Rezepturherstellung in den Niederlanden |
05.03.2007 13:45 Uhr |
Rezepturherstellung in den Niederlanden
Von Annette van Gessel, Den Haag
Für die holländischen Kollegen ist das Laboratorium der Nederlandse Apothekers (LNA) der Wegweiser in Rezepturfragen. Seine Formelsammlung liefert die Grundlage für die meisten Magistralrezeptur-Verordnungen. Analog der NRF-Hotline finden Ratsuchende Hilfe beim »LNA-helpdesk«.
In den Niederlanden fertigt nicht jede Apotheke Rezepturen an. Vielmehr haben sich die Apotheker regional abgesprochen, dass einzelne Apotheken die Herstellung von Rezepturen und Defekturen für die Kollegen übernehmen. Zu den sogenannten bereitenden Apotheken zählen alle 70 Apotheken in den Kliniken und 1200 öffentliche Apotheken. »Rezepturen sind keine Konfektionsware, sondern Maßarbeit«, sagte Apotheker Oscar Smeets vom Laboratorium der Niederländischen Apotheker (LNA). Um diese Maßarbeit in Zukunft weiter zu verbessern, fordert das LNA fünf- bis sechsmal pro Jahr eine Rezeptur als Probe aus den herstellenden Apotheken an. Das Labor untersucht jährlich durchschnittlich 1000 Rezepturen. »Wir analysieren Proben von Defekturen und Rezepturen. Die Präparate suchen wir gezielt danach aus, ob wir Qualitätsprobleme vermuten. Wir verstehen diese Prüfung nicht als Examen, sondern als Qualitätszirkel«, kommentierte Smeets. Jeder Apotheker erhalte nach der Analyse einen individuellen Rapport und Vorschläge, was verbessert werden könnte. In manchen Fällen habe auch die FNA-Vorschrift geändert werden müssen.
Als Beispiele für Beanstandungen nannte Smeets falsche Identitäts- und Gehaltsangaben. So sei bei Zäpfchen häufig die relative Standardabweichung zu groß. »Bei kleinen Chargen liegt der Gehalt einzelner Zäpfchen oft bei 140 Prozent«, berichtete Smeets. Gleiches gelte für Kapseln. In der Konsequenz müsse eine größere Charge hergestellt oder aber die Herstellungsmethode der Chargengröße angepasst werden. Das LNA gibt Empfehlungen, welche Chargengröße bei einer bestimmten Rezeptur zu den besten Ergebnissen führt.
Darüber hinaus biete es den Kollegen seit einigen Jahren als besonderen Service eine Telefon-Hotline an, die sehr gut genutzt würde: Im Jahr 2006 beantworteten die Mitarbeiter, jeweils ein Apotheker und ein Apothekerassistent, etwa 7000 Fragen.
»Auch das NRF-Labor unterhält eine Rezeptur-Hotline«, sagte Dr. Holger Reimann, Leiter des pharmazeutischen Laboratoriums des Neuen Rezeptur Formulariums (NRF) in Eschborn. Reimann referierte über den Stand der Standardisierungsvorschriften in Deutschland und stellte den circa 300 niederländischen Kollegen unter anderem die gesetzlichen Grundlagen vor, nach denen deutsche Apotheker Rezepturen herstellen. Des Weiteren informierte er über die Ringversuche des Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL), Eschborn.
Nach welchen Kriterien erarbeitet das LNA eine neue FNA-Vorschrift? »Wir orientieren uns an Arzneimitteln, die nicht im Handel oder außer Handel sind«, sagte Dr. Doerine Postma, Apothekerin im LNA. Bei den Hilfsstoffen richte sich das LNA nach den Geräten und dem Herstellungsprozess. Parallel zur Herstellungsvorschrift entwerfen die Mitarbeiter die geeigneten Analysenmethoden für die enthaltenen Substanzen. Der nächste Schritt bestehe darin, eine begrenzte Zahl von Apotheken die neue Rezeptur herstellen zu lassen. Anschließend begännen die Stabilitätsprüfungen. »Wir fertigen zwei Chargen mit Stoffen von verschiedenen Lieferanten, bewahren diese 3, 6, 9, 12, 24 und 36 Monate bei 25°C und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit auf«, berichtete Postma. Bevor eine neue Vorschrift veröffentlicht wird, stellen die Mitarbeiter sicher, dass die Haltbarkeit der Rezeptur minimal sechs Monate beträgt.
Zusätzlich zu den FNA-Vorschriften werden in Qualitätszirkeln regionale Formularien erarbeitet. »Ziel war es, zu mehr standardisierten Rezepturen zu gelangen und dafür zu sorgen, dass für jede Rezeptur automatisch ein Protokoll erstellt wird«, so Apothekerin Dr. Annemieke Floor-Schreudering vom Institut für Pharmazeutische Praxis und Politik, Leiden. Hintergrund sei die große Diversität der Vorschriften gewesen. So verschrieben Dermatologen und Hausärzte zum Teil Rezepturen, die nicht rationell zusammengesetzt oder instabil waren. In einem ersten Schritt formulierten die Apotheker Kriterien, die den Sinn verschiedener Rezepturen beurteilten. Anschließend erstellten sie regionale Formularien mit standardisierten Vorschriften für rationale dermatologische Rezepturen und Arbeitsvorschriften für Rezepturen, die die Ärzte der Region häufig verordneten. »Wir arbeiten noch immer an der Evaluation der Standardisierung,« sagte die Projektleiterin von »regionale Absprachen dermatologische Apothekenzubereitungen (RADA)«. Doch laut Umfragen wachse der Anteil der standardisierten Rezepturen. In einigen Apotheken würden bereits 80 Prozent der Rezepturen anhand des regionalen Formulariums zubereitet.
RiFAs-Modell für mehr Sicherheit
«Der häufige Umgang mit Arzneisubstanzen birgt die Gefahr, dass der Betreffende unsensibler im Umgang mit risikoreichen Substanzen wird und die Arbeitsschutzmaßnahmen vernachlässigt«, so Judith Hofstede, Mitarbeiterin bei SBA (Stichting Bedrijfsfonds Apotheken = Verein der Betriebskassen der Apotheken). Seit 2002 arbeite SBA zusammen mit WINAp (dem wissenschaftlichen Institut der niederländischen Apotheker) an Richtlinien für die Sicherheit in der Apotheke. Ab Juni steht allen niederländischen Apotheken online ein neues Modell zur Risikoabschätzung, das sogenannte RiFAs-Modell (RiFAs = Risiko Instrument Farmazeutische Stoffe), zur Verfügung. RiFAs sei das Ergebnis einer umfangreichen Literatur-/Internetrecherche und aktueller Daten aus der Pharmazeutischen Industrie. Das Modell umfasst derzeit 425 Stoffe, die fünf Gefahrenklassen zugeordnet wurden.
Jede niederländische Apotheke erhält einen Code, mit dem sich die Mitarbeiter in das System einloggen können. Nachdem sie die Substanz ausgewählt haben, müssen sie noch Fragen zu den Arbeitsplatzgegebenheiten beantworten. Dann müssen sie eingeben, in welcher Form sie die Substanz verarbeiten wollen, ob fest oder bereits gelöst, und welche Menge sie benötigen. Daraufhin erfolgt die Einschätzung des Risikos bei der Rezepturherstellung. Unterschieden werden die Kategorien hoch, mittel oder gering. »Das RiFas-Modell kann nicht jedes Risiko ausschließen, jedoch minimieren«, sagte Hofstede.
Anhand der Informationen zu den Wirk- und Hilfsstoffen sowie den Empfehlungen zum sicheren Umgang mit den Substanzen, muss der Mitarbeiter seine Arbeit organisieren. Dazu gehören auch persönliche Schutzmaßnahmen wie Handschuhe oder Atemmaske. RiFAs empfiehlt weiterhin Maßnahmen zur Reinigung des Arbeitsplatzes. »RiFAs spricht Empfehlungen aus. Die Verantwortung für den korrekten Umgang mit Gefahrstoffen trägt nach wie vor der Apotheker«, so Hofstede.
»Kann der Apothekerasistent oder der Apotheker die Empfehlungen des RiFAs-Modells nicht 1:1 umsetzen, muss er letzten Endes selbst beurteilen, welche Maßnahmen er ergreifen soll«, so Dr. Maaike le Feber vom Institut für Lebensqualität, das der niederländischen Organisation für angewandte Wissenschaftsforschung TNO in Zeist angehört. »Welche arbeitshygienischen Strategien stehen ihm zur Auswahl?« Bei manchen Substanzen ließe sich das Risiko eliminieren, indem man eine fertige Lösung statt der Festsubstanz verwende. Für einige Apotheken ergäbe die Arbeit mit RiFAs möglicherweise, dass sie den Arbeitsplatz aufrüsten müssen. Doch auch organisatorische Maßnahmen böten sich an. Zum Beispiel lasse sich das Risiko verringern, indem häufig vorkommende Rezepturen mit hohem Gefährdungspotenzial gesammelt und nur an einem Tag pro Woche zubereitet werden würden. Weiterhin könnten die Mitarbeiter persönliche Schutzmaßnahmen wie das Tragen einer Atemmaske treffen. An erster Stelle müsste jedoch die Anpassung des Arbeitsplatzes stehen, bezog le Feber Stellung. Um Apothekerassistenten und Apothekern die Arbeit mit RiFAs zu erleichtern, seien ab April landesweit Symposien geplant.
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums richtete das Laboratorium der Niederländischen Apotheker (LNA) ein zweitägiges Symposium aus. Das LNA mit Sitz in Den Haag ist Teil der königlich niederländischen Gesellschaft zur Förderung der Pharmazie (KNMP), der Berufsorganisation der niederländischen Apotheker. Rund 150 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Zu den Aufgaben zählen die routinemäßigen Untersuchungen von in niederländischen Apotheken hergestellten Rezepturen. Weiterhin erarbeitet das LNA die standardisierten Rezeptur-Vorschriften des Formularium Nederlandse Apothekers (FNA), das derzeit 250 Vorschriften enthält.