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Interview mit Thomas Benkert

Wünsche und Sorgen der Apotheker von morgen 

Weniger Bürokratie und mehr pharmazeutische Kompetenz – das wünschen sich die Apotheker von morgen, wie eine Umfrage der Bundesapothekerkammer (BAK) zeigt. Wie die Chancen dafür stehen, berichtet BAK-Präsident Thomas Benkert im Gespräch mit der PZ.
Carolin Lang
22.04.2021  10:00 Uhr

»Welche Erwartungen hat die kommende Apothekergeneration an die Arbeit von morgen?« Dieser Frage widmete sich das diesjährige Symposium der Bundesapothekerkammer (BAK). Dabei stellte Thomas Benkert Ergebnisse der BAK-Umfrage (PZ Ausgabe 15) zum Thema Selbstständigkeit unter Pharmaziestudierenden, Pharmazeuten im Praktikum (PhiP) und Jungapprobierten vor. Im Interview mit der PZ bewertet er die Ergebnisse und schildert mögliche Konsequenzen.

PZ: Etwa die Hälfte der befragten angehenden Apotheker möchte später in der öffentlichen Apotheke arbeiten. Wie beurteilen Sie dieses Ergebnis?

Benkert: Die Wirklichkeit wird vermutlich etwas anders aussehen. Im Jahr 2020 arbeiteten knapp 80 Prozent der Approbierten in einer öffentlichen Apotheke. Die Diskrepanz zu den Umfrageergebnissen kommt vermutlich daher, dass PhiP und Studierende am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen und noch nicht alle Tätigkeitsfelder ausführlich kennengelernt haben. Ihre Einstellung kann sich also noch ändern. Auch das Thema Familienplanung wird meist erst in höherem Alter relevant.

PZ: Trotzdem scheint es an Nachwuchs in der öffentlichen Apotheke zu mangeln. Warum?

Benkert: Für meine Generation war es völlig normal, nach dem Studium in Vollzeit in den Beruf einzusteigen. Das hat sich mittlerweile geändert. Viele junge Kolleginnen und Kollegen wollen nur in Teilzeit arbeiten, sodass inzwischen mehr Personal nötig ist, um den mittlerweile auch gestiegenen Arbeitsaufwand abdecken zu können. Es wollen also nicht unbedingt weniger Apotheker in der Apotheke arbeiten, sie wollen generell weniger arbeiten.

PZ: Wie kann man die Offizin für junge Pharmazeuten attraktiver machen?

Benkert: Indem man sie für die Arbeit begeistert. Die Weichen dafür kann das Apothekenteam bereits im PJ stellen und vermitteln: Die Offizin ist alles andere als langweilig, jeder Tag ist anders. Neben der Beratung im HV und dem Kundenkontakt sind da noch die Rezeptur, das Medikationsmanagement und bald auch verstärkt pharmazeutische Dienstleistungen. Es gibt viele Bereiche, in denen sich junge Kolleginnen und Kollegen einbringen können. An diese Tätigkeiten sollte man sie schon im PJ heranführen. Für die praktische Ausbildung sollten Apotheken den von der BAK entwickelten Leitfaden nutzen. Hier sehe ich aber auch eine Holschuld bei unseren PhiP, die Nutzung des Leitfadens einzufordern und sich vor dem PJ beispielsweise beim Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) über positiv bewertete Ausbildungsapotheken zu informieren, die sich bei der Betreuung der PhiP an diesem Leitfaden orientieren.

PZ: Nun zum Thema Selbstständigkeit: Etwa 20 Prozent der Befragten wollen in den nächsten Jahren eine Apotheke gründen oder übernehmen. Ist die Zahl zufriedenstellend?

Benkert: Nicht ganz. Die Zahl muss man möglicherweise relativieren, da sich viele die Selbstständigkeit erst mit fortgeschrittenem Alter vorstellen können und sich die Umfrage speziell an junge Pharmazeuten richtet. Unstrittig ist, dass wir junge Menschen mehr als bisher motivieren müssen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Denn es ist extrem wichtig, die Zahl der öffentlichen Apotheken zu erhalten, um die flächendeckende Arzneimittelversorgung und daneben die Infrastruktur und die Lebensqualität gerade auch in ländlichen Regionen zu sichern.

PZ: Etwa ein Drittel der Befragten ist noch unentschlossen, was die Selbstständigkeit betrifft. Mit welchen drei Argumenten würden Sie einen Unentschlossenen überzeugen?

Benkert: Erstens bietet die Selbstständigkeit die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Zweitens kann man als Selbstständiger in der Regel besser verdienen als ein Angestellter. Und drittens ist es ein toller Job, der jedem, der neben der Pharmazie auch Spaß an der Übernahme von Verantwortung, der Organisation und der Arbeit mit Menschen hat, Freude bereitet.

PZ: Junge Pharmazeuten wünschen sich mehr pharmazeutische Entscheidungskompetenz. Sehen Sie hier Potenzial für die Zukunft?

Benkert: Ja, wir sind hier auf einem guten Weg. Wir haben im Rahmen der Covid-19-Pandemie mehr pharmazeutischen Entscheidungsspielraum bekommen, was sich bewährt hat. Das gesundheitliche Wohl der Bevölkerung wurde gesichert, ohne dass dadurch mehr Ausgaben für gesundheitliche Kostenträger entstanden sind. Es hat sich also gezeigt: Die Kompetenz des Apothekers mit einzubinden lohnt sich! Auch die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen, die Apotheken ab dem Jahr 2022 anbieten sollen, erweitern die Möglichkeiten, pharmazeutisches Fachwissen mehr als bisher einzubringen.

PZ: Für die Befragten steht die Sicherheit des Arbeitsplatzes bei der Berufswahl an erster Stelle. Hat die Vor-Ort-Apotheke eine sichere Zukunft?

Benkert: Für mich eindeutig ja. Der Patient und die Krankheit sind analog, nicht digital. Wir Menschen brauchen also den persönlichen Kontakt. Die Pandemie zeigt, dass die Vor-Ort-Apotheke nach wie vor ein wichtiger Anlaufpunkt ist. Auch die künftigen digital ausgerichteten Generationen werden in Situationen kommen, in denen sie persönlichen Rat und Hilfe brauchen. Der Patient muss merken: Hier geht’s nicht um Geld, hier geht’s um meine Gesundheit. So lernen sie den Wert einer Apotheke vor Ort schätzen. Beim anstehenden E-Rezept müssen die Apotheken zeigen: Wir sind persönlich ansprechbar, aber auch digital erreichbar.

PZ: Einer der Hauptgründe gegen die Selbstständigkeit sind laut Umfrage politische Rahmenbedingungen. Welche sind das?

Benkert: Die Ungewissheit, was politisch auf die Vor-Ort-Apotheken zukommen wird. Einerseits wird eine wie auch immer zusammengesetzte neue Regierung mit eigenen Ideen das Gesundheitswesen gestalten wollen. Andererseits sind nach der Pandemie Sparmaßnahmen der Krankenkassen zu erwarten. Beides macht eine mittelfristige Planung nicht nur für uns Apotheker schwierig. Klar ist aber: Wir brauchen von der Politik ein klares Bekenntnis zur Vor-Ort-Apotheke.

PZ: Bürokratieabbau würde die Apotheke als Arbeitsplatz für künftige Apotheker attraktiver machen. Ist das überhaupt möglich?

Benkert: Auf jeden Fall. Dass wir einen erheblichen Dokumentationsaufwand bewältigen müssen, um die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen, ist unvermeidbar. Allerdings gibt es viele Ansatzmöglichkeiten, den bürokratischen Aufwand in vielen anderen Bereichen der Apotheke zu minimieren. Und ich hoffe sehr, dass er mit der zunehmenden Digitalisierung in vielen Bereichen abnehmen wird.

PZ: Der kommenden Generation ist die Work-Life-Balance sehr wichtig. Wie lässt sich das mit einer inhabergeführten Apotheke vereinbaren?

Benkert: Als offene Handelsgesellschaft (OHG) lässt sich die Apothekenleitung auch auf mehrere Schultern verteilen. Eine Filialleitung in Teilzeit ist aufgrund der rechtlichen Vorgaben derzeit leider nicht möglich, wäre jedoch im Hinblick auf künftige Rechtsänderungen eine Überlegung wert.

PZ: Frauen machen etwa 70 Prozent der Apothekerschaft, aber weniger als die Hälfte der Inhaber aus. Wie kann man Frauen mehr unterstützen?

Benkert: Das ist sicherlich dem geschuldet, dass wir immer noch ein sehr traditionelles Rollenverständnis haben und Frauen in der Familie häufig die Kindererziehung übernehmen. Ich merke das selbst in meiner Apotheke: Wenn das Kind krank ist, bleibt die Mutter zu Hause. Wieso nicht mal der Vater?

PZ: Junge Pharmazeuten wünschen sich als Unterstützung in die Selbstständigkeit betriebswirtschaftliche Fortbildungen und Mentoren-Programme. Welche Angebote sind konkret in Planung?

Benkert: Wir als Bundesapothekerkammer können bei den Landesverbänden und -kammern Impulse für betriebswirtschaftliche Seminare setzen. Das wäre ein wichtiges Angebot, um den Jungapprobierten mehr Sicherheit in diesem Bereich zu geben. So auch die Einführung von Mentoren-Programmen, bei denen die jungen Kolleginnen und Kollegen von einem erfahrenen Selbstständigen – möglicherweise auch im Ruhestand – begleitet werden. Eine individuellere Möglichkeit ist, einen Jungapprobierten vor der Apothekenübergabe in Form einer OHG mit ins Boot zu holen. Der ursprüngliche Inhaber zieht sich dann schrittweise zurück.

PZ: Was wünschen Sie sich von der kommenden Generation?

Benkert: Enthusiasmus, Engagement und Euphorie. Aber ich glaube, dass davon genug vorhanden ist. Die Generation, die kommt, will sich selbst verwirklichen. Ich kann den Wunsch nach einer Work-Life-Balance nachvollziehen. Hier muss man Wege finden, diese in der Offizin zu ermöglichen.

PZ: Welche Konsequenzen zieht die BAK aus der Umfrage?

Benkert: Wir müssen die Weichen dafür stellen, dass in Zukunft genügend Kolleginnen und Kollegen in der Offizin arbeiten wollen. Besonders hinsichtlich des vermehrten Bedürfnisses nach Teilzeit. Wir müssen unseren Berufsnachwuchs mit dem Feuer der Begeisterung infizieren. Dazu könnte ich mir vorstellen, dass junge selbstständige Apothekerinnen und Apotheker bei den begleitenden Unterrichtsveranstaltungen von ihren Erfahrungen berichten. Ein etwa Gleichaltriger dringt vielleicht eher zu den angehenden Kolleginnen und Kollegen durch. Außerdem wollen wir die Approbationsordnung für Apotheker dahingehend ändern, dass pharmazeutische Dienstleistungen und die klinische Pharmazie schon während des Studiums noch mehr als bisher in den Fokus rücken und so die pharmazeutische Kompetenz mehr gewichten. Das wird langfristig der Weg sein, wie wir uns als Heilberufler beweisen können.

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