Missstände auf vielen Seiten |
30.04.2012 18:38 Uhr |
Werner Kurzlechner, Berlin / Eine Reihe mittelständischer Pharmahersteller hat sich seit Jahren dem strengen Lauterkeitskodex der AKG unterworfen. Auf der Jahrestagung zeigte sich aber einmal mehr, dass das Problem der Einflussnahme der Industrie auf viele Ärzte weiter ungelöst bleibt.
Es hat seinen charmanten Reiz, wenn im vertrauten Chor auf der gesundheitspolitischen Bühne Berlin eher selten zu hörende Stimmen erklingen. Vergangene Woche war dies auf der Mitgliederversammlung des Vereins Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen (AKG) der Fall. Das Grußwort sprach Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag.
Kauder verteidigt GKV-Überschüsse
Der Politik-Generalist stellte erst einmal klar, dass er in medizinischen und gesundheitspolitischen Fragen keineswegs unbeleckt sei. Schließlich habe seine Frau lange als Kardiologin in einem Krankenhaus gearbeitet und habe jetzt eine Praxis für medizinische Psychotherapie in Stuttgart. Verständig auch aus Apothekersicht klang dann seine Wertung des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG). »Ich weiß sehr wohl, was wir der pharmazeutischen Industrie und auch den Apotheken mit dem AMNOG zugemutet haben«, sagte Kauder. Möglicherweise habe man sogar »die Schraube eine Umdrehung zu stark angezogen«.
Korruption im Gesundheitswesen ist immer noch ein großes Problem. Häufig versuchen Pharmahersteller, Ärzte zu beeinflussen.
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Derlei Selbstreflexion mag ehrlich gemeint sein und Mut machen für künftige Auseinandersetzungen und politische Entscheidungen, für den Augenblick scheint sie aber folgenlos zu bleiben. Denn Kauder stellte auch klar, dass die derzeitigen Milliardenüberschüsse in der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht dazu da seien, erneut Begierden zu wecken.
Neben einigen Ausführungen zur Verbesserung der ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen hatte Kauder einige lobende Worte für die 103 in der AKG zusammengeschlossenen Arzneimittelhersteller im Gepäck. Allgemein betonte der CDU-Politiker, dass er die weit verbreiteten Vorbehalte speziell gegen die Pharmaindustrie nicht teile. Aus seiner Sicht sei Daseinszweck der Hersteller nicht Gewinnmaximierung, sondern Innovation – was durch das AMNOG auch nicht infrage gestellt sei.
Ausdrückliches Lob gab es von Kauder für den Vereinszweck des AKG als Instrument einer freiwilligen Selbstkontrolle auf Herstellerseite und den seit 2008 bestehenden Verhaltenskodex. Darin heißt es unter anderem: »Durch den AKG-Verhaltenskodex ist sichergestellt, dass die Pharmaunternehmen wissenschaftliche Informationen über Arzneimittel wahrheitsgetreu vermitteln, täuschende Praktiken unterlassen, Interessenkonflikte mit Angehörigen der Fachkreise vermeiden sowie entsprechend den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen handeln.«
Dieses Streben nach lauterem Wettbewerb bestärkte Kauder ausdrücklich, wenngleich mit einer kleinen Einschränkung. »Interne Selbstkontrolle kann Gesetze nicht ersetzen«, so der Fraktionschef. »Aber sie trägt damit zu gesetzeskonformem Verhalten bei.« Als Richtschnur für moralisch richtiges Handeln gab Kauder den AKG-Mitgliedern eine Faustformel mit auf den Weg: »Man tut nicht, was gemeinhin als unanständig gilt.«
Mehr Geld für Marketing als für Entwicklung
Dass es in der Praxis noch jede Menge aufzuarbeiten gilt, machte als Gastredner Professor Wolf-Dieter Ludwig deutlich, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Ludwig kritisierte zwar auch die Pharmahersteller – unter anderem dafür, dass oftmals das Marketingbudget größer sei als jenes für Forschung und Entwicklung – und forderte mehr Transparenz bei Studien sowie Arzneimittelforschung nach der Zulassung ein.
Vor allen Dingen nahm Ludwig aber den eigenen Berufsstand ins Visier, der sich im Austausch mit Herstellern oft auf subtile Weise beeinflussen lasse. Als Beispiel nannte er Studien, laut denen das Gros der Ärzteschaft zwar andere Mediziner für beeinflussbar durch die Pharmaindustrie, sich selbst jedoch für nicht korrumpierbar hält. Selbst als Kenner der Materie und Onkologe zeigte sich Ludwig »entsetzt« über das unlängst unter dem Etikett »Krebs-Mafia« aufgedeckte Geflecht gegenseitiger Vorteilsnahme zwischen Pharmagroßhändlern, Apotheken und Krebsmedizinern. »Es gibt Missstände auf vielen Seiten, die aufgedeckt gehören«, forderte der AkdÄ-Chef. /