Ergebnisse der Aktionswoche »Arzneimittelbezogene Probleme« |
19.06.2006 14:46 Uhr |
Ergebnisse der Aktionswoche »Arzneimittelbezogene Probleme«
von Nina Griese, Andrea Hämmerlein und Martin Schulz, Berlin
Von Februar bis Mai 2005 haben die Landesapothekerkammern und das ZAPP der ABDA alle Apotheken aufgerufen, sich an der Aktionswoche zur Erfassung von arzneimittelbezogenen Problemen zu beteiligen. Ziel war es, die Beratungsleistungen zu dokumentieren. 1146 Apotheken beteiligten sich und dokumentierten insgesamt 10.427 arzneimittelbezogene Probleme.
Arzneimittelbezogene Probleme (ABP) sind Ereignisse oder Umstände, die bei einer Arzneimitteltherapie auftreten und das Erreichen des Therapieziels verhindern können (1). Dazu zählen zum Beispiel eine nicht erkannte, klinisch relevante Interaktion, ein nicht geeigneter Wunsch des Patienten in der Selbstmedikation oder die falsche Anwendung eines Asthmasprays. ABP können die Gesundheit des Patienten gefährden sowie die Effektivität der Pharmakotherapie beeinflussen und damit zu direkten oder indirekten Kosten im Gesundheitssystem führen (2).
Jeden Tag werden in der Apotheke unzählige solcher Probleme erkannt und gelöst. Neben der Abgabe von Arzneimitteln und der dazugehörigen Beratung stellt das Erkennen und Lösen von ABP einen entscheidenden Beitrag der Apotheken für die Arzneimittelsicherheit und -effektivität dar. Diese Leistung wird allerdings nicht kontinuierlich erfasst und ist daher in der Öffentlichkeit nur schwer darstell- und quantifizierbar.
In Deutschland gibt es bislang zwei lokale oder regionale Untersuchungen zur allgemeinen Erfassung von ABP in der Apotheke (3, 4), aber keine bundesweite Untersuchung. Daher haben die Landesapothekerkammern mit dem Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA in einem Artikel in der Pharmazeutischen Zeitung (5) und in Kammerrundschreiben alle Apotheken aufgerufen, sich an einer bundesweiten Aktion zur Erfassung von ABP zu beteiligen und über eine Woche alle ABP zu dokumentieren. Ziel der Aktion war es, die täglich von Apotheken für den Patienten erbrachten Leistungen zu dokumentieren, um diese gegenüber Politik und Öffentlichkeit noch deutlicher machen und mit aktuellen Zahlen untermauern zu können . Der Schwerpunkt der Untersuchung lag vor allem darin, das Spektrum an Problemen aufzuzeigen, mit denen die Apotheke konfrontiert wird und zu deren Lösung sie beitragen kann.
Als Zeitraum konnte jede Apotheke eine Woche von Anfang Februar bis Ende Mai 2005 frei wählen. In der Apotheke wurden allgemeine Daten zur Struktur der teilnehmenden Apotheke auf einem Strukturbogen und die einzelnen ABP auf separaten Dokumentationsbögen festgehalten. Die Bögen wurden zur Auswertung an das ZAPP der ABDA geschickt. Alle auf den Struktur- und einzelnen Dokumentationsbögen gemachten Angaben wurden in eine für die Aktionswoche programmierte Access-Datenbank eingegeben. Um die Daten für viele Fragestellungen nutzen zu können, wurde den aufgeführten Arzneimitteln möglichst die Pharmazentralnummer (PZN) und der siebenstellige ATC (anatomisch-therapeutisch-chemische)-Code zugeordnet.
Bei der Auswertung zeigte sich, dass die Daten häufig keiner Normalverteilung entsprechen. Im Gegensatz zum Mittelwert, der einen Durchschnittswert verschiedener Zahlenwerte darstellt, zerlegt der Median eine geordnete Reihe von Beobachtungswerten in zwei gleich große Teile. Da der Median im Gegensatz zum Mittelwert daher stabil gegenüber einzelnen Ausreißern ist, wurde in diesen Fällen im Folgenden nicht der Mittelwert, sondern der Median angegeben. Die angegebenen Prozentzahlen beziehen sich auf die Grundgesamtheit der 1146 Apotheken. Die Anzahl der Apotheken, bei denen die jeweilige Angabe fehlte, wird nicht separat angegeben.
An der Aktion haben sich 1146 Apotheken beteiligt und insgesamt 10.427 arzneimittelbezogene Probleme dokumentiert. Im Durchschnitt sind dies 9,1 ABP pro Apotheke und Woche. Die Anzahl der eingereichten ABP pro Apotheke war dabei sehr unterschiedlich und variierte von 1 bis 76. Da die Zahl der gemeldeten ABP vom Engagement jeder einzelnen Apotheke, von der Einschätzung eines Problems als ABP und natürlich von der im Apothekenalltag für die Dokumentation zur Verfügung stehenden Zeit abhängt, kann diese Untersuchung keine validierten Daten zur tatsächlichen Häufigkeit liefern.
Struktur der Apotheken
Die teilnehmenden Apotheken dokumentierten auf dem Strukturbogen allgemeine Daten zur Struktur der Apotheke, zum Beispiel Anzahl der Kunden, Rezepte und abgegebene Arzneimittel pro Woche, Lage der Apotheke und Vorhandensein eines Beratungsraums. Bei der Einzelauswertung wurde jeweils eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen und Angaben, die nicht plausibel erschienen, gestrichen.
Die Auswertung ergab eine Kundenzahl von etwa 900 pro Woche und Apotheke; der Bundesdurchschnitt liegt bei ungefähr 800. In der Dokumentationswoche wurden rund 500 Rezepte pro Apotheke bearbeitet sowie insgesamt etwa 1600 verordnete Arzneimittel und Arzneimittel zur Selbstmedikation pro Apotheke abgegeben. Diese Daten liegen geringfügig höher als der Bundesdurchschnitt, berechnet nach ABDA-Zahlen (6).
Etwa die Hälfte (49 Prozent) aller teilnehmenden Apotheken lag in der Stadt, mehr als ein Drittel auf dem Land (35 Prozent). Die Verbleibenden (11 Prozent) gaben eine Lauflage an. Einen Beratungsraum können 77 Prozent der Apotheken nutzen. Dies kann für ein Beratungsgespräch zur Lösung arzneimittelbezogener Probleme wichtig und sinnvoll sein; 16 Prozent hatten diese Möglichkeit nicht.
Dokumentierte Probleme
Auf jedem einzelnen Dokumentationsbogen notierten die Apotheken Angaben zum Patienten (Alter und Geschlecht), zum Arzneimittel wie verordnetes Arzneimittel, OTC-Präparat, Erst- oder Wiederholungsverordnung sowie zum Problem und seiner Lösung, zum Beispiel Arztkontakt, und zum benötigten Zeitaufwand.
Insgesamt wurden 10.427 ABP erfasst (Tabelle 1). Die Patienten waren im Durchschnitt 54,4 Jahre alt; 58,4 Prozent waren weiblich und 38,5 Prozent männlich. Die Abbildung zeigt die Verteilung der dokumentierten Probleme auf verordnete Arzneimittel und Arzneimittel zur Selbstmedikation. Berücksichtigt wurde ebenfalls, wenn ABP für Hilfsmittel, Verbandstoffe, Medizinprodukte oder Nahrungsergänzungsmittel erfasst wurden. Neun von zehn detektierten ABP betrafen verordnete Arzneimittel. Dies kann unter anderem damit erklärt werden, dass Probleme bei der Selbstmedikation, zum Beispiel ein für den Patienten und seine Erkrankung nicht geeigneter Arzneimittelwunsch, von den Apotheken nicht als ABP gewertet wurden. Aber auch ein ungeeigneter Arzneimittelwunsch ist ein ABP, das nur im persönlichen Patientengespräch erkannt und damit in der Apotheke vor Ort und nicht in der Versandapotheke gelöst werden kann.
Das Verhältnis von Erst- zu Wiederholungsverordnungen lag bei 42,5 versus 39,3 Prozent. Im Vergleich zu anderen Untersuchungen, zum Beispiel der bayernweiten Studie mit einem Verhältnis von 62,9 Prozent Erst- zu 37,1 Prozent Wiederholungsverordnung, lag die Rate an ABP hier bei der Erstverordnung also nur geringfügig höher (4). Vergleicht man die Art der ABP, so fällt auf, dass es zu einer Verschiebung der Problemkategorien in Bezug auf ihre Häufigkeiten kommt. Bei der Erstverordnung treten verstärkt Probleme auf wie »Patient kennt seine Dosierung nicht« und »mangelndes Wissen über die korrekte Applikation«. Dagegen fallen bei der Wiederholungsverordnung die Probleme »falsche Darreichungsform«, »falsche Stärke« und »unbeabsichtigte Doppelverordnung des gleichen Wirkstoffs« auf. Probleme wie »Arzneimittel außer Handel« oder »unvollständig ausgefülltes Rezept« sind etwa gleich häufig.
Zur Problemlösung wurde insgesamt bei 6312 ABP der behandelnde Arzt kontaktiert (60,5 Prozent). Bei 3811 ABP erfolgte keine Rücksprache (36,5 Prozent). Beispiele für Probleme, die selten eine Rückfrage beim Arzt benötigten, sind »mangelndes Wissen über die korrekte Applikation« und »Handhabungsprobleme des Patienten«. Erwartungsgemäß wurde bei 65,9 Prozent aller ABP, die ein verordnetes Arzneimittel betrafen, der Arzt kontaktiert. Allerdings erfolgte eine Rücksprache auch bei 70 ABP (7,8 Prozent), die im Zusammenhang mit der Selbstmedikation standen. Beispiele dafür sind der Wunsch nach einem verschreibungspflichtigen Präparat sowie der Verdacht auf Analgetika-Kopfschmerz.
Mehr als 80 Prozent aller ABP wurden vollständig und knapp 11 Prozent teilweise gelöst. Nur 3,1 Prozent konnten nach Angaben der Apotheken nicht gelöst werden. Zur Lösung oder Bearbeitung benötigten die Apotheken etwa fünf Minuten (von 0,5 Minuten bis 3,5 Stunden).
Täglich 28.000 ABP erkannt
Die Anzahl dokumentierter ABP kann in Relation zur Anzahl von Kunden, belieferten Rezepten und abgegebenen Arzneimitteln gesetzt werden. 893 Apotheken haben Angaben zur Kundenzahl gemacht. Sie bedienten insgesamt 898.009 Kunden während des Dokumentationszeitraums und dokumentierten 8382 ABP. Pro 100 Kunden identifizierten die Apotheken damit 0,93 ABP. Im Vergleich wurden 0,52 ABP pro 100 abgegebenen Arzneimitteln beziehungsweise bei verordneten Arzneimitteln 1,16 ABP auf 100 Rezepte dokumentiert.
Die Anzahl an tatsächlich gelösten ABP dürfte aber wesentlich höher sein. Dies ist unter anderem mit dem notwendigen Dokumentationsaufwand zu erklären. Die Apotheken gaben nicht selten an, dass viele der dokumentierten Probleme häufiger vorkamen oder eine Vielzahl an ABP wegen des Zeitaufwands für die Dokumentation nicht erfasst werden konnte.
Zum Vergleich: Bei der Untersuchung des Augsburger Qualitätszirkels zum Thema Interaktionen dokumentierten die beteiligten Apotheken allein 8,1 Interaktionsmeldungen pro Tag (7). Diese Zahl weist darauf hin, dass möglicherweise ein Großteil der aufgetretenen ABP in der bundesweiten Aktion gar nicht gemeldet wurde. Aber selbst bei 0,93 ABP pro 100 Patienten ergibt sich bei geschätzten drei Millionen Kundenkontakten pro Tag in allen 21.400 Apotheken in Deutschland eine Zahl von knapp 28.000 erkannten und zum weitaus größten Teil gelösten ABP pro Tag.
Klassifizierung der Fälle
Die Klassifizierung und Codierung von ABP kann mit verschiedenen Klassifizierungssystemen vorgenommen werden. In dieser Untersuchung wurde das Problem-Interventions-Dokumentations-System verwendet (8). Das PI-Doc®-System wurde 1995 entwickelt (9). Es sieht eine hierarchische Klassifizierung arzneimittelbezogener Probleme in sechs Hauptgruppen vor. Die Vorteile dieser Klassifizierung bestehen darin, dass es sich um ein publiziertes System handelt, das Bestandteil der meisten pharmazeutischen Softwareprogramme zur Dokumentation von ABP ist.
Ein Nachteil aller Klassifizierungssysteme ist, dass sie nicht immer eine eindeutige Zuordnung von ABP ermöglichen, was auch in dieser Aktion deutlich wurde. Daher ist eine Weiterentwicklung der Systeme wünschenswert. Bei der Codierung der eingereichten ABP konnten 3528 keiner vorhandenen Kategorie des PI-Doc®-Systems zugeordnet werden. Für einen Großteil dieser Probleme wurden daher neue Kategorien geschaffen, zum Beispiel »falsche Angaben auf dem Rezept«, »ungeeigneter OTC-Wunsch« oder »mangelndes Wissen über die Indikation der verordneten Arzneimittel«. Allerdings verblieben immer noch 361 ABP, die weder einer bestehenden noch einer neu geschaffenen Kategorien zugeordnet werden konnten.
Die Aktionswoche hat gezeigt, dass das Spektrum an arzneimittelbezogenen Problemen, die täglich in der Apotheke auftreten und gelöst werden, eine große Bandbreite aufweist. Tabelle 2 führt die »TOP 10« der insgesamt 72 Kategorien des erweiterten Codierungssystems auf.
Um eine Strukturierung und dadurch bessere Übersichtlichkeit zu erzielen, wurden die ABP-Kategorien nach ihrer Entstehungsebene sortiert. Die Probleme können auf der Verordnungs-, Vertriebs- und Patientenebene entstehen. Da sich einige Kategorien des PI-Doc®-Systems sowohl auf die Patienten- als auch die Verordnungsebene beziehen, wurden die ABP dieser Kategorien aufgeschlüsselt und der entsprechenden Ebene zugeordnet. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) sind keiner dieser Ebenen zugeordnet, da sie oft nicht vorhersagbar und damit nicht vermeidbar sind. Daher wurden UAW der Kategorie Sonstiges zugeordnet.
In der Tabelle 3a bis d sind die wichtigsten ABP nach ihrer Häufigkeit und Art in der jeweiligen Entstehungsebene aufgeführt. Aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit wurden für diese Tabelle, soweit möglich, Kategorien zusammengeführt. Dies betrifft zum Beispiel die Kategorie »falsche Angaben auf dem Rezept«, in der die sieben in Tabelle 4 genannten Gruppen subsummiert wurden. ABP, deren Häufigkeit unter 0,1 Prozent lag, wurden nicht aufgeführt. Bei der Verordnungs- und Patientenebene wurde eine weitere Einteilung in Untergruppen vorgenommen.
Nach Tabelle 3 entfallen 54,7 Prozent der in der Aktion identifizierten ABP auf die Verordnungsebene, 25,9 Prozent auf die Patientenebene und 13,9 Prozent auf die Vertriebsebene. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen umfassen 2,1 Prozent. Die ABP auf Verordnungsebene betreffen falsche und fehlende Angaben auf dem Rezept, ferner die Indikation, Sicherheit und Effektivität sowie Sonstiges. Mehr als die Hälfte der Probleme beziehen sich auf »falsche Angaben auf dem Rezept« (Tabelle 4) und »unvollständig oder unleserlich ausgefülltes Rezept«.
Auf der Patientenebene können ebenfalls zahlreiche Probleme entstehen (Tabelle 3b). Diese können die unmittelbare Anwendung des Arzneimittels, zum Beispiel eine selbstständige Veränderung der empfohlenen oder verordneten Dosierung oder die Unkenntnis der richtigen Dosierung, betreffen. Wichtig ist, dass auch in der Selbstmedikation ABP auftreten. Dies ist zum Beispiel der Wunsch nach einem für den Patienten oder die Erkrankung nicht geeigneten Präparat. Ein spezifisches Problem liegt auch dann vor, wenn die Grenze der Selbstmedikation überschritten und eine Abklärung durch den Arzt notwendig ist (10). Auf der Patientenebene wurde besonders häufig über »mangelndes Wissen über die korrekte Applikation/Einnahme«, »Patient kennt seine Dosierung nicht« und »ungeeigneter OTC-Wunsch« berichtet.
Auf der Vertriebsebene sind es vor allem »Arzneimittel außer Handel« und »Lieferschwierigkeiten« (Tabelle 3c). Diese beiden Gruppen umfassen viele Probleme, die schnell und leicht von der wohnortnahen Apotheke zu lösen sind. Aber auch hier gibt es klinisch relevante ABP, wenn zum Beispiel ein Arzneimittel dringend benötigt wird, aber nicht sofort lieferbar oder ein Patient durch ein neues Packungslayout verunsichert ist.
Die Tabelle 5 zeigt die zehn Arzneistoffgruppen, bei denen am häufigsten Probleme auftraten. Die Klassifizierung erfolgte nach dem ATC-Code.
Große Bandbreite an Problemen
Bei der Aktion traten allgemeine Handhabungsprobleme, zum Beispiel mit Insulinpens, Blutzuckermessgeräten oder Asthmasprays, in 167 Fällen auf. Zu 46,1 Prozent betraf das Problem eine Applikationshilfe und zu 28,7 Prozent die Handhabung eines Geräts. Eine eingehende Erläuterung der richtigen Anwendungstechnik sowie die Möglichkeit, mit einem Demonstrationsgerät zu üben, sind daher für den Patienten sehr hilfreich (11, 12). Die verbleibenden 25,2 Prozent der Probleme bezogen sich auf individuelle Schwierigkeiten wie Handzittern oder Sehschwäche.
Interaktionsmeldungen gehören zu den am häufigsten identifizierten ABP (908 dokumentierte Fälle, 8,7 Prozent). 261 ABP bezogen sich auf Anwendungsbeschränkungen und Kontraindikationen. Die Fallbeispiele »Interaktion mit einem Präparat der Selbstmedikation« und »Kontraindikation« zeigen, dass die EDV-gestützte Arzneimittelrisiko-Prüfung mit Hilfe des Interaktionsmoduls der ABDA-Datenbank und des Datenbankmoduls CAVE die pharmazeutische Tätigkeit effektiv unterstützt. Das CAVE-Modul ist ein Zusatzmodul der ABDA-Datenbank und ermöglicht es, Risiken auf Grund individueller Parameter wie Erkrankungen, Alter, Geschlecht und Allergien in der Abgabesituation zu erkennen (13).
Hinweise auf Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und deren klinische Relevanz kann, neben dem Patientengespräch, auch das Interaktionsmodul der ABDA-Datenbank geben (14).
Diesen automatischen Checks muss allerdings die richtige Einschätzung des angezeigten Problems und des Gefährdungspotenzials für den Patienten folgen. Hier ist die Apotheke gefordert, für den Patienten den individuell angemessenen Lösungsweg zu finden. Eine Rückfrage beim Arzt oder Patienten kann durchaus auch ergeben, dass das Problem bei diesem Patienten nicht relevant ist.
Eine unbeabsichtigte Doppelverordnung des gleichen Wirkstoffs oder eines Stoffs aus der gleichen Wirkstoff- oder Indikationsgruppe, eine so genannte Pseudodoppelverordnung, kam während der Aktionswoche in einem nicht unerheblichen Umfang vor (172 sowie 55 Fälle). Dabei waren die Konstellationen in der Regel mit dem genannten Beispiel vergleichbar. Das Anlegen und Führen von datenbankgestützten Medikationsdateien und -profilen ist ein wichtiges Instrument, um Verschreibungsprobleme wie Doppelverordnungen zu identifizieren. Ferner wird dadurch das Erkennen einer eindeutigen Über- oder Unterdosierung, von Non- und Hyper-Compliance möglich.
Nachfolgend werden sieben klinisch relevante ABP vorgestellt. Die Beispiele repräsentieren nicht unbedingt die am häufigsten genannten Kategorien, sollen aber einen Einblick in das Spektrum geben und zeigen, mit welchen Möglichkeiten die Apotheke ABP erkennen und lösen kann.
Handhabungsprobleme
Ein 50-jähriger Patient kommt mit starker Atemnot in die Apotheke und möchte vorab Bronchospray Novo® (Salbutamol). Ein Blick in die Kundendatei gibt Auskunft über die letzten Verordnungen. Es fällt der hohe Bedarf des Bronchien erweiternden Arzneimittels auf - etwa 33 Hübe pro Tag. Auf Nachfrage gibt der Patient an, dass er das Arzneimittel immer dann anwende, wenn er Atemnot verspüre, was sehr häufig am Tag sei. Beim Überprüfen der Inhalationstechnik wird eine falsche Handhabung des Asthmasprays festgestellt. Ferner stellt sich heraus, dass der Patient keine inhalative Basistherapie (inhalatives Glucocorticoid) erhält.
Intervention der Apotheke: Erläuterung und Üben der richtigen Inhalationstechnik. Rücksprache mit dem behandelnden Arzt bezüglich der fehlenden Dauermedikation mit Glucocorticoiden zur Langzeitkontrolle des Asthmas. Vorstellung eines Asthmatagebuchs und Erläuterung von Atemübungen.
Interaktion mit OTC-Präparat
Eine 63-jährige Patientin erhält eine immunsuppressive Therapie mit Sandimmun® (Ciclosporin). Auf Grund einer leicht depressiven Verstimmung wünscht die Patientin zusätzlich ein Johanniskraut-Präparat. Der Interaktions-Check zeigt eine mittelschwere Interaktion zwischen Ciclosporin und Johanniskraut, da Inhaltsstoffe des Johanniskrauts das Cytochrom-P-450-abhängige Isoenzym 3A4 induzieren und so die Plasmakonzentrationen von Ciclosporin erniedrigen können. Während einer Behandlung mit diesem Immunsuppressivum sollen daher möglichst keine Johanniskraut-Präparate, auch keine Johanniskraut-haltigen Tees oder Teemischungen eingenommen werden.
Intervention der Apotheke: Der Patientin wird von der Einnahme von Johanniskraut abgeraten; sie wird an den Arzt verwiesen.
Kontraindikation
Eine 93-jährige Patientin kommt mit einer Verordnung über Arcoxia® (Etoricoxib) in die Apotheke. Bei der Abgabe des COX-2-Hemmers wird ein datenbankgestützter Risiko-Check durchgeführt. Da die Patientin laut Kundendatei an einer koronaren Herzerkrankung leidet, besteht eine Kontraindikation für den COX-2-Hemmer.
Intervention in der Apotheke: Rücksprache mit dem behandelnden Arzt, Abgabe eines Alternativpräparats.
Doppelverordnung
Eine 68-jährige Patientin erhält innerhalb weniger Tage vom Hausarzt ein Rezept über Cipramil® und vom Facharzt ein Rezept über Citalopram ratio®. Beide Arzneimittel enthalten das Antidepressivum (SSRI) Citalopram.
Intervention der Apotheke: Die Kundendatei der Patientin lässt die Doppelverordnung sofort erkennen. Nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten wird eines der Rezepte vernichtet.
Rezepturproblem
Eine Patientin schickt das Rezept über eine Rezeptur zu einer Versandapotheke. Diese schickt das Rezept zurück und informiert die Einsenderin darüber, dass die Rezeptur nicht mehr herzustellen sei. Der behandelnde Arzt wendet sich daraufhin an die Apotheke am Ort, um die Richtigkeit der Aussage zu überprüfen.
Intervention der Apotheke: Nach Auskunft der Apotheke ist die Herstellung der Rezeptur nach wie vor möglich. Sie wird auf Wunsch des Arztes angefertigt.
»Defektes« Arzneimittel
Eine 35-jährige Patientin hat vom Arzt ein Nocutil® Nasenspray (Desmopressin) erhalten. Sie kommt in die Apotheke, da das Spray nicht funktioniert und wünscht eine Beratung.
Intervention der Apotheke: Das »Arzneimittelmuster« entpuppt sich als täuschend echt gemachter Textmarker (sic!). Rücksprache mit dem Arzt und Ausstellung eines Rezepts.
Non-Compliance
Eine 75-jährige Kundin wünscht ein Arzneimittel gegen Sodbrennen. In der Medikationsdatei ist aufgeführt, dass sie kürzlich Omeprazol erhalten hat. Auf Nachfrage erklärt die Patientin, dass sie den Protonenpumpenhemmer aus Angst vor Nebenwirkungen nicht nehme.
Intervention der Apotheke: Ausführliche Erläuterung von Wirkungsweise und Nutzen des Arzneimittels, um der Patientin die Angst vor Nebenwirkungen zu nehmen.
Diskussion und Ausblick
Die Aktionswoche hat gezeigt, dass das Spektrum an ABP, die täglich in der Apotheke auftreten und gelöst werden, eine große Bandbreite aufweist. Die Probleme können auf der Verordnungs-, der Vertriebs- bis hin zur Patientenebene entstehen. Das erfolgreiche Lösen von ABP führt nicht nur zu einer verbesserten Anwendung von Arzneimitteln, sondern erhöht vor allem die Arzneimittelsicherheit. Durch die Intervention in der Apotheke werden Schadensfälle vermieden und ein wirtschaftlicher Einsatz von Arzneimitteln begünstigt. Der Nutzen kommt vor allem dem Patienten, aber auch dem behandelnden Arzt und dem Gesundheitswesen zugute.
Mit dieser bundesweiten Aktionswoche konnte die Rolle des Apothekers im Netzwerk Arzt-Apotheker-Patient besonders deutlich gemacht werden. Der Apotheker ist Arzneimittelfachmann, der die Arzneimitteltherapie in seiner Funktion als unterstützender Partner und kompetenter Berater an der Seite des Patienten und des Arztes individuell begleitet. Eine softwaregestützte Pharmazeutische Betreuung kann die Anwendungssicherheit und den Anwendungserfolg der Medikation entscheidend erhöhen.
Die Aktion zeigte ebenfalls deutlich, dass ABP nicht nur bei verordneten Präparaten, sondern auch in der Selbstmedikation auftreten. Diese hat mit der Gesundheitsreform seit 2004 eine noch größere Bedeutung bekommen, jedoch werden ihre Dimension und somit auch medizinische Bedeutung oft unterschätzt. Aus diesem Grund wird derzeit überlegt, eine zweite Aktionswoche zu initiieren, die einen speziellen Fokus auf die quantitative Erfassung arzneimittelbezogener Probleme unter besonderer Berücksichtigung der OTC-Präparate legt.
Aufgrund des Umfangs der Tabellen stehen diese nur in einer PDF-Version dieses Beitrags zur Verfügung. Bitte benutzen Sie zum Download diesen Link (600 KB).
<typolist type="1">
van Mil, F., et al., Arzneimittelbezogene Probleme in der öffentlichen Apotheke. Pharm. Ztg. 146 (2001) 1308-1314.
Munroe, W. P., et al., Economic evaluation of pharmacist involvement in disease management in a community pharmacy setting. Clin. Ther. 19 (1997) 113-123.
Schaefer, M., Wie unentbehrlich sind die Apotheken. Dtsch. Apoth. Ztg. 135 (1995) 3019-3027.
Schaefer, M., Kresser, J., Pharmazeutische Betreuung vermeidet Schäden. Pharm. Ztg. 143 (1998) 4446-4454.
Griese, N., Schulz, M., Apotheken erfassen arzneimittelbezogene Probleme. Pharm. Ztg. 150 (2005) 973-975.
Diener, F., Apothekenwirtschaftsbericht Konsolidierung der Branche. Pharm. Ztg. 151 (2006) 1658-1669.
Griese, N., et al., Der Interaktions-Check in der Apotheke. Pharm. Ztg. 151 (2006) 1498-1502.
van Mil, J. W., et al., Drug-related problem classification systems. Ann. Pharmacother. 38 (2004) 859-867.
Schaefer, M., Discussing basic principles for a coding system of drug-related problems: the case of PI-Doc. Pharm. World Sci. 24 (2002) 120-127.
Braun, R., Schulz, M., Selbstbehandlung Beratung in der Apotheke. Govi-Verlag Eschborn 1994, 7. Erg.-Lfg. 2006.
Mangiapane, S., et al., Community pharmacy-based pharmaceutical care for asthma patients. Ann. Pharmacother. 39 (2005) 1817-1822.
Mangiapane, S., et al., Resultate der Asthmastudie im KV-Bezirk Trier. Pharm. Ztg. 150 (2005) 108-114.
Siebert, C., Risiko-Check mit CAVE. Pharm. Ztg. 149 (2004) 1260-1263.
Zagermann-Muncke, P., ABDA-Datenbank - welche Interaktionen werden aufgenommen? Pharm. Ztg. 148 (2003) 40-43.
Nina Griese studierte Pharmazie an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster (Approbation 2000). Von 2000 bis 2004 fertigte sie eine Dissertation am dortigen Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie sowie an der Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde, Pädiatrische Hämatologie und Onkologie an. Schwerpunkte waren analytische Methodenentwicklung und Pharmakokinetik von liposomalen Anthracyclinen. Seit November 2003 ist Dr. Griese als Referentin für Pharmazeutische Betreuung im Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA, Berlin, tätig.
Andrea Hämmerlein studierte Pharmazie (Approbation 1998) an der Freien Universität in Berlin und verbrachte während des Praktischen Jahres sechs Monate im Department of Pharmaceutics an der University of Florida in Gainesville, USA. Während ihrer Promotionszeit am Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie der Charité, Campus Benjamin Franklin, arbeitete sie an der Erforschung molekularer Mechanismen der Krebsentstehung. Im Anschluss an ihre Promotion 2003 war sie als Postdoc an der Charité tätig. Seit August 2004 ist Dr. Hämmerlein als Referentin für Pharmazeutische Betreuung im ZAPP tätig.
Martin Schulz studierte Pharmazie (Approbation 1983) und Medizin in Hamburg und wurde 1988 im Fach Pharmakologie promoviert. Seit Oktober 1988 leitet er das ZAPP. Seine Schwerpunkte umfassen hier die Arzneimittelinformation, Effektivität, Effizienz, Nutzenevaluation und -bewertung von Arzneimitteln und Dienstleistungen sowie die Qualitätssicherung. 1989 erfolgte die Anerkennung als Fachpharmakologe DGPT und 1993 als Fachapotheker für Arzneimittelinformation. Seit 1992 ist Dr. Schulz stellvertretender Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. Im März 2002 übernahm er zusätzlich die Geschäftsführung Pharmazie des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI). Seit Juli 2005 ist er Honorarprofessor der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main und lehrt Klinische Pharmazie.
Anschrift der Verfasser:
Dr. Nina Griese, Dr. Andrea Hämmerlein, Professor Dr. Martin Schulz
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA
Jägerstraße 49/50
10117 Berlin