer therapeutischen Krebsimpfung informierte Professor Dr. Hans-Georg Rammensee. Diese setzt bei einer unzureichenden Immunantwort der Patienten auf vorhandene Krebszellen an, die üblicherweise über tumorspezifische Peptide vermittelt wird. Um eine Vakzine herzustellen, werden dem Patienten zunächst solche Peptide entnommen, näher bestimmt und synthetisiert. Im Rahmen einer Studie habe sich gezeigt, dass Patienten nach einer Gabe dieser Peptide eine ausreichende Immunantwort gezeigt hätten, berichtete Rammensee. Dies sei mit einem längeren Überleben verknüpft gewesen. Ein Problem bei dem Verfahren: Es handelt sich bei der Herstellung des Impfstoffs quasi um eine Rezeptur, eine Einzelfertigung für einen einzelnen Patienten, an die aber dieselben Anforderungen hinsichtlich der Qualität gestellt würden wie an im Industriemaßstab gefertigte Arzneimittel.
Fazit: Trotz verfügbarer effektiver Möglichkeiten, Darmkrebs zu verhindern, steigt die Zahl der Erkrankungen weiter an. Grund ist das relativ geringe Interesse an der Vorsorge. Nach Aussage aller Experten besteht hier in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern erheblicher Aufholbedarf. Wünschenswert wäre in dieser Hinsicht die Entwicklung von besser akzeptierten und sensitiven Stuhl- oder Bluttests und vor allem mehr Aufklärung der Bevölkerungen über die Möglichkeiten der Vorsorge. /