Pharmazeutische Zeitung online
Neuropathische Schmerzen

Therapie je nach Ursache

23.05.2016  15:13 Uhr

Von Kerstin A. Gräfe / Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen stehen diverse Arzneistoffe aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen zur Verfügung. Dabei erfolgt die Auswahl bei jedem Patienten individuell in Abhängigkeit von der Schmerzätiologie und den Beschwerden. Pharmaka können die Schmerzen signifikant lindern, eine vollständige Beseitigung ist jedoch nur selten möglich.

Neuropathische Schmerzen entstehen durch Schädigungen oder Erkrankungen des peripheren und/oder zentralen Nervensystems. Die Ursachen sind vielfältig. So können Nervenschmerzen zum Beispiel durch eine Verletzung bei Operationen entstehen oder sich im Rahmen von Erkrankungen wie Diabetes oder Gürtelrose ausbilden. Zentrale neuropathische Schmerzen können Folge eines Schlaganfalls oder einer Multiple-Sklerose-Erkrankung sein. Aufgrund der Verletzung verändert sich das Nervensystem biochemisch und strukturell. Diese sogenannten plastischen Veränderungen können mit der Zeit irreversibel werden.

 

Behandlungsziel Schmerzlinderung

In Deutschland leiden etwa 6 Prozent der Bevölkerung an neuropathischen Schmerzen. Mit den derzeit verfügbaren Medikamenten kann nur in den seltensten Fällen eine vollständige Analgesie erreicht werden. Als realistisches Behandlungsziel gilt eine Schmerzreduktion um 30 bis 50 Prozent. Ziel ist es, jedem Patienten das­jenige Medikament zuzuordnen, das bei dem zugrundeliegenden Schmerzmechanismus am wirksamsten ist.

 

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift »Pharmakon« stellen Professor Dr. Achim Schmidtko und Dr. Wiebke Kallenborn-Gerhardt die einzelnen Arzneistoffgruppen näher vor. Aus der Gruppe der Antidepressiva kommen vor allem Trizyklika sowie selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) zum Einsatz. Nicht empfohlen werden hingegen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Fluoxetin oder Paroxetin, da sie bei neuropathischen Schmerzen nur begrenzt wirksam sind.

 

Allen drei Gruppen ist gemeinsam, dass sie signifikant die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt hemmen. Inwieweit dieser Mechanismus zur Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen beiträgt, ist bislang nicht bekannt. Dass es jedoch Unterschiede zwischen dem analgetischen und antidepressiven Effekt gibt, lässt sich unter anderem daran festmachen, dass zum Beispiel trizyk­lische Antidepressiva bereits in niedrigen Dosen analgetisch wirken, in denen noch kein antidepressiver Effekt erkennbar ist. Außerdem tritt die analgetische Wirkung bereits nach einigen Tagen ein, die antidepressive erst nach Wochen.

Pharmakon – Zeitschrift der DPhG

Neuropathischer Schmerz ist der Themenschwerpunkt der aktuellen Ausgabe von »Pharmakon«, der Zeitschrift für Mitglieder der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG). Sie enthält neben dem hier vorgestellten Beitrag von Professor Dr. Achim Schmidtko und Dr. Wiebke Kallenborn-Gerhardt unter anderem Artikel über Cannabinoide in der Schmerztherapie, transdermale sowie nicht medikamentöse Therapien.

 

»Pharmakon« erscheint sechsmal jährlich. Jede Ausgabe hat einen inhaltlichen Schwerpunkt, der in mehreren Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven aufbereitet wird. Ein kostenloses Abonnement ist in der DPhG-Mitgliedschaft inbegriffen. Die Zeitschrift ist auch als Einzelbezug erhältlich. Weitere Informationen finden Interessierte auf www.pharmakon.info.

In der Praxis wird mit einer niedrigen Abenddosis von 10 bis 25 mg begonnen, die bei guter Verträglichkeit wöchentlich in 25-mg-Schritten auf eine wirksame Dosis von 50 bis 75 mg gesteigert werden kann. Dosierungen zur antidepressiven Therapie liegen meist höher (50 bis 150 mg). Bei den SSNRI wird als Startdosis eine einmalige Einnahme von 30 mg morgens empfohlen, die nach ein bis zwei Wochen auf 60 mg gesteigert werden soll. Die Maximaldosis beträgt 120 mg.

 

Pregabalin und Gabapentin sind Mittel der ersten Wahl zur Behandlung einer diabetischen Neuropathie, einer post­herpetischen Neuralgie sowie zur Behandlung neuropathischer Schmerzen nach Rückenmarksläsionen. Zudem sind beide Gabapentinoide bei fokalen epileptischen Anfällen und generalisierten Angststörungen indiziert. Ihre Wirkung beruht vermutlich auf der Bindung an sogenannte α2δ-Untereinheiten spannungsabhängiger Calciumkanäle. In der Folge wird sowohl der Transport der α2δ-Untereinheit zu den präsynaptischen Endigungen als auch der für die Transmitterausschüttung notwendige Calciumeinstrom in die Neurone verringert, was letztlich zu einem verminderten Schmerzempfinden führt. Die Startdosis für Gabapentin beträgt dreimal 100 mg, die alle drei Tage um 100 mg pro Einnahme auf 1200 bis 2400 mg pro Tag gesteigert wird. Die Maximaldosis beträgt 3600 mg pro Tag. Für Pregabalin wird eine anfängliche Dosis von ein- bis zweimal 50 bis 75 mg empfohlen. Diese wird alle drei bis vier Tage um 50 bis 75 mg bis zur maximalen Dosis von 600 mg pro Tag gesteigert.

 

Die Effizienz von Opioiden bei neuropathischen Schmerzen war lange Zeit umstritten. Inzwischen haben Studien gezeigt, dass zumindest einige neuropathische Schmerzformen wie schmerzhafte Polyneuropathien oder die postherpetische Neuralgie gut auf Opioide ansprechen. Für die analgetische Wirkung ist vor allem die Bindung an µ-Rezeptoren verantwortlich. Generell sollten Opioide falls möglich in Form von oral retardierten Formulierungen oder transdermalen Systemen zum Einsatz kommen.

 

Topische Therapie zur Unterstützung

Topische Therapieoptionen eignen sich insbesondere als adjuvante Therapie bei gut lokalisierbaren peripheren neuropathischen Schmerzen. Angriffspunkt sind sensorische Nervenendigungen. Hierbei kommen zum Beispiel Lidocain-Pflaster, Capsaicin-Hochdosis-Pflaster oder Capsaicin-Salbe zum Einsatz. Das Lokalanästhetikum Lidocain hemmt spannungsabhängige Natriumkanäle sensorischer Fasern und erzielt somit eine Stabilisierung der neuronalen Zellmembran. Es zählt bei postherpetischer Neuralgie zu den Mitteln der ersten Wahl. Darüber hi­naus wurden in klinischen Studien positive Effekte bei diabetischer und anderen fokalen Neuropathien beobachtet. Die Applikation des 5-prozen­tigen Pflasters erfolgt über zwölf Stunden, gefolgt von einer mindestens zwölfstündigen Applikationspause.

 

Capsaicin-Pflaster werden zur Schmerzreduktion bei postherpetischer Neuralgie und bei HIV-assoziierter Neuralgie eingesetzt. Das Alkaloid Capsaicin stimuliert die in der Haut lokalisierten TRPV1-Rezeptoren, welche Schmerzen detektieren. Durch die schnelle Freisetzung kommt es zu einer Überstimula­tion der Rezeptoren und in der Folge zu deren Desensibilisierung gegenüber dem normalen Stimulus. Die Pflaster enthalten eine 8-prozentige Capsaicin-Zubereitung und verbleiben zwischen 30 und 60 Minuten auf der Haut. Insgesamt sollten nicht mehr als vier Pflaster gleichzeitig appliziert werden. /

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