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Pharmaindustrie

Eine neue Generation von Verträgen

09.03.2010  16:51 Uhr

Von Martina Janning, Berlin / Noch überwiegen solche Rabattverträge zwischen Pharmafirmen und Krankenversicherungen, die sich um Preise und Mengen drehen. Doch diese Zeiten sind bald vorbei, sagen Gesundheitsökonomen. Mehrwertvereinbarungen, die ganze Behandlungskonzepte enthalten, und Risiko-Teilungs-Verträge sind die Zukunft.

Die Anzahl der Rabattverträge mit Krankenversicherungen steigt nicht nur gefühlt, sie nimmt tatsächlich zu. Die Preisnachlässe beschränken sich dabei längst nicht mehr auf Generika. Bei einer Recherche in Literaturdatenbanken und Marktforschungen, die Stephan Hübner, Diplomand bei GlaxoSmithKline, zusammen mit Studienkollegen für seine Abschlussarbeit machte, identifizierte er im November 2009 schon 121 Rabattverträge über patentgeschützte Arzneimittel.

Der Großteil, nämlich rund 90 Prozent der Verträge, enthält ausschließlich eine Preis- und Mengenkomponente, ergab Hübners Analyse. Lediglich die übrigen zehn Prozent beziehen sich zusätzlich auf Mehrwertleistungen.

 

Statt Rabatt zusätzliche Leistungen

 

Bei diesen Verträgen, die auch den Nutzen des Medikaments berück­sichtigen, handelt es sich um ganze Behandlungskonzepte. Statt eines Preisnachlasses bietet die Pharmafirma zusätzliche Leistungen wie zum Beispiel Schulungen für Patienten an. Hübner glaubt, dass diese Art von Vereinbarun­gen künftig zunehmen wird. Diese Ein­schätzung deckt sich mit Aussagen des Verbands forschender Arzneimittelher­steller (VFA). Er hat angekündigt, dass seine Mitglieder verstärkt solche Verträge schließen wollen.

Was Hübner jedoch eigentlich interes­sierte, war die Frage, was Hersteller bewegt, Rabattverträge für patentge­schützte Produkte abzuschließen. Dazu unterschied er »reaktive« und »pro­aktive« Motive und fand heraus: Zu den Faktoren, auf die Firmen reagierten, gehören zum Beispiel Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie Regelungen von Krankenversiche­rungen und Kassenärztlichen Vereinigungen und Rabattverträge von Konkurrenten. Von sich aus werden Hersteller beispielsweise aktiv, um eine Erstattung außerhalb der Regelleistung zu erreichen, um Mehrwertleistungen innerhalb von Versorgungskonzepten zu finanzieren und um Marktanteile zu sichern, bevor nachfolgende Generika dies tun können. Das ist Firmen offenbar sehr wichtig.

 

Nachlässe bis auf Generika-Niveau

 

Im Einzelfall könnten die Rabatte sogar das Preisniveau von Nachahmer-Präparaten erreichen, berichtete Hübner aus Gesprächen mit Kassenvertretern. Er stellte allerdings fest, dass insgesamt nur 30 Prozent der Rabattverträge über patentgeschützte Arzneimittel einen »proaktiven« Motivationshintergrund seitens der Hersteller haben.

Von allen abgeschlossenen Rabattvereinbarungen bewertet Hübner ein Viertel als erfolgreich in dem Sinne, dass sie ihr Ziel erreichen. Jedoch ist zu bedenken, dass Hübners Marktanalyse und Erfolgsbewertung dadurch erschwert wurde, dass Firmen die Verträge vertraulich behandeln. Er habe sich daher am Leitgedanken der Kontrakte orientieren müssen, räumte Hübner ein, als er seine Ergebnisse während der Jahrestagung 2010 der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (DGGÖ) in Berlin vorstellte.

 

Geteiltes Risiko

 

In derselben Veranstaltung gaben Oliver Damm und Helge K. Schumacher von der Universität Bielefeld einen Ausblick auf neue »Risk-Sharing-Agreements« zwischen Pharmaindustrie und Krankenversicherungen. Sie kommen besonders für innovative, oft biotechnologisch hergestellte Arzneimittel infrage, weil deren Entwicklungskosten sehr hoch sind, sie aber vielfach bloß einer kleinen Gruppe von Erkrankten nutzen.

 

Das erschwert auch herkömmliche klinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit. Damit solche Medikamente trotzdem auf den Markt kommen können, wird ihre erste Zulassung zum Beispiel zeitlich befristet und an Versorgungsforschungen gekoppelt.

 

Bei der neuen Generation von Verträgen »geht es in erster Linie darum, das Risiko von High-Cost-Produkten zu teilen«, erklärte Damm. Dabei wüssten beide Vertragspartner nicht, wie die Sache am Ende ausgehe. Die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter machen in der Theorie zwar eine Vielzahl von Vertragsmöglichkeiten aus, finden in der Praxis aber keine Reinformen, sondern »Hybridmodelle«, die verschiedene Vertragselemente mischen.

 

Insgesamt konnten Damm und Schumacher in einem Forschungsprojekt 26 solcher Risiko-Teilungs-Verträge recherchieren – unter anderem in England, den USA, Deutschland und Italien. Die Vereinbarungen bezogen sich auf die Erkrankungen Krebs, Osteoporose, Multiple Sklerose und Nierentransplantationen. Um den Erfolg verschiedener Risk-Sharing-Verträge beurteilen zu können, sei es noch zu früh, sagte Schumacher. »Es ist ein Such- und Erfahrungsprozess. Die erfolgreichen Verträge werden sich am Markt durchsetzen.« /

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