Eine unsichere Angelegenheit |
11.05.2007 14:16 Uhr |
Eine unsichere Angelegenheit
Von Patrick Hollstein
Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle will das Fremd- und Mehrbesitzverbot in Deutschland durch ein System der Niederlassungsbeschränkung ersetzen, um »Wildwest«-Zustände im Apothekenmarkt zu verhindern. Experten warnen vor dramatischen Konsequenzen für die Branche.
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Modelle der Bedarfsplanung nicht die unabhängige Versorgung der Patienten, sondern in erster Linie die Ausbreitung von Konzernen wie Celesio, Alliance Boots und Phoenix flankieren. Bereits seit mehr als einem Jahr ist Oesterle bemüht, Politik und Fachöffentlichkeit für ein zweifelhaftes legislatives Manöver zu gewinnen: Anstelle von Fremd- und unbeschränktem Mehrbesitz soll in Deutschland künftig die Eröffnung neuer Apothekenstandorte ohne vorherige Bedarfsprüfung verboten sein.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die, aus welchen Gründen auch immer, Oesterle regelmäßig ein Podium bietet, warb der Manager bereits im Sommer vergangenen Jahres dafür, auf diese, seine Weise die bestehenden Leitplanken im deutschen Apothekenwesen durch neue Schutzzäune zu ersetzen, um branchenfremden Anbietern wie Drogeriemärkten noch den Zutritt zum Markt abzuschneiden. Ansonsten drohen Oesterle zufolge »Wildwest«-Zustände im deutschen Apothekenmarkt, sollte der europäische Gerichtshof (EuGH) zugunsten einer Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes entscheiden. Oesterle unterschlägt, dass sich ausgerechnet sein Konzern seit der Übernahme von DocMorris für jenen vielfach heraufbeschworenen Gerichtsentscheid alleinverantwortlich zeichnet.
Kein Regulierungsbedarf
Doch auch ungeachtet dieser verhängnisvollen Konstellation ist Oesterles Vorschlag Experten zufolge eine Mogelpackung: Der Konzernchef sieht Regulierungsbedarf, wo aus politischer Sicht keiner besteht. Im ärztlichen Bereich wurden Niederlassungsbeschränkungen eingeführt, um den Effekt der induzierten Nachfrage möglichst gering zu halten: Weil die Mediziner Leistungen veranlassen, die den Staat und seine Körperschaften Geld kosten, sollte das Angebot den Bedarf möglichst genau widerspiegeln.
Die Apotheken sind dagegen nicht dazu befähigt, eine Nachfrage nach therapeutischen Leistungen zu induzieren. Daher erlaubt es das vermeintlich restriktive Apothekenwesen Deutschlands auch jedem Apotheker, sich ohne vorherige Bedarfsprüfung mit einer neuen Apotheke an jedem Ort seiner Wahl niederzulassen.
Oesterle will den Kreis der Apothekenbesitzer nun über die Fachkreise hinaus erweitern, um selbst in den Markt einsteigen zu können. Damit unbequeme Mitbewerber wie Drogerie- und Supermärkte nicht das Geschäft verwässern, sucht der Konzernchef nach Wegen, Drittanbieter auszuschließen. Zwar dürften sich Schlecker, dm & Co. tatsächlich schwertun, in einer Welt der regulierten Niederlassung den Aufbau eines Apothekennetzes voranzutreiben. Immerhin müsste, die nötige finanzielle Manövriermasse vorausgesetzt, für jede teuer erworbene Konzession die bestehende Apotheke geschlossen werden, damit das Arzneimittelgeschäft stattdessen in die eigene Filiale verlegt werden kann. Doch im Wettbewerb um Konzessionen werden auch nicht die unabhängigen Apotheker, sondern Konzerne wie Celesio zu denjenigen Akteuren gehören, die die Nase vorn haben.
Willkommener Wettbewerbsvorteil
Die Heilsversprechen, mit denen er die Beteiligten an den Tisch bittet, hat internationalen Erfahrungen zufolge dramatische Auswirkungen auf die Entwicklung des Marktes. Zugangsbarrieren stellen für die Branchenriesen einen willkommenen Wettbewerbsvorteil dar: Ausschließlich große Konzerne wie Celesio haben genug Geld, um sich flächendeckend an lukrativen Standorten einzukaufen. Einmal im Groß- und Einzelhandel etabliert, können innerhalb der vertikalisierten Strukturen neue Mitbewerber gezielt ausgebremst werden: Unabhängige Apotheken dürften sich schwertun, ähnliche Rabatte auszuhandeln wie gruppeneigene Filialen; kleinere Großhändler werden unter den Tochter- oder Partnerapotheken ihres Konkurrenten kaum Abnehmer finden.
Der Wettbewerb um die besten Standorte geht den Experten zufolge zulasten von Apothekern und Verbrauchern. Während die jungen Pharmazeuten Angestelltenkarrieren in den Ketten erwarten, müssen die Patienten und Verbraucher höhere Preise sowie möglicherweise eine schlechtere Versorgungsqualität und Flächendeckung in Kauf nehmen. Denn um oligopole Strukturen aufbauen zu können, müssen die Konzerne ihre Kapazitäten vor allem dem Wettbewerb um den besten Standort unterordnen.
Wissenschaftliche Studien untermauern die Prognosen der Experten: Die britische Wettbewerbsaufsicht legte 2003 einen umfassenden Bericht vor, in dem die Auswirkungen der 1987 eingeführten Beschränkungen bei der Kassenzulassung für den nationalen Gesundheitsdienst NHS analysiert wurden. Gerade einmal vier neue Apotheken waren demnach jährlich zwischen 1990 und 2000 in England und Wales eröffnet worden; vor 1987 hatte es pro Jahr bis zu 200 Neueröffnungen gegeben. Stattdessen wechselten nun pro Jahr circa 300 Apotheken den Besitzer.
Dadurch ist seit 1998, Daten von IMS Health zufolge, der Anteil unabhängiger Apotheken am britischen Markt von 61 auf 43 Prozent zurückgegangen. Angesichts der weitgehend konstant gebliebenen Gesamtzahl an Apotheken wird deutlich, dass es sich bei diesem Rückgang nicht um ein statistisches Phänomen, sondern um das konkrete Ergebnis eines Zukaufsmarathons der sogenannten Multiples handelt. Die demografische Entwicklung beschleunigt den Vormarsch der Konzerne: Wo immer sich selbstständige Apotheker zur Ruhe setzen, drängen die Akquisiteure der Großwirtschaft mit Ablöseschecks bereits in die Tür. Die Anleger drücken angesichts günstiger Absatzprognosen für die nächsten Jahrzehnte auch bei überzogenen Kaufpreisen ein Auge zu.
Wettbewerb um Standorte
Ursprünglich hatte die Regierung bei den Arzneimittelausgaben sparen wollen, indem sie kleinen, unrentablen Apotheken den Zugang zum Markt verwehrte. Stattdessen beobachteten die Wettbewerbshüter nun, dass über die Jahre Unsummen im Wettbewerb um Standorte und Konzessionen verbrannt worden waren. Auf bis 26 Millionen Pfund schätzten die Wettbewerbshüter alleine die Ausgaben, die Staat und Steuerzahler die Verwaltung des Systems mit beschränkter Niederlassung pro Jahr kostete.
Außerdem führte die Wettbewerbsbehörde die steigenden Preise und einen sich verschlechternden Service auf die Zutrittsbeschränkungen zurück, welche ihrer Meinung nach den Wettbewerb unter den Anbietern behindern und Apothekenstandorte ruinieren.
Auch eine Studie schwedischer Wissenschaftler kam zu dem Schluss, dass eine Zulassung von Fremd- und Mehrbesitz bei einem gleichzeitigen Festhalten an bestimmten regulatorischen Beschränkungen zu erheblichen Verwerfungen am Markt führt. Insbesondere Niederlassungsbeschränkungen brächten die großen Einheiten in den Genuss spezieller Wettbewerbsvorteile. Nur durch niedrige Zugangsbarrieren könnte, wenn überhaupt, echter Wettbewerb gewährleistet und die Bildung von Oligopolen verhindert werden. Eine komplette Marktfreigabe, darin waren sich die Experten einig, verbietet sich jedoch im Gesundheitswesen.
Unsichere Angelegenheit
Wenngleich Oesterle sich nicht davor scheut, im Wettbewerb um Konzessionen oder Kassenzulassungen für Apotheken einen hohen Preis zu zahlen, geht der Konzernchef mit seinem Doppelspiel ein hohes Risiko auch für sein Unternehmen ein, das die Investoren an den Börsen in Großbritannien und in den USA kaum abschätzen können. Denn auch ohne Vertragsverletzungsverfahren oder EuGH-Urteil sind Niederlassungsbeschränkungen eine unsichere Angelegenheit: So folgte die britische Regierung 2003 zwar nicht den Empfehlungen ihrer Wettbewerbshüter, die eine Abschaffung sämtlicher Barrieren für den Marktzutritt vorsahen. Gesundheits- und Wirtschaftsministerium genehmigten unter dem Einfluss der großen Lebensmittelkonzerne jedoch eine abgespeckte Variante, die ausgerechnet Supermärkten heute die Sonderstellung einräumt, ohne Bedarfsprüfung Apotheken in ihren Filialen zu eröffnen. Seitdem gewinnen die Einzelhandelsgiganten, vor allem im OTC-Bereich, zunehmend Marktanteile - auch zulasten der Apothekenketten.
Andere Nationen waren noch konsequenter: Irland hob unter dem Druck von Verbraucherschützern und Experten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Januar 2002 die 1996 eingeführten Beschränkungen für die Neueröffnung von Apotheken auf. Die norwegische Regierung verzichtete bei der Marktfreigabe im Jahr 2001 von vornherein auf die ursprünglich vorgesehenen strengen Niederlassungsbeschränkungen.
Geschicktes Täuschungsmanöver
Oesterle wird nicht müde, sich auch nach der DocMorris-Übernahme mit seinem Konzept als Retter des deutschen Apothekenwesens zu verkaufen. In einer Pressemitteilung lud Gehe in der vergangenen Woche die Apothekerverbände zur Wiederaufnahme von Gesprächen ein. Doch die Branche fragt sich, ob der Jurist und Europakenner ernsthaft glaubt, bei den Brüsseler Binnenmarktwächtern mit seinem Ersatzmodell für das bestehende, die Niederlassung nicht reglementierende System bestehen zu können, oder ob es sich um ein geschicktes Täuschungsmanöver handelt, um die deutsche Gesundheitspolitik, wie bei der Aufhebung des Versandhandelsverbots im Dezember 2003, erneut zum vorauseilenden Gehorsam zu verleiten und ihr damit einen der letzten Trümpfe der unabhängigen Versorgung aus dem Ärmel zu locken. Erst im vergangenen Jahr hatte die Europäische Kommission Österreich, Spanien und Italien unter anderem eben wegen bestehender geografischer und demografischer Niederlassungsbeschränkungen abgemahnt; die Verfahren laufen noch.
Auch wenn bei der jüngsten Beschwerdeschrift zum französischen Apothekenwesen ähnliche Regularien vorerst nicht beanstandet wurden, bleibt fraglich, wieso Oesterle meint, ein vermeintlich nicht EU-konformes System durch ein anderes, bereits angemahntes Modell ersetzen zu können. Im Bundestag hatten sich vor wenigen Monaten außer den Grünen daher alle Parteien für den Erhalt des Fremd- und Mehrbesitzverbotes ausgesprochen.
Es wird nicht stiller in der Angelegenheit Celesio/Gehe/DocMorris. Warum auch? Immerhin präsentierte der Konzern am Montag dieser Woche seine Zahlen für das erste Quartal. Die Analysten waren zwar irgendwie und ein bisschen enttäuscht von der Unternehmensentwicklung im ersten Quartal. Doch angesichts des DocMorris-Deals tragen nicht wenige Spekulanten die Hoffnung, dass Celesio einen wirklich dicken Fisch an der Angel hat.
Um im Bild zu bleiben: Celesio hat sich tatsächlich einen dicken Fisch geangelt. Aber angerichtet werden kann das Festmahl längst noch nicht. Oesterle hat zwar die Messer gewetzt und will sich lieber jetzt als gleich die schönsten Filets herausschneiden. Aber es hat den Anschein, dass manche Analysten noch nicht bemerkt haben, dass aus dem schmucken Essen noch eine Henkersmahlzeit für den Koch und Angler in Personalunion werden könnte.
Zum einen will Celesio zwar die Prognose für das laufende Jahr aufrechterhalten, läuft aber gerade im deutschen Großhandel Gefahr, Boden zu verlieren. Die Reaktionen aus Gehe-Führungsetage und Vertrieb vermitteln dem geneigten Betrachter und auch den Apothekern kein so schönes Bild. Gehe blutet aus. Oesterle weiß es entweder nicht, es ist ihm egal oder er will es nicht wissen.
Den Analysten und Finanzjournalisten wird er nicht berichtet haben, mit welchen Rabatten er zurzeit Apotheken zum Verbleib bei Gehe locken lässt und wie viele Apotheken bereits das Weite gesucht haben. Im Großhandelsgeschäft wird der Mann noch weniger verdienen als bislang, die Bedeutung seiner Kette wird steigen - für ihn und seine Analysten.
Am Rande einer Großhandelsveranstaltung in Berlin gingen Wettbewerber der deutschen Gehe davon aus, dass sie von der Kundenabwanderung kräftig profitieren könnten. Von mehr als 20 Prozent Umsatzverlust ist da derzeit die Rede, einige sprachen von deutlich mehr.
ln jedem Fall büße Gehe in Deutschland Hunderte Millionen Euro Umsatz ein, heißt es. Oesterle hat das anscheinend noch nicht öffentlich gemacht. Und so bemüht man sich, Im deutschen Markt Kunden durch enorme Rabattleistungen zurückzugewinnen. Die Analysten dürfte interessieren, was hierzulande tatsächlich geschieht. Der Gehe-Aufsichtsrat Dr. Günter Hanke gibt sein Amt auf, die Apothekenkunden wenden sich ab, politische Unterstützung ist rar, ein Urteil zugunsten der Celesio-Pläne ist weder bekannt noch in zeitlicher Nähe. Oesterle bewegt sich auf dünnem Eis, ungewöhnlich für den erfolgsverwöhnten Macher. Ungewöhnlich auch, dass Analysten den Dingen nicht auf den Grund gehen.
Der DocMorris-Deal wird erst im nächsten Quartalbericht eingepreist. Dann wird Oesterle spätestens Farbe bekennen müssen. Und die Analysten werden entscheiden müssen, was Dichtung ist und was Wahrheit. Nicht, dass dann die Seifenblase platzt - und mit ihr das schöne Festmahl. Einen faulen Geruch jedenfalls hat die Sache schon heute.
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion