Fatigue ganzheitlich behandeln |
08.03.2016 15:00 Uhr |
Von Christina Müller, Berlin / Viele Krebspatienten leiden während und nach einer Chemotherapie unter Fatigue. Das sogenannte Erschöpfungssyndrom kann die Erkrankten in ihrer Lebensqualität erheblich einschränken. Auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin erläutern Experten, wie den Betroffenen geholfen werden kann.
Fatigue ist eine häufige Begleiterscheinung in der Tumortherapie. Zwischen 60 und 100 Prozent der Krebspatienten klagen während der Behandlung über ausgeprägte Müdigkeit. »Bei mehr als jedem Vierten tritt das Erschöpfungssyndrom als Langzeitfolge nach Abschluss der Therapie auf«, sagte Professor Dr. Joachim Weis von der Klinik für Tumorbiologie an der Universität Freiburg. Die zugrunde liegenden Mechanismen seien jedoch bislang unklar.
Ständig müde und antriebslos: Das sind die Kennzeichen eines Erschöpfungssyndroms, das bei Krebspatienten häufig vorkommt.
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Wichtige Elemente in der Behandlung der Betroffenen sind laut Weis die Verhaltenstherapie und die gezielte Schulung der Patienten. In Einzel- und Gruppengesprächen lernen sie, mit ihrer Situation besser umzugehen, etwa mithilfe bestimmter Entspannungstechniken. Denn die geminderte Leistungsfähigkeit führe oft zu Stress und letztlich zu Depressionen. »Durch Psychoedukation können wir die Fatigue nicht heilen, aber wir können die Lebensqualität der Erkrankten verbessern und unter Umständen Folgeerscheinungen verhindern«, erklärte Weis.
Mit Sport nicht übertreiben
Dr. Petra Voiß vom interdisziplinären Brustzentrum der Kliniken Essen-Mitte setzt auf alternative Verfahren. So ließen sich etwa durch Akupunktur bei den Patienten oft große Effekte erzielen, sagte sie. Klinische Studien belegten zudem, dass bestimmte Yoga- Formen die Konzentration von Entzündungsmediatoren wie NF-κB im Blut senken. »Möglicherweise steht NF-κB sogar in Zusammenhang mit der Entstehung der Fatigue«, so Voiß. Diesbezüglich bestehe noch Forschungsbedarf.
Auch Sport kann dazu beitragen, das Befinden der Patienten zu verbessern. Dr. Freerk Baumann von der Deutschen Sporthochschule Köln warnte jedoch davor, die Erkrankten zu stark zu beanspruchen. »Je nachdem, welche Folgeerscheinung der Krebstherapie man behandeln möchte, gibt es völlig unterschiedliche Bewegungsprogramme«, erklärte er. Menschen, die während der Behandlung unter Fatigue litten, sollten etwa vier bis fünf Stunden pro Woche spazieren gehen. So ließe sich das beste Ergebnis erzielen. »Mehr Bewegung bringt in diesem Fall eher schlechtere als bessere Resultate«, so Baumann.
Sport werde vom Körper als Stress wahrgenommen und führe zu einem höheren Energieverbrauch. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand ist das Pensum laut Baumann daher an die Schwere des Erschöpfungszustands anzupassen. »Je ausgeprägter die Fatigue ist, desto weniger intensiv sollte das Training ausfallen.« Zu klären bleibe, ob etwa körperliche Aktivität an der frischen Luft einen höheren Nutzen habe als Training in der Halle oder im Fitnessstudio.
Dr. Matthias Rostock vom Institut für komplementäre und integrative Medizin am Universitätsspital Zürich unterstrich den Stellenwert der besprochenen Therapieoptionen. Sie bildeten das Grundgerüst in der Behandlung von Patienten mit Erschöpfungssyndrom und sollten möglichst ineinandergreifen. Ergänzend könne auch der Einsatz pflanzlicher Arzneimittel erwogen werden, sagte er. »Die Phytotherapie kann helfen, die Patienten für andere Maßnahmen zu aktivieren«, so Rostock.
So zeigte etwa Guarana bei der akuten Fatigue während einer Chemotherapie bei Brustkrebspatientinnen deutliche Vorteile. Im Vergleich zu Placebo habe sich die Symptomatik der Frauen bei der Behandlung mit Guarana signifikant verbessert. Darüber hinaus klagten sie laut Rostock deutlich weniger über Übelkeit und Schlafstörungen. Baldrian sei gegen Schlaflosigkeit zwar wenig effektiv, wirke dafür aber gegen nervöse Erschöpfung. »Das entspricht der ursprünglichen Indikation für den Einsatz von Baldrianwurzel«, sagte Rostock.
Besonders gut erforscht sei die Wirksamkeit von Ginseng. Bei Tagesdosen von 1 bis 2 g ginge es rund 30 Prozent der Patienten besser. »Daran sieht man aber auch, dass Ginseng nicht jedem hilft«, so Rostock. Der positive Effekt sei während der Chemotherapie signifikant, nach dem Ende der Behandlung jedoch deutlich schwächer ausgeprägt.
Pharmakotherapie spielt untergeordnete Rolle
Für Mistelpräparate, die in Fachkreisen immer wieder für Kontroversen sorgen, gäbe es Einzelbeispiele, in denen die Patienten von der Anwendung profitierten. Sie könnten in bestimmten Fällen die Lebensqualität verbessern und die Müdigkeit mindern. Rostock warnte jedoch davor, Mistelpräparate bei hämatologischen Erkrankungen einzusetzen. »Es gibt Hinweise, dass die Mistel auch das Wachstum maligner Blutzellen fördern könnte«, gab er zu bedenken.
Die pharmakologische Therapie von Krebspatienten mit Erschöpfungssyndrom spielt allenfalls eine untergeordnete Rolle. Das sagte Dr. Markus Horneber, Leiter der Arbeitsgruppe biologische Krebstherapie am Klinikum Nürnberg. »Eine medikamentöse Behandlung kann unter Umständen die Symptome verbessern, aber nur bei einem sehr kleinen Patientenkollektiv und in der Hand eines Fachmanns«, so Horneber. Der einzige geeignete Wirkstoff sei Methylphenidat. Zwar käme in einigen wenigen Fällen auch Dexamethason zum Einsatz, aufgrund des hohen Nebenwirkungspotenzials jedoch nur in der Palliativmedizin.
Horneber empfiehlt, den Einsatz von Methylphenidat stets kritisch zu überdenken. Denn auch das Betäubungsmittel kann unerwünschte Wirkungen hervorrufen, etwa Magenschmerzen und Appetitlosigkeit. »Das kann eine Kachexie als Folge der Krebstherapie verstärken«, so der Experte. Daher sollten Ärzte den Arzneistoff nur bei besonders stark ausgeprägter, persistierender Fatigue verschreiben. Methylphenidat ist einschleichend und nach Verträglichkeit zu dosieren. Spricht der Patient nach einer Woche nicht auf das Medikament an, rät Horneber, es wieder abzusetzen. Der Einsatz von Antidepressiva sei bei Fatigue nicht angezeigt. /