Pharmazeutische Zeitung online
Pharmakovigilanz

Unerwünschte Wirkungen an die AMK melden

08.03.2010  15:58 Uhr

Von Petra Zagermann-Muncke, Sonja Frölich und Martin Schulz / Apothekerinnen und Apotheker sind nach den Berufsordnungen der Apothekerkammern verpflichtet, unerwünschte Arzneimittelwirkungen an die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) zu melden. Dieses System verbessert langfristig die Arzneimitteltherapiesicherheit. Um den Apothekern ihre Aufgabe zu erleichtern, hat die AMK einen neuen Meldebogen entwickelt.

In den letzten Jahren wird der Pharmakovigilanz mehr und mehr Bedeutung beigemessen. Die EU-Kommission erarbeitete 2007 umfangreiche Vorschläge, die das europäische Pharmakovigilanz-System effizienter gestalten sollen. Im gleichen Jahr legte das Bundesgesundheitsministerium einen Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) vor, der derzeit fortgeschrieben wird. Sein Ziel ist es, durch vielfältige Maßnahmen die Sicherheitskultur in der Arzneimitteltherapie zu verbessern und so vermeidbare Schäden durch Arzneimittel weitgehend zu verhindern. Auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (1) will dazu beitragen und intensiviert die Erfassung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW).

 

Im letzten Jahr erhielt und bearbeitete die AMK 7400 Meldungen zu Arzneimittelrisiken aus den Apotheken (Abbildung 1). Diese Zahl war ein neuer Höchststand seit Einführung der elektronischen AMK-Datenbank 1994. Gegenüber 2008 stieg die Zahl der Meldungen um 11 Prozent. An die Geschäftsstelle der AMK in Eschborn werden »Arzneimittelrisiken« gemeldet, das heißt alles, was die Arzneimittelsicherheit und -unbedenklichkeit beeinträchtigen kann. Nach dem sogenannten Stufenplan umfasst dies unter anderem Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Resistenzbildung, Missbrauch/Fehlgebrauch, Gewöhnung/Abhängigkeit, Mängel der Qualität (auch technischer Art), Mängel der Behältnisse und äußeren Umhüllungen, Mängel der Kennzeichnung oder der Fach- und Gebrauchsinformationen sowie Arzneimittelfälschungen. Die Meldepflicht gegenüber der zuständigen Behörde nach § 21 Absatz 3 ApBetrO (»ist bei Arzneimitteln oder Ausgangsstoffen, die die Apotheke bezogen hat, die Annahme gerechtfertigt, dass Qualitätsmängel vorliegen, die vom Hersteller verursacht sind, ist die zuständige Behörde unverzüglich zu benachrichtigen«) bleibt hiervon unberührt.

Fast die Hälfte aller Beanstandungen im Jahr 2009 betraf galenische Mängel und Verpackungsfehler (Abbildung 2). Genau 2166-mal wurden UAW an die AMK gemeldet, auch dies ein Höchststand seit 1994. Um den Kolleginnen und Kollegen in den Apotheken die Meldung von UAW weiter zu erleichtern, hat die AMK einen speziellen UAW-Berichts­bogen konzipiert. In diesem Titelbeitrag werden die Bedeutung einer Meldung und der Hintergrund des Pharmakovigilanzsystems erläutert.

 

Was ist Pharmakovigilanz?

 

Unter Pharmakovigilanz versteht man die systematische Überwachung der Arzneimittel­sicherheit sowohl in der klinischen Entwick­lung als auch nach der Marktzulassung (»post marketing surveillance«, PMS). Die Welt­gesundheitsorganisation (WHO) definiert Pharmakovigilanz als Analyse und Abwehr von Arzneimittelrisiken (2). Pharmakovigilanz umfasst demnach auch Risikomanagement, Vermittlung von Arzneimittelinformationen, Vorbeugung von Therapiefehlern und Förderung einer rationalen Arzneimitteltherapie.

Nicht zuletzt die Thalidomid-Tragödie in den 1960er-Jahren gab in vielen Ländern den Anstoß, Pharmakovigilanz-Systeme zu etablieren. Auch international schreibt die Gesetzgebung der meisten Staaten die systematische Sammlung und Auswertung aller UAW-Verdachtsfälle vor, die bei der breiten Anwendung eines Arzneimittels bekannt werden.

 

Spontanmeldesysteme

 

Unter einer UAW versteht man ein unerwünschtes Ereignis, das durch die Anwendung eines Arzneimittels verursacht wird. Hierzu zählen auch Interaktio­nen mit anderen Arzneimitteln und unerwünschte Wirkungen durch Überdosierung und Missbrauch. Der Verdacht einer UAW kann zum Beispiel durch erneute Gabe des Präparats bestätigt werden. Lässt sich ein kausaler Zusammenhang zwischen unerwünschtem Ereignis und Arzneimittel bestätigen, ist die Definition einer UAW erfüllt.

Freiwillige, also spontane Berichte von UAW-Verdachts­fällen durch Angehörige der Gesundheitsberufe werden in sogenannten Spontanmelde­systemen erfasst. Verglichen mit klinischen Studien hat ein Spontanmeldesystem den Vor­teil, dass zeitlich unbefristet das gesamte Arzneimittelspek­trum sowie eine große Basis­population beobachtet wird, die alle Risikogruppen einschließt, zum Beispiel unterschiedliche Altersgruppen, Schwangere sowie Patienten mit verschie­denen Krankheiten und Komedikationen. In klinischen Studien werden dagegen gerade potenzielle Risikogruppen häufig ausgeschlossen.

 

In Deutschland ist die Spontanerfassung von UAW seit 1978 auch als Aufgabe der AMK im Arzneimittelgesetz (AMG) verankert. Die Paragrafen 62 und 63 verpflichten die zuständigen Bundesoberbehörden, das heißt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM (3), für Humanarzneimittel) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI (4), für Sera und Impfstoffe) sowie das Bundesinstitut für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL (5), für Tierarzneimittel) zur Erfassung und Auswertung der Risiken, die bei der Anwendung von Arzneimitteln auftreten, sowie zur Koordination der notwendigen Maßnahmen. Dabei sollen sie, neben vielen anderen Stellen, auch mit den Arzneimittelkommissionen der Heilberufe zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit wird durch eine Verwaltungsvorschrift geregelt, den sogenannten Stufenplan. Die AMK gilt als Stufenplanbeteiligte und wird von den Behörden in die Planungen einbezogen.

 

Apotheker sind durch ihre Berufsordnungen zur Meldung von Arzneimittelrisiken an die AMK verpflichtet. Die Statistik der AMK über ein Jahrzehnt (Abbildung 1) zeigt, dass die Meldebereitschaft der Kolleginnen und Kollegen in den Apotheken über die Jahre zum Teil deutlich zugenommen hat.

Das BfArM erhielt vom 1. Januar bis zum 30. September 2009 genau 34 170 Verdachtsfälle von uner­wünschten Arzneimittelwirkun­gen; davon kamen knapp 29 000 von pharmazeutischen Unternehmen und 5701 von anderen Quellen. Eine Statistik des BfArM zeigt anschau­lich, wer sich hinter den »anderen« Meldequellen verbirgt; neben der AMK sind es zum Beispiel andere Arzneimittelkommissionen der Heilberufe (Abbildung 3).

 

Vor- und Nachteile

 

Spontane UAW-Meldungen haben zwar einen geringeren Evidenzgrad als klinische Studien; es ist aber nachgewiesen, dass gerade sie die entscheidenden Informationen über bislang unbekannte Arzneimittelrisi­ken liefern (6). So wurden Purpura Schönlein-Henoch (Vasculitis allergica) und anaphylaktischer Schock erst nach der Zulassung als seltene UAW von Losartan entdeckt und die Produktinformationen entsprechend ergänzt. In anderen Fällen mussten die Hersteller Arzneimittel vom Markt nehmen, nachdem Spontanberichte bedeutsame Risiken aufgedeckt hatten, so der Gyrasehemmer Temafloxacin wegen hämolytischer Anämien oder der Calciumkanalblocker Mibefradil wegen vielfältiger Wechselwirkungen.

 

Informationen über die absolute Häufigkeit einer UAW können Spontanmeldesysteme nicht liefern. Sie lassen auch in der Regel keine vergleichende Bewertung von Arzneimitteln im Hinblick auf ein bestimmtes Risiko zu, da nicht bekannt ist, wie viele UAW nicht berichtet wurden und wie oft ein Arzneimittel angewandt wurde.

 

Die Effizienz des Systems steigt mit der Anzahl der Meldungen. Daher ist die geringe Meldebereitschaft der bedeutendste Nachteil von Spontanmeldesystemen. Eine systematische Auswertung von 37 Studien aus verschiedenen Ländern ergab, dass durchschnittlich 94 Prozent aller UAW, die durch intensive Überwachung der Patienten detektiert wurden, nicht an das jeweilige Spontanerfassungssystem gemeldet wurden (7). Dieses sogenannte Underreporting war bei schweren UAW etwas geringer, verglichen mit allen UAW (80 Prozent im Vergleich zu 95 Prozent).

 

Einer Untersuchung zufolge melden die Ärzte viele UAW nicht, weil sie diese für bekannt halten (8). Allerdings kann die Häufigkeit von bekannten UAW zunehmen, wie der Heparinskandal 2008 gezeigt hat. Schwere anaphylaktische Reaktionen waren als seltene UAW von Heparin bekannt; die Beimischung von übersulfatiertem Chondroitinsulfat führte aber zu einer Häufung der tragischen Ereignisse. Der Zusammenhang wäre schneller erkannt worden, wenn die bekannte UAW konsequent gemeldet worden wäre. Dies hätte viele lebensbedrohliche Situationen verhindern können.

 

Andere UAW werden nicht berichtet, weil der Heilberufler nicht sicher ist, ob tatsächlich ein Zusammenhang mit dem verdächtigten Arzneimittel besteht. Auf eine gesicherte Kausalität kommt es aber gerade bei einer spontanen UAW-Meldung nicht an, da alle berichteten UAW als Verdachtsfälle aufgefasst werden. Vielfach legt auch erst die Häufung von Meldungen einen kausalen Zusammenhang nahe. Die Kausalität kann durch spontane UAW-Meldungen in der Regel nicht gesichert werden. Daher wird sie durch Wahrscheinlichkeitsgrade zwischen sicher und unwahrscheinlich bewertet. Als Kriterien für die Kausalität gelten:

 

Zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anwendung des Arzneimittels und dem Auftreten der UAW: Verschlimmert sich die UAW, wenn die Dosis erhöht wird? Verschwindet sie mit dem Absetzen des Arzneimittels? Tritt sie bei Reexposition erneut auf?

Wahrscheinlichkeit alternativer Erklärungen für die unerwünschte Wirkung: Dafür kommen zum Beispiel die Krankheiten des Patienten, die Komedikation oder eine individuelle Disposition infrage.

Pharmakologische oder physiologische Plausibilität der UAW: Sie sollte den bekannten Eigenschaften des Stoffs oder der Stoffgruppe (Häufigkeit und Art bekannter UAW) nicht widersprechen.

 

Ob die Kausalität einer UAW überhaupt beurteilt werden kann, hängt entscheidend von der Quantität der Berichte, also von der Meldebereitschaft, ab. Liegen keine Berichte vor, kann daraus nicht geschlossen werden, dass das Arzneimittel keine Risiken birgt.

 

Andere Pharmakovigilanz-Systeme

 

Ein Spontanmeldesystem gibt es in fast allen entwickelten Ländern. Aufgrund seiner Schwachstellen wird es verschiedentlich durch weiterentwickelte oder spezifischere Methoden ergänzt.

 

Eine intensivierte UAW-Erfassung ist durch klinische Pharmakologen möglich, die, in der Regel über eine begrenzte Zeit, täglich Visiten bei einer ausgewählten Population durchführen. Dies ist jedoch mit einem hohen Aufwand an Personal und Zeit verbunden und damit teuer. Eine computergestützte Analyse von Untersuchungsergebnissen, zum Beispiel von Laborwerten, kann bei Abweichungen von definierten Grenzwerten automatisch Warnsignale erzeugen. Auch unbekannte oder seltene UAW werden so zeitnah erfasst.

Das Prescription Event Monitoring hat sich in Großbritannien etabliert. Da häufig von einer UAW-Meldung abgesehen wird, wenn ein Zusam­menhang mit einem Arzneimittel nicht auf der Hand liegt, wurde ein System entwickelt, bei dem nur unerwünschte Ereignisse (»events«) gemel­det werden. Die ersten 10 000 mit einem neuen Arzneimittel behandelten Patienten werden identifiziert und möglichst jede UAW erfasst, die mit einer Häufigkeit von mehr als 1 Promille auftritt. Die Methode erfordert vollständige Ver­schreibungsdaten der untersuchten Patienten. Ärzte werden von einer zentralen Stelle ange­schrieben und um Auskunft zu allen Ereignissen gebeten, die bei dem entsprechenden Patienten seit Erstverschreibung des Arzneimittels eingetreten sind.

Nationale Pharmakovigilanz-Zentren, deren gesetzliche Grundlage 2004 durch Änderung von Paragraf 62 AMG geschaffen wurde, sollen in Deutschland das Spontanmeldesystem ergän­zen. Sie sollen unter anderem gezielt und standardisiert bei einzelnen schweren Krankhei­ten oder spezifischen Patientengruppen, zum Beispiel Schwangeren und Stillenden, UAW erfassen und bewerten. Dabei soll auch deren relative Häufigkeit ermittelt werden. Das System ist noch im Aufbau; ein Netz von zehn bis zwölf Zentren ist geplant (10).

 

Pharmakoepidemiologische Datenbanken basie­ren auf routinemäßig erhobenen Verordnungs-, Diagnose- und Leistungsdaten, die personen­bezogen und pseudonymisiert erfasst werden. Zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit werden sie zum Beispiel in den Niederlanden, USA und Kanada genutzt. Mithilfe pharmakoepidemiologischer Datenbanken kann

 

die Sicherheit neuer Arzneimittel überwacht,

ein Verdacht auf einen Kausalzusammenhang einer UAW mit einem Arzneimittel überprüft,

die Häufigkeit auch sehr seltener Arzneimittelrisiken ermittelt sowie

eine Maßnahme zur Risikoabwehr evaluiert werden.

 

Warum berichten?

 

Ein Arzneimittel, das neu auf den Markt kommt, kann nicht in allen Einzelheiten seines Risikoprofils bekannt sein. Es wurde an wenigen Hundert oder Tausend Patienten über begrenzte Zeiträume klinisch geprüft. Erst nach der Zulassung wird es bei einer größeren Zahl von Patienten und über längere Zeit angewandt. Dann erst zeigen sich vor allem die selteneren Risiken, die zuvor nicht aufgefallen sind, wie die Marktrücknahmen von Mibefradil und Cerivastatin beispielhaft belegen.

 

Unbekannte Risiken sind vor allem bei neuen Arzneistoffen zu erwarten, aber auch bei Erweiterung einer Zulassung auf neue Indikationen, Applikationswege oder Patientengruppen sowie beim Übergang von der Verschreibungspflicht in die Selbstmedikation. Außerdem können veränderte Verschreibungsgewohnheiten das Risikoprofil eines Arzneistoffs verändern. Es gibt auch Beispiele für vermeintlich gut bekannte Arzneimittel, deren Risiken erst nach langer Zeit wahrgenommen wurden, zum Beispiel das Wechselwirkungspotenzial von Johanniskraut.

 

Die systematische Auswertung von spontan gemeldeten UAW-Verdachtsfällen kann einen Hinweis auf eine kausale Beziehung zwischen einem Arzneimittel und einer UAW geben, die zuvor nicht oder unzureichend bekannt war. Die frühzeitige Meldung und deren gewissenhafte Auswertung können daher erheblich dazu beitragen, von Patienten Schaden abzuwenden.

 

Bei der Erfassung unerwünschter Wirkungen von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kommt den Apotheken zwangsläufig die wichtigste Rolle zu. Aber auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sind sie häufig die ersten Ansprechpartner der Patienten. Was die Apotheken im persönlichen Gespräch über mögliche unerwünschte Wirkungen erfahren, darf nicht verloren gehen: Wichtige Informationen für die Arzneimittel(therapie)sicherheit können daraus resultieren. Daher möchte die AMK die Zahl der Berichte aus den Apotheken zu UAW-Verdachtsfällen deutlich erhöhen.

 

Neuer UAW-Berichtsbogen

 

Mit dem neuen Berichtsbogen zur Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen erhalten die Apotheker ein geeignetes Formular zur Dokumentation und Weiterleitung von UAW-Verdachtsfällen an die AMK. Dieser Berichtsbogen entstand gemeinsam mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ, 9) und in Abstimmung mit den Mitgliedern der AMK. Darüber hinaus wurden die Referenzapotheken, die der AMK für Fragen zur Arzneimittelsicherheit zur Verfügung stehen, zur Akzeptanz des neuen Bogens befragt. 98 Prozent gaben ein positives Feedback: Der neu gestaltete Bogen sei inhaltlich und optisch perfekt für die UAW-Meldung geeignet.

Aufruf an die Kolleginnen und Kollegen in den Apotheken

Helfen Sie mit, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern, indem Sie unerwünschte Arzneimittelwirkungen, von denen Sie Kenntnis haben und erhalten, an die AMK in Eschborn melden.

Der neue UAW-Berichtsbogen existiert als interaktives PDF-Dokument und kann nach dem Ausfüllen direkt per Klick auf den E-Mail-Button oben rechts im Dokument an die AMK-Geschäftsstelle versendet werden. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, das PDF-Dokument unter www.abda-amk.de herunterzuladen, auszufüllen und per Post oder Fax zu verschicken (und zu archivieren). Den neuen Berichtsbogen finden Sie auch im Serviceteil der Druckausgabe.

 

Welche UAW und wie melden?

 

Eine UAW ist eine schädliche und unbeabsichtigte Reaktion auf ein Arzneimittel, die nicht nur bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auftritt. Als UAW gelten demnach auch Wechselwirkungen sowie Missbrauch und Abhängigkeit. Auch Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel und Diätetika können unerwünschte Wirkungen hervorrufen, die gemeldet werden sollen. Die Meldepflicht gilt grundsätzlich für jede UAW, unabhängig davon, ob ein Zusammenhang mit dem Arzneimittel, Medizinprodukt, Diätetikum oder Nahrungsergänzungsmittel gesichert ist. Gerade Verdachtsfälle können dazu beitragen, bislang nicht gesicherte UAW zu identifizieren. Es genügt, dass ein zeitlicher Zusammenhang mit der Anwendung besteht und andere Ursachen nicht erkennbar sind. Von besonderem Interesse sind:

 

schwerwiegende UAW, die tödlich verlaufen oder lebensbedrohlich sind, einen Krankenhausaufenthalt erfordern oder verlängern oder schwere, bleibende oder kongenitale Schäden verursachen,

neue UAW, also solche, die nicht oder nur ungenügend in den Produktinformationen aufgeführt sind,

UAW bei Kindern,

verzögert auftretende UAW sowie

die Beobachtung, dass eine UAW häufiger auftritt als bisher.

 

Schwerwiegende Reaktionen, besonders bei tödlichem Ausgang, sollen sofort gemeldet werden.

Wie der Berichtsbogen ausgefüllt werden soll, zeigt das Beispiel. Die Dokumentation soll so viele Einzelheiten wie möglich enthalten. Folgende Angaben sind besonders wichtig:

 

genaue Beschreibung der UAW,

(zusätzlich) eingenommene oder kürzlich abgesetzte Medikamente,

Patienteninitialen, Geschlecht und Geburtsdatum (um Doppelmeldungen erkennen zu können),

das in Verdacht stehende Arzneimittel möglichst mit Dosierung und Zeitraum der Anwendung,

der Berichtende (Absender),

falls vorhanden, auch Laborergebnisse, Pathologiebefunde, Fotos oder andere wichtige Informationen.

 

Darüber hinaus sind die Diagnosen (Krankheiten) des Patienten, seine Lebensweise (Nikotin, Alkohol) und die gesamte Medikation bedeutsam. Angaben über den zeitlichen Zusammenhang der UAW mit der Einnahme des verdächtigten Arzneimittels, zum Beispiel sofortiger oder verzögerter Eintritt nach Behandlungsbeginn, Sistieren oder Weiterbestehen nach Absetzen, erneutes Auftreten nach Reexposition, sind hilfreich. Das Ausfüllen des neuen Berichtsbogens wird durch einen Erläuterungstext deutlich erleichtert.

 

Seit Jahrzehnten melden die Apotheker überwiegend auf die klassische Art in Papierform (84 Prozent). Auch im Internetzeitalter nutzen nur etwa 16 Prozent die Online-Variante. Diese Prozentzahlen ergeben sich durch regelmäßige Stichproben in der AMK-Geschäftsstelle. Die Vor- und Nachteile der beiden Möglichkeiten halten sich dabei keineswegs die Waage: Die klassische Methode ist anfälliger für fehlerhafte Daten. Die Handschrift des Ausfüllenden ist die häufigste Fehlerquelle. Mitunter sind die Angaben unvollständig. Der Aufwand für Rückfragen an den Versender ist dann nicht gerade gering und die Qualität der Daten eher unsicher. Zudem kann die manuelle Eingabe in die Datenbank ebenfalls eine Fehlerquelle darstellen. Die Nutzung der Online-Version kann bei entsprechender Voreinstellung verhindern, dass wichtige Angaben fehlen. Werden Pflichtangaben nicht eingetragen, kann der unvollständige Bogen gar nicht abgesandt werden. Darüber hinaus ermöglicht die Online-Meldung den einwandfreien 1 : 1-Transfer in die eigene Datenbank.

 

Was mit den Meldungen passiert

 

Die an die AMK gemeldeten UAW werden geprüft und in einer Datenbank erfasst und umgehend an die jeweils zuständigen Behörden (BfArM, PEI oder BVL) weitergeleitet. Die Berichte werden dort analysiert, bewertet und in eine UAW-Datenbank (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ) aufgenommen. Weisen die gewonnenen Erkenntnisse auf Arzneimittelrisiken hin, leitet die Behörde die erforderlichen Maßnahmen ein. Je nach Situation kommen folgende Konsequenzen infrage

 

verschärfte Beobachtung eines Präparats (Monitoring),

Änderung der Produktinformationen, zum Beispiel Aufnahme von Warnhinweisen,

Einschränkung der Zulassung (Indikationen, Kontraindikationen),

Ruhen oder Widerruf der Zulassung.

 

Der einzelne Patient, dessen unerwünschte Wirkung die Apotheke an die AMK berichtet, profitiert von dieser Meldung in der Regel nicht direkt. Die Bedeutung der spontanen UAW-Meldungen liegt in der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit für alle künftigen Patienten. /

Literatur

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www.abda-amk.de

WHO Uppsala Monitoring Centre: The importance of pharmacovigilance, safety monitoring of medicinal products. (2002) 42.

www.bfarm.de

www.pei.de

www.bvl.bund.de

Aargaard, L., et al., Information about ADRs explored by pharmacovigilance approaches: a qualitative review of studies on antibiotics, SSRIs and NSAIDs. BMC Clin. Pharmacol. 9 (2009) 4.

Hazell, L., et al., Under-reporting of adverse drug reactions: a systematic review. Drug Saf. 29 (2006) 385-396.

Göttler, M., et al., Zu viele Ärzte sind »meldemüde«. Dt. Ärztebl. 96 (1999) A1704-1706.

www.akdae.de

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Pharmakovigilanz. Arzneiverordnungen in der Praxis, 32 Sonderheft April 2005.

 

Die Autoren

Petra Zagermann-Muncke studierte Pharmazie in Frankfurt am Main und erhielt 1980 die Approbation als Apothekerin. 1984 wurde sie mit einer pharmakologischen Dissertation zur Dr. rer. nat. promoviert. Seit 1986 ist sie Mitarbeiterin der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker und von ABDATA Pharma-Daten-Service. 1993 erhielt sie die Anerkennung als Fachapothekerin für Arzneimittelinformation. Sie ist Mitglied verschiedener Ausschüsse beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.

 

Sonja Frölich studierte Pharmazie in Berlin und entschied sich nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Apothekerin im Oktober 2002 für das Promotionsaufbaustudium an der Freien Universität Berlin. Im Februar 2008 wurde sie im Fachbereich Pharmazie mit dem Forschungsthema »Phytochemische und pharmakologische Untersuchungen an traditionell gegen Malaria verwendeten Heilpflanzen als Basis für die Entdeckung neuer Leitstrukturen gegen Plasmodium falciparum« promoviert. Seit Januar 2009 leitet Dr. Frölich die Geschäftsstelle der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) in Eschborn.

 

Martin Schulz studierte Pharmazie (Approbation 1983) und Medizin an der Universität Hamburg. Die Promotion im Fach Pharmakologie erfolgte 1988. Seit Oktober 1988 leitet er das ZAPP der ABDA und übernahm 2002 die Geschäftsführung Pharmazie des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI). Im Juli 2005 erhielt er die Honorarprofessur für Klinische Pharmazie an der Goethe-Universität Frankfurt. Seit 2008 ist Professor Schulz Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Arzneimittel der ABDA und seit 2009 zusätzlich Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK).

 

Dr. Petra Zagermann-Muncke

Dr. Sonja Frölich

Professor Dr. Martin Schulz

Arzneimittelkommission (AMK)

Carl-Mannich-Straße 26

65760 Eschborn

s.froelich(at)abda.aponet.de

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