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Deutscher Ärztetag

Ärzte wollen mehr Honorar und weniger Staat

26.05.2008  16:51 Uhr

Deutscher Ärztetag

Ärzte wollen mehr Honorar und weniger Staat

Von Daniel Rücker, Ulm

 

Zum Abschluss der Auftaktveranstaltung sangen die Teilnehmer des Deutschen Ärztetages in Ulm die deutsche Nationalhymne. Daraus allerdings zu schließen, sie seien auch mit der Politik des Landes zufrieden, ist falsch.

 

Wie viel Staat braucht das Gesundheitswesen? So wenig wie möglich, sagen sowohl Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) als auch der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe. Dennoch haben sie diametral unterschiedliche Positionen.

 

Es war nicht zu erwarten, dass Schmidt und Hoppe zur Auftaktveranstaltung des Ärzte\-tages im Kanon singen würden. Zu deutlich war bereits im Vorfeld die Kritik der Ministerin am Ulmer Papier der Bundesärztekammer. Vor allem die im Papier diskutierte Rationierung medizinischer Leistungen und die von Hoppe angezettelte Diskussion darüber hatte für Dissonanzen mit der Ministerin geführt. In Ulm bemühten sich beide Seiten um ruhige Töne, blieben aber in der Sache weit auseinander.

 

Ärztepräsident Hoppe sieht Deutschland auf dem Weg in die Staatsmedizin. Nach seiner Überzeugung wird das Land spätestens mit der Einführung des Gesundheitsfonds in der Planwirtschaft ankommen. Seit rund 20 Jahren bauten die jeweiligen Bundesregierungen das Gesundheitswesen um, sagte er in seiner Rede zur Eröffnung des Ärztetages. Mit jeder Reform gewinne der Staat mehr Einfluss auf das System, gleichzeitig werde die Selbstverwaltung Stück für Stück entmachtet. Die Politik verstehe Krankenkassen und Leistungserbringer nicht mehr als Gestalter des Gesundheitswesens, sondern als mit Aufgaben zu betrauende Dienstleister.

 

Sicherstellungsauftrag nicht teilbar

 

Hoppe hält dies für den Kern des Übels. Wenn die Politik eine funktionierende Selbstverwaltung wolle, dann müsse sie ihr auch den notwendigen Gestaltungsspielraum geben: »Der Sicherstellungsauftrag ist nicht teilbar. Entweder haben ihn die Kassenärztlichen Vereinigungen vollständig oder gar nicht.« Damit spielte er vor allem auf den Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung der AOK Baden-Württemberg an, an dem die KV des Landes nicht beteiligt ist. Schmidt hatte diese Vereinbarung zuvor gelobt.

 

Der immer größere Einfluss des Staates habe das Vertrauensverhältnis zwischen den Ärzten und ihren Patienten negativ beeinflusst, sagte Hoppe. Noch vor zwanzig Jahren konnten die Ärzte die Kranken nach deren individuellen Bedürfnissen behandeln. Dies sei heute vorbei. Heute gebe der Staat über Budgets, Fallpauschalen, Disease-Management-Programme und weitere Instrumente vor, welche Leistungen ein Patient bekommen dürfe. Maßstab seien hierbei nicht die individuellen Bedürfnisse der Patienten, sondern eine möglichst effiziente Behandlung eines Kollektivs. Manchem Patienten würden deshalb Leistungen verweigert, die für ihn wichtig seien. Dies mache ihn misstrauisch. Er vermute, der Arzt verweigere ihm zu dessen eigenen Nutzen eine sinnvolle Therapie. Auch dies sei Staatsmedizin und Planwirtschaft, denn alle Regelungen, die den Arzt einschränkten, basierten auf Rechtsverordnungen. Die staatliche Machtübernahme im Gesundheitswesen ist aus Hoppes Sicht aber nicht allumfassend. Ausgerechnet die Aufgabe, die ihm tatsächlich obliege, nehme er nicht mehr wahr. Die staatliche Daseinsfürsorge werde immer stärker dem Wettbewerb überantwortet.

 

Schwere Zeiten für Freiberufler

 

Wie den Apothekern ist auch Hoppe der zunehmende Einfluss profitorientierter Kapitalgesellschaften auf das Gesundheitswesen ein Dorn im Auge. Die Freiberufler allgemein und damit natürlich auch die Ärzte hätten kaum eine Möglichkeit, sich gegen die mit viel Geld ausgestatteten Konzerne zur Wehr zu setzen. Deshalb übernähmen diese alle profitablen Bereiche der ambulanten und medizinischen Versorgung. Auf der Strecke blieben dabei neben den Vertretern der freien Berufe auch die »mildtätigen Organisationen«, womit Hoppe kommunale und kirchliche Träger von Krankenhäusern meinte. Diese hätten keine Chance, sich gegen die »Industrialisierung des Gesundheitswesens« zu stemmen. Hoppe: »Hier wird mit ungleichen Spießen gekämpft.« Ein weiterer Verlierer dieser Industrialisierung seien die Patienten. In von Klinikketten betriebenen Krankenhäusern, die nach Fallpauschalen abrechnen, bleibe für die individuellen Bedürfnisse der Kranken kein Platz. Es gehe alleine um Gewinn und Effizienz.

 

Für scheinheilig hält es Hoppe, wenn die Politik die Freiberufler und die mildtätigen Organisationen nun zwinge, diesen ungleichen Kampf aufzunehmen. Sie seien zur Profitmaximierung nicht fähig und auch nicht bereit. Zudem fordere die Politik hier nun ein Verhalten, dass sie »bei der Pharmaindustrie seit Jahrzehnten verurteile«.

 

Über Rationierung sprechen

 

Ganz bewusst ging Hoppe nicht explizit auf das Ulmer Papier ein, in dem die Bundesärztekammer darlegt, wie sie sich die ärztliche Versorgung der Zukunft vorstellt. Die Vorschläge lägen auf dem Tisch, sie wurden am zweiten Tag der Veranstaltung diskutiert. Es sei unnötig, sie erneut zu referieren, sagte Hoppe. Auf einen Punkt musste er aber eingehen: Die Diskussion über die Rationierung medizinischer Leistungen wollte er unbedingt weiterführen. Hoppe und die Bundesärztekammer fordern im Ulmer Papier von der Politik, sie solle eingestehen, dass es Rationierung und Unterversorgung längst gebe. Die Ärzte plädieren für eine offene Diskussion darüber und sehen die Regierung in der Verantwortung, über Rationierung zu entscheiden. Ein nationaler Gesundheitsrat solle gegründet werden, um Vorschläge dafür zu erarbeiten. Letztlich entscheiden müsse aber das Parlament.

 

Ausgerechnet hier spielte Gesundheitsministerin Schmidt die Selbstverwaltungskarte. Sie könne nicht verstehen, warum diejenigen, die ihr den Kurs in die Staatsmedizin vorwerfen, dann doch immer wieder selbst nach mehr Staat riefen. Schmidt, das wurde klar, will sich keinesfalls auf eine Rationierungs-Diskussion einlassen und an einem Gesundheitsrat ist sie schon gar nicht interessiert. Mit ihr gebe es ohnehin keine Rationierung. Jeder Kassenpatient mit einem vitalen Bedürfnis bekomme das medizinisch Notwendige.

 

Über die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung diskutiert Schmidt dagegen gern, zumal auch Hoppe dringend dazu auffordert, den steigenden Finanzbedarf über weitere Einnahmequellen zu decken. Dazu gehört für Schmidt, dass alle Einnahmen, also auch die aus Kapitalerträgen oder Mieten, Beitragsrelevanz bekommen. Zudem forderte sie mehr Steuergeld für das Gesundheitswesen.

 

Mehr Geld soll es im nächsten Jahr auch für die Ärzte geben. Ihr Honorar werde mit dem Start des Gesundheitsfonds steigen. Ein Plus von 10 Prozent hält Schmidt für realistisch, das wären rund 2 Milliarden Euro. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte am Tag zuvor allerdings 4,5 Milliarden Euro gefordert. Einig sind sich beide Seiten darin, dass die ärztlichen Leistungen mit festen Euro-Beträgen vergütet werden, anstelle des heutigen Umwegs über Punkte, deren tatsächlicher Wert zur Zeit der Leistungserbringung noch nicht feststeht.

 

Schmidt: Fonds kommt pünktlich

 

Schmidt machte deutlich, für sie seien höhere Arzthonorare untrennbar mit dem Fonds verknüpft. Er sei die Basis für die von Schmidt als dringend notwendig bezeichnete Erhöhung. Sie sieht die Regierung dabei im Zeitplan: »Der Fonds wird pünktlich zum 1. Januar eingeführt.«

Ärzte gegen Praxisgebühr

dpa / Die Ärzteschaft hat den Bundestag aufgefordert, die Praxisgebühr wieder abzuschaffen. Sie habe den bürokratischen Aufwand in Praxen, Krankenhäusern und Krankenkassen erheblich erhöht, kritisierten die Mediziner zum Abschluss des Deutschen Ärztetags am Freitag in Ulm. Mit der Gebühr würden zusätzliche Kosten verursacht. Zudem veranlasse sie wirtschaftlich schlechter gestellte Menschen, trotz bestehender Befreiungsregelungen auf notwendige Arztbesuche zu verzichten und damit ihr Gesundheitsrisiko zu erhöhen, erklärten die Ärzte.

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