»Chronische Talente nutzen« |
06.05.2014 15:27 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek/ Menschen mit einer Mukoviszidose sieht man ihre Erkrankung häufig nicht an. Dennoch sind sie beruflich eingeschränkt – durch zeitaufwendige Therapien und oftmals mangelndes Verständnis potenzieller Arbeitgeber. Die Aktion Luftsprung Pro setzt sich für die Integration chronisch Kranker ins Arbeitsleben ein. Die PZ sprach mit dem Stifter und Gründer Volker Potthoff.
PZ: Herr Potthoff, Ihre Stiftung hilft jungen Menschen mit Mukoviszidose und anderen chronischen Erkrankungen bei der Jobsuche. Warum?
Potthoff: Wir wollen zunächst mal ein Bewusstsein schaffen, das es noch gar nicht gibt: Wenn bisher von Inklusion oder Integration von Menschen ins Berufsleben die Rede war, hatte man den körperlich oder geistig Behinderten im Blick. Es gibt aber auch noch den chronisch Kranken, der als solcher zunächst nicht immer erkennbar ist. Wie geht man damit um? Wir sind in der Regel dafür, von Anfang an bei der Bewerbung die Karten offen auf den Tisch zu legen, damit sich die Leute einstellen können. Luftsprung Pro klärt den Arbeitgeber auf und gibt Betroffenen ein Mentoring. Mit dem Schwerpunkt auf der beruflichen Beratung haben wir ein Alleinstellungsmerkmal.
PZ: Worauf muss sich ein Arbeitgeber einstellen bei einem Mitarbeiter mit Mukoviszidose?
Potthoff: Am besten auf flexible Arbeitszeiten. Die Frage ist doch: Wie gestalte ich den Arbeitsplatz? Im 21. Jahrhundert gibt es mit Tele-Arbeitsplätzen, variablen Bürozeiten und Home-Office doch die verschiedensten Möglichkeiten.
Menschen mit Mukoviszidose sind, zumindest teilweise, körperlich leistungseingeschränkt. CF-Betroffene brauchen morgens zum Beispiel etwa eine Stunde für die Inhalationstherapie. Gut, wenn man dann erst um 10 Uhr ins Büro muss. Sie brauchen außerdem genug Zeit für Physiotherapie und Sport und ein bis zwei Wochen im Jahr für die IV-Therapie mit Antibiotika. Viele Menschen mit Mukoviszidose sind untergewichtig, müssen sich Zeit fürs Essen nehmen und auch zwischendurch immer mal etwas essen. Auch, dass sie oft husten, sollte man nicht verschweigen. Das kommt durch die Verschleimung, ist aber nicht ansteckend. Infekte treten bei der Erkrankung häufig mit Fieber auf und müssen zu Hause auskuriert werden. Wenn man von dort aus arbeiten kann, verringert das die Fehlzeiten.
PZ: Einige Probleme klingen ähnlich wie bei anderen Arbeitnehmern auch und scheinen nicht unüberwindlich zu sein. Wie sind die Reaktionen der Firmen?
Potthoff: Wir gehen da erst mal hin und fragen: Ist Inklusion ein Thema für euch? Wenn ja, klären wir auf. Das sind dann sehr offene, interessierte Gespräche. Beispielsweise Buderus, Thermofischer Scientific oder jetzt auch Fraport arbeiten mit uns zusammen. Andere werden demnächst folgen. Wir wollen die Betroffenen unterstützen, sind aber auch ehrliche Partner für die Unternehmen. Etwa ein Dutzend junge Menschen mit Mukoviszidose haben wir zurzeit in der laufenden Betreuung, drei davon sind vermittelt. Wir sind überregional angelegt, über Skype kann man viele Gespräche führen.
PZ: Welche Leistungen bieten Sie Jugendlichen an, die sich an Sie wenden?
Potthoff: Zu Beginn unseres Projekts haben wir Mentoren mit Erfahrung im Coaching gesucht und auch hoch qualifizierte Leute gefunden. Die ersten Jugendlichen mit Mukoviszidose kamen dann aus dem Netzwerk unserer Kuratoriums- und Teammitglieder und vom Verein Mukoviszidose e. V. in Bonn, mit denen wir zusammenarbeiten.
Das Mentoren-Team spricht mit den Kandidaten über ihre Interessen und Stärken und erstellt ein persönliches Leistungsprofil – alles natürlich vor dem Hintergrund des jeweiligen Gesundheitszustands. Es hilft bei der Suche passender Berufe und Berufsperspektiven innerhalb unseres Unternehmensnetzwerks und bereitet Bewerbungsgespräche und -Mappen mit vor. Auch, wenn es mit dem Job geklappt hat, unterstützen die Mentoren die Jugendlichen, ihre Arbeitszeiten und Therapiebedürfnisse aufeinander abzustimmen.
PZ: Gibt es Berufe, die sich gut oder gar nicht eignen bei Mukoviszidose?
Potthoff: Es eignen sich alle Berufe, bei denen keine Dünste, Chemikalien oder Feinstaub freigesetzt werden. Als Schornsteinfeger oder in der Küche zu arbeiten wäre nicht so ideal, aber wenn jemand partout in die Gastronomie will, mischen wir uns nicht ein. Es geht ja auch darum, dass die jungen Leute ihren Platz im Leben finden. Menschen mit chronischen Krankheiten sind häufig unsicher, was sie sich zumuten können und wollen. Die Gesundheitszustände unserer Probanden sind sehr unterschiedlich und reichen vom kaum bemerkbaren periodischen Leistungsabfall bis zu einer deutlichen Schwächung. In diesem Fall sprechen wir auch darüber, ob es sinnvoll ist, einen Vollzeitjob zu machen.
PZ: Wie viele Schulabgänger mit Mukoviszidose gibt es hierzulande? Und wie will Luftsprung Pro sie erreichen?
Potthoff: Das Projekt steckt ja noch in den Kinderschuhen, und wir sind ganz froh, dass es Stück für Stück anläuft. Wir bauen unser Mentoren-Netzwerk aus, denn wir müssen unsere angebotene Hilfe ja auch leisten können. Wir sprechen von 1500 bis 2000 jungen Menschen mit Mukoviszidose, viele von ihnen suchen sich aber auch selbst eine Stelle. Wir haben ein Unterstützer-Netzwerk von rund 650 Leuten. Die müssen nicht alle originär etwas mit Mukoviszidose zu tun haben. Anfang des Jahres fand ein Benefizkonzert mit 200 geladenen Gästen statt. Die sind sensibilisiert für das Thema und tragen es weiter in die Gesellschaft. Als »Give away« gab es hier beispielsweise einen Organspendeausweis. Für Menschen mit Mukoviszidose ist die Transplantation von Organen oft die letzte Überlebenschance, deshalb gehen wir auch mit diesem Thema an die Öffentlichkeit. Wir planen weitere Events und Veranstaltungen, jetzt im Sommer ein Round-Table-Gespräch mit Ärzten, Arbeitgebern und chronisch Kranken unter dem Titel: Chronische Talente nutzen. Wir schreiben aber auch alle CF-Ambulanzen in Deutschland an, damit wir von dort Klientel bekommen.
Offensichtlich haben wir ein spannendes Thema getroffen. Es gibt schon eine Master-Arbeit der betriebswirtschaftlichen Fakultät der Hochschule in Koblenz im Bereich Personalwesen zum Thema »Chronische Erkrankungen und Beruf«. Das Thema hat Potenzial, und man muss mal zwei, drei Jahre abwarten, was dabei herauskommt. Natürlich haben wir auch Visionen: zum Beispiel ein eigenes, von unserer Stiftung betriebenes Unternehmen zu schaffen, wo wir nur chronisch Kranke beschäftigen. /
Aktion Luftsprung – Stiftung für chronisch schwerstkranke Kinder und Jugendliche
65719 Hofheim
Telefon: 06192 9614190
Spendenkonto:
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