»Pack die Badehose ein« |
29.05.2017 15:32 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek / Die Autorin Christine Schön produziert Radiosendungen auf CD für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Die PZ sprach mit ihr über die Chancen, miteinander in Kontakt zu bleiben, wenn Kommunikation durch kognitive Einschränkungen schwieriger wird.
PZ: Es gibt viele Sendungen und Berichte über Menschen mit Demenz. Das Audiomagazin »Hörzeit« richtet sich aber erstmals an die Betroffenen selbst. Wie kam es dazu?
»Hörzeit will die Menschen emotional berühren.«
Christine Schön
Schön: Vor zehn Jahren bemerkte ich Veränderungen in der eigenen Familie bei einem Angehörigen, die mich sehr verwunderten. Dieser konnte zum Beispiel keine Überweisungen mehr ausfüllen und wirkte bei allem, was er tat, schnell überfordert. Als er nach einer Operation im Krankenhaus davon sprach, dass ihn prominente Persönlichkeiten wie der Bundespräsident besucht hätten, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Ich habe dann die typischen »Anfängerfehler« gemacht. Zum Beispiel gefragt, was es zum Mittagessen gab, oder ob er sich an gemeinsame Urlaube erinnere – alles, um ihn in die Realität zurückzuziehen. Was jedoch sinnlos war. Wir waren beide in unseren Welten gefangen und wussten nicht weiter. Das gab den Ausschlag, mich mit dem Thema »kognitive Einschränkungen« näher zu beschäftigen.
PZ: Bei Menschen mit Demenz verändern sich nach und nach Sprachverständnis und Mitteilungsfähigkeit. Sogenannte normale Unterhaltungen sind nicht mehr möglich. Was kann man tun, damit der Kontakt zwischen Kranken und Gesunden nicht abreißt?
Schön: Tatsächlich bringt es nichts, einen Menschen mit Demenz darauf hinzuweisen, dass er eine Frage vor fünf Minuten schon einmal gestellt hat. Das löst eher Konflikte und Aggressionen aus. Man muss auch verstehen lernen, dass bei dieser Erkrankung Vergangenheit und Gegenwart durcheinandergeraten. Da wird man im Alter von vielleicht 80 Jahren wieder zum 15-jährigen Libero der früheren Fußballmannschaft. Vernünftiges Zureden und Argumente holen einen hier nicht heraus. Wenn in der Umgebung eines Menschen mit Demenz ständig von Dingen die Rede ist, die er nicht versteht, reagiert er mit Recht verstört, ärgerlich und zieht sich zurück. Bei Demenz funktioniert Kommunikation nicht mehr über kognitive Reize, sondern über emotionale.
PZ: Auf diese emotionalen Impulse setzen Sie bei Ihrer Audio-CD. Wie funktioniert »Hörzeit?
Schön: Als Rundfunk-Autorin und Radio-Frau mit Leib und Seele kam mir die Idee, eine Radio-Sendung im Stil der 1950er-Jahre auf CD zu produzieren. Das Radio war lange Zeit das Hauptmedium der heute älteren Menschen. Mein Vater erzählte zum Beispiel immer davon, wie er und seine Freunde früher begeistert Sportübertragungen vor dem Lautsprecher hörten.
»Hörzeit«-CDs sind Radio-Sendungen im Stil der 1950er-Jahre
Foto: Fotolia/Maurice Tricatelle
Bei »Hörzeit« geht es darum, dass demente Menschen und ihre Angehörigen und Pflegenden einen Bezug zueinander finden, und dass sich eine Tür öffnet in die Welt des jeweils anderen. Zum Beispiel, indem man gemeinsam Musik hört und singt. Musik ist zur Aktivierung von Menschen mit Demenz bestens geeignet. Die erste CD hatte das Thema »Kinder«. Wir spielen Lieder wie »Oh mein Papa«, »Pack die Badehose ein« oder Mozarts »Kleine Nachtmusik«, die jeder mitsingen oder summen kann. In mehrmonatigen, von Experten begleiteten, Testphasen konnten wir sehen, dass das fantastisch funktioniert. Bei noch nicht so weit fortgeschrittener Demenz haben die Leute angefangen zu tanzen und begonnen, sich zu öffnen und von früher zu erzählen. Und wenn jemand nicht mehr so kann, ist es auch schon viel und wunderbar, wenn er oder sie sich mit der Musik im Takt wiegt. »Hörzeit« will die Menschen emotional berühren – mit Musik, allgemeinverständlichen Themen, Sprichwörtern und Reimen. Die zweite CD hat zum Beispiel das Thema »Reisen«, denn in den 1950er-Jahren begann die große Reisewelle in Deutschland. Es ist berührend zu sehen, dass Menschen ihren Namen nicht mehr wissen, aber alle Strophen von »Hoch auf dem gelben Wagen« ohne Probleme singen können.
PZ: Warum produzieren Sie CDs und keine Live-Sendung im Radio? Mit rund 1,5 Millionen Betroffenen sind an Demenz erkrankte Menschen ja kein kleines Publikum. Dazu kommen noch die pflegenden Angehörigen.
Schön: Dafür einen Sendeplatz zu bekommen, ist zunächst einmal nicht so einfach. CDs haben zudem den Vorteil, dass man seine Lieblingsstellen immer wieder anhören kann. Der eine mag eher Klassik, der andere lieber Schlager. Die Audiomagazine sind auch bewusst langsam produziert – um Raum zu lassen für Gefühle, Erinnerungen und gemeinsame Augenblicke. Wir vermitteln nicht zu viele Informationen und verzichten auf schnelle Schnitte. Das war für mich und meinen Co-Moderator Frank Kaspar zunächst eine große Umstellung, weil wir schnelleres Radio gewöhnt sind. Man muss sich etwas trauen und den Mut zur Langsamkeit haben.
Menschen mit Demenz sind außerdem das anspruchsvollste Publikum, das ich je hatte. Wenn wir als Moderatoren nicht in jeder Sekunde authentisch sind, also das sagen, was wir wirklich in dem Moment meinen, hören sie nicht mehr zu. Die Emotionen müssen absolut stimmen. Wenn ich im Kopf schon in der nächsten Moderation bin, merken sie das sofort. Die Regie bei den Aufnahmen merkt es auch und sagt: Stopp.
PZ: Wie geht es weiter mit der »Hörzeit«?
Schön: Es wird demnächst eine dritte CD geben, diesmal zum Thema »Berufe«. Sie richtet sich an alle, vor allem aber auch an Männer. Es war mir wichtig, etwas für sie zu machen, denn sie kommen in der Betreuung von Menschen mit Demenz manchmal etwas zu kurz. Sie sitzen mit den Frauen in Bastel- und Handarbeitsgruppen, würden aber vielleicht lieber etwas reparieren oder drechseln. Hier findet langsam ein Umdenken statt. Um Männer emotional besser zu erreichen, muss man ihre Vorlieben und Fähigkeiten berücksichtigen.
Darüber hinaus überlegen wir, auf Tour zu gehen und Podiumsdiskussionen zum Thema »Demenz« zu veranstalten. Um zu zeigen, dass es für Gesunde und Kranke möglich ist, miteinander im Gespräch und in Kontakt zu bleiben. Wir denken auch recht konkret über Kooperationen zur Evaluierung des Projekts nach. Das Interesse in der Fachwelt und bei den Medien wächst. Ansonsten ist die »Hörzeit« ein Longseller – und wird ja nicht alt. /
Die Hörzeit-CDs
erscheinen im Medhochzwei-Verlag und kosten je 24,99 Euro