Atmen gefährdet die Gesundheit |
14.03.2018 09:34 Uhr |
Von Annette Mende / Die Stickoxid-Belastung der Luft in Deutschland hat erhebliche negative Folgen für die Gesundheit. Dieses Ergebnis einer Studie des Umweltbundesamts dürfte die Debatte um Fahrverbote für Diesel-Pkw weiter anheizen. Größere Anstrengungen zur Luftreinhaltung sind dabei auch mit Blick auf die Feinstaub-Werte dringend geboten.
Stickoxide und ihre Folgen für die menschliche Gesundheit sind nach dem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten momentan Gegenstand heftiger Diskussionen. Die unter dem Sammelbegriff NOx zusammengefassten Verbindungen entstehen bei der Verbrennung von Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfällen.
Der Straßenverkehr ist die Hauptquelle für Stickoxide in der Luft.
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Auch Diesel-Abgase enthalten NOx, die Abgase von Benzin-Motoren dagegen so gut wie gar nicht. Laut UBA ist in Deutschland von 1990 bis 2015 insgesamt ein Rückgang der NOx-Emissionen um 1,7 Millionen Tonnen (59 Prozent) zu verzeichnen. Dennoch werden nach wie vor insbesondere an verkehrsreichen Straßen in Ballungsräumen die EU-Grenzwerte von 40 µg pro m3 im Jahresmittel vielerorts überschritten. Der Straßenverkehr ist mit Abstand die Hauptquelle für den Luftschadstoff.
Stickoxide werden überwiegend als Stickstoffmonoxid (NO) emittiert, oxidieren aber anschließend atmosphärisch zu Stickstoffdioxid (NO2). Dieses ist ein Reizgas mit stechend-stickigem Geruch, das von den oberen Atemwegen nicht herausgefiltert wird und dadurch tief in die Lunge eindringt. Dort kann das starke Oxidationsmittel Entzündungsreaktionen verursachen sowie zu einer verstärkten Reizbarkeit der Bronchien führen. Das erhöht das Risiko für Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Schlaganfall, Asthma und chronische obstruktive Lungenerkrankung (COPD).
Das UBA hat jetzt die verfügbare Evidenz zu den Gesundheitsgefahren von NO2 zusammengetragen, mit den im Jahr 2014 an Messstellen in Deutschland gemessenen Konzentrationen korreliert und so die Gesamtbelastung für die Bevölkerung berechnet. Demnach ließen sich 2014 hierzulande rund 6000 vorzeitige Herz-Kreislauf-bedingte Todesfälle auf NO2 zurückführen. Das entspricht circa 1,8 Prozent aller kardiovaskulären Todesfälle in diesem Jahr. Darüber hinaus seien 437 000 Fälle von Typ-2-Diabetes (8 Prozent) und 439 000 Fälle von Asthma (14 Prozent) dem NO2 zuzuordnen.
Zwar basieren diese Zahlen auf epidemiologischen Studien, die grundsätzlich keine Aussagen über ursächliche Beziehungen zulassen, räumt das UBA ein. Es gebe jedoch zahlreiche konsistente Ergebnisse über die statistischen Zusammenhänge zwischen negativen gesundheitlichen Auswirkungen und NO2-Belastungen. Die Schätzungen sind zudem sehr vorsichtig, denn extrem hohe Messwerte, etwa von verkehrsreichen Straßen in Großstädten, wurden nicht mit einbezogen. »Insgesamt ist davon auszugehen, dass die in der vorliegenden Studie getroffenen Annahmen zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Krankheitslast führen und tatsächlich mehr Menschen an Auswirkungen zu hoher NO2-Konzentrationen leiden«, heißt es in der Studie.
Krankheitslast noch unterschätzt
Wie zurückhaltend das UBA bei der Berechnung vorging, zeigt sich auch daran, dass für NO2-Belastungen unter 10 µg pro m3 keine Gesundheitsschäden angenommen wurden, weil die verfügbare Evidenz hierfür nicht ausreiche.
In vielen Städten Deutschlands liegen die Stickoxidwerte im gesundheitsgefährdenden Bereich.
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Professor Dr. Joachim Heinrich von der LMU München sah das bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in Berlin jedoch anders. Gesundheitlich nachteilige Wirkungen durch Luftschadstoffe wie Feinstaub und Stickoxide seien auch unterhalb der bestehenden Grenzwerte deutlich zu sehen, sagte der Epidemiologe.
Der Diesel-Skandal habe die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Stickoxide gelenkt. »Das hat zu skurrilen Vorschlägen und Gedankenspielen geführt, zum Beispiel, die Grenzwerte für Feinstaub zu erhöhen, damit durch eine veränderte Technologie der Motorverbrennung der Abgasausstoß von Stickoxiden gesenkt werden kann«, so Heinrich. Das bedeute jedoch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, denn Feinstaub sei nachweislich der gesundheitlich schädlichere Luftschadstoff. Zahlen des UBA bestätigen das: Demnach waren 2014 rund 41 100 vorzeitige Todesfälle auf Feinstaub zurückzuführen – fast das Siebenfache der NO2-bedingten kardiovaskulären Übersterblichkeit.
Daten für Europa fehlen
Ein Problem bei der Beurteilung der gesundheitlichen Langzeitfolgen von Luftschadstoffen ist, dass die Daten dazu bisher überwiegend aus Kohortenstudien in Nordamerika stammten. Sie lassen sich jedoch nicht ohne Weiteres auf die Verhältnisse in Europa übertragen, weil hier beispielsweise andere Emittenten eine Rolle spielen und teilweise andere klimatische Bedingungen herrschen. Das Forschungsprojekt ESCAPE (European Study of Cohorts for Air Pollution Effects) soll hier Abhilfe schaffen. Wie Heinrich berichtete, konnte mit diesen Daten bisher statistisch signifikant unter anderem ein Risikoanstieg für Lungenkrebs durch Feinstaub und eine Senkung der Lungenfunktionswerte durch Feinstaub und NO2 gezeigt werden.
»Insgesamt sind die Wirkungen von Luftschadstoffen für die Allgemeinbevölkerung in den Konzentrationen, wie wir sie derzeit in Deutschland haben, eindeutig nachweisbar«, sagte Heinrich. Das Ausmaß der Schädigung sei zwar nicht als sehr hoch einzuschätzen, sie betreffe aber einen sehr großen Anteil der Bevölkerung. Deshalb habe der Gesetzgeber auch für alle für saubere Luft zum Atmen zu sorgen – auch in Ballungsräumen mit hohem Verkehrsaufkommen. Besonders verletzlich seien Patienten mit Asthma, COPD, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes sowie Kinder. /