Profilierungschance für Apotheker |
11.03.2014 09:37 Uhr |
Von Sven Siebenand / Professor Martin Smollich ist Fachapotheker für Klinische Pharmazie. Seit Kurzem hat er an der Mathias Hochschule Rheine die deutschlandweit erste Professur für Klinische Ernährung inne. Im Gespräch mit der PZ erklärt er, wie sich Klinische Pharmazie und Klinische Ernährung ergänzen und warum sich gerade Apotheker mit Ernährungsfragen beschäftigen sollten.
PZ: Herr Smollich, welche Forschungsschwerpunkte hat man als Professor für Klinische Ernährung?
Smollich: Bereits während meiner Tätigkeit als Stationsapotheker haben sich für mich erste Bezüge zwischen der Klinischen Pharmazie und der Klinischen Ernährung herausgebildet. Ich lernte, dass es für den Therapieerfolg einen Faktor gibt, der eigentlich selbstverständlich ist, der aber in der klinischen Routine meist vollständig untergeht: der Ernährungszustand des Patienten. Das wollen wir verbessern. Die Bedeutung der an die jeweilige Grunderkrankung und klinische Situation angepassten Ernährung ist nämlich für den Therapieerfolg häufig mindestens so entscheidend wie die korrekte Arzneimitteltherapie. Denn qualifizierte Klinische Ernährung der Patienten bedeutet meist nicht bloße Diätetik, sondern sie erfordert kontrollierte, individuell bilanzierte und supplementierte, häufig hochkomplexe Ernährungsregime. Daran arbeiten wir. Dies gilt übrigens nicht nur für kritisch kranke Intensiv- oder Tumorpatienten, sondern auch für zahlreiche andere Erkrankungen. Ein wichtiges Forschungsgebiet ist zudem das Thema Mangelernährung.
PZ: In den Medien liest man eher von Themen wie Adipositas und metabolisches Syndrom. Ist Mangelernährung hierzulande denn ein relevantes Thema?
Professor Martin Smollich: »Ernährungsabhängige Erkrankungen stellen in der öffentlichen Apotheke quasi ein Alltagsgeschäft dar.«
Foto: privat
Smollich: Rund 25 Prozent der Patienten in deutschen Krankenhäusern sind nach Erkenntnissen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin mangelernährt. Das hat einen direkten Effekt auf den Therapieerfolg, da man-gelernährte Patienten häufiger Komplikationen erleiden, invasive Therapien gar nicht durchgeführt werden können und die Sterblichkeit deutlich erhöht ist.
Besonderes Augenmerk richten wir auf die geriatrische Mangelernährung. Wie auch die geriatrische Pharmazie bis vor wenigen Jahren ein wenig beachtetes Nischendasein fristete, so sehen wir auch im Bereich der Ernährungstherapie geriatrischer Menschen in Deutschland großen Nachholbedarf. Mangelernährung wird immer mit Entwicklungsländern assoziiert, dabei ist es ein weithin unbeachteter Skandal, dass hierzulande mehr als die Hälfte der geriatrischen Patienten man- gelernährt sind, wenn sie ins Krankenhaus eingeliefert werden. Das hat gravierende Folgen für die Lebensqualität des Einzelnen und für das Gesundheitssystem als Ganzes.
PZ: Sie sprechen von Krankenhaus und Erfahrungen aus dem stationären Alltag. Hat Klinische Ernährung ausschließlich etwas mit Klinik zu tun?
Smollich: Nein. Genau wie Klinische Pharmazie überall dort stattfindet, wo es pharmazeutische Betreuung und patientenorientierte Pharmazie gibt, so geht es auch bei der Klinischen Ernährung nicht ausschließlich um die stationäre Ernährung in der Klinik: Der Begriff Klinische Ernährung umfasst sämtliche Ernährungsmaßnahmen bei erkrankten Menschen, und zwar unabhängig von der Grunderkrankung und dem Alter, unabhängig ob stationär oder ambulant, ob chronisch oder akut. Ziel ist dabei immer die Verbesserung des klinischen Verlaufs mit rascherer Genesung, Leistungserhalt und Leistungssteigerung. Die Klinische Ernährung ist damit essenzieller Bestandteil eines umfassenden Therapiekonzepts aus den Bereichen Medizin, Pflege, Pharmakologie und eben Ernährungstherapie. Hier können sich auch Apotheker engagieren und weiterbilden.
PZ: Eine Möglichkeit dazu ist der auch an Apotheker gerichtete Studiengang »Clinical Nutrition/Ernährungsmanagement, B.Sc.« an der Hochschule Rheine, dessen Leiter Sie sind. Was sind die Studienziele?
Smollich: Zentrale Aufgabe der akademisch ausgerichteten Klinischen Ernährung ist es, hinsichtlich der Ernährungsempfehlungen nur harte Evidenz zuzulassen. Im Internet oder in der Laienpresse kursieren oft sehr zweifelhafte und obskure Ernährungsempfehlungen, die aus der Sorge der Patienten ein Geschäft machen. Mit dem Studium »Clinical Nutrition« werden unsere Absolventen in die Lage versetzt, evidenzbasierte Empfehlungen zu geben und im Gespräch mit Ärzten und Kostenträgern darlegen zu können, welche Maßnahmen auf Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Studienlage begründbar sind.
Süß, aber nicht unbedingt gesund: Mit Ratschlägen zur Ernährung können Apotheken bei ihren Patienten punkten.
Foto: Imago/ Arco Images
Der Studiengang bereitet nicht nur auf die eigenständige und qualifizierte Ernährungstherapie bei primär ernährungsbedingten Krankheitsbildern wie Adipositas, Untergewicht in der Geriatrie oder Tumorkachexie vor. Ein Fokus wird auch auf ergänzende Ernährungstherapie und -beratung bei sämtlichen Krankheitsbildern, deren Verlauf und Heilung durch Ernährung wirksam beeinflusst werden kann, gelegt.
Selbstverständlich kann auch die beste Ernährungstherapie bei Erkrankungen die optimale Arzneimitteltherapie nicht ersetzen. Diese Behauptung wäre mehr als unseriös. Gesichert ist jedoch, dass die Prognose vieler Krankheitsbilder durch qualifizierte Ernährungstherapie günstig beeinflusst werden kann, sodass erst im Zusammenspiel von Ernährungs- und Arzneimitteltherapie das für den individuellen Patienten optimale Therapieergebnis erzielt wird. Und genau deshalb bietet sich hier eine weitergehende Qualifizierung und Profilierung von Apothekern an. Interessant könnte das Studium aber auch für PTA sein.
PZ: Wie ist das Studium aufgebaut, und was sind die Kosten?
Smollich: Das Studium ist modular aufgebaut und umfasst sechs Semester. Es setzt sich zusammen aus Präsenzphasen an der Hochschule, Transferzeiten und Selbststudienzeit. Am Ende des Studiums steht die Bachelor-Arbeit. Grundsätzlich ist das Studium ein reguläres Vollzeitstudium. Es ist durch den großen Anteil an Selbststudienzeit aber so organisiert, dass die Studierenden parallel noch arbeiten können.
Um später eine qualifizierte Ernährungstherapie innerhalb des therapeutischen Gesamtkonzeptes durchführen zu können, lernen unsere Studierende, im Studium nicht nur die separaten Ernährungsaspekte, sondern sie werden auch mit der entsprechenden Pathologie, Diagnostik und Pharmakotherapie vertraut gemacht. Schwerpunkte sind unter anderem Ernährungsmedizin und Ernährungstherapie spezieller Patientenkollektive, Pharmakologie und Toxikologie in der Ernährungstherapie sowie ernährungstherapeutisches Handeln und Diätetik in der Praxis.
Die Studienentgelte für Studierende des Studiengangs »Clinical Nutrition« betragen 285 Euro pro Monat. Neben den Möglichkeiten der steuerlichen Absetzbarkeit oder der (teilweisen) Kostenübernahme durch den Arbeitgeber gibt es verschiedene Fördermöglich-keiten.
PZ: Können Sie ein Beispiele nennen, wie Offizinapotheker mit dem Wissen aus dem Studium in der Apotheke punkten können?
Smollich: Ernährungsabhängige Erkrankungen stellen in der Offizinapotheke quasi ein Alltagsgeschäft dar. Deshalb besteht hier die große Möglichkeit, dass sich die Apothekenmitarbeiter beziehungsweise die Apotheke als Institution profilieren. Das Studium qualifiziert dazu, bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch eine ernährungsmedizinische Beratung durchzuführen. Auch kann eine Apotheke ihren Kunden regelmäßige Patientenschulungen zu ernährungsmedizinischen Themen anbieten. Die Offizinapotheke ist geradewegs prädestiniert dafür, die Arzneimittelberatung mit Ernährungsempfehlungen zu verbinden. Diabetes oder Gicht sind Erkrankungen, die einem hier sofort einfallen würden. Aber es gibt eine Reihe weiterer indirekt ernährungsabhängiger Erkrankungen.
PZ: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Smollich: Patienten mit diabetischer Polyneuropathie sollten beispielsweise kleine Mahlzeiten bevorzugen und dabei schnell resorbierbare Kohlenhydrate vermeiden. Ebenso wichtig sind eine möglichst vollständige Alkoholkarenz und die ausreichende Vitamin-D-Zufuhr.
Ein anderes wichtiges Thema ist der Stellenwert der Selen-Supplementation in der Onkologie.
PZ: Was sollten Apotheker Krebspatienten bezüglich einer Selen-Einnahme raten?
Smollich: Wenn Patienten irgendwo lesen, »Selen ist gut gegen Krebs«, dann ist es Aufgabe unserer Absolventen, wissenschaftlich qualifiziert Stellung zu nehmen und praktische Empfehlungen zu geben. Es geht hier immer um eine differenzierte, evidenzbasierte und wissenschaftlich fundierte Ernährungstherapie. Natürlich kann man nicht sagen, »Selen ist gut gegen Krebs«, aber auch umgekehrt wäre es falsch zu behaupten, es gäbe hier keinen Zusammenhang. Konkret kommt es beispielsweise auf Tumorlokalisation und -grad, Selen-Dosierung, chemische Form der Selen-Zubereitung, Alter, Geschlecht und Genotyp an. Die Bewertung einer Selen-Supplementation während onkologischer Therapien ist also durchaus sehr differenziert zu sehen und in jedem Einzelfall individuell zu bewerten. /