Es gibt noch einige Probleme |
18.04.2018 10:24 Uhr |
Von Daniela Hüttemann, Hamburg / Gut ein Jahr nach der Legalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken bestehen noch einige Probleme: Wenig Evidenz, Unsicherheiten bei der Verordnung, abgelehnte Anträge, Preisdiskussionen, Lieferprobleme und gescheiterte Ausschreibungsverfahren.
Grundsätzlich ist die Verfügbarkeit von medizinischem Cannabis als Kassenleistung ein großer Fortschritt, so das Fazit des 22. Eppendorfer Dialogs, der am 11. April in Hamburg stattfand. Aus Sicht der gesundheitspolitischen Sprecherin der Union, Karin Maag (CDU), ist mit dem Gesetz eine vertretbare Lösung gefunden worden, um eine Versorgung mit standardisierter Qualität zu ermöglichen, statt auf den Eigenanbau zu setzen.
Viele Ärzte hätten sich klarere Regeln gewünscht, für welche Indikationen Cannabis verordnet werden darf.
Foto: Fotolia/William Casey
Abgabemengen der Apotheken und Antragszahlen der Kassen zeigen, dass der Bedarf viel höher als angenommen ist. Detlev Parow von der DAK Gesundheit geht davon aus, dass bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mittlerweile mehr als 20 000 Anträge eingegangen sind, von denen im Schnitt zwei Drittel genehmigt werden. Ablehnungen beruhen Parow zufolge auf mangelnden Daten oder Begründungen, etwa zur Art und Schwere der Erkrankung oder bisherigen Therapieversuchen. Auch ungenaue Formulierungen im Gesetz sind problematisch: »Da schwer erkrankt eine sehr vage Formulierung ist und die Indikationen völlig offen sind, sehen wir uns mit Ausnahme der Palliativversorgung in der Situation, zu fast 100 Prozent eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einholen zu müssen.«
Rechtsunsicherheit
Dieses Vorgehen kritisiert der Fachanwalt für Medizinrecht Oliver Tolmein. Es gebe noch ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit. Während sich manche Ärzte klarere Regeln gewünscht hätten, bei welchen Indikationen Cannabis nun verordnet werden darf, sieht Maag das Fehlen einer Indikationsliste als Vorteil. Dies stärke die Therapiehoheit, betonte sie.
Die Evidenzlage ist bis auf wenige Ausnahmen derzeit noch mager. »Wir müssen uns fragen, ob die Evidenz das alleinige Entscheidungskriterium sein muss, wenn dem Patienten sonst nichts hilft«, so Tolmein. Zumal ohne klinische Studien fraglich sei, ob Pharmafirmen in entsprechende Forschung nun freiwillig Geld stecken werden. Tolmein forderte mehr öffentlich oder staatlich finanzierte Forschung. Maag zufolge liegen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte derzeit immerhin 13 klinische Prüfvorhaben zu unterschiedlichen Indikationen vor.
Viel Bürokratie
Der Palliativmediziner Professor Winfried Hardinghaus setzt Cannabis vor allem bei Übelkeit und Appetitlosigkeit ein. Auf die Frage, wieso viele Ärzte vor einer Verordnung von Cannabis zurückscheuten, antwortete er: »Mangelnde Evidenz ist nicht der Grund, das kennen wir auch von anderen Mitteln. Es ist eher die Bürokratie bei den Anträgen.« Doch hier gebe es mittlerweile Verordnungshilfen, genau wie bei der Auswahl der geeigneten Therapieform und Dosierung.
Ein Rheuma-Patient unter den Zuhörern kritisierte den Preisanstieg für die Blüten nach der Legalisierung. Eine anwesende Apothekerin antwortete ihm, dass Apotheken keinen Einfluss auf die Preisbildung hätten. Zudem müsse man vorsichtig sein, wie man die Therapiekosten von Fertigarzneimitteln, Rezepturen mit Dronabinol und Blüten vergleiche. Nach Angaben von Parow geht die DAK Gesundheit von Therapiekosten im fünfstelligen Bereich pro Jahr pro Patient aus – bis zu 30 000 Euro. Nach 1,4 Millionen Euro Kosten im vergangenen Jahr rechnet die Kasse in diesem Jahr mit 5,6 Millionen Euro, 2019 sogar mit knapp 10 Millionen Euro.
Unklar bleibt, wann die erste Ernte aus Deutschland zur Verfügung stehen wird. Erst vor Kurzem hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf das Ausschreibungsverfahren der Cannabisagentur gestoppt. Eine erste Ernte 2019, wie ursprünglich geplant, wird damit kaum zu realisieren sein. Tolmein schätzt, dass es bis 2021 dauert, Maag hofft auf einen früheren Zeitpunkt. /