Neue Indikation für Dienogest |
09.03.2010 15:28 Uhr |
Von Elke Wolf, Düsseldorf / Dienogest ist in der Gynäkologie kein Unbekannter. Seit Jahren übernimmt der Wirkstoff in oralen Kontrazeptiva und in der Hormonersatztherapie häufig den Gestagen-Part. Nun ist Dienogest erstmals als Monosubstanz zur Behandlung der Endometriose zugelassen.
Die Behandlungsoptionen der Endometriose sind derzeit alles andere als zufriedenstellend. GnRH-Analoga, allen voran Leuprorelinacetat, gelten als Goldstandard der medikamentösen Möglichkeiten. Doch massive Nebenwirkungen limitieren die Anwendungsdauer auf ein halbes bis ein Jahr. GnRH-Analoga unterdrücken die Estrogenbildung in den Ovarien und hemmen dadurch das Wachstum der Endometrioseherde. Doch da die Ausschüttung der Gonadotropine FSH und LH komplett blockiert wird, sind auch die Nebenwirkungen extrem belastend und gleichen denen in den Wechseljahren: Hitzewallung, Schweißausbrüche, atrophische Schleimhäute, meist werden auch die Knochen schnell demineralisiert. Daneben kommen orale Kontrazeptiva zum Einsatz. Doch sowohl reine Gestagen- als auch monophasische Kombinationspräparate, die beispielsweise Desogestrel oder Dienogest als Gestagen-Partner enthalten, sind für die Indikation Endometriose nicht zugelassen.
In jedem Fall wichtig: »Die Therapie muss langfristig angelegt sein, da es sich um eine chronische Erkrankung handelt und nach dem Absetzen der Medikation rasch erneut Beschwerden auftreten können«, sagte Professor Dr. Andreas Ebert, Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin, auf einer von Bayer unterstützten Veranstaltung. Daneben besteht die Möglichkeit, die Endometrioseherde operativ zu entfernen.
Mit der Einführung von Dienogest (Visanne®) Ende April/Anfang Mai erweitern sich nun die therapeutischen Möglichkeiten. Professor Dr. Alfred Mueck von der Universitätsfrauenklinik in Tübingen stellte Dienogest als ein Gestagen mit besonderen pharmakologischen Eigenschaften dar. Es vereinige die Eigenschaften der 19-Nortestosteron-Derivate wie die kurze Halbwertszeit, die hohe orale Bioverfügbarkeit und eine starke endometriale Wirkung mit den Eigenschaften der Progesteron-Derivate wie der Stoffwechsel-Neutralität (Lipid-, Kohlenhydratstoffwechsel) und der anti-androgenen Partialwirkung. Auch hinsichtlich vaskulärer, hepatischer oder zentraler Wirkungen verhalte sich Dienogest neutral, zeige die jahrelange Praxiserfahrung, sagte Mueck. Die Wirkung auf das Endometrium ist so effektiv, dass irreguläre Blutungen – wie oft bei anderen Gestagenen – nur sehr selten auftreten.
Klinische Studien demonstrieren die Überlegenheit von Dienogest gegenüber Placebo. In einer placebokontrollierten Doppelblindstudie erhielten 198 Patientinnen zunächst für 12 Wochen entweder 2 mg Dienogest oder Placebo. Die Verum-Gruppe hatte bereits nach vier Wochen signifikant weniger Schmerzen, gemessen mittels der visuellen Analogskala. Dienogest wurde gut vertragen, wobei die Verum-Patientinnen etwas häufiger Kopfschmerzen (10,8 Prozent versus 5,2 Prozent), Übelkeit (2,9 Prozent versus 1 Prozent) und Harnwegsinfekte (2,9 Prozent versus 0 Prozent) hatten.
Der Doppelblindphase folgte eine einjährige offene Studienphase, in der alle Frauen Dienogest erhielten. Dadurch profitierten auch die Frauen, die zuvor Placebo erhalten hatten, und verspürten deutlich weniger Schmerzen. Innerhalb weniger Wochen näherten sich beiden Schmerzkurven an und zeigten bis zum Ende der Studie einen parallelen Kurvenverlauf. Ebert: »Das spricht für die gute Langzeitwirkung von Dienogest.«
In einer weiteren Studie stand Dienogest gegen Leuprorelinacetat auf dem Prüfstand. So bekamen 252 Frauen mit Endometriose 24 Wochen lang entweder täglich 2 mg Dienogest oder 3,75 mg des GnRH-Analogons intramuskulär einmal monatlich. In beiden Behandlungsgruppen reduzierte sich der Schmerz um den gleichen Faktor. Für Ebert ist damit Dienogest dem Goldstandard ebenbürtig. Weitere klinische Studien müssen abklären, ob die Dienogest-Monotherapie eventuell mit anderen Substanzen zu kombinieren ist. Ebert hält auch eine Sequenztherapie von GnRH-Analoga und Dienogest für möglich, um die Endometrioseherde dauerhaft zu beruhigen. /
»So starke Regelschmerzen, dass sie die Frau Monat für Monat mit einer Wärmflasche ins Bett zwingen, sind nicht normal«, sagte Doreen Jackisch von der Endometriose-Vereinigung Deutschland im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Ein wesentlicher Grund, dass von den ersten Symptomen bis zum definitiven Befund zwischen sieben und neun Jahren vergehen, ist die Tatsache, dass die Frauen ihre Beschwerden oft für normale Regelschmerzen halten. Neben den starken Menstruationsbeschwerden sind es allgemeines Unwohlsein, diffuse Bauchschmerzen, Völlegefühl, Kopfschmerzen, Schwindel, Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs und Stimmungsschwankungen, die den Patientinnen zu schaffen machen.
Die Endometriose gilt bei rund einem Fünftel aller Patientinnen als alleiniger Sterilitätsfaktor, die ungewollt kinderlos sind. Grund sind Inseln von Endometrium-ähnlichem Gewebe, die außerhalb der Schleimhautauskleidung der Gebärmutterhöhle wachsen und wuchern. Weitaus am häufigsten siedelt sich dieses Gewebe am Bauchfell und an den Eierstöcken an. Die Endometrioseherde machen alle Zyklusschwankungen mit, die sich bei gesunden Frauen nur in der Gebärmutter abspielen. Estrogene stimulieren ihre Proliferation, Progesteron antagonisiert den Estrogeneffekt.