Hormonhaushalt positiv verändert |
01.04.2014 15:11 Uhr |
Von Sven Siebenand, Dresden / Für viele adipöse Menschen ist eine Magenverkleinerung die einzige Möglichkeit, auf Dauer deutlich an Gewicht zu verlieren. Die bariatrische Operation führt zu einer Reihe von Stoffwechselveränderungen und hat auch positive Folgen für den Hormonhaushalt und die Darmflora.
Adipositas ist hierzulande eines der wichtigsten Gesundheitsrisiken, und Gewichtsreduktion gehört zu den größten therapeutischen Herausforderungen. Die konservativen Ansätze wie Ernährungs- und Bewegungstherapie versagen auf lange Sicht häufig.
Ethanol ist als Lösungsmittel oder zur Konservierung in vielen Arzneimitteln enthalten, oft jedoch nur in geringen Mengen.
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»Die bariatrische Chirurgie ist derzeit der einzige evidenzbasierte Ansatz zur dauerhaften Gewichtsreduktion«, sagte Professor Dr. Matthias Blüher vom Universitätsklinikum Leipzig auf einer Pressekonferenz im Rahmen des 57. Symposiums der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie in Dresden. Mit allen anderen verfügbaren Methoden, einschließlich den pharmakologischen, sei dieses Ergebnis nicht zu erreichen.
Neben – und zum Teil wohl auch wegen – der Gewichtsreduktion führen Magenverkleinerungen zu einer Reihe von Stoffwechselverbesserungen. So kann Blüher zufolge ein Großteil der Patienten, der noch keinen Typ-2-Diabetes hat, durch die Operation vor einer Erkrankung geschützt werden. Bei bereits bestehender Zuckerkrankheit kommt es dank des Eingriffes häufig zur Remission. Ein metabolisches Syndrom wird Blüher zufolge bei den operierten Patienten viel seltener diagnostiziert (Reduktion um 80 Prozent). Bei Frauen sei sogar das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen signifikant reduziert.
Blüher betonte, dass bariatrische Operationen sich günstig auf den Hormonhaushalt auswirken. Das treffe auf eine ganze Reihe von Hormonen zu – von Insulin über Inkretine bis hin zu den Geschlechtshormonen, deren Werte sich wieder verbessern oder gar normalisieren lassen. Näher ging der Mediziner auf das Hormon Ghrelin ein, das aus dem Magen freigesetzt wird. Es ist appetitanregend, stimuliert die Nahrungsaufnahme und reduziert die Fettverbrennung. Untersuchungen zeigen, dass zwei Jahre nach einer bariatrischen Operation die Ghrelin-Konzentration um die Hälfte gesunken ist, berichtete der Mediziner.
Neben den Veränderungen im Hormonhaushalt scheint die Magenverkleinerung direkt oder vermittelt durch die Gewichtsreduktion zu einer wesentlichen Veränderung der Darmflora beizutragen. Wie Blüher informierte, nehmen nach einer bariatrischen Operation Firmicutes und Bacteroidetes ab, Proteobacteria dafür deutlich zu. Der Mediziner hält es für möglich, dass dies ebenfalls zu den positiven Auswirkungen der gewichtsreduzierenden Operation beiträgt. Eine Transplantation des Mikrobioms könnte daher auch in der Adipositas-Therapie wirksam sein. Bei Übergewichtigen ist eine Stuhl-Transplantation noch nicht umgesetzt, laut Blüher aber in Planung. Die Anwendungsgebiete dieses Verfahrens, das zum Beispiel bei entzündlichen Darmerkrankungen erfolgreich zum Einsatz kommt, seien sehr vielfältig. /
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Keine Placebos
Studien an Kindern sind jedoch selten und dafür gibt es verschiedene Gründe. Der wichtigste ist ethischer Natur: Nicht nur Eltern, auch Wissenschaftler zögern, Kinder dem strengen Prozedere evidenzbasierter Studien auszusetzen. So testen Mediziner Wirkstoffe zum Beispiel bis auf wenige Ausnahmen nicht an gesunden Kindern. Bei Studien mit kranken Kindern gibt es im Regelfall keine Placebo-Kontrollgruppe. Außerdem ist es schwierig, überhaupt genügend Teilnehmer zu finden. Bis die ausreichende Datenmenge zusammenkommt, können so mitunter Jahre vergehen.
Deshalb ist es für Pharmahersteller bislang wenig rentabel, Medikamente speziell für die Anwendung bei Kindern zu prüfen. Schließlich sind die Studien umfangreich und teuer, die Patientengruppe jedoch klein, sodass investierte Gelder nicht schnell wieder eingespielt werden.
Die Europäische Union wollte dieses Dilemma 2007 mit der sogenannten Kinderarzneimittelverordnung lösen. Das Papier legt fest, dass Pharmahersteller neu entwickelte Medikamente immer auch an Kindern prüfen müssen. Um überhaupt eine Zulassung für einen neuen Wirkstoff zu bekommen, müssen sie einen sogenannten Paediatric Investigation Plan (PIP) einreichen, der beschreibt, wie die Kinderstudien verlaufen sollen. Von dieser Regel ausgenommen sind einzig Arzneimittel, die Kinder sowieso nicht einnehmen, etwa Antidementiva.
Damit auch ältere Medikamente nach und nach auf ihre Wirksamkeit bei Kindern hin untersucht werden, sieht die EU-Verordnung außerdem eine spezielle Form des Patentschutzes vor. Wann immer ein Hersteller eines seiner älteren Präparate nachträglich auf seine Wirkung bei Kindern untersucht, bekommt er für das Mittel in dieser Indikation eine sogenannte Paediatric Use Marketing Authorisation (PUMA). Das heißt, andere Pharmafirmen dürfen die Erkenntnisse aus den Kinderstudien zehn Jahre lang nicht nutzen, sodass der Hersteller solange exklusiv vom Verkauf profitiert.
Leider erzielte die EU-Verordnung jedoch nicht die gewünschte Wirkung. Zwar hätten Hersteller seit 2007 mehrere hundert PIP eingereicht, sagte Professor Fred Zepp, Leiter der Kommission für Arzneimittelsicherheit bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), im Gespräch mit der PZ. Bislang sei es aber bei der bloßen Absichtserklärung geblieben. Die Hersteller dürften neue Arzneimittel nämlich oft schon auf den Markt bringen, bevor die Kinderstudien stattfinden, damit zumindest kranke Erwachsene von der Innovation profitieren. Das führe dazu, dass es bis heute nicht mehr Neuzulassungen für Kinder pro Jahr gebe als vor 2007, beklagte Zepp.
Noch düsterer sieht es beim Bestandsmarkt aus. Seit Einführung der EU-Verordnung wurden gerade einmal drei PUMA beantragt, zwei weitere sollen demnächst folgen. Dies unterläuft sämtliche Erwartungen der Behörden und der Kinderärzte. »PUMA entfalten keine relevanten Effekt für die Pädiatrie, das ist ein enttäuschender Prozess«, so Zepp.
Unrentable Investition
Die Arzneimittelhersteller haben verschiedene Erklärungen, warum die Sache mit den PUMA nicht vorankommt. Das deutsche Erstattungssystem mit früher Nutzenbewertung, Festbetragsgruppen und Rabattverträgen mache Investitionen in PUMA für Unternehmen einfach unrentabel, heißt es beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Dieser fordert deshalb, mit jeder PUMA-Zulassung automatisch einen beträchtlichen Zusatznutzen zu erteilen und diese Präparate grundsätzlich aus Festbetragsgruppen auszuschließen.
Ein weiteres Problem ist der Off-Label-Use. Denn Kinderärzte müssen die PUMA-Medikamente, so sie denn endlich auf dem Markt sind, gar nicht unbedingt verschreiben. Bislang waren Pädiater aufgrund fehlender für Kinder geprüfter Medikamente schließlich sehr kreativ und verordneten oft Erwachsenenmedikamente off Label, zum Beispiel als Rezeptur. Da diese viel weniger kosten als die PUMA, greifen Mediziner weiterhin darauf zurück, selbst wenn es passende Kinderarzneien gibt. Grund ist oft die Angst vor Regressen durch die Krankenkassen.
So können pharmazeutische Unternehmen das Geld, das sie in die Studien zu den PUMA-Präparaten investiert haben, nicht wieder einspielen. Der BPI fordert deshalb, Krankenkassen sollten off Label verordnete Mittel nicht mehr erstatten dürfen, sobald eine Alternative in Form eines für Kinder geprüften Fertigarzneimittels auf dem Markt ist.