Zwischen Anspruch und Wirklichkeit |
03.03.2015 11:10 Uhr |
Von Elke Wolf, Frankfurt am Main / »Umsatzstarke Arzneimittel: Sind sie ihr Geld wert?« Das Programm des jüngsten Fertigarzneimittelseminars an der Universität Frankfurt war ungewöhnlich und versprach deshalb, spannend zu werden. Die rund 300 Zu- hörer wurden vom Abschlusssemester Pharmazie nicht enttäuscht.
Julia Welzel ging in ihrem Referat der Frage nach, ob das Risiko einer Agranulozytose durch Metamizol angesichts seiner Beliebtheit nicht unterschätzt wird. Die Agranulozytose, definitionsgemäß eine Neutropenie mit weniger als 0,5 neutrophilen Granulozyten pro Nanoliter Blut, ist eine zwar seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkung und stellt gewissermaßen die Achillesferse bei der Verordnung von Metamizol dar. Tatsache ist, dass die Verschreibungszahlen von Metamizol im ambulanten Bereich im Zeitraum von 2004 bis 2013 um sage und schreibe 283 Prozent gestiegen sind. Gleichzeitig sind die Verordnungen von Acetylsalicylsäure und Paracetamol rückläufig.
Kurz vor dem Zweiten Staatsexamen haben die Studenten des achten Semesters Pharmazie der Uni Frankfurt immer noch das eintägige Fertigarzneimittelseminar zu bewältigen.
Fotos: Pharmazie Uni Frankfurt
Novaminsulfon punktet neben seiner analgetischen und antipyretischen Wirkung vor allem mit seiner spasmolytischen Komponente. Antiinflammatorisch wirkt der Arzneistoff jedoch nicht. »Metamizol ist das einzige Analgetikum mit krampflösendem Effekt, und das macht es bei einigen Indikationen unverzichtbar. Selbst bei Kindern ist es zugelassen«, erklärte Welzel. So kommen für Metamizol postoperative Akutschmerzen, Tumorschmerzen und vor allem Koliken infrage, aber auch starke Fieberkrämpfe, bei denen andere Maßnahmen erfolglos waren, sind sein Einsatzgebiet. Bei leichten bis mittelstarken Fieberzuständen ist es hingegen nicht indiziert. Aufgrund der vorrangigen Hemmung der COX-2 besitzt Metamizol jedoch ein geringes Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen wie Ulcerationen, Mikroblutungen oder Übelkeit – ein entscheidender Vorteil gegenüber Substanzen wie Acetylsalicylsäure oder Diclofenac.
Diesen positiven Aspekten steht jedoch die seltene Nebenwirkung Agranulozytose gegenüber. Um das Nutzen-Risiko-Verhältnis anzupassen, unterliegt das Medikament in Deutschland der Rezeptpflicht und die Indikation wurde im Laufe der Zeit eingeschränkt. Welzel stellte aktuelle Zahlen vor, aus denen hervorgeht, dass trotz der gestiegenen Verordnungszahlen die Fälle von Agranulozytose im Großen und Ganzen auf gleich niedrigem Niveau geblieben sind.
Die neuesten Daten zur Agranulozytose-Inzidenz liefert eine Pharmakovigilanz-Forschung auf Basis von GKV-Routinedaten von 2011 bis 2013. Diese Studie hat einen Agranulozytosefall pro 1602 Verordnungen ermittelt und ähnelt damit Studienergebnissen aus den 1990er-Jahren. Allerdings ist auch dieser Wert fragwürdig, da das Risiko der Nebenwirkung in Zusammenhang mit Kofaktoren wie Gefäßerkrankungen oder Chemotherapie ermittelt wurde. Nach wie vor fehlen Daten über die alleinige Wirkung von Metamizol, stellte die Referentin fest. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hält eine regelmäßige Differenzialblutbild-Überwachung und eine strenge Indikationsstellung für notwendig. Hierin liege nämlich nach den Ausführungen Welzels das eigentliche Problem: Die generell gute Verträglichkeit verleite dazu, es auch bei leichten und mittelstarken Schmerzen off label anzuwenden. Doch dies steht in keinem Verhältnis zum Risiko der Blutbildungsstörung.
Blockbuster Pantoprazol
Die Arbeitsgruppe um Larissa Kremer ging den hohen Verordnungszahlen von Pantoprazol auf den Grund. Der Protonenpumpenhemmer (PPI) ist der mit Abstand am häufigsten verordnete seiner Substanzklasse, und die Verordnungszahlen nehmen gemäß dem Arzneiverordnungsreport 2013 deutlich zu. In 66 Prozent aller PPI-Verordnungen schreiben Ärzte Pantoprazol auf den Rezeptblock. Ist Pantoprazol den anderen Vertretern seiner Klasse wirklich überlegen?
In der Wirksamkeit unterscheidet sich Pantoprazol kaum von seinen Schwestersubstanzen Esomeprazol und Omeprazol, Rabeprazol ist dagegen nach den Ausführungen Kremers überlegen. Auch bezüglich der Beeinflussung durch CYP-Enzyme zeige Rabeprazol Vorteile; es werde nicht enzymatisch metabolisiert und nur unwesentlich durch das CYP-System beeinflusst. Pantoprazol werde dagegen zu einem großen Anteil durch das Isoenzym CYP2C19 verstoffwechselt. Insofern sei der CYP2C19-Polymorphismus nicht unerheblich; eventuell sind Dosisanpassungen bei Pantoprazol notwendig.
Ob Rabeprazol wegen seines insgesamt geringeren Interaktionspotenzials Pantoprazol den Rang ablaufen kann, ist derzeit nicht klar. Denn Rabeprazol verfügt noch nicht über ausreichende Studiendaten bei der Langzeittherapie, so die Referentin.
Gefüllter Hörsaal: Rund 300 Teilnehmer kamen zum Fertigarzneimittelseminar.
Nach Rabeprazol ist Pantoprazol derjenige PPI mit der geringsten Tendenz zu Nebenwirkungen. Dies stellte auch Kremer als wesentlichen Grund für die hohen Verordnungszahlen dar. Dadurch kann es im Gegensatz zu Omeprazol mit den nicht steroidalen Antirheumatika Diclofenac, Prioxicam oder Naproxen verabreicht werden. Dies erklärt die häufige Co-Medikation von Pantoprazol mit NSAR. Allerdings ist die prophylaktische Verordnung von PPI zusätzlich zu den NSAR nicht leitlinienkonform. Deshalb mahnte Kremer eine strengere Indikationsstellung bei der Verordnung an. Sie wies darauf hin, dass Risikopatienten wie Senioren oder chronisch Kranke mitunter ein gesteigertes Potenzial für die durch PPI hervorgerufenen Langzeitfolgen wie ein gesteigertes Frakturrisiko aufweisen. Vor allem postmenopausale Frauen sind Osteoporose-gefährdet, sodass durch den Arzt eine genaue Nutzen- Risiko-Bewertung in der Co-Medika- tion mit PPI erfolgen sollte.
Das geringere Interaktionspotenzial von Pantoprazol zahlt sich auch bei der gleichzeitigen Einnahme von Clopido-grel, Warfarin und Diazepam aus. Werden PPI gleichzeitig etwa mit Clopido-grel eingenommen, besteht die Gefahr, dass die Hemmung der Thrombozytenaggregation durch die PPI abgeschwächt und das kardiovaskuläre Risiko erhöht wird. Diese Interaktion betrifft besonders Omeprazol und Lansoprazol. Für Pantoprazol hat die Studienlage bislang kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko ermitteln können.
VEGF-Hemmer im Streit
Seit Jahren tobt um Avastin® (Bevacizumab) und Lucentis® (Ranibizumab) ein Streit um Wirkung und Kosten. Als Inhibitoren des vaskulären endothelialen Wachstumfaktors (VEGF) werden beide zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) eingesetzt. Für diese Indikation zugelassen ist jedoch nur Lucentis. Das preislich wesentlich günstigere Avastin hat nur eine Zulassung in Kombination mit einer intravenösen Chemotherapie zur Erstlinienbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Dickdarm-, Brust-, Bronchial-, Nierenzell-, Ovarial- und Eileiterkarzinom. Der Off-label-use von Avastin aus ökonomischen Gründen ist seit Jahren umstritten, nicht zuletzt deshalb, weil mit Lucentis eine zugelassene Therapieoption zu Verfügung steht. Ist der hohe Preis von Lucentis mit einer besseren Wirksamkeit im Vergleich zum Konkurrenten gerechtfertigt? Das war das Thema des Referats von Alexandra Schneider.
Hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit nehmen sich beide Substanzen nichts; nach den Ausführungen Schneiders belegen zahlreiche Studien ihre Gleichwertigkeit. Fest steht, dass seit Einführung der VEGF-Antikörper in die Therapie der AMD die Inzidenz an Erblindungen abgenommen hat. Der Einsatz beider VEGF-Hemmer ist heute gängige Praxis. »Spricht ein Patient nicht auf Lucentis an, wird auf Avastin umgestellt und umgekehrt«, informierte die Referentin. Derzeit plant das Herstellerunternehmen keine Indikationserweiterung für Bevacizumab. Die Begründung: Das Unternehmen sei an der Entwicklung von Medikamenten interessiert, für die es noch keine wirksamen Therapien gebe, und mit Ranibizumab sei eine wirksame Therapieoption für die AMD verfügbar.
Schneider sprach sich dafür aus, aus ökonomischer Sicht Avastin zu injizieren. Allerdings sei es essenziell, auf eine sachgerechte Auseinzelung zu achten, um Risiken für die Patienten wie Infektionen zu vermeiden. Die Kosten der Lucentis-Therapie sind nach Ansicht der Arbeitsgruppe überzogen. »Bleibt der Preis für Lucentis unverändert, sollte die Kostenerstattung für beide Präparate geändert werden. Statt der Übernahme von durchschnittlich vier Lucentis-Applikationen, wie es heute praktiziert wird, sollte lieber eine kontinuierliche Gabe von Avastin bezahlt werden. Studienergebnisse zeigen, dass ein solches Behandlungsregime sinnvoll ist.«
Eine 2012 abgeschlossene Studie demonstriert nämlich, so Schneider, dass eine reduzierte Anzahl von Injektionen die Wirksamkeit der Lucentis-Therapie herabsetzt. Schneider zog deshalb folgendes Fazit: Bei Einsatz von Lucentis muss die Anzahl der für einen lang anhaltenden Therapieerfolg benötigten Injektionen eingehalten werden, da sich andernfalls die hohen Kosten des Medikaments keinesfalls rechtfertigen lassen. /