Pharmazeutische Zeitung online
Forschung

Warten auf die Fett-weg-Pille

13.05.2014  16:31 Uhr

Von Daniela Biermann / Analysten sehen für Adipositas- Medikamente ein riesiges Marktpotenzial, doch die Entwicklung effektiver und sicherer Schlankheitsmittel ist schwierig. Um Pfunde schmelzen zu lassen, verfolgen Forscher neue Ansätze aus Endokrinologie und Neurologie. Ein Blick in die Pipeline.

Geprüfte Schlankheitsmittel sind dünn gesät. Einzig Orlistat (Xenical® und Alli®) steht in der EU zurzeit noch zur Therapie der Adipositas zur Verfügung. In den USA sind außerdem ein Kombipräparat aus Phenteramin und Topiramat (Qsymia®) sowie der 5-HT2C-Serotonin-Rezeptoragonist Lorcaserin (Belviq®) erhältlich. Das ist angesichts eines milliardenschweren Marktes erstaunlich. Nach einer Studie des Pharmaanalysten GBI Research wird das weltweite Marktvolumen für Adipositas-Medikamente von 540 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 1,9 Milliarden in 2019 steigen – eine Wachstumsrate von 21 Prozent pro Jahr. Das Potenzial wäre ungleich größer, sagen die Analysten, wenn die Pipelines der Pharmafirmen gleichmäßiger gefüllt wären.

Doch nur 3 Prozent der potenziellen Kandidaten befinden sich zurzeit in der Endphase der Entwicklung, und selbst die klingen wenig innovativ: Ein Kombinationspräparat mit den altbekannten Wirkstoffen Bupropion und Naltrexon (NB32 oder Contrave®) in retardierter Form, das zentral das Hungergefühl drosselt, durchläuft gerade das Zulassungsverfahren in der EU und den USA. Für das bereits als Antidiabetikum verfügbare Inkretin-Analogon Liraglutid hat Hersteller Novo Nordisk einen Antrag auf Zulassungserweiterung bei Adipositas gestellt; der Lipase-Inhibitor Cetilistat mit ähnlichem Wirkmechanismus wie Orlistat ist bereits in Japan zuge­lassen.

 

Rimonabant (Acomplia®), 2008 aufgrund psychiatrischer Nebenwirkungen vom Markt genommen, und Sibutramin (Reductil®), 2010 wegen kardiovaskulärer Komplikationen zurückgerufen, stehen exemplarisch für die Schwierigkeiten in der Entwicklung von Adipositas-Medikamenten. Von Fettleibigkeit ist der ganze Organismus betroffen, inklusive der Psyche. Das macht es so schwierig, ein Medikament mit tolerierbaren Nebenwirkungen zu finden. Hat der Körper Fett erst einmal gebunkert, gibt er es äußerst ungern wieder her. Im Gegenteil: Das Fettgewebe entwickelt ein Eigenleben und sondert jede Menge Botenstoffe ab, die sogenannten Adipokinine. Leptin war 1994 das Erste, das entdeckt wurde, und steht im Zentrum vieler Ansätze für neue Medikamente.

 

Grundsätzlich lässt sich Gewicht pharmakologisch über vier Wege reduzieren, heißt es in einem Fachartikel im Journal »Current Cardiology Reviews« (doi:10.2174/157340313805076322): 1. Verringerung der Energieaufnahme 2. Erhöhung des Energieumsatzes oder Modulation des Lipidstoffwechsels 3. Modulation der Fettdepots oder Adipozyten-Differenzierung 4. Vortäuschung einer Kalorienrestriktion.

 

Energieaufnahme drosseln

 

Die meisten Wirkstoffe zielen darauf ab, das Sättigungsgefühl zu beeinflussen oder wie die Lipasehemmer Orlistat und Cetilistat sowie die SGLT-2-Hemmer Dapagliflozin und Canagliflozin die Aufnahme von Nährstoffen zu verhindern. Ein neuer Ansatz ist die Blockade des mikrosomalen Triglycerid-Transfer-Proteins (MTP) durch den oral verfügbaren Arzneistoffkandidaten SLX-4090. MTP hilft bei der Aufnahme von Triglyceriden aus der Nahrung. SLX-4090 soll nur in den Darmzellen wirken und damit ein günstiges Nebenwirkungsprofil haben, wie Phase-II-Studien zeigten.

Pharmazie

Chronische Herzinsuffizienz: Leitlinie fordert Kooperation
Die aktualisierte Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Chronische Herzinsuffizienz richtet sich ausdrücklich auch an Apotheker...

 

Typ-1-Diabetes: Gliflozin als Add-on von Nutzen
SGLT-2-Inhibitoren könnten sich zukünftig auch in der Therapie von Typ-1-Diabetes etablieren. Hinweise auf einen Nutzen liefert eine Phase-III-Studie...

 

Follikuläres Lymphom: Obinutuzumab steigt auf
Seit wenigen Tagen besitzt Obinutuzumab (Gazyvaro) auch die Zulassung zur Erstlinientherapie für Patienten mit follikulärem Lymphom. 

 

Außerdem:

Makuladegeneration: Neues zur Therapie der AMD

CML: Aus tödlich wird chronisch

Denosumab: Bei Ohrproblemen hellhörig werden

Spezialisierte Krebszentren: Geballte Expertise

COPD: Cortison nur, wenn es sein muss

Komplexer ist die Regulation des Sättigungsgefühls. Ein erster Ansatz war die Gabe des Hormons Leptin, das dem Gehirn Sättigung suggeriert. Das Adipokinin allein führte in Studien nicht zur Gewichtsabnahme, da bei Übergewichtigen meist eine Leptinresistenz besteht. In Kombination mit anderen Medikamenten könnte es in niedrigen Dosen jedoch zum Halten des Gewichts nützlich sein, denn nach dem Abnehmen besteht ein Defizit an Lep­tin, was den Appetit wieder anregt. Orale Leptinmimetika werden zurzeit in präklinischen Studien getestet. Ein erster Vertreter, Metreleptin, ist in den USA seit Januar 2014 zugelassen, allerdings aufgrund des Nebenwirkungsprofils nicht für Adipositas, sondern nur für eine seltene Fettstoffwechselstörung.

 

In Kombination mit Amylin könnte Leptin Adipösen helfen, Gewicht zu verlieren. Amylin wird als Sättigungssignal nach dem Essen aus der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet. Vor dem Essen appliziert, hemmt es die Nahrungsaufnahme bei Ratten. Auch das Amylinmimetikum Pramlintid, in den USA bereits für Typ-1- und 2-Diabetiker zugelassen, wirkt sich positiv auf das Körpergewicht aus.

 

In die durch Leptin ausgelöste Signalkette (siehe Grafik weiter oben) sollen viele Substanzen eingreifen. Bupropion ist ein nicht selektiver Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der zur Behandlung von Depressionen (Elontril®) sowie zur Raucherentwöhnung (Zyban®) zugelassen ist. Im Hypothalamus regt Bupropion Neuronen an, sogenannte Proopiomelanocortine (POMC) auszuschütten, und wirkt so appetithemmend. Diese Neuronen werden normalerweise von körpereigenen β-Endorphinen über Opioid-Rezeptoren gehemmt. Der µ-Opioid-Rezeptorantagonist Naltrexon soll dies verhindern und synergistisch mit Bupropion wirken. Die Kombitablette Contrave steht kurz vor der Zulassung. In Phase II befindet sich zudem eine Kombination aus Bupropion und dem Antiepileptikum Zonisamid (Empatic®). Letzteres wirkt serotonerg und dopaminerg und hemmt Natrium- und Calciumkanäle in Neuronen. Ebenfalls getestet werden der Opioid-Antagonist Naloxon als Monotherapie in nasaler Form und der inverse Agonist des µ-Opioid-Rezeptors GKS-1521498, der die Lust am Essen hemmen soll.

 

Der Ansatz, den Melanocortin-Rezeptor über direkte Agonisten zu stimulieren, war bisher in Tierversuchen und klinischen Studien nicht erfolgreich. Entweder war die erreichte Gewichtsabnahme nicht zufriedenstellend oder Blutdruck, Herzfrequenz und die Ausschüttung inflammatorischer Zytokine stiegen. Als Nebenwirkung traten außerdem bei Männern Erektionen auf, sodass nun dieser Ansatz als Hauptwirkung weiterverfolgt wird. Im Rennen ist noch der Mc4R-Agonist RM-493, ein Peptid in Phase II für Patienten mit einem mutierten Melanocortin-Rezeptor.

 

Umgekehrt verlief es bei der klinischen Untersuchung des ziliären neurotrophen Faktors (CNTF). Ursprünglich wurde er zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen getestet. Unerwartet verloren die Probanden jedoch beachtliche 10 bis 15 Prozent ihres Gewichts. Vermutlich greift CNTF auch in den Leptin-Signalweg ein. In einer Phase-III-Studie mit rund 2000 stark übergewichtigen Personen enttäuschte die rekombinante CNTF-Variante Axokine jedoch und bekam keine US-Zulassung. Ursache waren vermutlich Antikörper gegen das Arzneimittel. Der Ansatz wird dennoch weiterverfolgt.

 

Botenstoffe beeinflussen

 

Auch an altbekannten Targets wird weiter geforscht. Der Monoamin-Wiederaufnahmehemmer Tesofensin hemmt die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin aus dem synaptischen Spalt. In frühen klinischen Studien traten neben einer deutlichen Gewichtsreduktion auch kardiale und psychische Nebenwirkungen auf, was nun in einer Phase-III-Studie überprüft wird. Der in den USA seit 2012 zugelassene 5-HT2C-Serotonin-Rezeptoragonist Lorcaserin (Belviq®) scheint selektiv genug zu sein, um keine kardialen Nebenwirkungen zu erzeugen, wird jedoch auch nach der Zulassung dahingehend weiter untersucht. Der 5-HT2C-Agonist BVT-933 hat die Phase II erfolgreich abgeschlossen. Ebenfalls in der Entwicklung sind selektive 5-HT6- sowie Histamin-3-Rezeptor­antagonisten.

 

Weitere Ansatzpunkte, um das Sättigungsgefühl zu modifizieren, sind der Corticotropin-Releasing-Factor (CRF, auch Urocortin genannt), die Fettsäure-Synthase, zahlreiche gastrointestinale Peptide wie Cholecystokinin, Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1), Peptid YY, pankreatisches Polypeptid (PP), Bombesin, Enterostatin, Oxyntomodulin und Ghrelin sowie eine ganze Reihe von Neuropeptiden wie Neuromedin U, Neuropeptid Y, Orexin A und B.

 

Vor allem bei der Beeinflussung von Neuropeptiden sind unerwünschte Effekte wahrscheinlich, da sie neben dem Hungergefühl meist weitere wichtige Körperfunktionen wie die Körpertemperatur oder den Schlaf-Wach-Rhythmus regulieren. Zum Beispiel beeinflusst das Melanin-konzentrierende Hormon (MCH) auch Angst und Aggression. Der MCH1-Rezeptorant­agonist NGD-4715 löste in einer klinischen Studie lebhafte Träume aus. Im Fall der Neuropeptide Orexin A und B (Hypocretin 1 und 2) könnte es sich allerdings als vorteilhaft erweisen, dass sie neben dem Hungergefühl die Thermoregulation beeinflussen, da so der Energieumsatz medikamentös hochgefahren werden könnte.

Energieumsatz erhöhen

 

Dieser Effekt ist bereits von Schilddrüsenhormonen bekannt – jedoch beeinflussen diese auch das Herz und führen zu Proteinverlust. Selektive Rezeptor­agonisten führten in Tierversuchen ohne diese Nebenwirkungen zu Gewichtsverlust. Geforscht wird auch an Agonisten am β3-Rezeptor, der vornehmlich auf der Oberfläche von Muskelzellen und Adipozyten des braunen Fettgewebes vorkommt. Dieses thermoregulatorische Fettgewebe haben Erwachsene kaum noch. In Tierversuchen und ersten klinischen Studien ließ sich der Anteil dieses äußerst umsatzfreudigen Gewebes mit β3-Rezeptoragonisten steigern. Auch Thermogenin (Uncoupling Protein 1, UCP1) spielt eine wichtige Rolle bei der Erzeugung von Wärme im braunen Fettgewebe. Sein Verwandter UCP3 erfüllt eine ähnliche Funktion in den Skelettmuskeln und gilt als potenzielles Target.

 

Der Arzneistoffkandidat MB-11055 aktiviert die AMP-aktivierte Proteinkinase, die die Zellen vor ATP-Mangel schützen soll. Sport soll unter anderem über dieses Enzym eine Reihe seiner positiven Wirkungen entfalten. Ob sich dieser Effekt mit MB-11055 nachahmen lässt, wird derzeit in einer Phase-II-Studie überprüft. Weitere Targets zur Steigerung des Energieumsatzes sind die Diacylglycerol-Acetyltransferase (DGAT), die Stearoyl-CoA-Desaturase (SCDI), die Acetyl-CoA-Carboxylase (ACC) sowie die 11-β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase vom Typ 1.

 

Fettspeicher umbauen

 

Das Protein Adiponektin wird aus dem Fettgewebe ausgeschüttet und ist an der Regulation des Glucosehaushalts und der Fettsäureoxidation beteiligt. Niedrige Adiponektin-Spiegel gehen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes, Übergewicht, metabolischem Syndrom und Fettleber einher. Auch an dieser Stellschraube soll daher gedreht werden. Einige verfügbare Arzneistoffe stimulieren die Sekretion oder induzieren die Expression von Adiponektin, zum Beispiel Pioglitazon oder Angiotensin-II-Rezeptorblocker, vermutlich über Aktivierung von PPARγ.

 

PPARγ-Liganden stimulieren die Expression von UCP1 in braunen Fettzellen, normalerweise jedoch nicht in den viel häufiger vorkommenden weißen Fettzellen. Der Transkriptionscofaktor PPARγ-Coaktivator-1 (PGC-1) scheint die weißen in braune Fettzellen umzubauen. An Mäusen konnte gezeigt werden, dass Rosiglitazon die Transkription von PGC-1 fördert und damit die mitochondriale Aktivität weißer Fettzellen fördert und die Insulinsensitivität steigert.

 

Auch ein Konzept aus der Krebstherapie wird zur Bekämpfung von Übergewicht untersucht. Angiogenesehemmer sollen die Nährstoffzufuhr des Fettgewebes blockieren. Phase-III-Kandidat ALS-L1023 ist ein Naturstoff aus Melissenextrakt und hemmt angiogenetische Wachstumsfaktoren und Metalloproteasen. Beloranib hemmt ebenfalls eine Metalloprotease, die Methionin-Aminopeptidase-2, und wird derzeit in Phase II getestet.

 

Kalorienrestriktion vortäuschen

 

Bekanntlich führt die Aufnahme nur weniger Kalorien zu einer Gewichtsabnahme und verbessert den Energiestoffwechsel – das Prinzip einer jeden Diät. Eine lebenslange Reduzierung der Kalorienzufuhr macht aber nicht nur dünner, sie verlängert auch das Leben, wie mehrere Studien in den vergangenen Jahren gezeigt haben. Dabei spielen Sirtuine als eine Art Energiesensoren vermutlich eine wichtige Rolle. Sie gehören zu den Histon-Deacetylasen oder ADP-Ribosyltransferasen und wirken sich positiv auf Alterungsprozesse, Inflammation, Energieeffizienz und den zirkadianen Rhythmus aus. In Tierversuchen erhöhten sie die (verkürzte) Lebenserwartung übergewichtiger Mäuse auf die gesunder Artgenossen. Der Naturstoff Resveratrol soll Sirtuin 1 aktivieren. Eine ähnliche Substanz, SRT-2104, soll verschiedene metabolische Werte positiv beeinflussen und wird derzeit bei Typ-2-Diabetes erprobt. /

Mehr von Avoxa