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Zwei neue Kinasehemmer

23.05.2017  09:36 Uhr

Von Annette Mende und Sven Siebenand / Mit Alectinib und Tofacitinib sind im Mai 2017 zwei neue Tyrosinkinase-Hemmer für unterschiedliche Indikationsgebiete auf den deutschen Markt gekommen. Tofacitinib ist nach Baricitinib der zweite Januskinase-Inhibitor zur Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis. Alectinib dürfen Ärzte zur Behandlung bestimmter Lungenkrebs­patienten einsetzen.

Die anaplastische Lymphomkinase (ALK) ist eine Rezeptor-Tyrosinkinase, die zur Familie der Insulin-Rezeptoren gehört und unter physiologischen Bedingungen eine Rolle bei der Entwicklung von Zellen des ZNS spielt. 

 

Bei circa 3 bis 5 Prozent der Patienten mit einem nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) wird aufgrund einer Genumlagerung ALK übermäßig aktiviert. Hieraus resultiert eine starke Induktion nachgeschalteter Signalwege, die Zellproliferation und -überleben steuern. Mit Crizotinib (Xalkori®) kam 2012 der erste ALK-Hemmer auf den deutschen Markt, 2015 folgte mit Ceritinib (Zykadia®) der zweite.

 

<typohead type="1">Alectinib

Der Dritte im Bunde ist seit diesem Monat Alectinib (Alecensa® 150 mg Hartkapseln, Roche). Ärzte dürfen den Kinasehemmer zur Behandlung von Erwachsenen mit ALK-positivem NSCLC einsetzen, wenn die Erkrankung fortgeschritten ist und die Patienten zuvor bereits mit Crizotinib behandelt wurden. Für die First-Line-Behandlung ist das neue Präparat vorerst nicht zugelassen.

Alectinib bindet an die ATP-Bindungsstelle von ALK und verhindert damit die Bindung von ATP. Dadurch werden die Autophosphorylierung der ALK-Kinase-Domäne und die nachfolgenden zellulären Signalkaskaden unterbunden. Der überaktivierte Signalweg für das Zellüberleben wird blockiert, sodass es wieder zu vermehrtem programmiertem Zelltod kommt. Zudem wird die Proliferation der Tumorzellen gehemmt.

 

Vor Beginn einer Alecensa-Therapie muss per Test ein ALK-positiver NSCLC-Status nachgewiesen sein. Die empfohlene Dosierung beträgt vier Kapseln à 150 mg zweimal täglich, die die Patienten zusammen mit einer Mahlzeit einnehmen sollten. Wenn eine geplante Dosis von Alecensa versäumt wurde, können die Patienten diese Dosis nachholen, es sei denn, die nächste ist innerhalb der kommenden sechs Stunden einzunehmen.

Bei Auftreten von Nebenwirkungen kann der Arzt die Dosis reduzieren oder die Behandlung vorübergehend aussetzen. In bestimmten Fällen sollte die Behandlung dauerhaft abgesetzt werden. Die Anwendung von Alecensa bei Patienten mit mittlerer bis schwerer Leberfunktionsstörung wird nicht empfohlen. Vor Behandlungsbeginn und unter Therapie mit Alectinib sollte der Arzt regelmäßig die Leberfunktion des Patienten überprüfen. Grundsätzlich sind Patienten auch hinsichtlich pulmonaler Symptome, die auf eine Pneumonie hinweisen, zu überwachen.

 

Laut Fachinformation wird bei Patienten, die gleichzeitig starke CYP3A- Induktoren oder -Inhibitoren einnehmen, eine angemessene Überwachung empfohlen. Im Unterschied zu den ALK-Hemmern Crizotinib und Ceritinib ist Alectinib kein Substrat des P-Glykoprotein-Effluxtransporters der Blut-Hirn-Schranke und wird daher nicht aktiv aus dem ZNS ausgeschleust. Dies ist möglicherweise der Grund für die höhere Wirksamkeit von Alectinib bei Hirnmetastasen.

 

Sonne meiden

 

Apotheker können bei der Abgabe von Alecensa den Hinweis geben, während der Anwendung und noch mindestens sieben Tage danach auf längere Sonnenbäder zu verzichten und eine Sonnencreme mit einem hohen Lichtschutzfaktor aufzutragen, da unter dem neuen Kinasehemmer über Empfindlichkeit gegenüber Sonnenlicht berichtet wurde.

 

Patientinnen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung mit Alecensa und für mindestens drei Monate nach der letzten Dosis hoch wirksame Verhütungsmethoden anwenden, um eine Schwangerschaft zu vermeiden. Aufgrund seines Wirkmechanismus kann Alectinib bei Verabreichung an Schwangere den Fetus schädigen. Tierexperimentelle Studien haben eine Reproduktionstoxizität gezeigt. Patientinnen, die während der Anwendung oder bis zu drei Monate nach der letzten Dosis von Alecensa schwanger werden, müssen ihren Arzt kontaktieren und auf die potenzielle Schädigung des Fetus hingewiesen werden. Ferner ist nicht bekannt, ob Alectinib und seine Metabolite in die Muttermilch übertreten. Ein Risiko für das Kind lässt sich nicht ausschließen. Während der Behandlung mit Alecensa sollten Frauen deshalb nicht stillen.

 

Die Zulassung basiert auf den Ergebnissen von zwei offenen und einarmigen Phase-II-Studien zur Untersuchung der Sicherheit und Wirksamkeit von Alectinib bei Patienten mit ALK-postitivem NSCLC und Krankheitsprogression unter Crizotinib. Die Patienten erhielten zweimal täglich 600 mg Alectinib. Für die gepoolte Analyse der beiden Studien wurden die Daten von insgesamt 189 Patienten ausgewertet. 23 Prozent wurden zuvor ausschließlich mit Crizotinib behandelt, der Rest hatte zusätzlich auch eine Chemotherapie vorab erhalten. 60 Prozent der Patienten wiesen zu Studienbeginn ZNS-Metastasen auf.

 

Gutes Ansprechen von Hirnmetastasen

 

Die Gesamtansprechrate betrug 51 Prozent, die mediane Dauer des Ansprechens knapp 15 Monate und das mediane progressionsfreie Überleben 8,3 Monate. Hervorzuheben ist, dass die intrakranielle Ansprechrate bei Patienten mit Hirnmetastasen bei 64 Prozent lag. 22 Prozent der Patienten erreichten dabei eine Komplettremission der Hirnmetastasen.

 

Die am häufigsten registrierten Nebenwirkungen des neuen Wirkstoffs waren Obstipation (36 Prozent), Ödeme (34 Prozent), Myalgien (31 Prozent) und Übelkeit (22 Prozent). Wegen der möglichen Myalgie sollten Patienten den Hinweis bekommen, über unerklärliche Muskelschmerzen, Druckempfindlichkeit oder Schwächegefühl zu berichten.

 

>> vorläufige Bewertung: Schrittinnovation

 

<typohead type="1">Tofacitinib

Mit Tofacitinib (Xeljanz® 5 mg Filmtabletten, Pfizer) kam nach Baricitinib (Olumiant®) innerhalb eines Monats der zweite Januskinase-Hemmer zur Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) auf den deutschen Markt. Er darf bei Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer Erkrankung eingesetzt werden, die auf ein oder mehrere krankheitsmodifizierende antirheumatische Arzneimittel unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben. 

Xeljanz wird üblicherweise mit Methotrexat (MTX) kombiniert; falls MTX nicht vertragen wird oder aus einem anderen Grund nicht eingesetzt werden kann, ist laut Fachinformation aber auch eine Monotherapie möglich.

 

Die Patienten nehmen zweimal täglich eine Tablette à 5 mg unabhängig von den Mahlzeiten ein. Wenn ihnen das Schlucken schwerfällt, kann die Tablette auch zerkleinert mit Wasser eingenommen werden. Eine schwere Niereninsuffizienz mit einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min oder eine mittelschwere Leberfunktionsstörung erfordern eine Dosisreduktion auf einmal täglich 5 mg. Bei schwerer Leberfunk­tionsstörung soll das Medikament nicht angewendet werden. Gleiches gilt bei einer Lymphozytenzahl unter 750 Zellen/mm3, einer Neutrophilenzahl unter 1000 Zellen/mm3 oder einem Hämoglobinwert unter 9 g/dl. Weitere Gegen­anzeigen sind aktive Tuberkulose, schwere Infektionen sowie Schwangerschaft und Stillzeit. Frauen im gebär­fähigen Alter müssen während und für mindestens vier Wochen nach der Therapie zuverlässig verhüten.

 

Hemmung mehrerer Signalwege

 

Tofacitinib ist ein selektiver Inhibitor von Enzymen der Januskinase (JAK)- Familie, die aus den Enzymen JAK1, JAK2, JAK3 und TYK2 besteht. Januskinasen bilden in menschlichen Zellen Homo- oder Heterodimere, und sind mit Rezeptoren assoziiert, die von diversen Zytokinen aktiviert werden können. Eine Aktivierung des JAK-Dimers führt über die nachgeschalteten STAT-Proteine (Signaltransduzierer und Aktivator der Transkription) zu einer Modulation der DNA-Ablesung im Zellkern. Tofacitinib hemmt bevorzugt heterodimere Rezeptoren, an denen JAK1 und/oder JAK3 beteiligt sind. Dadurch dämpft es die Signalübertragung der Interleukine 2, 4, 6, 7, 9, 15 und 21 sowie von Typ-I- und Typ-II-Interferonen, was eine Drosselung der bei RA überaktiven Immun- und Entzündungsreaktion zur Folge hat.

Da die Immunantwort sich verändert, sind Infektionen eine mögliche Nebenwirkung der Therapie mit Tofacitinib, und die Patienten sollten entsprechend engmaschig überwacht werden. Liegt eine aktive Infektion vor, auch wenn sie lokalisiert ist, soll eine Behandlung mit Xeljanz nicht begonnen werden. Bei erhöhtem Infektionsrisiko sind Nutzen und Risiken der Therapie vorher besonders kritisch abzuwägen. Kommt es während der Einnahme von Tofacitinib zu einer schwerwiegenden Infek­tion, soll die Therapie unterbrochen werden, bis die Infektion unter Kontrolle ist. Kombinationen mit biologischen Anti­rheumatika oder starken Immunsuppressiva sind aufgrund des dadurch möglicherweise nochmals gesteigerten Infektionsrisikos zu vermeiden.

Eine latente Tuberkuloseinfektion kann durch die Therapie mit Tofacitinib aktiviert werden. Patienten müssen daher vorher entsprechend getestet und bei Bedarf behandelt werden. Auch die Reaktivierung einer Herpes-Zoster-Infektion, die sich in einer Gürtelrose äußert, ist möglich. Deshalb soll vor dem Therapiestart eine prophylaktische Impfung gegen Herpes Zoster in Betracht gezogen werden. Grundsätzlich sollte vor Beginn der Therapie mit dem neuen Präparat der Impfstatus aller Patienten entsprechend den aktuellen Impfempfehlungen auf den neuesten Stand gebracht werden. Es wird empfohlen, Lebendimpfstoffe nicht gleichzeitig mit Tofacitinib anzuwenden. Eine Impfung mit diesen sollte mindestens zwei Wochen, vorzugsweise aber vier Wochen vor Beginn der Therapie mit dem RA-Mittel erfolgen.

 

Sechs verschiedene Studien

 

Im klinischen Studienprogramm ORAL, das aus sechs doppelblinden, kontrollierten Studien der Phasen I bis III bestand, wurden insgesamt 6194 Patienten mit Tofacitinib behandelt. Der Wirkstoff wurde dabei als Mono- oder Teil einer Kombitherapie gegeben, teilweise in der nun zugelassenen Dosierung von zweimal täglich 5 mg und teilweise in der doppelten Dosis. Als Vergleichspartner dienten Placebo, MTX oder Adalimumab.

 

Tofacitinib war in allen Studien Placebo oder MTX hinsichtlich der ACR20-, ACR50- und ACR70-Ansprechraten überlegen. Dabei handelt es sich um einen Symptomscore des American College of Rheumatology. ACR20 bedeutet eine mindestens 20-prozentige Besserung der Symptome, ACR50 eine 50-prozentige und ACR70 eine 70-prozentige. Über alle Studien erreichten unter der niedrigeren Tofacitinib-Dosierung nach drei Monaten 41 bis 69 Prozent der Patienten ACR20, 26 bis 40 Prozent ACR50 und 8 bis 20 Prozent ACR70. Nach sechs Monaten betrugen die entsprechenden Prozentzahlen 50 bis 71 (ACR20), 32 bis 46 (ACR50) und 13 bis 25 (ACR70). Adalimumab erzielte im direkten Vergleich ähnliche Ansprech­raten wie Tofacitinib.

 

Der mittlere Krankheits-Aktivitätsscore DAS28-4 besserte sich in den Phase-III-Studien innerhalb von drei Monaten von 6,1 bis 6,7 unter zweimal täglich 5 mg Tofacitinib um 1,9 bis 2,0 Punkte, unter zweimal täglich 10 mg Tofacitinib um 1,9 bis 2,2 Punkte und unter Placebo um 0,7 bis 1,1 Punkte. Signifikante Besserungen wurden auch in den Kategorien röntgenologisches Ansprechen, körperliche Funktionsfähigkeit, gesundheitsbezogene Lebensqualität, Abgeschlagenheit und Schlafqualität erreicht.

 

Die häufigsten Nebenwirkungen während der ersten drei Behandlungsmonate waren Kopfschmerzen, Infek­tionen der oberen Atemwege, Naso­pharyngitis, Durchfall, Übelkeit und Hyper­tonie. Ebenfalls beobachtet wurde ein Anstieg der Blutfettwerte, am stärksten innerhalb der ersten sechs Behandlungswochen. Deshalb sollen die Blutfette bei allen Patienten acht Wochen nach dem Start einer Therapie mit Tofacitinib kontrolliert werden. Da die Lymphozytenzahl, die Neutrophilenzahl und der Hämoglobinwert sinken können, sind auch diese Parameter regel­mäßig zu kontrollieren.

 

Der Metabolismus von Tofacitinib läuft hauptsächlich über das Leber­enzym CYP3A4, mit geringfügiger Beteiligung von CYP2C19. Bei gleichzeitiger Anwendung von starken CYP3A4-Inhibitoren wie Ketoconazol oder von Arzneistoffen wie Fluconazol, die CYP3A4 mittelstark und CYP2C19 stark hemmen, wird die tägliche Tofacitinib-Dosis daher auf einmal 5 mg reduziert. Xeljanz soll nicht zusammen mit starken CYP3A4-Induktoren angewendet werden. /

 

>> vorläufige Bewertung: Sprunginnovation

Kommentar

Ein Sprung und ein Schritt voran

Hinsichtlich Wirkmechanismus, Einsatzgebiet und Studienergebnissen bietet Alectinib vorerst nicht viel Neues. Patienten mit ALK-positivem NSCLC, deren Krankheit während oder nach der Behandlung mit Crizotinib weiter fortschreitet, können seit 2015 mit Ceritinib behandelt werden. Alectinib macht diesem Kinasehemmer, aber nicht Crizotinib Konkurrenz. Nur Crizotinib darf in der Erstlinientherapie zum Einsatz kommen. Dennoch kann man die Einstufung von Alectinib als Schrittinnovation rechtfertigen. Zum einen steht zu erwarten, dass es künftig auch first Line zum Einsatz kommen darf. In einer randomisierten Phase-III-Studie mit rund 300 Patienten war das progressionsfreie Über­leben signifikant länger, wenn als Erstlinientherapie statt Crizotinib Alec­tinib eingesetzt wurde. Ferner entwickeln viele Patienten mit ALK-positivem NSCLC Hirnmetastasen. In Sachen ZNS-Ansprechen überflügelt Alectinib die beiden ersten ALK-Hemmer. Während jenes von Crizozinib bei 15 bis 20 Prozent liegt, beträgt es bei Ceri­tinib 30 bis 40 Prozent und bei Alec­tinib mehr als 60 Prozent.

 

Ein Januskinase-Hemmer bei rheumatoider Arthritis (RA) bietet den Vorteil, auf einen Schlag verschiedene proinflammatorische Zytokine auszubremsen. Im Vormonat kam mit Baricitinib der erste JAK-Hemmer für die Indika­tion RA in den Handel. Über den sehr langen Zulassungszeitraum eines Medikaments betrachtet, hatte Baricitinib sozusagen auf der Zielgeraden leicht die Nase vorn. Fairerweise sollte man Tofacitinib, das nur einen Monat später kam, nun aber auch als Sprung­innovation bewerten. Denn die Unterschiede sind nicht groß. Beide JAK- Inhibitoren sind oral verfügbar, weisen überzeugende Studienergebnisse auf und bei beiden sollte man – Wirkprinzip-bedingt – das Infektionsrisiko im Blick haben. Schön wäre es, wenn es Vergleichsuntersuchungen zwischen Tofacitinib und Baricitinib gäbe. Diese liegen aber bislang nicht vor. Ob sich eine der beiden Substanzen letztlich durchsetzt oder noch ein weiterer Vertreter dieser Wirkstoffgruppe dies schließlich tut, ist nicht vorhersehbar.

 

Sven Siebenand,
stellvertretender Chefredakteur
 

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