Produkte differenziert beurteilen |
09.03.2010 15:27 Uhr |
Von Conny Becker, Berlin / Wie zuvor die Generika werden auch Biosimilars in Fachkreisen von vielen argwöhnisch begutachtet, wenn nicht sogar harsch angegriffen. Die Kritik sei haltlos, so das Fazit von Experten auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin.
Biosimilars zählen zu den gentechnisch hergestellten Arzneimitteln und ähneln in ihrer Struktur und Wirkung einem Original-Biopharmakon, dessen Patent abgelaufen ist. Da es sich nicht wie bei Generika um einen, verglichen mit dem Referenzpräparat, vollkommen identischen Wirkstoff handelt, ist der Begriff Biogenerikum irreführend.
»Zwischen den beiden Arzneimittelklassen gibt es ganz grundlegenden Unterschiede«, stellte Professor Dr. Fritz Sörgel auf einer von Hexal unterstützten Veranstaltung klar. Während im Bereich der »klassischen« Generika kleinere, einfache Moleküle meist chemisch synthetisiert werden, werden die größeren und komplexeren Polypeptide oder Proteine für ein Biosimilar aus lebenden Zellen gewonnen, so der Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg-Heroldsberg. Da die Herstellungsprozesse in kultivierten Ovarzellen des chinesischen Hamsters oder mittels E. coli sehr sensibel sind und von Hersteller zu Hersteller differieren, reicht der Nachweis der Bioäquivalenz bei einem Biosimilar nicht aus. Je nach produzierender Zelllinie, Kulturmedium oder Kulturbedingungen können nämlich die Proteinfaltung und damit die Tertiärstruktur des Moleküls variieren ebenso wie dessen Glykosylierung, das heißt die Art und Länge der gebundenen Kohlenhydratketten. Daher wird auch in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) darüber diskutiert, ob Biosimilars generell einen anderen INN-Namen erhalten sollten als die Referenzprodukte.
Klinische Studien notwendig
Auf dem Schwarzmarkt vertriebene und für Dopingzwecke missbrauchte Epoetin-alfa-Präparate haben ein schlechtes Licht auf biologisch gewonnene Nachfolgeprodukte geworfen. »Die Labors in China oder Argentinien sind technologisch nicht auf europäischem Stand«, so Sörgel. Die Gel-Elektrophoresen dieser fraglichen Produkte wiesen im Gegensatz zu zugelassenen Biosimilars deutlich mehr Banden als die Referenzsubstanz auf, da essenzielle Reinigungsschritte nach der Isolierung aus den Wirtskulturen fehlten.
»Biosimilars haben eine klare rechtliche Grundlage«, betonte der Referent. So hat die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) bereits 2004 konkrete Leitlinien zur Entwicklung von Biosimilars herausgegeben und ist damit sogar der US-amerikanischen FDA voraus. Demnach müssen Biosimilar-Hersteller Qualitätsdaten zum Herstellungsprozess, zur Reproduzierbarkeit sowie analytische Tests liefern, die denen der Originalhersteller entsprechen. Die präklinischen Anforderungen umfassen zumeist eine reduzierte Zahl an In-vitro- und In-vivo-Tests, einschließlich verschiedener Rezeptorassays sowie vierwöchige Toxikologiestudien an Ratten, die alle unter Einbezug der Referenzsubstanz als vergleichende Studien durchgeführt werden müssen.
Vor allem die klinischen Studien, die bei der Generikaherstellung in aller Regel entfallen, unterscheiden sich abhängig vom Produkt. Für rekombinantes humanes Insulin, einem im Vergleich mit monoklonalen Antikörpern oder Wachstumshormonen leichter zu produzierendes Molekül, sind keine klinischen Studien vorgeschrieben. Demgegenüber werden für Somatotropin eine vergleichende Phase-III-Studie über sechs Monate und für Epoetine Sicherheitsdaten von mindestens 300 Patienten sowie zwei statistisch relevante Studien verlangt, jeweils im doppelblinden, randomisierten Parallelgruppendesign. Für alle Biosimilars muss wie bei Biopharmazeutika üblich ein Risiko-Management-Plan erstellt werden. Nach der Zulassung sind Pharmakovigilanzprogramme obligatorisch, in denen auch (Krankenhaus-)Apothekern eine wichtige Rolle zukommt. Mit dieser Anforderungsliste der EMA würden sowohl die Kriterien von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) als auch von Krankenhausapothekern erfüllt, so Sörgel.
Immunogenität als Problem
Alle Biopharmazeutika können immunologische Reaktionen wie die Produktion von Antikörpern induzieren, wodurch die Wirkung vermindert sein kann und für den Patienten das Risiko für eine Allergie oder einen anaphylaktischen Schock steigt. Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz hat die subkutane Gabe des Originalprodukts von Epoetin alfa zu einer Pure red cell aplasia (PRCA) geführt, da neutralisierende Antikörper gegen Erythropoetin gebildet wurden. Aus diesem Grund muss die Immunogenität in jeder Indikation besonders beachtet und mittels Antikörpertests in klinischen Studien ermittelt werden. Nach Einschätzung der AkdÄ lässt sich »kein besonderes Risiko von biosimilaren Erythropoetin enthaltenden Arzneimitteln ableiten, das ihrem therapeutischen Einsatz entgegenstünde«. Dabei enthalten die drei Biosimilars Abseamed®, Binocrit® und Epoetin alfa Hexal® identisch hergestelltes Epoetin alfa, ebenso wie bei Silapo® und Retacrit® identisch gewonnenes Epoetin zeta als Wirkstoff dient. Dies könnte in der Apotheke relevant werden, wenn ein Patient nach einer PRCA auf ein vermeintlich anderes Arzneimittel umgestellt würde, was de facto aus derselben Charge stammt wie das die Nebenwirkung auslösende Biosimilar. Bisher sind unter Epoetin alfa Hexal® noch keine Fälle von PRCA aufgetreten, da die Gabe bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (im Gegensatz zu Patienten mit chemotherapiebedingter Anämie) per se intravenös gegeben wird.
Substitution nach »aut similar«
Die Frage nach der Austauschbarkeit ist für Ärzte und Apotheker, aber auch für das angeschlagene Gesundheitssystem von großer Bedeutung. Denn auch wenn Biosimilars aufgrund der teuren biotechnologischen Herstellung – die Entwicklung kostet rund 100 Millionen Euro – verglichen mit Generika die Referenzprodukte preislich weniger deutlich unterschreiten: Bis zum Jahr 2020 wird das Einsparpotenzial der Biopharmazeutika, deren Patente bereits abgelaufen sind oder in Kürze ablaufen werden, deutschlandweit auf mehr als 8 Milliarden Euro geschätzt.
Laut der Stellungnahme der AkdÄ können Biosimilars bei Beginn einer Behandlung ebenso eingesetzt werden wie ein Originalprodukt. Bei einer Umstellung auf ein Biosimilar müssten gegebenenfalls andere Dosen, andere Dosierintervalle oder andere Darreichungswege sowie die zugelassenen Anwendungsgebiete beachtet werden. »Hinsichtlich der Sicherheit der Anwendung befindet man sich in einer vergleichbaren Situation wie mit einem neu zugelassenen Arzneimittel der gleichen Wirkstoffklasse, bei dem das Spektrum der wesentlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen bekannt ist«, so die AkdÄ. Daher werden engmaschige Kontrollen empfohlen. Für Apotheker gilt derzeit: Biosimilars sind nicht wirkstoffgleich und dürfen nicht gegeneinander ausgetauscht werden (siehe dazu Rabattverträge: Was bei Biologicals zu beachten ist).
In Klinik vergleichbar
In der Klinik habe sich der Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor (G-CSF) Filgrastim Hexal® seit einem Jahr bewährt, berichtete Privatdozent Dr. Peter Borchmann, Köln. Bei alten und jungen Patienten mit Lymphomen könnte das Gesamtüberleben um 11 Prozent gesteigert werden, wenn die Dosisdichte erhöht und gleichzeitig G-CSF gegen Neutropenien verabreicht würde. Dabei sei die Auswahl der verschiedenen Präparate keine medizinische, sondern in erster Linie eine wirtschaftliche Frage. Er sähe keinen Grund, an dem Biosimilar zu zweifeln, so der Referent.
Ähnlich lautete auch das Fazit von Professor Dr. Hans Tesch, Frankfurt, der über den Einsatz von Epoetin alfa Hexal® referierte, das seit Oktober 2009 auch zur subkutanen Behandlung von Anämien bei Krebspatienten zugelassen ist. Eine kontrollierte, randomisierte, multizentrische, doppelblinde Phase-III-Umstellungsstudie mit 114 Patienten habe ein mit dem Referenzprodukt vergleichbares Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil ergeben. Hinsichtlich des in jüngster Zeit auch in der Publikumspresse diskutierten Komplikationspotenzials einer Behandlung mit Epoetin alfa allgemein forderte Tesch zu mehr Wissenschaftlichkeit auf. Zwar wiesen einige wenige Studien ein gesteigertes Risiko für thromboembolische Ereignisse, einer Stimulation von Tumorzellen sowie eine erhöhte Mortalität unter Verum auf. In diesen seien jedoch teilweise Hämoglobinwerte von 15 oder 16 g/dl zugelassen worden, obwohl der empfohlene Hb-Zielwert 12 g/dl beträgt. Seit 2008 empfehle die Fachgesellschaft zudem, Epoetin alfa nur bei symptomatischer chemotherapieassoziierter Anämie anzuwenden und nicht in der Prophylaxe.
Auch wenn sich das Unternehmen nicht konkret zu den Kandidaten in ihrer Pipeline äußern wollte, so ist doch davon auszugehen, dass in nächster Zeit biosimilare monoklonale Antikörper sowie rekombinantes humanes Insulin auf den Markt kommen werden. Für Letzteres hat die EMA bereits eine entsprechende Leitlinie verabschiedet. /