Pharmazeutische Zeitung online
Zum 200. Geburtstag

Zur Promotion Hermann Hagers

13.06.2016  14:47 Uhr

Von Axel Helmstädter, Amalia-Sophia Sakkas und Christoph Friedrich / Vor 200 Jahren, am 3. Januar 1816, wurde der pharmazeutische Schriftsteller Hermann Hager in Berlin geboren. Bekannt ist er als Autor von Hagers Handbuch, einem bis heute aufgelegten und erweiterten pharmazeutischen Nachschlagewerk. Zusätzlich war er Autor zahlreicher Rezepturhandbücher, Arzneibuchkommentare und Lehrbücher sowie Zeitschriften­herausgeber.

Hagers Leben und Werk wurde mehrfach ausführlich beschrieben (1-6). Alle Biografen betonen, dass Hager sich seine Kenntnisse weitgehend eigenständig erarbeitet habe, insbesondere hatte er nie eine Universität besucht. Das pharmazeutische Staatsexamen bestand er dennoch 1841 mit »sehr gut«. Von 1843 bis 1859 war er Besitzer der Stadt-Apotheke Fraustadt (Provinz Posen, heute Polen), wo erste bedeutende Werke entstanden, insbesondere 1850 das »Handbuch der pharmaceutischen Receptirkunst« und 1855/1857 ein zweibändiger Kommentar zu den Pharmakopöen Norddeutschlands. 

Die Werke wurden hervorragend angenommen, weil sie fundierte und praxisrelevante Angaben zur Arzneimittelherstellung machten, die den eher dürren Text der Arznei­bücher ideal ergänzten. 1859 wagte ­Hager angesichts der ersten publizistischen Erfolge, die Apotheke abzugeben und sich als freier Schriftsteller niederzulassen. Im gleichen Jahr begründete er auch die Zeitschrift »Pharmaceu­tische Centralhalle für Deutschland« die wöchentlich erschien und die er bis 1880 allein herausgab (7). Zeitgleich begann er, als »Dr. Hermann Hager« zu firmieren.

 

Biografen lassen die genauen Umstände der Promotion Hagers im Dunkeln oder stellen hinterfragenswerte Mutmaßungen an. So vermutet Löhr (3) eine doppelte Ehrenpromotion, ersichtlich anhand der »durch die Universität Jena verliehenen Ehrentitel Dr. phil. und Dr. med.« Hermann (5, S. 34) spricht in ihrer Dissertation unter Bezug auf Heger (1) ebenfalls von Promotionen honoris causa in beiden Fächern »nach 1859«, obwohl Heger (1, S. 179) selbst nur (und richtigerweise) schreibt, Hager sei »1859 […] an der Universität Jena zum Doctor philosophiae promovirt« worden. Hermann schreibt dem Apotheker darüber hinaus zwei 1870 und 1884 im Druck erschienene Doktorarbeiten zu (8, 9), bei deren Abfassung der Autor bereits 54 beziehungsweise 68 Jahre alt gewesen wäre. Hager selbst berichtet in einem Briefwechsel mit seinem Ver­leger Springer von einer Berufung als Professor an die Universität Dorpat (heute Tartu/Estland), die er abgelehnt habe, weil er den Grundsatz hatte, »nie über die russische Grenze zu gehen«. Den Ruf erhielt daraufhin Georg Noël Dragendorff (1836 bis 1898) (5, S. 34).

Lebensdaten

  • 3. Januar 1816 geboren in Berlin 
  • 1832 bis 1836 Lehre in der Löwen-Apotheke, Salzwedel 
  • 1836 bis 1839 Gehilfe in Kyritz, Köpenik, Neustadt (Dosse) und Perleberg 
  • 1839 Militärdienst in Breslau 
  • 1841 Pharm. Staatsexamen in Berlin (Note sehr gut) 
  • 1843 bis 1859 Besitzer der Stadt-Apotheke Fraustadt 
  • 1859 Promotion, Niederlassung als Fachschriftsteller in Berlin 
  • 1872 Übersiedelung nach Pulvermühle bei Fürstenberg (Oder) 
  • 1876/78 Erstausgabe des Handbuches der pharmaceutischen Praxis, 2 Bände 
  • 1881 Umzug nach Frankfurt (Oder) 
  • 1883 Handbuch, Ergänzungsband 
  • 1896 Umzug nach Neuruppin (Wohnort des Sohnes Arnold H.) 
  • 24. Januar 1897 gestorben in Neuruppin an Influenza 

Promotion in absentia

 

Tatsächlich wurde Hager, obwohl er nie studiert hatte, 1859 an der Universität Jena regulär, aber in absentia promoviert. Eine eigentliche Dissertation war hierzu offensichtlich nicht erforderlich, die genannten Arbeiten stammen von deutlich jüngeren Namensvettern, einem Altphilologen und einem Chemiker (10). Nach seinem Entschluss, sich als Fachschriftsteller niederzulassen, reichte der Apotheker Hermann Hager am 8.2.1859 der Universität Jena ein erstes Promotionsgesuch ein (11). Beigefügt waren die drei bereits erschienenen Buchpublikationen. Hierdurch glaubte er seine »wißenschaftliche Befähigung [...] be[s]thätigt zu haben« (11, Bl. 142r). Offensichtlich erhielt er zunächst einen negativen oder hinhaltenden Bescheid, woraufhin er nochmals insistierte. Am 8.3.1859 beantragte er die Promotion erneut, dem Schreiben fügte er 66 Taler Gebühr, einen Lebenslauf in lateinischer Sprache, ein polizei­liches Führungszeugnis, eine Abschrift des staatlichen Apothekerzeugnisses sowie nochmals die drei erschienenen Bücher bei. Vier Tage später forderte die Fakultät ein Gutachten des Chemieprofessors Carl Gotthelf Lehmann (1812 bis 1863) an, das dieser unmittelbar verfasste. Hierin wird vor allem die praktische Bedeutung der Arbeiten Hagers betont: »Die eingesendeten Druckschriften des Petenten sind mit großem Fleiß ausgearbeitete und auf vielfache Erfahrung begründete Handbücher zum Gebrauch im Apothekengeschäft. Haben dieselben auch gerade keinen wißenschaftlichen Werth, so beweisen sie doch, daß der Verf[asser] in seinem Fache ein tüchtiger Mann ist. Deshalb nehme ich keinen Anstand, denselben zur Promotion zu empfehlen« (11, Bl. 141v). Mit ihrer Unterschrift befürworteten sieben weitere Fakultätsmitglieder die Titelverleihung direkt auf dem Gutachten, sodass die Promotion am 13.  März 1859, also nur sieben Tage nach Einreichen des neuerlichen Gesuches, mit Ausstellung einer Urkunde voll­zogen werden konnte.

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Zur Promotionspraxis im 19. Jahrhundert

 

Anforderungen an Promovierende waren im 19. Jahrhundert in den jeweiligen Fakultäten gewissen Schwankungen unterworfen, wie Harm-Hinrich Brandt betont (12). Ein Promotions­gesuch, ein lateinisch abgefasster Lebenslauf, Abschlusszeugnisse und ein Sittenzeugnis sowie das Entrichten der Promotionsgebühren galten als obligatorisch. Verhandelbare Voraussetzungen waren die jeweilige Schulbildung und der Abschluss der Kandidaten, der Umfang der eingereichten Abhandlung und eine mündliche Prüfung der Studien- und Promotionsinhalte (rigorosum). Bedingt durch die meist nur lückenhafte humanistische Vorbildung der Apotheker, kam es immer wieder zu Diskussionen in den Fakultäten, ob ihre Promotion überhaupt möglich sei. Nachweisbare wissenschaftliche Leistungen konnten diesen Mangel jedoch oft aufwiegen (13). Es reichte dann eine entsprechende Inauguralabhandlung, eine bereits veröffentlichte Publika­tion, ein verfasstes Buch oder gelegentlich auch der Nachweis des Unterrichts bei einem bekannten Professor, um zur Promotion zugelassen zu werden. An einigen Universitäten, zum Beispiel in Jena, Freiburg oder Erlangen, musste nicht einmal eine mündliche Prüfung (disputatio) absolviert werden.

 

Kandidaten, darunter auch einige Apotheker, die Schwierigkeiten hatten, ihren Arbeitsplatz beziehungsweise ihre Apotheke zu verlassen (14), wurden nicht selten »in absentia« promoviert. Bei Absenzpromotionen war es aber üblich, den Kandidaten anstelle der disputatio Prüfungsfragen zuzusenden (15). Apotheker hatten bereits das Wissen ihres jeweiligen Arbeitsbereiches durch ein Examen, einen Ausbildungsabschluss oder auch die ausgeübte Tätigkeit selbst bewiesen. Trotzdem galt mitunter das spezialisierte Studium ausschließlich pharmazeutischer Inhalte in den Augen einiger Professoren als Dokumentation des »völlig gewerblichen Charakter[s]« der Bestrebungen von Apothekern (16). Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gelang es – zuerst in Preußen – , die Promotion »in absentia« abzuschaffen (17). Die aus heutiger Sicht ungewöhnlich erscheinende Promotion Hermann Hagers entsprach also durchaus der zu seinen Lebzeiten geübten Praxis. /

Kontakt

Professor Dr. Axel Helmstädter

Govi-Verlag

Carl-Mannich-Str. 26

65760 Eschborn

E-Mail: a.helmstaedter@govi.de

 

 

Amalia-Sophia Sakkas

Professor Dr. Christoph Friedrich

Institut für Geschichte der Pharmazie

Roter Graben 10

35032 Marburg

E-Mail: sakkasa@staff.uni-marburg.de

Literatur 

  1. Heger, H.:. Dr. Hans Hermann Julius Hager. Zu dessen 80. Geburtstage, 64-jährigem Pharmaceuten- und 55jährigem Apotheker-Jubiläum. Pharm. Post 29 (1896), 177-183.
  2. Dannenberg, G.: Hans Hermann Julius Hager. Zum 150. Geburtstag des Verfassers von Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis. Pharm. Ztg. (1966), 13.
  3. Löhr, H.: Hermann Hager (1816-1897) – Höhen und Tiefen eines Lebenswegs. Pharmazie 45 (1990), 130-132.
  4. Hermann, J.; Gebler, H.: Hermann Hager: Leben und Werk. Pharm. Ztg. 135 (1990), 2478-2482.
  5. Hermann, J.: Das wissenschaftliche Werk Hermann Hagers von 1859 bis 1897 im Briefwechsel mit seinen Verlegern Julius und Ferdinand Springer. Diss. rer. nat. Heidelberg 1992.
  6. Bejuhr, G.: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. Pharm. uns. Zeit 24 (1995), 81-84.
  7. Seidlein, H.-J. / Friedrich, Ch.: 125 Jahre pharmazeutische Wissenschaftsinformation. Zentralblatt für Pharmazie, Pharmakotherapie und Laboratoriumsdiagnostik 123 (1984), 393-395.
  8. Hager, H.: Quaestionum hyperidearum capita duo. Diss. phil. Leipzig 1870.
  9. Hager, H.: Ueber die Einwirkung von Chlorameisensäure auf Paranitranilin. Diss. phil. Göttingen 1884.
  10. Frdl. Mitt. Universitätsarchive Leipzig und Göttingen vom 12. bzw. 11.1.2016
  11. Universitätsarchiv Jena Bestand M Nr. 362 Bl. 141-152.
  12. Brandt, H.-H.: Promotionen und Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. In: Schwinges, R.C.: Examen, Titel, Promotionen. Basel 2007, S. 631 f.
  13. Universitätsarchiv Erlangen, C4/1 Nr. 478, fol. 2f.
  14. Klenke, N.: Zum Alltag der Apothekergehilfen vom 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2009, S. 15-25, S. 27, S. 39 f. und S. 43-50.
  15. Rasche, U.: Geschichte der Promotion in absentia. In: Schwinges, R.C.: Examen, Titel, Promotionen. Basel 2007, S. 275-351.
  16. Universitätsarchiv Erlangen, C4/1 Nr. 478, f. 3.
  17. Oberbreyer, M.: Reform der Doctorpromotion. Statistische Beiträge. Eisenach 1878, S. 8, S. 76 f., S. 84-89 und S. 115f.; sowie Mommsen, T.: Die deutschen Pseudodoctoren. Preußische Jahrbücher 37 (1876), S. 17-22.

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