Fischer wirbt für gemeinsames Handeln |
30.05.2011 17:17 Uhr |
Von Werner Kurzlechner, Berlin / Die Pharmahersteller suchen den Dialog und die Zusammenarbeit mit der universitären Forschung. Birgit Fischers Beschwörung der Kooperation im Gesundheitswesen geht so weit, dass sich ein Ärztevertreter schon um die Streitkultur sorgt.
Verzahnung von Gesundheitsforschung und Versorgung – dieses durchaus brisante Problem hatte der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) als Diskussionsthema für sein diesjähriges Frühjahrssymposium gewählt. Über diese Vorgabe ging die neue Hauptgeschäftsführerin des Verbandes vergangene Woche in Berlin in ihren einleitenden Worten aber gleich einmal hinaus.
»Dialog statt Mauern«, fordert Birgit Fischer von den Akteuren im Gesundheitswesen.
Foto: PZ/Zillmer
Birgit Fischer, SPD-Politikerin, ehemalige Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen und zuletzt Barmer-GEK-Chefin, schlug in ihrer neuen Rolle nach plötzlichem Flankenwechsel grundsätzliche und ungewohnte Töne an.
Gegen engstirnigen Egoismus
Sie geißelte die engstirnig nur auf Durchfechtung eigener Interessen bedachte Gesprächskultur im Gesundheitswesen und warb für ein so weit wie möglich gemeinsames Handeln der Akteure im System. »So ganz alleine geht es nicht«, sagte Fischer. »Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Gesamtsicht brauchen.«
Eigene Interessen wahren und zugleich gemeinsam Chancen und Potenzial heben, formulierte sie als neues Credo des VFA. Rhetorisch kleidete sie dies in Formulierungen wie »mehr Kooperation statt Konfrontation«, »heraus aus den Schützengräbern« oder »Dialog statt Mauern«. Dafür brauche es Grenzgänger wie sie selbst, die über die Anfeindungen nach ihrem Wechsel von der Barmer GEK zum VFA nicht überrascht gewesen sei. Die Pharmaindustrie begreife sich als Teil des Gesundheitswesens, für den gelte: »Interessen, Pflichten und Verantwortung – all das geht zusammen.« Konkret solle das in gemeinsame Zielvereinbarungen mit anderen Akteuren münden. Im Hinblick auf den Brückenbau zwischen Forschung und Versorgung sei eine Blickwinkelerweiterung um Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität nötig. Im Zentrum aller Überlegungen müsse der Patient stehen.
Wissenschaft und Wirtschaft
Dr. Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, stellte dar, dass aus Regierungssicht der politische Boden für ein fruchtbares Miteinander von Wissenschaft und Wirtschaft weitgehend bereitet sei. Es fehle noch der Einstieg in die im Koalitionsvertrag vereinbarte steuerliche Forschungsförderung. »Wir wollen das in dieser Wahlperiode umsetzen«, versprach Braun. Der CDU-Politiker verwies auf die auf fünf Milliarden Euro in den kommenden Jahren verdoppelte Forschungsförderung, auf diverse Verbesserungen bei der Translation und als Krönung dessen die Einrichtung von sechs deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, die ab Ende des Jahres die Erforschung besonders häufiger und tödlicher Krankheiten bündeln.
Auf dem Weg zum Nobelpreis?
»Wir bringen die besten Wissenschaftler in Netzwerkstrukturen zusammen«, sagte Braun. Es sei denkbar, dass in einigen Jahren dank dieser Zentren deutsche Mediziner wieder Nobelpreise ergattern.
Im Bereich der universitären Ausgründungen habe das Ministerium die Validierungsförderung eingeführt, die jedem Forscher die Prüfung der grundsätzlichen Marktfähigkeit seiner Entwicklung ermögliche. Schwierigkeiten gebe es zum Teil bei der Beschaffung von Venture Capital. »Wir denken deshalb intensiv über die Rolle der öffentlichen Hand nach«, sagte Braun. Alleine im Bereich der vernachlässigten Krankheiten gebe es 1300 theoretisch marktfähige, aber derzeit nicht weiterverfolgte Ansätze.
Produktentwicklungspartnerschaften könnten hier eine Lösung sein. Insgesamt suche die Pharmaindustrie sichtbar die direkte Kooperation den Universitäten. Als ein drängendes Beispiel für die Wichtigkeit von Grundlagenforschung nannte Braun die Antibiotikaresistenzen. »Wenn wir da nicht vorankommen, verliert das Gesundheitssystem an Qualität«, so der Staatssekretär. Diese Vorlage griff Dr. Wolfgang Plischke, Vorstandsvorsitzender des VFA, sogleich auf. Ein Unterschied zu anderen technologischen Forschungsfeldern sei die geringere Vorhersagbarkeit einer pharmazeutischen Entwicklung. »Deshalb schließen wir ja Kooperationen«, sagte Plischke. »Wir müssen noch viel mehr mit Forschern kooperieren.« Ein Wiedereinstieg in die Antibiotikaforschung beispielsweise würde aus Herstellersicht nach Einschätzung Plischkes anderthalb Milliarden Euro verschlingen – bei völlig unklaren Erfolgsaussichten und einer an Generikapreisen orientierten Vergütung im Falle einer Zulassung.
Montgomery plädiert für Streitkultur
Die Begeisterung für Dialog und gemeinsames Handeln dämpfte alleine Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer. »Dialog lebt von Spannung«, so der ehemalige Vorsitzende des Marburger Bundes. Wichtiger sei es aus seiner Sicht, schnell und streitbar zu Lösungen zu kommen. Sonst gehe es zu wie in »alten studentischen Stamokap-Versammlungen, bei denen nach endloser Diskussion am Ende alle erschöpft am Boden lagen«, frotzelte Montgomery. /