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Neu auf dem Markt

Exenatide und Sitagliptin

27.04.2007  15:23 Uhr

Neu auf dem Markt

Exenatide und Sitagliptin

Von Brigitte M. Gensthaler und Kerstin A. Gräfe

 

Für Typ-2-Diabetiker sind seit April erste Vertreter von zwei neuen Wirkstoffklassen auf dem Markt. Exenatide gehört zu den Inkretinmimetika und Sitagliptin zu den Dipeptidylpeptidase-4-Hemmern. In Studien reduzierten beide Arzneistoffe bei Typ-2-Diabetikern signifikant den Blutzucker- und HbA1c-Spiegel.

 

Exenatide

Mit Exenatide ist der erste Vertreter der  Inkretinmimetika auf dem Markt. Der Arzneistoff ist in Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoff-Präparaten bei Typ-2-Diabetikern indiziert, deren Blutzucker mit der maximal verträglichen Dosis dieser oralen Therapeutika nur unzureichend eingestellt werden konnte (ByettaTM 5 und 10 µg Injektionslösung Fertigpen, Lilly Deutschland).

 

Exenatide ist die synthetische Form des Peptidhormons Exendin-4, das im Speichel der nordamerikanischen Krustenechse Heloderma suspectum (Gila Lizard) vorkommt. Die Echse hat sich hervorragend an eine unregelmäßige Nahrungsaufnahme angepasst. Sie nimmt nur viermal im Jahr Nahrung auf und schaltet ihr Pankreas den Rest der Zeit aus. Steht eine Mahlzeit an, wird es mittels Exendin-4 »angeworfen«. Dieses Hormon stimuliert bei der Echse, ähnlich wie das humane Glucagon-like-peptide-1 (GLP-1) beim Menschen, glucoseabhängig unter anderem die Insulinsekretion des Pankreas (siehe Kasten). Exenatide, dessen Aminosäuresequenz teilweise mit der von humanem GLP-1 übereinstimmt, wirkt in gleicher Weise wie Exendin-4.

 

Die empfohlene Anfangsdosis beträgt zweimal täglich 5 µg Exenatide für mindestens einen Monat. Danach kann die Dosis auf zweimal täglich 10 µg gesteigert werden. Sie sollte vor zwei Hauptmahlzeiten, zum Beispiel Frühstück und Abendessen, subcutan in Oberschenkel,  Bauch oder Oberarm injiziert werden. Der Fertigpen muss nach jedem Gebrauch wieder im Kühlschrank aufbewahrt werden. Byetta darf nicht nach einer Mahlzeit angewendet werden.

 

Nach subcutaner Gabe wird Exenatide schnell absorbiert. Die relative Bioverfügbarkeit liegt zwischen 93 und 97 Prozent, maximale Plasmaspiegel werden nach zwei Stunden erreicht. Die Halbwertszeit beträgt 2,4 Stunden. Der Arzneistoff wird hauptsächlich über die Nieren abgebaut, zum größten Teil durch enzymatische Spaltung.

 

Da Exenatide die Magenentleerung verlangsamt (siehe Kasten), können Ausmaß und Resorption gleichzeitig peroral eingenommener Arzneimittel verringert sein. Vor allem bei Medikamenten wie Kontrazeptiva und Antibiotika, deren Wirkung von einer Mindestkonzentration abhängt, sollte der Apotheker die Patienten darauf hinweisen, diese mindestens eine Stunde vor der Injektion einzunehmen.

Zwei Wirkstoffklassen, ein Ziel

GLP-1-Analoga und DPP-4-Hemmer sind zwei neue antidiabetisch wirksame Substanzklassen. Die Wirkstoffe steigern auf unterschiedliche Weise die Aktivität des Darmhormons Glucagon-like peptide-1 (GLP-1). Mit Exenatide und Sitagliptin ist jetzt jeweils ein erster Vertreter auf den deutschen Markt gekommen.

 

GLP-1 gehört ebenso wie das Glucose-dependent-insulinotropic-peptide (GIP) zur Gruppe der Inkretinhormone. Nach der Aufnahme von Kohlenhydraten sezernieren die endokrinen L-Zellen im Dünndarm GLP-1, während K-Zellen GIP in den Blutkreislauf abgegeben. Als Folge steigt die Insulinsekretion: Etwa 60 Prozent der postprandialen Insulinantwort gehen auf das Konto der beiden Peptide. Dies geschieht jedoch nur unter hyperglykämischen Bedingungen; bei Normo- oder Hypoglykämie erhöhen die Peptide die Insulinsekretion nicht. Man weiß seit Langem, dass der Inkretineffekt bei Menschen mit Typ-2-Diabetes vermindert ist. GIP wirkt hier erheblich schwächer und die Plasmakonzentrationen von GLP-1-sind niedriger.

 

GLP-1 hat vielfältige Effekte. Es hemmt die Glucagonfreisetzung, die bei Typ-2-Diabetikern oft erhöht ist. In der Folge sinkt die hepatische Glucoseproduktion. Zudem verzögert es die Magenentleerung. In-vitro- und Tierstudien deuten darauf hin, dass das Inkretinhormon die Replikation und Neubildung von Betazellen des Pankreas stimulieren und deren Apoptose verhindern kann. Allerdings hat das endogene GLP-1 nur eine sehr kurze Halbwertszeit, da es innerhalb weniger Minuten durch die Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) zu unwirksamen Metaboliten abgebaut wird. DDP-4 ist ein ubiquitär vorkommendes Enzym, das im Endothel verschiedener Organe und auf aktivierten T-Lymphozyten (CD26) gefunden wurde. Es bindet viele Peptide, hat aber die höchste Affinität zu GLP-1.

 

Das synthetische Peptid Exenatide ähnelt strukturell dem GLP-1 und bindet an den gleichen Rezeptor wie das natürliche Substrat, wird aber nicht durch DPP-4 abgebaut. Exenatide wird heute gentechnisch hergestellt. Bei der Therapie mit dem Inkretinhormon-Analoga wird die orale Medikation unverändert fortgeführt und das Analogon zusätzlich injiziert.

 

Ein anderer Weg, die Wirkung des endogenen GLP-1 zu steigern, ist die Hemmung seines Abbaus. Wird DPP-4 gehemmt, bleiben GLP-1, GIP und andere Substrate des Enzyms länger aktiv. Diesen Ansatz verfolgen die peroral bioverfügbaren DPP-4-Hemmer Sitagliptin und das noch nicht zugelassene Vildagliptin. In einer Tagesdosis über 50 mg erreicht Sitagliptin im Mittel eine etwa 80-prozentige Hemmung der DPP-4. Daraus resultierte in Studien ein zwei- bis dreifach höherer Spiegel an aktivem GLP-1. Ob DPP-4-Hemmer auch das Immunsystem beeinflussen, ist noch nicht klar. Allerdings zeigten sich in klinischen Studien keine diesbezüglichen schweren Nebenwirkungen.

Die Zulassung beruht auf fünf Studien mit knapp 4000 Typ-2-Diabetikern. In drei Studien wurde der Arzneistoff gegen Placebo getestet, in zwei weiteren gegen Insulin, jeweils zusätzlich zur peroralen antidiabetischen Basistherapie. In den placebokontrollierten Studien über 30 Wochen reduzierte Exenatide (zweimal täglich 10 µg) den HbA1c-Wert und das Körpergewicht unabhängig davon, ob der Arzneistoff mit Metformin, Sulfonylharnstoff oder einer Kombination von beiden angewendet wurde.

 

In den Studien gegen ein Insulin besserte Exenatide (zweimal täglich 5 µg über vier Wochen, anschließend zweimal täglich 10 µg) in Kombination mit Metformin und Sulfonylharnstoff signifikant die glykämische Kontrolle, was anhand der Abnahme des HbA1c-Wertes erfasst wurde. Dabei war die Wirkung in einer 26-wöchigen Studie der von Insulin glargin beziehungsweise in einer 52-wöchigen Studie der von Insulin aspart vergleichbar (Exenatide minus 1,13 und minus 1,01 Prozent, Insulin glargin minus 1,10 und Insulin Aspartat minus 0,86 Prozent). In den Studien über 26 und 52 Wochen nahmen die Patienten in der Exenatide-Gruppe 2,3 sowie 2,5 kg ab. Die Insulinbehandlung war mit einer Gewichtszunahme verbunden.

 

Häufigste Nebenwirkungen unter dem neuen Arzneistoff waren Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Hypoglykämien traten vor allem bei der Kombination mit einem Sulfonylharnstoff auf.

 

Sitagliptin

 

Mit Sitagliptin ist der erste Vertreter der DPP4-Inhibitoren auf den Markt gekommen (Kasten). Januvia® (100 mg Sitagliptin, MSD) ist in Kombination mit Metformin oder einem Thiazolidindion (PPARγ-Agonisten) zugelassen zur Therapie des Typ-2-Diabetes, wenn der Blutzuckerspiegel durch Diät und Bewegung plus einer Monotherapie nicht ausreichend kontrolliert werden kann.

 

Die Patienten nehmen einmal täglich 100 mg Wirkstoff unabhängig von einer Mahlzeit ein. Der Arzneistoff wird rasch resorbiert, wobei maximale Plasmakonzentrationen nach ein bis vier Stunden gemessen wurden. Die absolute Bioverfügbarkeit beträgt 87 Prozent. Der Wirkstoff wird vorwiegend unverändert renal ausgeschieden. Klinisch relevante Interaktionen mit anderen Arzneistoffen sind nicht zu erwarten.

 

In vier großen Studien wurden Wirksamkeit und Sicherheit des neuen Medikaments in der Monotherapie sowie in Kombination mit Metformin oder Pioglitazon über 18 bis 24 Wochen geprüft. In der Monotherapie reduzierte Sitagliptin sowohl den HbA1c-Wert als auch Nüchtern- und postprandiale Blutzuckerwerte signifikant stärker als Placebo. Der Effekt war ausgeprägter bei Patienten, die einen höheren Ausgangs-HbA1c oder eine Diabetes-Anamnese unter drei Jahren hatten. Die Betazellfunktion wurde über Surrogatmarker erfasst; diese verbesserten sich unter der Therapie. In puncto Hypoglykämie und Magen-Darm-Beschwerden unterschieden sich Verum und Placebo nicht signifikant. Unter Sitagliptin legten die Patienten nicht an Gewicht zu.

 

In den Kombistudien senkte die Zugabe von Sitagliptin zu Metformin oder Pioglitazon die Langzeit-, Nüchtern- und postprandialen Blutzuckerwerte ebenfalls signifikant besser als ein Placebozusatz. Deutlich mehr Patienten erreichten mit Sitagliptin einen Ziel-HbA1c unter 7 Prozent (47 versus 18 Prozent in der Metformin-Studie und 45 versus 23 Prozent in der Glitazon-Studie). Das Hypoglykämie-Risiko war nicht merklich erhöht (1,2 Prozent der Patienten mit dem Gliptin gegenüber 0,9 Prozent in der Placebogruppe).  

 

Eine Einjahresstudie verglich die zusätzliche Gabe von Sitagliptin oder dem Sulfonylharnstoff Glipizid (in Deutschland nicht auf dem Markt) bei Patienten mit unzureichender Blutzuckerkontrolle unter Metformin-Monotherapie. Die beiden Arzneistoffe waren vergleichbar gut wirksam. Jedoch brach fast ein Drittel der Patienten die Studie vorzeitig ab (374 von 1172 Teilnehmern). Im Sitagliptin-Arm taten dies mehr Patienten wegen mangelnder Wirksamkeit als unter Glipizid. Andererseits traten unter dem Neuling signifikant weniger Hypoglykämien auf (5 versus 32 Prozent).

 

Übelkeit, Flatulenz, Obstipation, periphere Ödeme und Hypoglykämien waren die häufigsten Nebenwirkungen bei den Kombitherapien. Bei einer Monotherapie berichteten die Patienten über Hypoglykämie, Kopfschmerzen, Erkältungen, Entzündungen im Nasen-Rachen-Raum oder an den Gelenken. Ob bei langfristiger Anwendung neue unerwünschte Effekte, zum Beispiel auf das Immunsystem, auftreten, ist offen.

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