Machbarkeit und Limitationen |
21.02.2017 15:06 Uhr |
Von Hanna M. Seidling1, Emilia M. B. Eknes1, Carina John2, Julia Fabricius3, Johanna Hauser4, Patrick Schäfer5, Walter E. Haefeli1 und dem ATHINA study team6 / Medikationsanalysen sind ein vielversprechender Ansatz, um Probleme in der Medikation zu erkennen und kurzfristig zu lösen – ihr Potenzial ist aber noch nicht ausgeschöpft.
Medikationsanalysen sind ein etabliertes Instrument, um die Medikation von Patienten strukturiert zu bewerten, arzneimittelbezogene Probleme (ABP) dadurch zu erkennen und zu lösen (1). Dabei hängt es von den verfügbaren Datenquellen wie der Medikationsliste, dem Patientengespräch oder ergänzenden klinischen Daten ab, welche ABP überhaupt erkannt werden können. So gelingt es zum Beispiel erst mit einer umfassenden Medikationsanalyse vom Typ 3, bei der alle Datenquellen zur Verfügung stehen, Dosierungsfehler verlässlich zu identifizieren.
Flächendeckende Projekte
Foto: Dörte Lange
In der öffentlichen Apotheke wird üblicherweise eine Medikationsanalyse vom Typ 2a durchgeführt. Das bedeutet, dass der Apotheker als Informationsquellen auf die Medikationsdaten (oftmals erhoben durch einen Brown-Bag-Review) und das ergänzende Patientengespräch zurückgreifen kann. Klinische, vom Arzt übermittelte Daten hingegen liegen in der Regel nicht vor. Derzeit gibt es in Deutschland neben lokal begrenzten oder projektbezogenen Initiativen auch breit angelegte Ansätze, bei denen Medikationsanalysen vom Typ 2a vom Apotheker angeboten werden. Zwei solcher Ansätze sind das Apo-AMTS Modell im Kammergebiet Westfalen-Lippe (2) und das ATHINA-Projekt, das ursprünglich von der Apothekerkammer Nordrhein ins Leben gerufen wurde und heute von fünf Apothekerkammern angeboten wird (Nordrhein, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hessen und Bremen). Im ARMIN-Projekt (3), der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen, einem gemeinsamen Vorhaben der Ärzte- und Apothekerschaft, gibt es zur pharmazeutischen Medikationsanalyse standardmäßig das Gegenstück der medizinischen Medikationsprüfung, wodurch ein umfassendes Medikationsmanagement umgesetzt werden soll.
Seit 2014 wird das ATHINA-Projekt begleitend wissenschaftlich evaluiert. Die Evaluierung wird von der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie/Kooperationseinheit Klinische Pharmazie am Universitätsklinikum Heidelberg durchgeführt. Ziel ist es, die Umsetzung und den potenziellen Nutzen der Medikationsanalyse in der Fläche zu analysieren. Erste Ergebnisse einer ersten retrospektiven Auswertung einer Stichprobe von 912 Medikationsanalysen liegen nun vor (»Research in Social & administrative Pharmacy« 2016, DOI:10.1016/j.sapharm.2016.10.016) (4).
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Patienten profitieren
Bei etwa der Hälfte (53,2 Prozent) der 9872 bewerteten Arzneimittel dokumentierten die Apotheker ein ABP und gaben am Ende bei rund zwei Drittel der Arzneimittel mit ABP an, das Problem gelöst beziehungsweise als unbedeutend eingestuft zu haben. Dies lässt darauf schließen, dass die Schulungsmaßnahmen im Rahmen von ATHINA die Apotheker dazu befähigen, diejenigen Patienten zu identifizieren, die potenziell von einer Medikationsanalyse profitieren könnten.
Durch die breiten Einschlusskriterien (typischerweise ältere Patienten mit einem erhöhten Risiko für ABP) war die Bandbreite der dokumentierten Arzneistoffe groß und die Apotheker bewerteten eine Vielzahl unterschiedlicher Therapien. Im Durchschnitt wurde ein Wirkstoff (kodiert als ATC-Code) sechsmal dokumentiert (Range = 1-384). Die am häufigsten dokumentierten Wirkstoffe waren Acetylsalicylsäure (n = 384), Pantoprazol (n = 354) und Simvastatin (n = 312). Erwartungsgemäß hatte nicht jeder Wirkstoff ein gleich hohes Risiko, mit einem Problem assoziiert zu sein. Bei den besonders häufig vorkommenden Wirkstoffen waren perorale Diclofenac-Formulierungen (81 Prozent), Ibuprofen (79,9 Prozent), Spironolacton (77,1 Prozent), Omeprazol (72,4 Prozent) und Calcium (71,0 Prozent) relativ gesehen am häufigsten mit einem ABP assoziiert.
Typ-bedingte Grenzen
Um die Machbarkeit von Medikationsanalysen abzuschätzen, eignet sich die Analyse derjenigen ABP, die generell oder im speziellen durch die Beratung in der Apotheke besonders gut gelöst werden konnten. Von den häufig dokumentierten Wirkstoffen konnten am häufigsten die ABP von topischen Diclofenac-Präparaten, L-Thyroxin und Levodopa gelöst werden, wobei die ABP von L-Thyroxin neben Omeprazol und Valsartan besonders gut ausschließlich durch den Apotheker gelöst werden konnten. Im Vordergrund standen hier Problemlösungen zur Arzneimittelanwendung. Hingegen benötigten verordnungsspezifische ABP erwartungsgemäß eine lösungsorientierte Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker. Innerhalb des kurzen Dokumentationszeitrahmens im ATHINA Projektes konnten solche Probleme typischerweise schlechter gelöst werden.
Die retrospektive Datenanalyse der ATHINA-Daten zeigte zudem allgemeine Grenzen von apothekenzentrierten Medikationsanalysen vom Typ 2a auf. Solch eine Analyse ist naturgemäß dadurch limitiert, dass die Informationen primär auf den Medikationsdaten und dem Patientengespräch beruhen. Im Fall des ausgewerteten ATHINA-Datensatzes waren aber zum Beispiel 6 Prozent der Arzneimittel bei Vorliegen einer eingeschränkten Nierenfunktion (< 60 ml/min beziehungsweise < 30 ml/min) kontraindiziert. Da jedoch die Nierenfunktion des Patienten nicht bekannt ist und eine korrekte Dosierung typischerweise erst in einer Medikationsanalyse Typ 3 überprüft werden kann, wurde dieses Risikopotenzial erwartungsgemäß von den Apothekern nicht bewertet.
Auch aus früheren Projekten ist bekannt, dass für eine effiziente Umsetzung von Medikationsanalysen im Apothekenalltag inhaltliche und technische Unterstützungen notwendig sind. Prinzipiell gibt es für die Durchführung von Medikationsanalysen eine Reihe von impliziten Kriterienkatalogen wie den Medication Appropriateness Index (5), die Empfehlung der American Society of Health System Pharmacists (6) oder die hausärztliche Leitlinie Multimedikation (7). Im ATHINA-Projekt verwendeten die Apotheker eine strukturierte Exceltabelle, in der sie standardisiert Durchführung und Ergebnisse ihrer Medikationsanalyse dokumentierten. Doch selbst bei einem solchen Vorgehen blieb die Medikationsanalyse zeitaufwendig. Im Schnitt gaben die Apotheker für die Dauer der Medikationsanalyse 90 Minuten an.
Bessere Vernetzung
Hier können zukünftig Initiativen wie das ARMIN-Projekt mit der Vernetzung der Primärsoftwaresysteme von Apotheke und Arztpraxis dazu beitragen, dass Medikationsanalysen einfacher in die Routineprozesse integriert werden, die Ergebnisse einer pharmazeutischen Medikationsanalyse vom Typ 2a unkompliziert an den Arzt weitergegeben werden und die Analyse um die medizinische Medikationsprüfung ergänzt wird. Summa summarum könnten so Lösungsansätze ohne Zeitverzug abgestimmt werden. /
Kontakt
Dr. Hanna Seidling , Universitätsklinikum Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 410, 69120 Heidelberg, E-Mail: Hanna.Seidling@med.uni-heidelberg.de
Literatur