Erweiterung der Schmerztherapie |
16.04.2014 09:30 Uhr |
Von Dorothea Strobach / Die Schmerztherapie beschränkt sich nicht auf den Einsatz von nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) und Opioiden. Verschiedene Wirkstoffgruppen, die ursprünglich in anderen Indikationen eingesetzt wurden, werden hier erfolgreich verwendet. Koanalgetika haben ihren festen Platz in der Schmerztherapie.
Schmerz ist ein sehr vielfältiges Symptom. Er kann stechend, dumpf oder brennend auftreten, akut oder chronisch sein. Er lässt sich als nozizeptiv, entzündlich, neuropathisch und dysfunktional charakterisieren. An der Entstehung und Weiterleitung von Schmerz sind verschiedene biochemische Systeme beteiligt, die durch diverse Arzneistoffgruppen beeinflusst werden können. Koanalgetika werden auch als adjuvante Analgetika bezeichnet.
Darunter versteht man Arzneistoffe, die primär in einer anderen Indikation eingesetzt wurden, aber auch in Kombination mit Opioiden oder NSAR zur Schmerzbehandlung wirksam sind. Diese ursprüngliche Klassifizierung ist heute überholt: Inzwischen sind verschiedene Koanalgetika Therapie der ersten Wahl für bestimmte Schmerzarten (1).
Koanalgetika sind fester Bestandteil des WHO-Stufenschemas zur Schmerzbehandlung, das für den Tumorschmerz entwickelt wurde (Grafik). Sie können auf jeder Stufe eingesetzt werden und haben vor allem einen Stellenwert bei chronischen Schmerzen. Die Auswahl einer konkreten Substanz sollte sich immer an aktuellen Leitlinien orientieren. Zu den wichtigsten Wirkstoffgruppen gehören:
Antidepressiva
Antidepressiva haben vor allem beim neuropathischen Schmerz ihren festen Platz. Dazu gehören beispielsweise die diabetische Neuropathie, postherpetische Neuralgie oder neuropathische Schmerzen bei Krebspatienten (nach Bestrahlung/Chemotherapie, durch Nervenkompression des Tumors) (3). Als primärer analgetischer Wirkmechanismus wird die Stärkung des absteigenden, hemmenden schmerzverarbeitenden Systems angesehen, indem dort die Verfügbarkeit von Noradrenalin und Serotonin an zentralen Synapsen steigt (1, 3, 4). Dabei scheint die Beeinflussung von Noradrenalin die zentrale Rolle zu spielen (1, 3). Studien konnten zeigen, dass der analgetische Effekt unabhängig von der antidepressiven Wirkung, aber meist schon in niedrigen Dosen auftritt.
Verschiedene Gruppen der Antidepressiva wirken analgetisch (Tabelle 1). Am besten belegt ist dies für trizyklische Antidepressiva (TCA) und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI). Die Evidenz bei den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) ist gering. Auch der Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion ist analgetisch wirksam (1, 3, 5).
TCA gehören zu den Mitteln der ersten Wahl bei der Behandlung neuropathischer Schmerzen (5). Sie sind auch wirksam bei Fibromyalgie, Rückenschmerzen und bestimmten chronischen Kopfschmerzarten (4, 6). Typische Vertreter in der Schmerzbehandlung sind Amitriptylin und Nortriptylin. Aufgrund der Beeinflussung diverser zentraler Rezeptoren sind vielfache Kontraindikationen, zum Beispiel kardiale Vorerkrankung, Engwinkelglaukom oder Prostatahyperplasie, und Nebenwirkungen (kardial, hypotensiv, anticholinerg, sedierend) zu beachten. Unerwünschte Effekte unter TCA als Koanalgetika sind häufig, sie treten dosisabhängig bei 30 bis 100 Prozent der behandelten Patienten auf (4).
Die Therapie mit TCA wird initial niedrig begonnen (10 bis 25 mg zur Nacht) und schrittweise auftitriert; beispielsweise wird die Tagesdosis alle drei bis sieben Tage um 10 bis 25 mg erhöht (4). Zum einen werden so Nebenwirkungen gemildert. Zum anderen sind TCA Substrate des metabolisierenden Isoenzyms CYP2D6, das bei etwa 10 Prozent der kaukasischen Bevölkerung nur gering ausgeprägt ist; daraus kann eine verstärkte Wirkung resultieren (1, 3).
Eine analgetische Wirkung tritt in der Regel innerhalb einer Woche bei einer wirksamen Dosis ein (1). Diese liegt mit 50 bis 150 mg täglich meist unterhalb der antidepressiven Dosierung. Allerdings gibt es Hinweise auf eine konzentrationsabhängige analgetische Wirkung, sodass bei guter Verträglichkeit auch höhere Dosen zur Schmerzbehandlung eingesetzt werden können (1).
SSNRI wie Venlafaxin, Duloxetin und Milnacipran (in Deutschland nicht zugelassen) unterscheiden sich im Verhältnis der Serotonin/Noradrenalin-Beeinflussung. Eine analgetische Wirkung ist nachgewiesen, die beste Datenlage liegt für Duloxetin vor (1). Es ist wirksam bei neuropathischen Schmerzen und Fibromyalgie (3, 6). Für Venlafaxin ist dies bei diabetischer Neuropathie und zur Migräneprophylaxe nachgewiesen (3, 4). Milnacipran hat in den USA die Zulassung bei Fibromyalgie, in Europa wurde dies wegen nur marginaler Wirksamkeit abgelehnt. In der deutschen Leitlinie zum Fibromyalgiesyndrom wird Milnacipran nicht empfohlen (6).
Typische Nebenwirkungen der SSNRI sind Übelkeit, Verstopfung, sexuelle Dysfunktion und Somnolenz, die individuell jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Die im Vergleich zu TCA gute Verträglichkeit der SSRNI macht sie zu einer guten Option bei neuropathischem Schmerz.
Antiepileptika
Antiepileptika werden seit Langem erfolgreich bei neuropathischen Schmerzen eingesetzt (Tabelle 2). Die analgetische Wirkung beruht wahrscheinlich auf einer Senkung der neuronalen Aktivität geschädigter Nerven und Stabilisierung neuronaler Zellmembranen durch die Beeinflussung spannungsabhängiger Ionenkanäle (3).
Gabapentin und Pregabalin sind Substanzen der ersten Wahl beim neuropathischen Schmerz. Sie haben den Vorteil, dass sie im Unterschied zu anderen Antiepileptika nicht hepatisch metabolisiert werden und keine Arzneimittelinteraktionen bekannt sind (1). Typische Nebenwirkungen sind Benommenheit, Kopfschmerz, Ödeme und Übelkeit (1, 3).
Problematisch bei Gabapentin sind seine schlechte orale Verfügbarkeit und die nicht-lineare Pharmakokinetik. Absorption und Übergang in das ZNS laufen über einen sättigbaren Transporter. Individuell unterschiedlich steigt bei Gabe höherer Dosen der wirksame Anteil nicht mehr proportional an (1). Häufig sind deshalb längere Einstellungsphasen notwendig, um die richtige Dosierung zu ermitteln (3). Pregabalin wird dagegen nicht über einen sättigbaren Transporter resorbiert (3, 5). Beide Substanzen sollten immer schrittweise an- und abgesetzt werden. Ein Therapieversuch mit dem jeweils anderen Antiepileptikum ist bei Unwirksamkeit der ersten Substanz sinnvoll (1).
Zunehmend diskutiert wird das Missbrauchspotenzial von Gabapentin und Pregabalin, wobei die Substanzen in hohen Einzeldosen genommen werden. Studien zeigten, dass sie zur Steigerung des »High«-Effekts zusammen mit Methadon eingenommen werden (8). Auch für Deutschland liegen Berichte über die missbräuchliche Anwendung vor. Personen mit Substanzmissbrauch in der Vorgeschichte sind besonders gefährdet (9).
Carbamazepin ist wirksam beim neuropathischen Schmerz und wird insbesondere bei der Trigeminusneuralgie eingesetzt (5). Problematisch sind die Nebenwirkungen: vor allem initial Benommenheit und Sedierung (unbedingt schrittweise aufdosieren!), Obstipation, Leukopenie, Rash, Hepatotoxizität und andere (3, 5). Carbamazepin hat ein hohes Interaktionspotenzial.
Oxcarbazepin ist wirksam bei diabetischer Neuropathie. Hämatologisch und hepatisch ist es besser verträglich, kann aber zu schwerer Hyponatriämie führen. Daher sind zu Beginn der Therapie regelmäßige Kontrollen des Natriumspiegels empfohlen.
Auch weitere Antikonvulsiva werden als Koanalgetika eingesetzt. Für Lamotrigin ist die Wirksamkeit bei verschiedenen neuropathischen Schmerzarten gezeigt (1, 3). Die Daten zur analgetischen Wirksamkeit von Valproat und Phenytoin sind meist sehr alt und limitiert; diese werden daher selten bei neuropathischem Schmerz eingesetzt (1). Phenytoin kann bei akuter schwerer Trigeminusneuralgie intravenös gegeben werden (10). Topiramat ist wirksam zur Migränebehandlung, Studien zur Wirksamkeit bei neuropathischem Schmerz zeigten jedoch keine einheitlichen Ergebnisse. Die relativ neue Substanz Lacosamid war in Studien wirksam bei diabetischer Neuropathie (1).
Clonazepam ist ein lang wirksames Benzodiazepin, das auch als Antikonvulsivum verwendet wird. Die Evidenz für den Einsatz beim neuropathischen Schmerz ist gering. Aufgrund seiner angstlösenden Effekte wird es aber bei Schmerzsyndromen mit Angst eingesetzt (1, 3).
Corticosteroide
Umfangreiche klinische Erfahrungen zeigen einen Nutzen von Corticosteroiden bei verschiedenen Schmerzarten. Dazu gehören neuropathischer Schmerz, Knochenschmerz, Schmerz durch Nervenwurzel- oder Rückenmarkskompression, Kapseldehnung, obstruktive Darmerkrankungen oder Lymphödeme sowie Kopfschmerz durch erhöhten intrakranialen Druck (1, 11). Die Studienlage ist allerdings sehr begrenzt (1). Corticosteroide werden oft bei tumorassoziierten Schmerzen verwendet, aber auch hier ist die Studienlage unzureichend (3, 12). Die analgetische Wirkung beruht wahrscheinlich auf der Reduktion tumorassoziierter Ödeme, antiinflammatorischen Effekten und direkten Wirkungen auf das nozizeptive System (1, 3). Günstig ist es, dass sie zugleich appetitanregend und antiemetisch wirken.
Die Auswahl der Substanz erfolgt eher empirisch, die mineralokortikoide Potenz sollte gering sein. In der Tumorbehandlung wird oft Dexamethason eingesetzt. Alternativen sind zum Beispiel Prednisolon oder Methylprednisolon (1). Die Dosierung ist je nach Schmerzart sehr unterschiedlich.
Corticosteroide können zu einer Reihe von Nebenwirkungen führen, die vor allem bei längerer Anwendung und höheren Dosen relevant sind. Spricht der Patient auf die Therapie nicht an, sollte sie nach sieben bis zehn Tagen abgesetzt werden (11). Je nach Therapiedauer, Dosis und weiteren Faktoren (wiederholte Therapie) muss man schrittweise absetzen (11).
Substanz | Initialdosis pro Tag (mg) | Übliche Zieldosis pro Tag (mg) |
---|---|---|
Amitriptylin | 10 bis 25 (zur Nacht) | 50 bis 150 |
Nortriptylin | 10 bis 25 (zur Nacht) | 50 bis 150 |
Bupropion | 2 x 75 | 300 bis 450 |
Duloxetin | 20 bis 30 | 60 bis 120 |
Venlafaxin | 75 | 150 bis 225 |
GABA-Rezeptor-Agonisten
Baclofen ist ein selektiver Agonist an γ-Amino-Buttersäure-Rezeptoren des Subtyps B und wirkt als zentrales Muskelrelaxans. Baclofen ist zudem wirksam bei Trigeminusneuralgie. Fallberichte beschreiben auch den Einsatz bei anderen Schmerzarten, zum Beispiel bei Tumoren (1).
NMDA-Rezeptorantagonisten
Der NMDA-Rezeptor (N-Methyl-D-aspartat-Rezeptor) spielt unter anderem eine Rolle bei der Sensibilisierung zentraler Neuronen und der Funktion des Opioidrezeptors (1). Für Ketamin, einen Antagonisten am NMDA-Rezeptor, ist eine periphere und zentrale analgetische Wirksamkeit gezeigt (1, 13).
Ketamin ist an sich ein Allgemeinanästhetikum zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer Narkose. In subanästhetischer Dosierung kann es als Analgetikum eingesetzt werden bei neuropathischem, entzündlichem, ischämischem und myofaszialem Schmerz, der auf eine Standardtherapie nicht anspricht (11). Ketamin hat vor allem in der Krebstherapie und Palliativmedizin seinen Stellenwert. Oft wird es mit einem starken Opioid kombiniert, wenn dieses unzureichend wirksam und keine Dosissteigerung möglich ist. Dadurch kann der Opioidbedarf des Patienten teilweise reduziert werden (11). Die Gabe kann oral, subkutan als Bolus oder Dauerinfusion, intramuskulär oder auch als Nasenspray erfolgen (11). Orale und nasale Zubereitungen sind nicht als Fertigpräparat verfügbar, es liegen aber Rezepturvorschriften vor (11, 14). Die Dosierung ist sehr unterschiedlich und hängt von der Applikationsart und der Schmerzart ab. Problematisch sind psychische Effekte wie Halluzinationen und Delir, die unter der Gabe auftreten können. In der Praxis wird deshalb häufig ein Benzodiazepin oder Haloperidol mit angesetzt (1, 11).
Methadon ist ein Opioid mit einem komplexen Wirkmechanismus: Es ist Agonist an Opioidrezeptoren, Antagonist an NMDA-Rezeptoren und hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin und (schwächer) Serotonin aus dem synaptischen Spalt. Methadon beeinflusst über den NMDA-Rezeptor auch neuropathische Schmerzkomponenten (13).
Weitere NMDA-Rezeptor-Antagonisten sind Memantin, Amantadin und Dextromethorphan. Studien bei neuropathischem Schmerz zeigten uneinheitliche Ergebnisse. Die Stoffe werden nur eingesetzt, wenn andere Substanzen nicht wirksam waren (1, 3).
Eine Kundin möchte ein Schmerzmittel für die anhaltenden Beinschmerzen ihres Mannes kaufen. Im Gespräch erwähnt sie, dass sie für ihn auch ein Rezept habe, dieses aber nicht einlösen werde. Der Arzt würde ihren Mann und seine Schmerzen wohl nicht für voll nehmen, jetzt habe er schon ein »Psychiatriemittel« verordnet. Sie kenne das Medikament von einer Freundin, die an Depressionen leidet. Auf Nachfrage zeigt sie das Rezept: Amitriptylin 25 mg zur Nacht.
Der Apotheker erklärt der Kundin, dass Amitriptylin zwar ein Antidepressivum sei, aber einen festen Stellenwert in der Schmerztherapie habe, vor allem bei der Behandlung von Nervenschmerzen. Dazu werde es viel geringer dosiert als bei einer Depression. Der Apotheker betont, dass es wirklich eine eigene schmerzstillende Wirkung habe und die Erfolge bei neuropathischen Schmerzen sehr gut seien. Da es müde machen kann, wird die Therapie abends begonnen. Von zusätzlichen rezeptfreien Schmerzmitteln rät er ab.
Wirkung auf den Knochenstoffwechsel
Knochenmetastasen, die bei vielen Tumorarten auftreten können, induzieren Schmerz auf verschiedene Weise. Sie setzen Entzündungsmediatoren frei, führen zu einer schmerzhaften Dehnung der Knochenhaut und erhöhen die Gefahr schmerzhafter Frakturen (3). Tumorzellen, die in den Knochen eingewandert sind, sezernieren Interleukine und andere Botenstoffe, die Osteoblasten hemmen und die Wirkung der Osteoklasten verstärken und so insgesamt den Knochenabbau steigern (3).
Bisphosphonate wurden ursprünglich zur Behandlung der tumorinduzierten Hypercalcämie entwickelt. Zusätzlich fand man schmerzlindernde Effekte bei Knochenschmerzen durch Metastasen und beim multiplen Myelom (3, 15). Bisphosphonate sind lang wirksame Hemmstoffe der Osteoklasten. Am wirksamsten sind die neueren Aminobisphosphonate wie Zoledronat, Pamidronat und Ibandronat. Zu beachten sind Probleme wie Hypocalcämien, grippeähnliche Symptome direkt nach der Gabe, reduzierte Nierenfunktion und das Risiko von Kiefernekrosen (vor Ansetzen: Zahnsanierung!) (15).
Der Antikörper Denosumab ist ebenfalls ein Osteoklasteninhibitor, der zur Osteoporosebehandlung und Behandlung von Komplikationen durch Knochenmetastasen zugelassen ist. In einer Vergleichsstudie bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs und Knochenmetastasen wirkte Denosumab geringfügig besser auf den Knochenschmerz als Zoledronat (15). Vorteil von Denosumab: Es führt nicht zu grippeähnlichen Symptomen und reduziert die Nierenfunktion nicht. Dagegen sind ebenfalls Hypocalcämien und Kiefernekrosen beschrieben. Zum Einsatz der Bisphosphonate liegen insgesamt mehr Erfahrungen vor.
Calcitonin reguliert gemeinsam mit dem Parathormon maßgeblich den Knochenumbau und den Calciumstoffwechsel. Es wurde bei Hypercalcämie und Osteoporose eingesetzt. Aufgrund eines erhöhten Malignitätsrisikos sollte es aber nicht mehr längerfristig angewendet werden; nur die kurzzeitige Anwendung gilt weiter als vertretbar (16). Calcitonin ist wirksam bei schmerzhaften malignen Knochenmetastasen, nach schmerzhaften Wirbelbrüchen und beim postoperativen Phantomschmerz (17, 18). Die Studienergebnisse waren teilweise widersprüchlich. Calcitonin sollte nur bei Versagen anderer Alternativen erwogen werden (1). Es kann als Nasenspray oder subkutane Injektion appliziert werden.
Substanz | Initialdosis pro Tag (mg) | Übliche Zieldosis pro Tag (mg) |
---|---|---|
Gabapentin | 2 x 100 bis 300 | 3 x 300 bis 1200 (2400) |
Pregabalin | 2 x 25 bis 75 | 2 x 150 bis 300 |
Carbamazepin | 100 (zur Nacht) | 3 x 200 |
Oxcarbazepin | 150 | 2 x 600 |
Topiramat | 25 | 2 x 100 |
Lamotrigin | 25 | 200 |
Topisch wirksame Substanzen
Lidocain wird in Form von Pflastern und Cremes erfolgreich zur topischen Therapie bei neuropathischem Schmerz eingesetzt. Dabei sind die Anwendungsmodalitäten des jeweiligen Präparats genau zu beachten. Versatis® ist ein 5-prozentiges Lidocainpflaster und zugelassen bei neuropathischem Schmerz nach Herpes-zoster-Erkrankung. Das Pflaster darf maximal zwölf Stunden täglich aufgeklebt werden. Es kann geteilt und passgenau auf das betroffene Areal geklebt werden (maximal drei Pflaster gleichzeitig).
Capsaicin ist eine im Chilipfeffer vorkommende Substanz. Die topische Applikation hemmt die periphere nozizeptive Transmission (3). Hoch dosierte Cremes und Pflaster (deutlich höher als in Wärmesalben) sind analgetisch wirksam bei postherpetischer Neuralgie und anderen neuropathischen Schmerzen (1, 3). Qutenza®-Pflaster 8 Prozent ist zugelassen bei peripherem neuropathischem Schmerz, ausgenommen Menschen mit Diabetes. Auch dieses Pflaster kann geteilt werden. Die eintägige Behandlung wird bei Bedarf alle 90 Tage wiederholt. Beim Umgang mit dem Pflaster werden Nitrilhandschuhe empfohlen, da es sonst zu starken Reizungen an anderen Haut- und Schleimhautstellen kommen kann.
Spasmolytika
Spasmolytika entspannen die glatte Muskulatur des Magen-Darm-Trakts. Sie sind wirksam bei viszeralen Dehnungsschmerzen, Koliken, Schmerz durch Reizdarmsyndrom und Divertikulitis (11, 17). Obstruktive Störungen des Darmes treten häufig bei Patienten mit intraabdominellen Tumoren auf (1). Verwendet werden Anticholinergika, in Deutschland vor allem Butylscopolamin. Eingesetzt werden auch Scopolamin (als Pflaster), Glycopyrrolat und Mebeverin (schwächer wirksam) (1, 11).
Muskelrelaxanzien
In dieser Gruppe, wirksam bei schmerzhaften Muskelverspannungen, hat es in letzter Zeit wichtige Änderungen bei der Zulassung gegeben. Tetrazepam wurde im August 2013 vom Markt genommen. Wegen möglicher schwerer Hautreaktionen wurde das Nutzen-Risiko-Verhältnis durch die europäische Zulassungsbehörde negativ beurteilt und das Ruhen der Zulassung angeordnet. Eine zugelassene Alternative ist Diazepam, allerdings ist das Risiko einer Abhängigkeit zu bedenken.
Tolperison ist nur zugelassen zur Behandlung der Spastizität bei neurologischen Erkrankungen. Flupirtin (Analgetikum mit besonderem Wirkmechanismus und muskelrelaxierend) darf wegen Lebertoxizität nur noch eingesetzt werden, wenn andere Analgetika kontraindiziert sind, und dann nur für maximal zwei Wochen.
Das Pflegepersonal eines Altenheimes kontaktiert die Apotheke mit folgender Frage: Eine ältere Patientin erhält unter anderem Carbamazepin und Baclofen. Die Patientin ist sturzgefährdet. Epilepsie und Muskelverspannungen sind nicht bekannt. Was ist der Hintergrund?
Antwort: Beide Arzneistoffe werden in der Indikation neuropathischer Schmerz eingesetzt, oft auch in dieser Kombination. Auf Rückfrage stellt sich heraus, dass die Patientin bereits seit Jahrzehnten wegen einer Trigeminusneuralgie so behandelt wird. Aufgrund sedierender und muskelrelaxierender Effekte erhöhen beide Substanzen aber das Sturzrisiko. In Rücksprache mit dem Arzt sollte geklärt werden, ob die Kombination weiter erforderlich und/oder eine Dosisreduktion möglich ist, auch unter dem Aspekt der abnehmenden Nierenfunktion im Alter.
Weitere Koanalgetika
Der α2-Agonist Clonidin hat ebenfalls analgetische Wirkungen. Clonidin wurde eingesetzt bei verschiedenen chronischen Schmerzsyndromen, zum Beispiel bei neuropathischem Tumorschmerz (1). Tizanidin, ebenfalls ein α2-Agonist, wirkt zentral antispastisch (7).
Coffein wird schon lange eingesetzt als Adjuvans mit NSAR wie Ibuprofen, Paracetamol oder ASS und kontrovers diskutiert. Ein Review der Cochrane Collaboration (unabhängige Wissenschaftler überprüfen die Evidenzlage anhand der verfügbaren Literatur) kommt zu dem Schluss, dass eine geringe, aber signifikante Steigerung des analgetischen Effekts der NSAR durch Kombination mit Coffein auftritt. Die Coffeinmenge entsprach ungefähr einem Becher Kaffee (20).
Antipsychotika (Neuroleptika) wurden bei verschiedenen Schmerzarten untersucht, zum Beispiel chronischem Kopfschmerz, Fibromyalgie und diabetischer Neuropathie. Auch hierzu liegt ein aktueller Cochrane-Review vor. Danach können Antipsychotika als Koanalgetika eingesetzt werden; allerdings waren die Studien meist sehr klein und die Ergebnisse sind gemischt. Zudem sind deutliche extrapyramidale und sedierende Nebenwirkungen zu bedenken (21).
Wichtig für die Praxis
Koanalgetika werden oft bei chronischen oder schwer behandelbaren Schmerzen eingesetzt (Tabelle 3). Es ist deshalb zu Beginn wichtig, den Patienten realistisch über die Erfolgsaussichten aufzuklären. So ist bei chronischem neuropathischen Schmerz durch Medikamente eine Schmerzreduktion um 50 bis 80 Prozent zu erwarten, Schmerzfreiheit wird oft nicht erreicht. Etwa 20 bis 40 Prozent der Patienten sprechen nur unzureichend auf das jeweilige Medikament an oder leiden an nicht tolerierbaren Nebenwirkungen (22). Aber auch eine Schmerzreduktion um 10 Prozent kann schon eine bessere Lebensqualität bedeuten (23). Die Patienten sollten zur Complianceverbesserung vor Therapiebeginn über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden (22).
Problematisch ist die Zulassungssituation. Viele Koanalgetika sind nicht in dieser Indikation zugelassen; teilweise unterscheiden sich die Zulassungen wirkstoffgleicher Präparate verschiedener Hersteller. In den Beipackzetteln werden nur Hinweise zur zugelassenen Indikation gegeben. Dies kann zu erheblicher Verunsicherung führen. Bei TCA und Antiepileptika kann der Apotheker oft an der verordneten Dosierung erkennen, ob der Einsatz als Koanalgetikum erfolgt. Schwierig ist es dagegen bei den SSNRI: Hier gleichen sich die analgetische und die antidepressive Dosierung.
Die Wirkung der Koanalgetika tritt langsamer ein als die von NSAR oder Opioiden. Oft ist ein langes Auftitrieren notwendig. Ein Therapieversuch muss aber auch ausreichend lange erfolgen, um die Wirksamkeit beurteilen zu können. Für TCA wird eine Anwendung von mindestens sechs bis acht Wochen empfohlen, davon eine bis zwei Wochen bei der maximal vertragenen Dosis (4).
Je nach Schmerztyp und Schwere der Erkrankung werden Koanalgetika als Mono- oder Kombinationstherapie verwendet. Vor allem beim Tumorschmerz werden sie in der Regel mit NSAR und Opioiden kombiniert und können opioidsparend wirken. Dabei sind mögliche Wechselwirkungen, zum Beispiel Serotoninsyndrom, erhöhtes Blutungsrisiko, anticholinerge Effekte, Sedierung und CYP-Interaktionen zu beachten (24). Auch die Kombination zweier Koanalgetika ist üblich, wenn unter einer Substanz keine ausreichende Wirkung erzielt wird. Dosisanpassungen sollten immer nur bei einer Substanz zu einem Zeitpunkt erfolgen, um mögliche Nebenwirkungen oder verbesserte Wirkung eindeutig zuordnen zu können.
Schmerzart | Koanalgetika | Quelle |
---|---|---|
Chronisch neuropathische Schmerzen | Gabapentin, Pregabalin, TCA, SSNRI, Capsaicin, Lidocain (topisch) | Leitlinie chronisch neuropathischer Schmerz (22) |
Trigeminusneuralgie | 1. Wahl: Carbamazepin, Oxcarbazepin, akut: Phenytoin 2. Wahl: Phenytoin, Baclofen (als Zusatz), Lamotrigin, Pregabalin, Gabapentin | Leitlinie chronisch neuropathischer Schmerz (22), Leitlinie Trigeminusneuralgie (10) |
Diabetische Neuropathie | TCA, Duloxetin, Pregabalin | Nationale Versorgungsleitlinie Neuropathie bei Diabetes (25) |
Fibromyalgie | Amitriptylin, Duloxetin | Leitlinie Fibromyalgiesyndrom (6) |
Tumorschmerz | Allgemein: Corticosteroide, Antikonvulsiva, Antidepressiva Knochenmetastasen: Bisphosphonate, Denosumab Neuropathischer Schmerz: TCA, Antikonvulsiva | Europäische Leitlinie Tumorschmerz (15) |
Ausblick
Im Oktober 2013 startete die Internationale Gesellschaft zur Schmerzerforschung (ISAP) eine Initiative für ein globales Jahr gegen den Schmerz. In Europa leidet einer von elf Erwachsenen täglich an Schmerzen (23). Dennoch wird das Potenzial der Koanalgetika nach Meinung von Experten unzureichend ausgeschöpft. Dies liegt unter anderem an Vorbehalten – sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten. Zudem erschweren der langsame Wirkungseintritt und das hohe Nebenwirkungsrisiko die Therapieeinstellung. Der Apotheker kann durch eine fundierte Beratung zu einer besseren Schmerzbehandlung beitragen. /
Literatur
Dorothea Strobach studierte Pharmazie an der Universität Greifswald. Sie arbeitete vier Jahre in einer öffentlichen Apotheke und erwarb den Fachapotheker für Offizinpharmazie. Seit 1999 arbeitet sie am Klinikum der Universität München in der Krankenhausapotheke, Abteilung Arzneimittelinformation. 2004 wurde sie bei Professor Lorenz an der LMU München in der Arteriosklerosegrundlagenforschung promoviert. 2011 legte sie die Prüfung zum Fachapotheker für Klinische Pharmazie ab. Sie ist als Dozentin in der Ausbildung von Pharmazie- und Medizinstudenten tätig.
Dr. Dorothea Strobach, Klinikum der Universität München, Apotheke Großhadern, Marchioninistraße 15, 81377 München E-Mail: dorothea.strobach(at)med.uni-muenchen.de