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Drogen-Prävention

Nein sagen können

17.04.2007  15:14 Uhr

Drogen-Prävention

Nein sagen können

Von Thomas Bellartz

 

Scharfzüngige Kritik prallt an ihr ab, sie gilt bereits als Gallionsfigur des Nichtraucherschutzes. Sabine Bätzing (SPD), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, macht viele Baustellen auf. Im Interview kündigt sie an, die hohe Schlagzahl beibehalten zu wollen.

 

PZ:Sie feuern die Debatte um den Nichtraucherschutz an. Wie wird sich das in den nächsten Monaten entwickeln?

Bätzing: Ich glaube, wir haben schon viel erreicht. Gerade auch in öffentlichen Einrichtungen. Hier haben sich Länder, Bund und auch die Ministerien stark ins Zeug gelegt. Wir haben immer noch Schwierigkeiten in der Gastronomie, die auf Länderebene geregelt wird. Da hatte ich mir ein bisschen mehr erwartet.

 

PZ:Das war es also?

Bätzing: Manche raten, ich solle zufrieden sein mit dem generellen Rauchverbot. Aber ich sehe ein Problem darin, dass es weitere zusätzliche Ausnahmeregelungen geben soll ­ für Eckkneipen oder für kleine Rauchergaststätten, so genau weiß man das immer nicht. Das heißt, die Entscheidung liegt nachher in der Hand des Gesetzgebers. Darin sehe ich eine große Gefahr.

 

PZ:Worin liegt Ihr Problem?

Bätzing: Zum einen finde ich es ungerecht für die Bürgerinnen und Bürger, weil wir diese ganze Gesetzgebung mit dem Gesundheitsschutz begründen. Der Gesundheitsschutz muss uns in Rheinland-Pfalz genauso viel wert sein wie in Nordrhein-Westfalen. Das Passivrauchen ist in Bayern genauso gefährlich wie in Mecklenburg-Vorpommern. Ich finde diese Ausnahmeregelung auch für Wirte sehr schwierig. Ich treffe jetzt immer mehr Gastronomen. Früher haben die immer Angst gehabt, oder haben gesagt: »Nein, das darf überhaupt nicht kommen. Mein Lokal muss Raucherlokal bleiben.« Mittlerweile treffe ich immer mehr, die sagen: »Wenn ihr das macht, dann lasst doch bitte das Rauchverbot in allen Bereichen gelten. Wir haben sonst Angst, das es Wettbewerbsverzerrung gibt.« Ich jedenfalls will keinen Flickenteppich.

 

PZ:Müsste man die föderale Regelungskompetenz ändern?

Bätzing: Natürlich liegt das auch am Föderalismus. Aber das Thema muss in Rheinland-Pfalz genauso behandelt werden wie in Berlin oder in Bayern. Die Gefahr des Passivrauchens leugnet doch auch niemand mehr. Und damit muss der Nichtraucherschutz im Interesse eines jeden Ministerpräsidenten sein.

 

PZ:Wo stehen wir mit dem Nichtraucherschutz in zwei Jahren?

Bätzing: In zwei Jahren werden wir schon deutlich weiter sein, was die Restaurants angeht. Der Druck aus den Nachbarländern wird so stark, dass wir nicht mehr anders können. Es ist ja jetzt schon so, dass die positiven Erfahrungen in den europäischen Mitgliedsstaaten da sind. Gut ist, dass die Diskussion im letzten Jahr einen unglaublichen Schwung bekommen hat. Das wird so weitergehen. Wir werden auch von Europa Rückenwind bekommen.

 

PZ:Die EU dürfte Sie unterstützen.

Bätzing: Europa hat angekündigt, man strebe eine Harmonisierung an. Es gibt das Grünbuch »Smoke free environment«. Es wird eine Frage der Zeit sein, wann es zu einem Weißbuch und zu einer Richtlinie kommt. Das ist nicht mehr aufzuhalten. Wir kommen da weiter.

 

PZ:Sie sind als Drogenbeauftragte für alle Süchte zuständig. Da wird es doch ein vorderes Ziel sein, dass Sie nicht nur im ersten Schritt die Nichtraucher schützen wollen, sondern im zweiten Schritt die Quote der Rauchenden zu reduzieren?

Bätzing: Das machen wir auf zwei Ebenen. Das Nichtraucherschutzgesetz wird insbesondere bei den Jugendlichen dazu beitragen, dass auch dort die Raucherquote weiter zurückgeht. Und es wird bei den Gelegenheitsrauchern dazu beitragen, mit dem Rauchen aufzuhören. Einen stark abhängigen Raucher, den werde ich sicher nicht durch ein Nichtraucherschutzgesetz dazu bringen, mit dem Rauchen aufzuhören. Aber das Gesetz wird die Nichtraucher zu schützen. Mein Ziel, die Raucherquote zu reduzieren, verfolge ich nicht nur über das Nichtraucherschutzgesetz, sondern auch über Prävention. Und da arbeiten wir gerade bei den Jugendlichen mit der großen Rauchfrei-Kampagne. Immer weniger Jugendliche rauchen. Das ist der Erfolg der letzten Jahre.

 

PZ:Wird das Folgen für den Einstieg in sogenannte weiche Drogen haben?

Bätzing: Ich hoffe, dass sich das positiv auswirkt. Rund 95 Prozent der Cannabis-Konsumenten sind Raucher. Für uns ist die Tabakprävention auch Cannabisprävention. Das wird sich auch messen lassen.

 

PZ:Ist die Beachtung von Cannabis nicht übertrieben?

Bätzing: Bei Cannabis geht es mir weder um Dramatisierung noch um Bagatellisierung. Wir wissen, dass der Konsum heute viel früher beginnt. Diejenigen, die es eben nicht beim Probieren belassen, konsumieren zum Teil sehr exzessiv. Das Durchschnittsalter liegt momentan bei 16 Jahren, wir haben aber auch 11- und 12-jährige Kiffer. Die rauchen regelmäßig ein, zwei Joints pro Tag. Und dann gibt es noch einen Mischkonsum von Cannabis und Alkohol oder Cannabis und Amphetaminen. Mir geht es darum, die Risiken anzusprechen. Man muss früh intervenieren. Wir müssen noch bessere Beratungsangebotfür Jugendliche schaffen.

 

PZ:Muss man selbst Grenzen getestet haben, damit man überhaupt in der Debatte so aktiv wie Sie mitreden kann?

Bätzing: Ich muss nicht Cannabis geraucht haben oder irgend etwas anderes probiert haben, um die Debatte voranzutreiben. Das ist wie bei einem guten Krimi-Autor. Der muss auch niemanden umgebracht haben, um einen guten Krimi zu schreiben

 

PZ:Hatten Sie in Ihrer Funktion als Drogenbeauftragte in letzter Zeit das Gefühl, einsam in der Wüste zu stehen, weil die Lobby gegen Sie steht?

Bätzing: Was den Tabak angeht, nicht mehr so stark. Dort spürt man einen Stimmungswechsel. Beim Alkohol wird es schwerer. Da bin ich noch relativ einsam. Alkohol ist die Volksdroge Nummer eins. Die Debatte wird schwerer, weil immer gesagt wird, das gehöre zur Kultur. Gerade bei Wein und Bier. Manches ist da natürlich sinnvoll. Aber wir haben ein Problem, wenn wir das Maß verlieren. Und das gilt ebenso für Cannabis. In dem Moment, wo Konsumenten maßlos werden, entwickeln sich diese Suchtmittel zum Problem. Und das ist bei Alkohol der Punkt. Der ist ganz legal, ein Kulturgut eben. Man will nicht darauf angesprochen werden.

 

PZ:Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes besagen, dass die Zahl der Todesfälle als konkrete Folge von Alkoholmissbrauch und Alkoholismus stark angestiegen ist. Eine Steilvorlage?

Bätzing: Wir müssen mehr Bewusstsein schaffen. Aber die Fakten sind tatsächlich so. Wir haben mehr als 40 000 alkoholbedingte Todesfälle jährlich und einen Pro-Kopf-Konsum von 10,3 Liter reinen Alkohol pro Jahr. 10,3 Liter puren Alkohol, das ist einfach zu viel. Hier müssen wir etwas verändern. Hier müssen wir mehr aufklären. Hier müssen wir mehr informieren, mehr Bewusstsein schaffen. Und wir müssen die Gesetze, die wir haben, einhalten. Wenn wir merken, dass Prävention und Information nicht reichen, dann muss man auch andere Regelungen diskutieren. Momentan bin ich der Überzeugung, dass wir das, was wir haben, erst einmal ausschöpfen sollten.

 

PZ:Aber genau davon sind wir doch weit entfernt.

Bätzing: Wir haben in der Gesellschaft keinen Konsens über Punktnüchternheit in der Schwangerschaft oder über Punktnüchternheit im Straßenverkehr. Das müssen wir erst einmal erreichen. Oder die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes.

 

PZ:Kontrolle ist das größte Problem?

Bätzing: Ja. Seit ich ausgehe, habe ich noch nie mitbekommen, dass irgendwo kontrolliert wurde. Noch nie. Und das ist ein Problem. Wir müssen diese Kontrollen durchziehen, in Verbindung mit Bußgeldern. Dann ist die Gastronomie aufgeschreckt.

 

PZ:Ist Bier aus Ihrer Sicht ein Grundnahrungsmittel?

Bätzing: Nein, es ist kein Grundnahrungsmittel. Es ist ein alkoholhaltiges Getränk. Wenn man über 16 ist, kann man es sicher auch mal in Maßen genießen. Gegen ein Glas Bier ist ja nun auch nichts einzuwenden. Aber das Glas Bier dem Salatteller gleichzusetzen oder dem Schnitzel mit Kartoffeln, halte ich dann doch für falsch.

 

PZ:Ist die Gesamtproblematik, die Sie bisher beschrieben haben, nicht gleichzusetzen mit dem Problem, dass Prävention generell schwierig umzusetzen ist und dass wir immer noch keinen Weg gefunden haben, wie wir es flächendeckend tun können?

Bätzing: Ja, es ist schwierig. Wir haben gute Ansätze, wenn Prävention im Kindergarten stattfindet, in der Grundschule. Sehr früh, sodass das wirklich funktioniert. Daran müssen wird arbeiten. Manches fällt schwer, weil wir Prävention nicht messen können.

 

PZ:Wenn Prävention nicht messbar ist und sogar Gesundheitsökonomen wirtschaftliche positive Folgen verneinen, geht es also nur um mehr Lebensqualität?

Bätzing: Natürlich, es geht um Lebensqualität, und es geht um Gesundheit. Wenn ich früh mit dem Trinken beginne, werde ich bestimmt früher erkranken, als wenn ich erst mit 20 anfange, maßvoll zu trinken. Es hat etwas mit Lebensqualität, es hat etwas mit Lebenskompetenz zu tun. Das lernt man in der Prävention, wenn es um Lebenskompetenzansätze geht in der Präventionsarbeit, um das Selbstbewusstsein, Nein sagen können, dem Gruppendruck standhalten: Das ist wichtig für das ganze Leben.

 

PZ:Manche guten Vorhaben werden von der Realität eingeholt. Was denken Sie, wenn Ihr Ministerium zwar rauchfrei ist, die Angestellten jetzt am Personaleingang ihre Zigaretten rauchen. Gibt es auch Programme für die eigenen Leute?

Bätzing: Das BMG hat zahlreiche Angebote. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich jetzt vor die Tür gehe und dort wird geraucht. Es gibt genügend Informationsmaterial, aber man kann in der Tat darüber nachdenken, ob man noch aktiver wird, ob man auf die Beschäftigten zugeht und ihnen etwas anbietet. Auf der anderen Seite soll auch niemand diskriminiert werden. Es geht uns eigentlich nur darum, dass im Ministerium, in den Räumen, auf den Fluren, nicht mehr geraucht wird. Und Sie spüren das auch. Es fällt besonders dann auf, wenn Sie jetzt hier durchs Haus gehen und dann später durch die Abgeordnetenhäuser ­ das haben Sie direkt in der Nase. Da kann ihr Büro rauchfrei sein. In den Ausschuss-Sälen sehen Ihre Hand vor Augen nicht.

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