Folsäure und Omega-3-Fettsäuren auch für Stillende |
15.05.2007 13:55 Uhr |
Folsäure und Omega-3-Fettsäuren auch für Stillende
Von Brigitte M. Gensthaler, München
Dass ein guter Folsäurestatus der Frau rund um die Empfängnis das Risiko für einen Neuralrohrdefekt beim Kind senkt, hat sich herumgesprochen. Wenig bekannt ist dagegen, dass Frauen während der gesamten Schwangerschaft und Stillzeit reichlich Folate und Omega-3-Fettsäuren aufnehmen sollten.
Vor rund 20 Jahren erkannten Forscher in epidemiologischen Studien in Dänemark und auf den Faröer-Inseln, dass Frauen, die viel Seefisch aßen, eine etwas längere Schwangerschaft und weniger Frühgeburten hatten und Babys mit höherem Gewicht zur Welt brachten. Diese Zusammenhänge wurden in den Folgejahren intensiv untersucht.
Im letzten Jahr bestätigte eine Metaanalyse, dass eine Schwangerschaft geringfügig, aber statistisch signifikant länger dauerte, wenn die Frauen gut mit den ungesättigten Omega-3-Fettsäuren Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA) versorgt waren. Ihre Babys waren tendenziell größer und schwerer und hatten einen größeren Kopfumfang. Zu ähnlichen Ergebnissen kam ein Cochrane Review 2006. Zudem lag die Rate an Kindern, die vor der 34. Woche geboren wurden, um ein Drittel niedriger als in der Normalbevölkerung, berichtete Professor Dr. Berthold Koletzko vom Dr.-von-Haunerschen-Kinderspital in München bei einer Pressekonferenz der Merck-Selbstmedikation.
In einer eigenen Metaanalyse stellte der Pädiater bei Risikoschwangerschaften sogar eine Reduktion der unreifen Frühgeburten um 60 Prozent fest. Möglicherweise werden Prostaglandinstoffwechsel, prämature Uteruskontraktionen und Entzündungsvorgänge durch die reichliche Omega-3-Fettsäuren-Zufuhr günstig beeinflusst.
DHA aus kleinen Seefischen
Eine gute Versorgung mit langkettigen ungesättigten Omega-3-Fettsäuren, aus Seefischen oder Supplementen, in Schwangerschaft und Stillzeit wirkt sich langfristig positiv auf das Kind aus. In Studien reifte bei guter Versorgung das neonatale Schlafverhalten schneller, die Kinder hatten eine höhere Sehschärfe und Sprachentwicklung als Kinder, deren Mütter in Schwangerschaft und Stillzeit weniger Omega-3-Fettsäuren zu sich genommen hatten. Auch Feinmotorik und soziales Verhalten entwickelten sich besser.
Inzwischen ist bekannt, dass DHA ins fetale und kindliche Gehirn eingelagert wird. »Das Gehirn ist ein fettes Organ, mehr als die Hälfte des Trockengewichts ist Fett.« In Tierstudien wurde DHA deutlich effektiver aufgenommen als beispielsweise die Vorstufe alfa-Linolensäure. Im Uterus erhält der Fetus DHA durch einen aktiven Transport aus dem mütterlichen Blut über die Plazenta. Die Einlagerung ins Gehirn erfolgt besonders im letzten Trimenon und in den ersten Lebensmonaten, berichtete der Kinderarzt. Ein gestilltes Kind erhält die Fettsäuren über die Muttermilch.
Schwangere und stillende Frauen brauchen mindestens 200 mg DHA pro Tag, zitierte Koletzko eine internationale Konsensusempfehlung. Diesen Bedarf kann man decken, wenn man ein- bis zweimal pro Woche fetten Seefisch isst, zum Beispiel Hering, Makrele oder Lachs. Große Tiere wie Schwert- oder Thunfisch sowie Ostsee-Fische sind weniger geeignet, da sie stark mit Methylquecksilber und Dioxinen belastet sind.
Folsäure auch nach der Geburt
Auch bei der Folsäure denken die Wissenschaftler heute weiter. In den letzten Jahren wurde eine gute Folatversorgung in den Wochen vor und nach der Empfängnis propagiert. Inzwischen ist bekannt, dass der Bedarf in der gesamten Schwangerschaft und Stillzeit um etwa 50 Prozent erhöht ist. Ernährungsexperten empfehlen Schwangeren und Stillenden daher 600 mg Folatäquivalente pro Tag zu sich zu nehmen, im Vergleich zu 400 mg bei nicht-schwangeren Frauen (DACH-Referenzwerte). Tatsächlich liegt die mittlere tägliche Zufuhr nur bei etwa 220 mg, erklärte Professor Dr. Klaus Pietrzik vom Institut für Ernährungswissenschaften der Uni Bonn.
Wichtig zu wissen ist, dass mit der Nahrung verschiedene Folatverbindungen aufgenommen werden, die sich in der Zahl der gebundenen Glutamatreste unterscheiden. Man fasst sie als Nahrungsfolat zusammen. Dieses wird zu etwa 50 Prozent resorbiert. Dagegen ist synthetische Folsäure und 5-Methyl-Tetrahydrofolat (5-MTHF) zu etwa 100 Prozent bioverfügbar.
Etwa 98 Prozent der körpereigenen Folate liegen als 5-MTHF vor, erklärte der Ernährungswissenschaftler. Bei der Umwandlung von Folsäure in die natürliche Wirkform ist unter anderem das Enzym 5,10-Methylen-THF-Reduktase (MTHF-R) beteiligt. Etwa 10 Prozent der Bevölkerung tragen homozygot ein verändertes Gen, dessen Produkt zu 75 Prozent weniger aktiv ist. 40 Prozent der Bevölkerung tragen nur eine Kopie dieses veränderten Gens. Auch bei ihnen ist die Enzymaktivität vermindert.
Aufgrund dieser mangelnden Metabolisierung oder durch ungenügende Zufuhr kann ein Folatmangel entstehen. Dieser führt dazu, dass die Homocysteinkonzentration im Blut ansteigt. Beide Faktoren erhöhen das Risiko für Neuralrohrdefekte bei Feten, für ein erniedrigtes Geburtsgewicht, erhöhte Frühgeburtenrate und Plazentakomplikationen wie vorzeitige Ablösung des Mutterkuchens, sagte Pietrzik.
Um Versorgungslücken zu decken, sollten Schwangere und Stillende 200 mg Folsäure oder äquimolaren Mengen an 5-MTHF in Form von Supplementen zu sich nehmen und sich folatreich ernähren, empfahl der Mediziner. 5-MTHF und seine Calcium-Verbindung (Ca-L-Methylfolat) nützen auch Frauen, die Nahrungsfolate wegen Enzym-Polymorphismen nicht ausreichend metabolisieren können.