Allopurinol und ACE-Hemmer |
29.04.2008 11:34 Uhr |
Allopurinol und ACE-Hemmer
Von Andrea Gerdemann, Nina Griese und Martin Schulz
ACE-Hemmer können mit Allopurinol interagieren und dabei möglicherweise immunologische Reaktionen hervorrufen. Allerdings stehen diesbezüglich kaum Daten zur Verfügung. Die Relevanz der Interaktion lässt sich dennoch abschätzen.
Das Urikostatikum Allopurinol ist Standardsubstanz zur Behandlung der chronischen Gicht, einer Stoffwechselerkrankung, die mit erhöhten Harnsäurespiegeln einhergeht. Es wird zur dauerhaften Senkung der Harnsäurespiegel eingesetzt. 2006 wurden 327 Millionen Tagesdosen von Allopurinol zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet (1). Damit entfielen darauf 95 Prozent aller Verordnungen zur Behandlung der Gicht.
ACE-Hemmer haben heute einen festen Platz in der Behandlung der Hypertonie und der Herzinsuffizienz (2). Nach aktuellen Leitlinien werden sie als Mittel der Wahl zur antihypertensiven Therapie insbesondere bei Risikopatienten mit Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrankheit oder Nephropathie empfohlen (1).
ACE-Hemmer sind Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems. Wichtiger Mediator dieses Systems ist Angiotensin-II, einer der stärksten direkten Vasokonstriktoren (2). Zusätzlich hat Angiotensin-II zahlreiche indirekte Gefäßeffekte, da es die Freisetzung von Noradrenalin, die adrenale Aldosteronsynthese, die tubuläre Natriumrückresorption und die Bildung von Wachstumsfaktoren erhöht.
Im Allgemeinen sind die ACE-Hemmer nebenwirkungsarm. Bei bis zu 10 bis 15 Prozent der behandelten Patienten tritt trockener Husten auf, selten kommt es zu einer Hyperkaliämie. In sehr seltenen Fällen (< 0,1 Prozent) treten unter ACE-Hemmer-Therapie Neutropenie beziehungsweise Agranulozytose, Thrombozytopenie und Anämie auf (2).
Die breite therapeutische Bedeutung der ACE-Hemmer manifestiert sich in der Zunahme ihrer Anwendung. Das Verordnungsvolumen ist in den vergangenen zehn Jahren um das 3,5-Fache gestiegen und hat im Jahr 2o06 3,7 Milliarden definierte Tagesdosen (DDD) erreicht (1). Der Hauptteil der Patienten (76 Prozent) wurde mit einem Monopräparat behandelt, wobei Ramipril der am häufigsten verordnete ACE-Hemmer war. Unterschiede zwischen den ACE-Hemmern liegen vor allem in der Kinetik.
Bei der gemeinsamen Einnahme von ACE-Hemmern und Allopurinol kann es möglicherweise zu immunologischen Reaktionen kommen (3, 4). Doch sind sie nur in wenigen Fallberichten belegt, scheinen sehr selten aufzutreten und nicht vorhersehbar zu sein (3). Der zugrunde liegende Mechanismus ist nicht bekannt. Möglicherweise liegt eine additive Wirkung auf immunologische Parameter vor (3, 4). Es ist aber auch möglich, dass die vorliegenden Fallberichte nur mit der Einnahme von Allopurinol oder auch des ACE-Hemmers zu erklären sind, da jeder Arzneistoff für sich genommen immunologische Reaktionen hervorrufen kann. Eine pharmakokinetische Interaktion erscheint unwahrscheinlich. Eine Studie mit zwölf Probanden, die Allopurinol und den ACE-Hemmer Captopril sowohl getrennt als auch in Kombination eingenommen haben, zeigte keine Veränderungen in der Pharmakokinetik (5).
Aufgrund von fünf Fallberichten wird vermutet, dass bei gleichzeitiger Behandlung mit Allopurinol und Captopril das Risiko für immunologische Reaktionen wie Leukopenie und Stevens-Johnson-Syndrom erhöht ist. Immunologische Reaktionen traten auf, kurz nachdem die Patienten während einer Captopril-Behandlung mit der Anwendung von Allopurinol begonnen hatten (3, 6, 7). Der Zeitpunkt des Auftretens der unerwünschten Arzneimittelwirkung lag dabei innerhalb von Tagen bis mehreren Wochen. Ein weiterer Fallbericht liegt zu der gemeinsamen Einnahme von Enalapril und Allopurinol vor (8). Ein Mann, der Enalapril einnahm, bekam 20 Minuten nach der Einnahme von 100 mg Allopurinol eine akute anaphylaktische Reaktion mit schweren Koronarspasmen. Ein Risikofaktor für das Auftreten der beobachteten immunologischen Reaktionen scheint eine Niereninsuffizienz zu sein (3, 4).
Blutbildkontrollen erforderlich
Die pharmazeutischen Hersteller führen die gleichzeitige Behandlung von Allopurinol und ACE-Hemmern in ihren Fachinformationen unter den Warnhinweisen auf. Bei der Anwendung von Captopril zusammen mit Allopurinol empfehlen die meisten, das Differenzialblutbild vor der Therapie, alle zwei Wochen während der ersten drei Therapiemonate und danach in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren. Während der Behandlung sollten alle Patienten angewiesen werden, den Arzt über jedes Anzeichen einer Infektion wie etwa Halsschmerzen oder Fieber zu informieren. In diesem Fall sollte ein Differenzialblutbild erstellt werden.
Bei anderen ACE-Hemmern soll die gemeinsame Einnahme laut Angaben in den Fachinformationen nur nach kritischer Nutzen-Risiko-Bewertung und unter regelmäßiger Kontrolle klinischer und laborchemischer Parameter vorgenommen werden. Patienten sollten ihrem Arzt alle Anzeichen einer Infektion berichten. Auch Interaktiondatenbanken schließen sich dieser Empfehlung an (9). Ein Übersichtsartikel zu Interaktionen mit ACE-Hemmern kommt zu dem Schluss, dass auf der Basis von einzelnen Fallberichten keine gesicherten Empfehlungen abgeleitet werden können (10). Da es sich allerdings möglicherweise um schwerwiegende Interaktionen handeln könnte, sollten Ärzte sich ihrer bewusst sein, insbesondere bei Patienten mit Niereninsuffizienz.
Für die Apothekenpraxis
Um in der Apotheke die klinische Relevanz dieser Interaktionenen für den individuellen Patienten abzuklären, dient als erstes die Frage nach der Erst- oder Wiederholungsverordnung. Bei Letzterem ist die Frage nach der bisherigen Einnahmedauer entscheidend. Da die unerwünschten Arzneimittelreaktionen nach dem bisherigen Kenntnisstand nur innerhalb einiger Wochen nach dem Start der gemeinsamen Einnahme aufgetreten sind, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Reaktionen nach drei Monaten noch auftreten. Beide Arzneistoffgruppen werden, wie man an der Häufigkeit der Interaktionsmeldungen sehen konnte, relativ oft kombiniert, führen aber, wenn überhaupt, nur sehr selten zu schweren Interaktionen. Für die Intervention in der Apotheke bei einer Erstverordnung bietet sich daher die Diskussion dieser Interaktion mit Ärzten an, die diese Kombination häufiger verordnen. Hier kann eine gemeinsame Interventionsstrategie besprochen werden. Zum Beispiel kann vereinbart werden, dass die Apotheke den verordnenden Arzt immer bei einer Erstverordnung mit Hilfe eines Faxes auf die potenzielle Interaktion aufmerksam macht. Eine andere Möglichkeit ist, dass dieser nur informiert wird, wenn eine Erstverordnung von einem anderen Arzt vorliegt. Eine Abklärung im Vorfeld ist sinnvoll und wird das Management dieser Interaktion bei einer Erstverordnung vereinfachen.
Literatur
...bei den Verfassern
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