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Arzneipflanzen

Weder Alleskönner noch Teufelszeug

25.03.2014  16:45 Uhr

Von Theodor Dingermann und Ilse Zündorf / Zugelassen oder registriert – bei pflanzlichen Arzneimitteln ist beides möglich. Welchem Verfahren ein Phytopharmakon seine Verkehrsfähigkeit verdankt, hängt vom Grad der Evidenz ab. Die Beurteilung von Pflanzenpräparaten hat das vereinfacht.

Wenn von pflanzlichen Arzneimitteln die Rede ist, kann man entweder den Eindruck gewinnen, dass diese eine Art Alleskönner sein müssen oder dass sie das Attribut »Arzneimittel« gar nicht verdienen, dass sie überflüssig sind und in bestimmten Situationen gar einen Behandlungserfolg gefährden. Mit mehr Sachverstand und weniger Emotionen kommt man jedoch zu der fast trivialen Erkenntnis, dass Phytopharmaka sowohl ihre Stärken als auch ihre Limitationen besitzen. Folglich gilt es, die Stärken zu nutzen und die Limita­tionen zu beachten.

 

Die gute ärztliche Behandlungskunst sollte dem Grundsatz folgen, angemessen zu therapieren. Dies legt nahe, dass der gesamte Arzneimittelschatz als Behandlungsoption wahrgenommen und nach Bedarf abgegriffen werden sollte. In dieser idealisierten Ausprägung geschieht das jedoch weitläufig nicht.

 

Vielseitiger Einsatz

Den Eindruck von den pflanzlichen Arzneimitteln als Alleskönner gewinnt man, wenn man sich vor Augen führt, wozu Arzneipflanzen als Rohstoffe alles herhalten müssen. Sie sind Ausgangsstoffe für Lebensmitteltees ebenso wie für Medizinaltees. Teile der Frischpflanzen werden genutzt, um die große Mehrzahl der Homöopathika herzustellen. Als Drogen, das heißt in Form von getrockneten Pflanzenteilen, sind sie Ausgangsstoffe für Anthroposophika. Und schließlich bilden sie die stoffliche Basis für Phytopharmaka, die Gruppe von Arzneimitteln, die immer wieder um einen fairen Platz im Segment der Schulmedizin kämpfen muss.

 

Allerdings stellen auch Phytopharmaka keine homogene Arzneimittelklasse dar. Sie können zugelassen oder regis­triert sein. Ihre Wirksamkeit kann von regulatorischer Seite als »gut etabliert« oder als »traditionell verwendet« eingestuft werden. Sie können auch auf Basis einer Standardzulassung verkehrsfähig sein. Und es ist möglich, dass sie in Form von Nahrungsergänzungsmitteln tatsächlich nur den Anschein erwecken, Arzneimittel zu sein.

 

Kann man da Skeptikern vorwerfen, pflanzlichen Arzneimitteln die Seriosität abzusprechen? Nur schwerlich. Bisher war es schwierig bis nahezu unmöglich, Phytopharmaka zu unterscheiden, die entweder ihre Zulassung bezugnehmend auf wissenschaftlichem Erkenntnismaterial erhalten haben, ohne dass das Arzneimittel selbst auf Wirksamkeit getestet wurde, oder die direkt klinisch getestet wurden und auf der Basis solcher Studien eine Zulassung erhalten haben. In manchen Situationen ist diese Unterscheidbarkeit jedoch wünschenswert, besonders dann, wenn bei dem konkreten Behandlungsanlass für das Arzneimittel nicht nur eine vermeintliche, sondern eine zuverlässige Wirksamkeit zu fordern ist.

 

Diese Unterschiede sind heute in den allermeisten Fällen erkennbar, nicht zuletzt dank des politischen Drucks aus europäischen Ländern, in denen Phytopharmaka einen anderen Stellenwert besitzen als in Deutschland. Transparenz hat unter anderem die europäische Richtlinie 2004/24/EG über traditionelle pflanzliche Arzneimittel geschaffen, die heute Bestandteil der Richtlinie 2001/83/EG ist, und deren Vorgaben in Paragraf 39a des gültigen deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG) eingearbeitet wurden.

 

Verschiedene Verfahren

 

Danach werden Phytopharmaka heute entweder (eher selten) auf Basis eines sogenannten Vollantrags mit vollständiger Dokumentation der präklinischen und klinischen, präparatespezifisch durchgeführten Untersuchungen oder (häufiger) auf Basis ihrer anerkannten medizinischen Verwendung (well-established medicinal use) zugelassen. Dazu muss der Hersteller nachweisen, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels für mindestens zehn Jahre allgemein medizinisch verwendet wurden und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit gemäß den Bedingungen des Anhangs I der Richtlinie 2001/83/EG aufweisen.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass Phytopharmaka als »tradi­tionelle pflanzliche Arzneimittel« mit Indikationen für relativ geringfügige Gesundheitsstörungen (traditional use) registriert werden, wenn der Wirksamkeitsbeleg nicht ausreichend erbracht werden kann, die Arzneimittel aber eine auf 30-jähriger Anwendung und Erfahrung beruhende plausible Wirksamkeit, eine ausreichende pharmazeutische Qualität und eine belegte Unbedenklichkeit nachweisen können. Damit wurde nicht nur der traditionellen Anwendung pflanzlicher Arzneimittel Rechnung getragen, für die keine oder nicht ausreichende klinische Studien vorliegen. Es wurde auch der unterschiedliche Grad der Erkenntnisbasis durch die Unterscheidung in registrierte und zugelassene Präparate kenntlich gemacht.

 

Die Neuregelungen der Paragrafen 39a bis d AMG lösen für pflanzliche Arzneimittel die sogenannte Nachzulassung nach Paragraf 109a AMG ab, nach der unter bestimmten Voraussetzungen traditionelle Arzneimittel bereits seit 1994 mit dem Nachweis ihrer Tradition anstelle der klinischen Wirksamkeit und einer entsprechenden Indika­tionsformulierung verkehrsfähig sein konnten. Die ursprünglich nach Paragraf 109a AMG nachzugelassenen traditionellen pflanzlichen Arzneimittel mussten allerdings bis Ende 2008 sogenannte Überführungsanträge nach Paragraf 39a AMG stellen, um auch weiterhin ihre Verkehrsfähigkeit aufrechterhalten zu können. /

 

Zitierte Literatur:

W. Knöss et al., Pharmakon 2/2014

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