Ein Fall für den Allrounder |
18.03.2015 09:26 Uhr |
Von Daniel Rücker, Frankfurt am Main / Menschen mit chronischen Schmerzen werden in Deutschland nicht optimal versorgt. Zu wenige Experten stehen zu vielen Patienten gegenüber. Experten fordern deshalb eine Bedarfsplanung speziell für den Bereich Schmerzmedizin. Als Vorbild gilt dabei Irland.
Fast jeder vierte Deutsche ist ein Schmerzpatient. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) gibt es hierzulande 23 Millionen Menschen, die wegen Schmerzen behandelt werden. Rund 10 Prozent davon litten unter der Schmerzkrankheit, also schwersten chronischen Schmerzen mit psychischen Beeinträchtigungen, sagte DGS-Präsident Gerhard Müller-Schwefe beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag Anfang März in Frankfurt am Main.
In manchen Regionen Irlands leben mehr Schafe als Menschen. Die Versorgung von Schmerzpatienten ist dort dennoch teilweise besser organisiert als in Deutschland.
Foto: Imago/Imagebroker
Für die große Zahl an Patienten gibt es vergleichsweise wenige ärztliche Experten. Laut Müller-Schwefe nehmen gerade einmal 1066 ambulant tätige Vertragsärzte an der sogenannten Schmerztherapievereinbarung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung teil. Nur ein Drittel dieser Ärzte behandelt dabei ausschließlich Schmerzpatienten. Das sei viel zu wenig, sagte Müller-Schwefe. Die rund 1000 Ärzte könnten keine effektive Schmerzmedizin sicherstellen.
Aus Sicht der DGS gibt es für das Problem nur eine vernünftige Lösung: »Wir fordern dringend die Bedarfsplanung für Schmerzmedizin«, sagte Müller-Schwefe. Da sich die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigungen an den jeweiligen Facharztgruppen orientiert, müsste mit der Planung auch der Facharzt für Schmerzmedizin ins Leben gerufen werden.
Über den Tellerrand hinaus
So sinnvoll diese Forderung erscheint, sie wird sich nicht leicht umsetzen lassen. Laut Müller-Schwefe müsste es schon in der Primärversorgung ausgebildete Schmerzmediziner geben. Ein ambulantes Angebot für Schmerzpatienten sei ganz wichtig. Das größte Problem dürfte aber die aktuelle Struktur der Schmerzmedizin sein. Es gebe zwar heute schon Fachärzte anderer Disziplinen, die sich hier speziell weitergebildet hätten, sagte der DGS-Präsident. Sie schauten aber selten über den Tellerrand hinaus und therapierten zumeist innerhalb ihrer eigenen Fachrichtung.
Es gibt Hausärzte, Orthopäden, Neurologen, Psychotherapeuten und Anästhesisten mit dieser Zusatzausbildung. Die meisten seien trotz ihrer Zusatzqualifikation nicht in der Lage, alle Aspekte einer chronischen Schmerzerkrankung zu erfassen und zu behandeln. »Schmerz hat eine psychische, eine soziale und eine körperliche Komponente«, sagte Müller-Schwefe. Deshalb brauche es für die Therapie keinen absoluten Spezialisten, sondern einen gut ausgebildeten Allrounder, der weder MS-Patienten therapieren können muss, noch alle möglichen Erkrankungen der Wirbelsäule behandeln kann. Ein guter Schmerztherapeut müsse vielmehr die Diagnostik insgesamt leisten können.
Mit diesen Vorschlägen rennen die Schmerzmediziner erwartungsgemäß bei ihren Kollegen aus den anderen Fachdisziplinen keine offenen Türen ein. Diese sehen sich selbst in der Lage, Schmerzpatienten adäquat zu behandeln. Ganz besonders gilt das offenbar für die Anästhesisten. Sie sehen die Schmerztherapie als einen Teil ihrer Fachdisziplin und wollen die Etablierung einer neuen Facharztgruppe am Rand ihres Fachs nicht akzeptieren.
Das gilt vor allem für diejenigen, die über eine vom Deutschen Ärztetag 1996 eingeführte Weiterbildung die Zusatzbezeichnung »Spezielle Schmerztherapie« bekommen haben. Die DGS hält diese Weiterbildung allerdings nicht für ausreichend. Auch Ärzte mit dieser Zusatzbezeichnung seien nicht genügend interdisziplinär geschult.
Vorbild Irland
Mut machen den deutschen Schmerzmedizinern die irischen Ärzte. In Irland gibt es seit 2014 den Facharzt für Schmerzmedizin. Auch dort mussten die Schmerzmediziner einen langen und beschwerlichen Weg gehen. Dabei hätten sie unverhofft Rückenwind von einer eigentlich negativen Entwicklung im Land bekommen, sagte der Dubliner Schmerzarzt Josh Keaveny. Das von der Finanzkrise gebeutelte Land musste sparen, auch im medizinischen Sektor. Man habe aber erkannt, dass Schmerzmedizin keine Kosten verursache, sondern senke, so Keaveny. Deshalb wurde diese Fachdisziplin trotz einiger Widerstände schnell etabliert.
Auch Müller-Schwefe argumentiert mit Kosten, wenn er die Vorteile der geplanten Fachdisziplin Schmerztherapie aufzählt. Mit einer frühen Intervention lasse sich die Zahl der Frühverrentungen von Schmerzpatienten deutlich senken. Die daraus resultierenden Einsparungen überstiegen dabei die Therapiekosten deutlich. Somit könne man die Kosten senken und gleichzeitig die Lebensqualität der Patienten verbessern. /