Überleben schenken |
27.05.2011 10:57 Uhr |
Von Marion Hofmann-Aßmus / Der »Tag der Organspende« am 4. Juni 2011 möchte bundesweit die Bereitschaft der Bundesbürger erhöhen, im Todesfall Organe zu spenden. Auch der »Tag der Apotheke« am 9. Juni ist diesem Thema gewidmet. Die PZ nimmt dies zum Anlass, die aktuelle Situation von Spendern und Bedürftigen in Deutschland zu beleuchten.
Geht es um die Spendenbereitschaft von Organen nach dem Tod, sind die Deutschen eher zurückhaltend. Der steigenden Nachfrage an Organen steht nur ein geringer Anteil der Bevölkerung gegenüber, der mittels Organspendeausweis einer Spende zustimmt. Zurzeit können Niere, Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm postmortal gespendet werden.
Organspender gesucht: Anfang Juni widmen sich gleich zwei bundesweite Aktionstage diesem Thema und weisen auf die Bedeutung der Organspende hin.
Foto: TK
Dabei sind laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) fast drei Viertel der Deutschen grundsätzlich damit einverstanden, dass man ihnen nach ihrem Tod Organe und Gewebe entnimmt (1). Nichtsdestotrotz besitzt nur etwa ein Viertel aller Befragten einen Organspendeausweis. Im Vergleich zur repräsentativen Befragung 2008 ist die Zahl der Menschen mit Ausweis somit um (nur) acht Prozent gestiegen. Als Grund, sich keinen Spendeausweis zu besorgen, geben sechs von zehn Teilnehmern eine gewisse Unentschlossenheit an (»ich kann und will mich jetzt noch nicht entscheiden«). Auch die Angst, dass die Ärzte dann nicht mehr alles zur eigenen Lebensrettung unternehmen, zählt als Argument, ebenso wie möglicher Missbrauch durch Organhandel.
Wer einen Ausweis besitzt, möchte in erster Linie anderen Menschen helfen und gibt an, selbst froh zu sein, im Bedarfsfall ein Spenderorgan zu erhalten. Viele potenzielle Spender (30 Prozent) erhielten den Spendeausweis von ihrem Arzt und würden diesen auch bevorzugt auf das Thema ansprechen.
Keiner der Befragten gab bei dieser Umfrage an, diesbezüglich das Gespräch mit seinem Apotheker zu suchen! Dabei scheint der Beratungsbedarf groß zu sein, denn bei Wissensfragen zum Thema Organspende schnitten nur acht Prozent der Befragten mit »sehr gut« und 44 Prozent mit »eher gut« ab. Dagegen waren 39 Prozent »eher schlecht« und neun Prozent »gar nicht« informiert.
Aktuelle Spendensituation
Transplantationen gehören heute zu den gut etablierten Operationsverfahren. Etwa 50 Transplantationszentren gibt es in Deutschland. Nieren stellen das am häufigsten verpflanzte Organ dar, gefolgt von Leber und Herz. Auch Pankreas und Lungen werden transplantiert. Eher selten ist bislang die Verpflanzung von Dünndarm (Grafik 1).
Seitdem 1963 in Deutschland die erste Nierenverpflanzung gelang, wurden mehr als 103 000 Nieren übertragen. Dennoch besteht hier der größte Engpass. Denn nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) befinden sich derzeit rund 8000 Dialysepatienten auf der Warteliste für eine Transplantation. Dieser großen Zahl stehen 2937 Nieren von verstorbenen und lebenden Spendern gegenüber, die 2010 transplantiert wurden.
Somit liegt die Zahl der Wartenden fast dreimal so hoch wie Anzahl der tatsächlich verpflanzten Organe. Allein die jährlichen Neuanmeldungen für die Warteliste belaufen sich auf 2700 bis 3000 Patienten. Entsprechend lange müssen die Menschen auf eine Niere warten: durchschnittlich fünf bis sechs Jahre. Insgesamt stehen rund 12 000 Personen in Deutschland auf einer Warteliste für ein Organ; in ganz Europa sind es etwa 40 000. Zwar werden jeden Tag durchschnittlich elf Organe transplantiert, doch versterben zugleich täglich drei Menschen, weil kein geeignetes Organ zur Verfügung steht.
Dennoch gibt es auch hoffnungsvolle Tendenzen. So konnten im vergangenen Jahr mehr Transplantationen ausgeführt werden als je zuvor. Nach vorläufigen Zahlen der DSO gab es 2010 genau 1296 Spender; das sind 97 Menschen, entsprechend 6,5 Prozent Bundesbürger mehr als 2009 (2). Im Vergleich zu 2009 stieg somit die Anzahl der Organspender pro eine Million Einwohner von 14,9 auf 15,9. Das klingt wenig bedeutsam, doch ist zu bedenken, dass jeder Spender mehrere Organe zur Verfügung stellt und damit bis zu sieben Menschen das Leben rettet. Insgesamt konnten die Ärzte 2010 somit 308 Organe zusätzlich transplantieren.
Die Wartezeit änderte sich allerdings nicht. Sorge bereitet den Medizinern, dass nur die Zahl der älteren Spender (über 65 Jahre) spürbar zunimmt, während sie bei der großen Gruppe der 16- bis 54-Jährigen sinkt (Grafik 2). Nachdem 2008 die Organspenden stark abnahmen und 2009 nahezu gleich blieben, hoffen die Verantwortlichen der DSO nun auf steigende Zahlen. Optimistisch stimmt sie etwa die Entwicklung in den DSO-Regionen Mitte und Nord, in denen die Organspenderzahlen im letzten Jahr um über 45 sowie 11 Prozent anstiegen.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland derzeit jedoch mit 14,6 Transplantationen pro einer Million Einwohner nur im unteren Mittelfeld. Spanien ist hier führend mit 34,2 Organtransplantationen pro einer Million Einwohner.
Voraussetzungen klar geregelt
Die Rahmenbedingungen für eine Transplantation regelt das deutsche Transplantationsgesetz (TPG). Als erste wichtige Voraussetzung der Organentnahme gilt die Feststellung des Hirntods. Darunter versteht man die unwiederbringlich beendete Funktionsfähigkeit des Gehirns – und zwar des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms.
Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer ist der Hirntod eines potenziellen Spenders unabhängig voneinander von zwei entsprechend qualifizierten Medizinern, etwa einem Neurologen, Neurochirurgen oder Intensivmediziner, zu diagnostizieren. Um Interessenskonflikte zu vermeiden, dürfen diese Ärzte nicht in den weiteren Prozess der Organspende involviert sein. Bei der Hirntod-Diagnostik überprüfen die Ärzte fünf verschiedene Reflexe des Hirnstamms, auf die hirntote Menschen im Gegensatz zu Bewusstlosen nicht mehr reagieren. Dazu gehören:
der Pupillenreflex: unter Lichteinfall verengen sich die Pupillen;
der Hornhautreflex: bei Berührung der Hornhaut schließen die Augen reflektorisch;
der Würge- und Hustenreflex: dieser erfolgt bei Berührung der hinteren Rachenwand;
der okulozephale Reflex: bei schneller Drehung des Kopfes folgt eine langsame Gegenbewegung der Augen;
Schmerzreaktionen im Gesicht, etwa Muskelzuckungen.
Die DSO wurde 1984 vom Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e. V. gegründet und ist eine rechtsfähige Stiftung des Bürgerlichen Rechts. Der Sitz der Hauptverwaltung befindet sich in Frankfurt am Main. Die Aufgabe der DSO besteht in der Förderung der Organspende und -transplantation in Deutschland. Ihr Ziel ist es, allen Wartenden möglichst rasch zur notwendigen Transplantation zu verhelfen. Finanziert wird die bundesweite Koordinierungsstelle über ein Budget, das sie mit den Krankenkassen jährlich aushandelt. Die DSO übernimmt auch die Vergütung der an den Organspenden beteiligten Krankenhäuser mittels Pauschalen. Fachbeiräte fördern die medizinische und organisatorische Arbeit der DSO auf Bundesebene und regional. Ihre Vertreter kommen aus allen im Gesundheitswesen wichtigen Institutionen. Die bundesweit sieben Regionen stehen unter ärztlicher Leitung.
Informationen zur Organspende finden Sie unter www.dso.de und www.fuers-leben.de. Für detaillierte Fragen steht das gemeinsame Infotelefon der BZgA und der DSO zur Verfügung. Es ist unter der gebührenfreien Rufnummer 0800 9 040400 montags bis freitags von 9.00 bis 18.00 Uhr erreichbar.
Diese Reflexe dürfen nicht mehr auslösbar sein. Zudem wird das Atemzentrum im Gehirn getestet, indem man die Geräte zur künstlichen Beatmung abstellt und wartet, ob der lebenswichtige Reflex der Spontanatmung wieder einsetzt. Ist dies nicht der Fall, werden Atmung und Herzschlag weiterhin apparativ aufrechterhalten, um die Funktionsfähigkeit der Organe für eine mögliche Spende zu bewahren. Nach einer Beobachtungszeit von etwa 12 bis 72 Stunden folgen entweder erneute Untersuchungen der Hirntodzeichen oder maschinell unterstützte Analysen wie das Elektro-Enzephalogramm (EEG). Lassen sich damit keine Gehirnaktivitäten oder Gehirndurchblutung mehr feststellen, gilt dies als eindeutiger Nachweis für den Hirntod.
Die zweite Voraussetzung zur Organentnahme besteht in der Zustimmung des Spenders. Nach der derzeit geltenden Regelung der »erweiterten Zustimmungslösung« muss jeder potenzielle Spender eine Organspende aktiv bejahen, indem er seine Entscheidung vorab schriftlich festhält, mündlich weitergibt oder einen Organspendeausweis ausfüllt. Liegen keinerlei Erklärungen vor, werden – nachdem der Gehirntod eindeutig feststeht – die Verwandten nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen befragt.
In der Diskussion ist eine Änderung dieser Regelung. Die Entscheidungslösung stellt einen Mittelweg zwischen der heute geltenden Zustimmungslösung und der Widerspruchslösung dar. Hierzu müsste jeder erwachsene Bürger mindestens einmal im Leben bestimmen, ob er einer Organspende nach seinem Tod zustimmt oder nicht (siehe dazu Interview: Mögliche Spender im Blick).
Organisation der Organspende
In Deutschland sind die drei Bereiche der Organspende, Organvermittlung und Organtransplantation organisatorisch getrennt, um Interessenskonflikte zu vermeiden. Die etwa 1400 Krankenhäuser mit Intensivstation haben die Aufgabe, einen potenziellen Organspender zu erkennen. Die meisten Kliniken berufen dazu einen Transplantationsbeauftragten, der zudem als Ansprechpartner für die Koordinatoren der DSO fungiert. Er meldet (nach der Feststellung des Hirntods) einen möglichen Spender an die DSO.
Die Stiftung ist gemäß TPG seit dem Jahr 2000 für die bundesweite Koordinierung der Organspenden verantwortlich. Um diese zu erleichtern, teilte man das Bundesgebiet in sieben »Organspenderegionen« auf, die über ähnliche organisatorische Strukturen verfügen. Beispielsweise existiert in jeder Region eine Telefonbereitschaft, die Tag und Nacht besetzt ist.
Bei der Organspende ist Eile geboten. Trotz moderner Kühlverfahren können Organe nur wenige Stunden außerhalb des menschlichen Körpers überleben.
Foto: TK
Die Koordinatoren der DSO unterstützen die Klinikmediziner bei der Vorbereitung und Durchführung der Organspende. Hilfreich ist auch ihre Erfahrung beim Gespräch mit den Verwandten des Verstorbenen, die in dieser schwierigen Situation mit der Bitte um eine Organspende konfrontiert werden. Zudem beraten sie das Krankenhauspersonal nach der Organentnahme beim Handling der gespendeten Organe und leiten das örtliche Labor an, eine Gewebetypisierung sowie eine Blutgruppenbestimmung des Spenders vorzunehmen. Diese Daten übermitteln sie an Eurotransplant. Auch den Organtransport selbst organisieren die Koordinatoren der DSO. All diese Hilfeleistungen sollen den Arbeitsaufwand für die Ärzte im Krankenhaus verringern und gleichzeitig ein zügiges und geordnetes Vorgehen sichern.
Für die Vermittlung der Organe ist die Vermittlungsstelle »Eurotransplant« (ET) verantwortlich. Die unabhängige Stiftung hat ihren Sitz im niederländischen Leiden und verwaltet die zentrale Datenbank, in der die Daten aller potenziellen Empfänger gesammelt werden. Zu diesen Daten zählen etwa die Blutgruppe und die Gewebeeigenschaften (HLA-Gruppen, Human Leukocyte Antigen). HLA-Antigene befinden sich auf jeder Körperzelle und bilden die individuelle »Signatur« der Zellen. Da sie eine wichtige Rolle bei der Erkennung fremder Zellen spielen, sollten die HLA-Merkmale von Spender und Empfänger möglichst ähnlich sein, um Abstoßungsreaktionen zu minimieren. Auch Erkrankungsursachen sowie Dringlichkeit des Organbedarfs werden in der Datenbank gespeichert.
Wird nun eine Organspende gemeldet, ermittelt ET anhand der klinischen Daten mit einem speziellen Computerprogramm den passenden Empfänger unter den rund 15 000 Personen auf der Warteliste. Die Warteliste der Eurotransplant-Region umfasst seit 1967 Patienten aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Österreich, Kroatien und seit dem Jahr 2000 auch Slowenien. Findet sich hier kein geeigneter Empfänger, setzt sich ET mit einer Schwesterorganisation, etwa der »UK Transplant« oder »Scandiatransplant« in Verbindung. Als weitere Ansprechpartner kommen entsprechende Organisationen in Frankreich und anderen (ost-)europäischen Ländern infrage.
Die Vergabe der Spenderorgane erfolgt nach festgelegten Kriterien. Diese können sich für die einzelnen Organe unterscheiden; jedoch werden insbesondere Verträglichkeit, Erfolgsaussichten, Wartezeit und Dringlichkeit berücksichtigt. Ist ein Empfänger gefunden, verständigt ET das zuständige Transplantationszentrum und dieses wiederum den Empfänger.
Die Transplantationszentren führen die Wartelisten und übernehmen die Transplantation sowie die anschließende medizinische Behandlung des Patienten mit dem neuen Organ.
Der gesamte Zeitraum von der Spende bis zur Transplantation sollte möglichst wenige Stunden in Anspruch nehmen, um die Organfunktion nicht zu gefährden. ET setzt hier auch auf die Hilfe von Fluggesellschafen, Polizei und Ambulanzdiensten. Denn beispielsweise das Herz als empfindlichstes Organ darf sich maximal sechs Stunden außerhalb eines Körpers befinden. Bei Nieren besteht immerhin ein Spielraum von maximal 24 Stunden.
Niere im Zentrum
Verschiedene Krankheiten können zum Verlust der Nierenfunktion führen. Dazu zählen heute insbesondere Diabetes mellitus und Bluthochdruck. Seltener kommen entzündliche Nierenerkrankungen oder Erbkrankheiten wie die Zystennierenerkrankung als Ursache infrage. Insbesondere bei diesen Patienten dürfen potenziell nephrotoxische Medikamente wie nicht steroidale Antiphlogistika (NSAR), Thiazide, Cisplatin, Methotrexat, Nitrofurantoin, Nalidixinsäure, Cotrimoxazol, Fibrate, Disopyramid, Schleifendiuretika, Aminoglykoside, D-Penicillamin, Gold sowie Kontrastmittel nur sehr vorsichtig eingesetzt werden.
Traurige Berühmtheit erlangte die »Phenacetin-Niere«. Jahrelanger Missbrauch dieses Analgetikums löste in der Vergangenheit bei vielen Verwendern eine chronische tubulo-interstitielle Nephritis aus, die das Organ funktionsunfähig macht. Phenacetin, der Ethylether von Paracetamol, kam 1887 in den Handel und wurde wegen seiner Nephrotoxizität 1986/1990 in Deutschland vom Markt genommen. Der Arzneistoff darf auch nicht als Rezeptur zur Anwendung am Menschen abgegeben werden, da er als bedenklich eingestuft ist (siehe dazu AMK 15/2011).
Das Dialyseverfahren kann die Funktion der Nieren weitgehend ersetzen und sichert somit das Weiterleben von Patienten mit terminalem Nierenversagen (Funktionsverlust beider Nieren). Allerdings zu einem hohen Preis: Der zeitliche Aufwand für die Dialyse ist enorm, die Lebensqualität massiv beeinträchtigt. Eine erfolgreiche Nierentransplantation ermöglicht dagegen ein fast normales Leben. Dank moderner Medizin und fortschrittlicher Medikamente wie den Immunsuppressiva »funktioniert« das gespendete Organ für durchschnittlich 15 Jahre.
Das neue Organ wird transplantiert. Weitaus am häufigsten ist dies eine Niere, gefolgt von Leber und Herz.
Foto: bv-med
Das Problem liegt also nicht auf der medizinischen Seite, sondern darin, überhaupt ein Spenderorgan zu bekommen. Im Durchschnitt warten die Patienten fünf bis sechs Jahre auf eine Spenderniere. Spezielle Programme ermöglichen kürzere Wartezeiten. Dazu zählt das Eurotransplant-Senioren-Programm, bei dem ältere Spenderorgane auf ältere Empfänger übertragen werden (Old-for-Old-Programm). Die Wartezeit beginnt nach einem endgültigen Nierenversagen mit der ersten Dialyse.
Tatsächlich kommen nur solche Patienten auf die Warteliste, bei denen ein Behandlungserfolg erreichbar erscheint und das Risiko einer Transplantation nicht zu groß ist. Abgelehnt werden dagegen Menschen mit nicht kurativ behandelbaren bösartigen Erkrankungen, klinisch manifesten Infektionen oder schweren zusätzlichen Erkrankungen, zum Beispiel an Herz und Gefäßen.
Gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer werden die Spendernieren nach einem Punktesystem vergeben. Eine wichtige Rolle spielt etwa die Übereinstimmung der Blutgruppen und der Gewebeverträglichkeit (HLA-Merkmale), die Wartezeit des Empfängers und die mögliche Konservierungszeit des Organs. Die räumliche Nähe des Empfängers zum Spender ergibt daher zusätzliche Punkte. Einen Sonderbonus erhalten Empfänger unter 16 Jahren, da die Dialyse für sie besonders belastend ist.
Nierenlebendspenden nehmen zu
Einen Ausweg aus der Wartezeit kann die Lebendspende darstellen, die in den letzten Jahren immer häufiger erfolgt. In den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriet die Lebendspende Mitte des letzten Jahres, als Frank-Walter Steinmeier seiner schwerkranken Frau eine Niere spendete. Dies ist jedoch kein Einzelfall, denn fast ein Viertel aller verpflanzten Nieren sind inzwischen Lebendspenden (laut DSO 22,6 Prozent im Jahr 2010).
Lange Warteliste: Fünf bis sechs Jahre warten niereninsuffiziente Patienten in der Regel auf eine Spenderniere.
Foto: TK
Auch für die Lebendspende gelten strenge Regelungen. Sie ist nur erlaubt unter Angehörigen ersten oder zweiten Grades, Ehepartnern, Verlobten oder einander sehr nahestehenden Menschen. Eine Ethikkommission überprüft zudem, dass die Spende freiwillig und ohne Bezahlung erfolgt. Als weitere Voraussetzung gilt, dass der Empfänger bereits auf der Warteliste geführt wird und kein Spenderorgan eines Verstorbenen zur Verfügung steht, denn das TPG räumt der postmortalen Spende den Vorrang ein. Der Spender muss zwei gesunde Nieren haben und darf nicht unter einer schweren Krankheit, etwa einer Herzerkrankung, Diabetes, Krebs oder starker Hypertonie, leiden.
Vorteilhaft ist, dass Nieren von Lebendspendern nachweislich gesund sind. Laut Untersuchungen arbeiten sie besser und länger als Organe von Verstorbenen (3). Eine Ursache für die überlegene Funktionsrate könnte die kürzere Ischämiezeit sein. Diese beschreibt die Zeit von der Organentnahme bis zur erneuten Einpflanzung, in der die Niere ohne Sauerstoffversorgung ist. Aufgrund der Planbarkeit der Lebendspende ist diese natürlich wesentlich geringer.
Nierenlebendtransplantationen sind heute sogar möglich, wenn Spender und Empfänger unterschiedliche Blutgruppen haben (blutgruppeninkompatible Lebendnierenspende). Nach einem Verfahren, das ursprünglich in Schweden entwickelt wurde, entfernt man die gegen das Fremdorgan gerichteten Blutgruppenantikörper beim Empfänger (selektive Immunadsorption) und behandelt ihn bereits lange vor der Transplantation mit Immunsuppressiva. Laut einer schwedischen Untersuchung betrug das Transplantatüberleben nach einem Jahr 100 Prozent (4).
Einstellung der Religionen
Die großen Weltreligionen vertreten sehr unterschiedliche Auffassungen zur Organspende. Hier ein kurzer Überblick.
Wie in vielen Religionen bestehen auch im Islam verschiedene Glaubensrichtungen. Daher gibt es keine einheitliche Meinung zum Thema Organspende. In einigen islamischen Ländern wird sie als Zeichen der Nächstenliebe verstanden und ist erlaubt. In Deutschland hat der Zentralrat der Muslime das Transplantationsgesetz von 1997 als mit dem islamischen Prinzip vereinbar eingestuft.
Im Buddhismus sind Lebendspende und postmortale Spende von Organen grundsätzlich erlaubt. Problematisch ist jedoch, dass etwa die tibetisch-buddhistischen Anhänger den Tod als einen längerwährenden Prozess ansehen. Ein fixer Todeszeitpunkt, wie er in der Hirntoddiagnostik ermittelt wird, widerspricht dieser Betrachtungsweise.
Im japanischen Schintoismus gilt die Organentnahme bei Verstorbenen als Schändung des Leichnams und wird daher abgelehnt. Lebendspenden sind jedoch erlaubt und werden auch durchgeführt.
Sowohl im Hinduismus wie auch im Konfuzianismus hat die Unversehrtheit des Leichnams einen hohen Stellenwert. Organspende spielt daher kaum eine Rolle.
Im Judentum sind orthodoxe und liberale Anhänger nicht einer Meinung bezüglich der Organspende. Auch der Hirntod als Todeskriterium ist umstritten. Dennoch hat Israels Chefrabbinat in den späten 1980er-Jahren das Hirntodkriterium und damit die postmortale Organspende akzeptiert. Seither werden Juden durch ein religiöses Gebot (mizveh) sogar zur Organspende aufgerufen.
Die beiden großen christlichen Kirchen befürworteten in einer gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (1990) die Transplantation, unter der Voraussetzung, dass die unantastbare Würde des Menschen geachtet wird. Das Leben wird im Christentum als ein Geschenk Gottes angesehen, das dem Menschen anvertraut wurde – auch um anderen Menschen zu helfen. Wörtlich heißt es daher in der Erklärung: »Die Ärzte und ihre Mitarbeiter, aber auch die christlichen Gemeinden sind aufgerufen, ihren Beitrag zur sachlichen Aufklärung der Bevölkerung zu leisten, um mehr Möglichkeiten der Transplantation zu verwirklichen. Aus christlicher Sicht ist die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe und Solidarisierung mit Kranken und Behinderten.« Auch gegen eine freiwillige Lebendspende bestehen aus christlicher Sicht keine grundsätzlichen Einwände. /
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BZgA-Repräsentativbefragung 2010: Wissen, Einstellung und Verhalten der Allgemeinbevölkerung zur Organspende. www.organspende-info.de
Jahresbericht der DSO für 2010. ISBN-Nr. 978-3-936550-83-2.
Sadeghi, M., et al., Differential early posttransplant cytokine responses in living and cadaver donor renal allografts. Transplantation 75 (2003) 1351-1355.
Tyden, G., et al., ABO Incompatible Kidney Transplantations Without Splenectomy, Using Antigen-Specific Immunoadsorption and Rituximab. Am. J. Transplant. 5 (2005) 145-148.
Marion Hofmann-Aßmus absolvierte eine Ausbildung als veterinärmedizinisch-technische Assistentin (VMTA) und studierte anschließend Diplom-Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, München. Promoviert wurde sie 1999 mit einer Arbeit im Bereich der molekularen Kardiologie an der Chemischen Fakultät der LMU München. Seither ist sie freiberuflich in verschiedenen Redaktionen und als Fachjournalistin tätig.
Dr. Marion Hofmann-Aßmus
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