Dies ist ein Beitrag aus unserem Archiv. Aktuelle Informationen zum Thema finden Sie auf unseren Themenseiten RNA, Impfstoffe, Coronavirus.
Impfen mit Genen |
23.05.2018 10:18 Uhr |
Von Nicole Schuster / Die klassische Impfstoffentwicklung stößt bei neuen oder genetisch veränderten Viren an ihre Grenzen. Eine zukünftige Lösung könnten optimierte mRNA-Vakzine sein. Neben der Infektionsprophylaxe ist die Krebstherapie ein mögliches Einsatzgebiet.
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Die Entwicklung herkömmlicher Impfstoffe dauert Jahre. Zu lange, um auf akute Epidemien wie Ebola oder Zika zeitnah reagieren zu können. Auch bei herausfordernden Erregern wie dem Humanen Immundefizienz-Virus, dem Herpes-simplex-Virus oder dem Humanen Respiratorischen Synzytial-Virus stießen Forscher bisher an ihre Grenzen. Zukünftig könnte messengerRNA (mRNA), also Boten-RNA, eine Lösung sein.
Innovative Technologien wie mRNA-Impfstoffe kommen ohne Krankheitserreger oder deren Proteine aus.
Foto: Fotolia/natali_mis
mRNA entsteht bei der Transkription von DNA-Abschnitten und dient bei der Translation als Vorlage für die Proteinbiosynthese durch Ribosomen im Zytoplasma. Anders als in traditionellen Impfstoffen, die abgeschwächte oder abgetötete Erreger oder auch deren Antigene enthalten, besteht die immunisierende Komponente in den neuen Vakzinen nur aus einem Strang mRNA oder auch normaler RNA. Die (m)RNA codiert für ein gewünschtes Antigen, etwa von einem Krankheitserreger.
Mit mRNA-Vakzinen hoffen Wissenschaftler, auch eine Waffe gegen Krebs in der Hand zu haben. Die Impfstoffe stimulieren Immunreaktionen gegen Tumor-assoziierte Antigene und regen Abwehrzellen an, die Krebszellen zu bekämpfen.
Zwei Wege zum Ziel
Zwei Arten von Ribonukleinsäuren (RNA) befinden sich derzeit im Fokus der Wissenschaft zur Impfstoffentwicklung: die mRNA sowie aus Viren gewonnene, selbstreplizierende RNA. In mRNA-basierten Vakzinen codieren die Nukleotide nur für das gewünschte Antigen, während sich am 5´- und 3´- Ende der codierenden Sequenz untranslatierte Randbereiche (Untranslated Regions, UTR) befinden. Selbstreplizierende RNA hingegen codiert nicht nur für das gefragte Antigen, sondern auch für die virale Replikationsmaschinerie. Letztere ermöglicht es der RNA, sich zu vervielfältigen und gleichzeitig eine ausreichende Proteinexpression auszulösen.
Der Einsatz von RNA in Impfstoffen ist ein recht junges Forschungsgebiet. Der erste erfolgreiche Versuch, in vitro transkribierte mRNA in Tieren anzuwenden, wurde 1990 publiziert. Weitere Tierversuche bestätigten die These, dass sich durch das Einbringen spezifischer mRNA die Synthese bestimmter Proteine auslösen lässt. Herausforderungen bestanden in den letzten Jahren darin, die mRNA-Stränge zu stabilisieren und einen effizienten Weg zur In-vivo-Verabreichung zu etablieren.
Die Ribonukleinsäuren für die Vakzine werden synthetisch durch In-vitro-Tanskription hergestellt. Um eine stabile und optimal translatierbare mRNA zu erhalten, sollte diese möglichst genau den mRNA-Molekülen ähneln, wie sie natürlicherweise im Zytoplasma von eukaryotischen Zellen vorkommen. Außer untranslatierten Bereichen vor und nach der codierenden Sequenz fügen Wissenschaftler weitere Strukturen ein. Dazu zählen am 5´-Ende eine sogenannte 5´-Cap-Struktur sowie am 3´-Ende ein Poly(A)-Schwanz. Diese Muster stabilisieren die mRNA und erleichtern die Proteintranslation im Zytoplasma. Auch die Modifizierung von Nukleosiden sowie bestimmte Aufreinigungstechniken etwa durch Fast Protein Liquid Chromatography (FPLC) steigern die Translation.
Normalerweise wird ungeschützte mRNA schnell durch extrazelluläre Ribonukleasen, kurz RNasen, abgebaut. Die Zugabe von sogenannten Transfektionsreagenzien unterstützt die zelluläre Aufnahme der mRNA und schützt sie vor einem raschen enzymatischen Abbau. Befindet sich die mRNA erst einmal im Zytosol, kommt die zelluläre Translationsmaschinerie in Gang. Es resultieren fertig gefaltete, voll funktionsfähige Proteine, auf die das Immunsystem reagieren kann. Die mRNA hat damit ihre Aufgabe erfüllt und wird anschließend durch physiologische zelluläre Prozesse abgebaut.
Adjuvans als Wirkverstärker
Die immunstimulierenden Eigenschaften der mRNA können durch die Zugabe eines Adjuvans erhöht werden. So zeigte sich, dass die sich selbst vervielfältigenden RNA-Vakzine wirksamer sind, wenn sie in eine kationische Nanoemulsion basierend auf dem Adjuvans MF59 formuliert sind. Eine Wirkverstärkung bei mRNA lässt sich erreichen, indem die Moleküle mit TriMix, einer Kombination aus drei das Immunsystem aktivierenden Proteinen, zusammengebracht werden. In verschiedenen Krebs-Vakzin-Studien steigerte TriMix-mRNA die Immunogenität im Vergleich zu nicht modifizierter, ungereinigter mRNA.
Grundsätzlich gibt es zwei Methoden, mRNA ins Körperinnere einzubringen: Entweder werden außerhalb des Körpers dendritische Zellen mit der mRNA beladen oder sie wird direkt in den Körper injiziert. Das erstgenannte Verfahren stellt sicher, dass die mRNA genau in die gewünschten Zielzellen gelangt. Der Nachteil: Die Methode aus der Zelltherapie ist teuer und aufwendig. Die direkte Injektion der mRNA ist hingegen schnell und kosteneffektiv. Sie ermöglicht es derzeit aber noch nicht, präzise und effizient die mRNA in spezifische Zellen einzubringen.
Dem Immunsystem Tumor-spezifische Antigene präsentieren: Das ist das Prinzip von mRNA-Vakzinen bei Krebs.
Foto: Fotolia/psdesign1
Zudem stellt sich die Frage, in welches Gewebe die Vakzine injiziert werden soll, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Wissenschaftler testeten im Tierversuch und in einigen Humanstudien verschiedene Verabreichungswege. Neben den klassischen (intramuskulär, subkutan oder intranasal) verabreichten sie die Impfstoffe beispielswiese intravenös, in die Lymphknoten, die Milz oder direkt in den Tumor. Welche Methode im Einzelfall am effizientesten und sichersten ist, müssen weitere Untersuchungen zeigen.
Therapeutisch oder prophylaktisch eingesetzte mRNA-Impfstoffe erweisen sich bis als sicher, da es sich um nicht infektiöse, nicht integrierende Vakzine handelt. Es besteht weder ein Risiko für eine Infektion noch für eine Insertionsmutagenese. Darunter versteht man Mutationen, bei denen sich durch die Einbindung einer oder weniger Basenpaare das Leseraster derart verändert, dass ein verändertes Genprodukt entsteht. Ein weiteres Plus ist, dass die mRNA durch gewöhnliche zelluläre Prozesse wieder abgebaut wird. Auch in der Herstellung gibt es Vorteile gegenüber konventionellen Impfstoffen. Die mRNA-Vakzine können schnell, kostengünstig und in großen Mengen produziert werden, da die Ausbeute bei Transkriptions-Reaktionen groß ist. Zudem ist eine Produktion unter Bedingungen der Good Manufacturing Practice (GMP) möglich. Auf aufwendige Verfahren wie die Anzucht von Pathogenen in Hühnereiern, Bakterien oder Zelllinien kann verzichtet werden.
Offene Fragen
Weitere Daten sind allerdings zum Sicherheitsprofil erforderlich. Ergebnisse aus Humanstudien zeigen, dass es zu lokalen oder systemischen Reaktionen kommen kann, die denen von konventionellen Impfungen ähneln. Insbesondere sollten Forscher darüber hinaus auch beobachten, wie sich die exprimierten Immunogene, also die Immunantwort auslösenden Antigene, im Körper verteilen und ob sie möglicherweise persistieren. Unklar ist auch, ob toxische Effekte von modifizierten, nicht nativen Nukleotiden ausgehen.
Zu bedenken ist zudem, dass je nach Applikationsweg der Vakzine RNA in den Extrazellulär-Raum eingebracht wird. Extrazelluläre RNA ist bekannt als prokoagulatorischer und Permeabilität-steigernder Faktor. Eine gesteigerte Permeabilität von Endothelzellen kann zu Ödemen führen und eine Anregung der Blutgerinnung birgt die Gefahr der Thrombenbildung. Auch zur Wirksamkeit besteht weiterer Forschungsbedarf. So zeigte sich bisher, dass nicht jede mRNA-Vakzine im Menschen genauso effiziente Immunreaktionen auslöst wie im Tier. /