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VEGF-Antagonisten

Therapieziel Antiangiogenese

16.02.2015  15:25 Uhr

Von Bettina Wick-Urban / Nach ihrer Entdeckung galten Angio­genese-Hemmer als Wunderwaffen im Kampf gegen Krebs. Mittlerweile haben die Antagonisten des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) einen festen Platz bei der Behandlung von Krebserkrankungen und bei bestimmten Makula-­Erkrankungen des Auges. Eine Übersicht.

Angiogenese findet lebenslang in metabolisch aktiven Geweben statt, beginnend im Uterus bis hin zum Tod (Kasten). Bei vielen physiologischen Prozessen wie der Embryogenese, dem weiblichen Monatszyklus, Schwangerschaft und Wundheilung, aber auch bei Erkrankungen wie Krebs, diabetische Retinopathie, Herzinfarkt oder Schlaganfall ist die Produktion des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) hoch reguliert. Es gibt Hinweise, dass erhöhte VEGF-Konzentrationen auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer eine Rolle spielen.

 

Solide Tumoren sind abhängig von einem mitwachsenden Kapillarnetz. Ab einer Größe von 2 mm2 ist die Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen nicht mehr gewährleistet. Forschungsergebnisse zeigen, dass das ungezügelte Wachstum von Tumoren nicht nur auf eine gesteigerte Angio­genese (Gefäßneubildung) zurückzuführen ist, sondern auch genetische Veränderungen die Ausschüttung der Inhibitoren drosseln (1, 2).

 

Therapieziel: Tumor dormancy

 

Ohne neue Blutgefäße für die Versorgung wächst der Tumor nicht weiter und bleibt symptomlos. Diese sogenannte Tumorruhe (Tumor Dormancy) kann Monate bis mehrere Jahre anhalten. Während dieser Phase, so die Modellvorstellung, überwiegen die Inhibitoren der Angiogenese oder es besteht ein Gleichgewicht. Anti-angiogenetische Therapieansätze sollen diesen Zustand der Tumorruhe herbeiführen.

 

Als primäres Ziel für Arzneistoffe gilt der VEGF: Er wird während der kompletten Tumorprogression ausgeschüttet, auch dann, wenn zusätzliche Wachstumsfaktoren wie basischer FGF oder TGFβ-1 (transformierender Wachstumsfaktor β1) die Angiogenese stimulieren. Hohe VEGF-Spiegel gehen einher mit einer ungünstigen klinischen Prognose. Bei den Patienten schreitet die Erkrankung schneller fort, die Gesamtüberlebensdauer ist verkürzt und die Rückfallquote höher (3, 4).

 

Die zugelassenen VEGF-Antagonisten werden nach ihrem Angriffspunkt in drei Gruppen unterteilt (siehe Grafik auf Seite 34).

 

Eine Gruppe bilden rekombinante Antikörper wie Bevacizumab, Ranibizumab – das VEGF-bindende Antikörper-Fragment von Bevacizumab – und Ramucirumab. Während die ersten beiden an VEGF binden und dadurch dessen Andocken an den Rezeptor verhindern, bindet Ramucirumab, das kürzlich auf den deutschen Markt kam, an den VEGF-Rezeptor und blockiert die Bindungsstelle von VEGF.

Wie Gefäße wachsen

In allen schnell wachsenden oder geschädigten Geweben findet Angiogenese statt, stimuliert durch den herrschenden Sauerstoffmangel. Neue Kapillaren werden gebildet, damit Sauerstoff und Nährstoffe alle Zellen durch Diffusion erreichen. Parenchymzellen, zum Beispiel in Haut, Herz, Leber oder Gehirn, schütten den angiogenen Faktor VEGF-A (= VEGF) aus und stimulieren dadurch die Ka­pillarneubildung. VEGF gehört wie der Plazenta-Wachstumsfaktor (PGF) sowie VEGF-B bis -E zu einer Familie von homodimeren Glykoproteinen, die strukturell dem Plättchen-Wachstumsfaktor (PDGF) ähneln.

 

Der zentrale Faktor VEGF dringt in benachbarte Blutgefäße ein und bindet mit hoher Affinität an die VEGF-Rezeptoren 1 und 2 (VEGFR-1 und -2) auf den Endothelzellen. Daneben existieren noch drei weitere Rezeptoren, an die die Mitglieder der VEGF-Familie mit unterschiedlicher Affinität binden. Das Andocken schaltet intrazellulär verschiedene Wachstumssignalprozesse an, die das Aussprossen neuer Gefäße, zum Beispiel in Richtung Tumor, stimulieren. Zunächst wird das die Kapillare umgebende Bindegewebe lysiert; kleine Zellausläufer der Endothelzellen (Spitzenzellen), die der höchsten VEGF-Konzentration ausgesetzt sind, wandern in das Gewebe ein. Die Endothelzellen hinter den Spitzenzellen vermehren sich und verlängern die Ausläufer. Anschließend verschmelzen die Spitzen von zwei Endothelausläufern und bilden eine neue Kapillare, die im letzten Schritt zu einer Arteriole oder Venole differenziert. Wachstumsfaktoren wie der Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FGF), PDGF und Angio­poietin-1 rekrutieren Perizyten, fördern die Ablagerung von extrazellulärer ­Matrix und sorgen dadurch für die ­abschließende Wandausbildung und Stabilisierung der Kapillare.

 

Die Angiogenese ist ein fein reguliertes System. Fließt Blut durch die neuen Kapillaren und versorgt das umliegende Gewebe mit ausreichend Sauerstoff, wird die VEGF-Ausschüttung gedrosselt. Zusätzlich stehen physiologische Angiogenese-Hemmer wie Interferon-α, Plättchenfaktor-4 oder Angiostatin im dynamischen Gleichgewicht mit den angiogenetischen Faktoren (1, 2).

Die zweite Gruppe bilden die Rezeptorfusionsproteine, sogenannte Decoy-Rezeptoren (Rezeptorfallen), die VEGF abfangen und die Bindung an den Rezeptor verhindern. Aflibercept besteht aus den VEGF-bindenden Teilen der ­extrazellulären Domäne der humanen VEGF-Rezeptoren-1 und -2 und dem ­Fc-Teil des humanen Immunglobulins IgG1.

 

Enzyminhibitoren bilden die dritte Arzneistoffgruppe, die die Angiogenese hemmen, indem sie die intrazellulären Tyrosinkinasen der VEGF-Rezeptoren inaktivieren (TKI). Ein Beispiel ist Axitinib, das hochaffin an drei VEGF-Rezeptoren bindet und die Phosphorylierung stoppt. Andere TKI binden neben den VEGF-Rezeptorkinasen mit hoher Affinität an weitere Enzyme, die während der Angiogenese sowie bei Zellwachstum und Metastasierung eine Rolle spielen. So inaktiviert Suni­tinib neben den Tyrosinkinasen von VEGFR-1 bis -3 unter anderem die ­Kinasen des PDGF- und des c-kit (Stammzellfaktor)-Rezeptors, die auch während der Angiogenese eine Rolle spielen, sowie weitere Rezeptoren, die wichtig sind für Zellwachstum und Differenzierung. Sorafenib hemmt neben diversen Rezeptor-Tyrosinkinasen auch intrazellulär verschiedene raf-Kinasen. Diese Serin/Threonin-Kinasen leiten Wachstumfaktor-vermittelte Signale in den Zellkern. Einige dieser Rezeptoren und Enzyme können, wenn sie überexprimiert oder mutiert vorliegen, zur Tumorentstehung beitragen (Protoonkogene). Durch die Hemmung mehrerer für das Tumorwachstum notwendiger Mechanismen verspricht man sich eine stärkere Wirksamkeit und verringerte Tumorresistenzbildung.

 

Neben den bereits genannten Multikinase-Hemmern sind Pazopanib, Vandetanib, Cabozantinib und Regorafenib für die Behandlung verschiedener Tumore zugelassen.

 

In Kombinationen als first oder second line

Angiogenese-Hemmer werden in Kombination mit Chemotherapeutika zur ­Behandlung von fortgeschrittenen oder metastasierten soliden Tumoren eingesetzt. Sie verstärken – wie für Bevacizumab gezeigt – die Wirksamkeit der Kombipartner durch verschiedene Effekte: 

 

Existierende Tumorgefäße bilden sich zurück, der Tumor schrumpft. Weniger Blutgefäße werden neu gebildet, das Tumorwachstum verlangsamt sich. Zudem normalisiert Bevacizumab die Permeabilität überlebender Tumorgefäße, wodurch weniger Aszites gebildet wird beziehungs­weise Flüssigkeit aus den Gefä­ßen austritt (5) (Grafik).

 

Zum Einsatz kommen Angiogenese-Hemmer entweder als primäre Behandlung (first line) des Tumors oder als Second-line-Therapie, wenn eine erste Behandlung nicht erfolgreich war und das Tumorwachstum fortgeschritten ist. Bei Kindern und Jugend­lichen wurden die Arzneistoffe aufgrund der Indikationen, die im Erwachsenenalter auftreten, nicht getestet. Details zu Indikationen und ­Dosierungen sind in den Tabellen 1 und 2 zusammengefasst.

 

Bevacizumab: first line bei Krebs

Bevacizumab war 2005 der erste in ­Europa zugelassene VEGF-Inhibitor. Mittlerweile wird der humanisierte monoklonale Antikörper neben der First-line-Behandlung des metastasierten Kolonkarzinoms (mCRC) auch bei anderen metastasierten Tumoren wie Mamma- (mBC) oder Nierenkarzinom (mRCC) beziehungsweise bei fortgeschrittenen Tumoren wie nicht-kleinzelligem Bronchial- (NSCLC) oder Ova­rialkarzinom (OC) eingesetzt.

 

Die zusätzliche Gabe von Bevacizumab zu einer Chemotherapie verlängerte in klinischen Studien bei allen Tumorarten die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung signifikant um 1,7 bis 5,9 Monate. Eine signifikant verlängerte Gesamtüberlebensdauer erreichte Bevacizumab nur bei Patienten mit mCRC in Kombination mit Irinotecan/5-Fluorouracil und Folinsäure sowie bei Patienten mit NSCLC, die eine Carboplatin/Paclitaxel-Chemotherapie erhielten. Die Betroffenen lebten im Mittel fünf beziehungsweise zwei Monate länger. Bevacizumab erhöhte zudem den Anteil der Responder um 10 bis 25 Prozent. Erhielten die Patienten Bevacizumab auch nach ­Absetzen der Chemotherapie weiter, verlängerte sich die Zeit bis zum Fortschreiten des Tumorwachstums um einige Monate (6-10).


Therapieziel: Verbesserte Sehschärfe

 

Ranibizumab wird eingesetzt zur Behandlung der neovaskulären (feuchten) altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) sowie von schweren Sehstörungen (Tabelle 1). Diese können infolge ­eines Makulaödems diabetischen Ursprungs oder aufgrund eines retinalen Venenverschlusses auftreten beziehungsweise als Folge einer pathologischen Myopie.

Bei der AMD sind die VEGF-Spiegel im Auge erhöht, ebenso bei den Ödem-Erkrankungen. Die erhöhte VEGF-Konzentration führt zu einer übermäßigen Neovaskularisierung der Aderhaut (Choroidea), einer gefäßreichen Schicht im hinteren Teil des Augapfels zwischen Hornhaut und Netzhaut. Aus den neu gebildeten Gefäßen tritt durch die erhöhte Permeabilität Blut und Flüssigkeit aus. Die Netzhaut verdickt sich, es bilden sich Ödeme sowie sub- oder intraretinale Blutungen, die die Sehkraft und Sehschärfe beeinträchtigen und unbehandelt bis zur Erblindung führen können.

 

Ranibizumab hemmt wie der Vollantikörper Bevacizumab die gesteigerte endotheliale Zellproliferation und vermindert die vaskuläre Permeabilität. Die Sehkraft bleibt erhalten und die Sehschärfe verbessert sich.

 

In klinischen Studien verzögerte Ranibizu­mab bei circa 95 Prozent der Patienten mit AMD den Sehkraft­verlust im Vergleich zu 62 Prozent der Patienten, die eine Scheininjektion erhiel­ten. Die Sehschärfe verbesserte sich innerhalb des ersten Behandlungsjahres bei 34 gegenüber 5 Prozent. Patien­ten, die frühzeitig und kontinuierlich behandelt wurden, profitierten am meisten von der Behandlung.

 

Eine ähnlich überlegene Wirksamkeit zeigte Ranibizumab im Vergleich zu einer photodynamischen Therapie mit Verteporin, die für AMD zugelassen ist (11-15). Mehr als ein Drittel der Patienten mit diabetischem Makulaödem (circa 15 Prozent bei Lasertherapie) und bis zu 60 Prozent der Patienten mit Venenverschluss-Ödem (circa 30 Prozent bei Placebo) erreichten mit Ranibizumab eine klinisch relevante, bessere Sehschärfe nach einem Jahr sowie einen kontinuierlichen Rückgang des ­Makulaödems (16-20).

Tabelle 1: Übersicht über parenteral verabreichte VEGF-Inhibitoren

INN-Name, Handelsname Molekül­- struktur Zugelassene Indikationen (Auswahl) und Dosierung Art der Verabreichung, Halbwertszeit in Tagen
Bevacizumab, Avastin® Rekombinanter, humanisierter MAK Metastasiertes CRC: 5 oder 10 mg/kg KG alle zwei Wochen oder 7,5 oder 15 mg/kg KG alle drei Wochen in Kombination mit ­Fluoropyrimidin-basierter Chemotherapie

Metastasiertes Mammakarzinom: 10 mg/kg KG alle zwei Wochen oder 15 mg/kg alle drei Wochen in Kombination mit Paclitaxel oder Capecitabin

Fortgeschrittenes, metastasiertes oder rezidivierendes NSCLC: 7,5 oder 15 mg/kg KG alle drei Wochen über sechs Behandlungszyklen mit Platin-haltiger Chemotherapie

Fortgeschrittenes und/oder metastasiertes RCC: 10 mg/kg KG alle zwei Wochen in Kombination mit Interferon α-2a

Fortgeschrittenes epitheliales Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primäres ­Peritonealkarzinom: 15 mg/kg KG alle drei Wochen in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel
Intravenöse Infusion initial über 90 Minuten, danach über 30 Minuten

HWZ:
Männer: 20
Frauen: 18
Ranibizumab, Lucentis® Fab-Fragment humanisierter MAK Feuchte AMD, Visusbeeinträchtigung infolge DMO oder Makulaödem aufgrund eines RVV:
0,5 mg einmal monatlich Visusbeeinträchtigung infolge einer CNV ­aufgrund einer PM: 0,5 mg einmalig
Intravitreale Injektion

HWZ: 9
Ramucirumab, Cyramza® Rekombinanter, humanisierter MAK Fortgeschrittenes Magenkarzinom:
8 mg/kg alle zwei Wochen
Intravenöse Injektion

HWZ: 8
Aflibercept, Eylea®, Zaltrap® Fusionsprotein aus extrazellulären Fragmenten des humanen VEGF-Rezeptors und Fc-Fragment des humanen IgG1 Feuchte AMD: 2 mg einmal monatlich, nach drei Injektionen alle zwei Monate

Makulaödem infolge ZVV: 2 mg monatlich

DMO: 2 mg monatlich, nach fünf Injektionen alle zwei Monate

Metastasiertes CRC: 4 mg/kg KG in Kombina­tion mit Irinotecan, 5-Fluorouracil und Folinsäure
Ophthalmologie: intravitreale Injektion

Tumorindikation: intravenöse Infusion über 60 Minuten

HWZ: 6

Ranibizumab versus Bevacizumab

 

Während Ranibizumab für die Behandlung der AMD zugelassen ist, hat Bevacizumab, das die gleiche Antigenspezifität besitzt, dafür keine Zulassung. Da Bevacizumab jedoch deutlich preisgünstiger ist, wird es von den ­Augenärzten eingesetzt. Kontrollierte Vergleichsstudien gab es lange Zeit nicht.

 

Mehrere herstellerunabhängige, 2012 und 2013 publizierte Studien mit bis zu zweijähriger Dauer zeigten eine vergleichbare Wirksamkeit und Verträglichkeit der beiden Arzneistoffe. Beide verbesserten die Sehschärfe klinisch signifikant sowohl bei einmal monatlicher Gabe als auch bei einer bedarfs­orientierten Therapie bei Fortschreiten der Erkrankung. Die Anzahl der Todesfälle und die Häufigkeit schwerer ­Nebenwirkungen waren vergleichbar. Eine neue systematische Analyse der unabhängigen Cochrane Collaboration wertete die Nebenwirkungen in neun Vergleichsstudien mit fast 4000 Patienten aus und fand keinen Unterschied im Auftreten von schweren Neben­wirkungen und Todesfällen. Einziger Unterschied: Unter intravitrealer Bevacizumab-Gabe traten mehr gastrointestinale Nebenwirkungen auf (21-24).

 

Mit Ramucirumab steht seit wenigen Tagen in Deutschland ein weiterer Antikörper zur Verfügung. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat bereits im April 2014 grünes Licht für den Einsatz bei fortgeschrittenem Magenkrebs gegeben. In klinischen Studien konnte Ramucirumab die Überlebensdauer bei Patienten, deren Erkrankung nach einer Platin- oder Fluoropyrimidin-Therapie fortgeschritten war, sig­nifikant verlängern im Vergleich zu ­Placebo (5,2 gegenüber 3,8 Monaten). Derzeit wird der Wirkstoff in weiteren Studien bei fortgeschrittenen oder metastasierenden Karzinomen im Darm, Lunge, Brust, Leber und Gebärmutter untersucht (25, 26).

Tabelle 2: Übersicht über die zugelassenen, peroral bioverfügbaren Tyrosinkinase-Hemmstoffe

INN, Handelsname Zugelassene Indikationen und Dosierung Darreichungsform, Halbwertszeit
Tyrosinkinase-Hemmer
Axitinib, Inlyta®Fortgeschrittenes RCC nach Versagen einer Therapie mit Sunitinib oder Zytokin: 5 mg zweimal täglich Tablette
HWZ: 2,5 bis 6,1 h
Cabozantinib, Cometriq®Nicht resezierbares, fortgeschrittenes oder metastasiertes medulläres Schilddrüsenkarzinom: 140 mg einmal täglich Kapsel
HWZ: 120 h
Sunitinib, Sutent®Nicht resezierbares, metastasiertes GIST; fortgeschrittenes oder meta­stasiertes RCC: Behandlungszyklus: 50 mg einmal täglich für vier Wochen, zwei Wochen Pause nicht resezierbares oder metastasiertes pNET: 37,5 mg einmal täglich ohne Therapiepause Kapsel
HWZ: 40 bis 60 h (aktive Metabolite 80 bis 110 h)
Pazopanib, Votrient®Fortgeschrittenes RCC; fortgeschrittenes Weichteilsarkom: 800 mg ­einmal täglich Tablette
HWZ: 30,9 h
Vandetanib, Caprelsa®Nicht resezierbares, fortgeschrittenes oder metastasiertes medulläres Schilddrüsenkarzinom: 300 mg einmal täglich Tablette
HWZ: 19 Tage
Serin/Threonin-Tyrosinkinase-Hemmer
Sorafenib, Nexavar®Leberkarzinom; fortgeschrittenes RCC nach Versagen der Zytokintherapie; progressives, lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes, differenziertes Schilddrüsenkarzinom, refraktär gegenüber radioaktivem Jod: 400 mg zweimal täglich Tablette
HWZ: 25 bis 48 h
Regorafenib, Stivarga®Metastasiertes CRC, nicht resezierbares/metastasiertes GIST: Behandlungszyklus: 160 mg einmal täglich für drei Wochen, eine Woche Pause Tablette
HWZ: 20 bis 30 h

Aflibercept als Köderrezeptor

 

Aflibercept als intravitreale Injektion ist ebenso wie Ranibizumab zugelassen zur Behandlung der AMD sowie bei Sehbeeinträchtigungen durch Makulaödeme (Tabelle 1). In klinischen Studien war Aflibercept ähnlich wirksam wie Ranibizumab. Bei AMD-Patienten erhielten beide Wirkstoffe das Sehvermögen und verbesserten die Sehschärfe über die zweijährige Studiendauer (27).

 

Auch bei Ödem-Patienten verbesserte Aflibercept signifikant die Sehschärfe im Vergleich zu einer Schein­injektion oder einer Laserkoagulation und verminderte die Netzhautdicke während des zweijährigen Studien­zeitraums. Direkte Vergleichsuntersuchungen mit Ranibizumab liegen nicht vor (28-30).

 

Eine intravenöse Infusionslösung ist in Kombination mit Irinotecan/5-Fluorouracil/Folinsäure (FOLFIRI) zugelassen als Zweitlinientherapie bei Patienten mit metastasiertem Kolonkrebs, der trotz einer Oxaliplatin-haltigen Therapie fortgeschritten ist. In klinischen Studien verlängerte die zusätzliche Gabe von Aflibercept zu FOLFIRI ­signifikant die Gesamtüberlebensdauer (13,5 gegenüber 12,1 Monate) sowie das progressionsfreie Überleben (6,9 gegenüber 4,7 Monate) gegenüber Placebo – auch bei Patienten, die zuvor ­Bevacizumab erhalten hatten (31). Eine Vergleichsstudie mit Bevacizumab plus FOLFIRI liegt nicht vor.

 

Aflibercept wird derzeit auch bei fortgeschrittenen oder metastasierenden Karzinomen des Darms, der Lunge, der Schilddrüse oder der Gebärmutter klinisch evaluiert (31).

 

Multikinase-Inhibitoren

Axitinib ist bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom nach Versagen einer Therapie mit Sunitinib oder einem Zytokin zugelassen (Tabelle 2). Bei Patienten, die Axitinib-Tabletten einnahmen, schritt die Erkrankung signifikant später fort als bei Patienten in der Kontrollgruppe, die Sorafenib-Tabletten erhielten. Am meisten profitierten Patienten, die zuvor mit Interleukin-2 oder Interferon-α behandelt wurden: Hier verdoppelte Axitinib fast die progressionsfreie Überlebenszeit im Vergleich zu Sorafenib (12,0 gegenüber 6,6 Monaten). Hatten die Patienten zuvor Sunitinib erhalten, war der Unterschied zwar signifikant, aber geringer (4,8 gegenüber 3,4 Monate). Der Effekt auf die Gesamtüberlebenszeit war vergleichbar (32, 33). Bei Patienten mit metastasierendem Nierenzellkarzinom ohne Vorbehandlung verlängerten beide Arzneistoffe vergleichbar die Zeit bis zur Tumorprogression (34).

 

Sorafenib ist für die Behandlung des fortgeschrittenen Leberkarzinoms zugelassen. Im klinischen Test verlängerte die Substanz das Gesamtüberleben und das progressionsfreie Überleben um drei Monate im Vergleich zu Placebo. Auch als sekundäre Therapie bei einem fortgeschrittenen RCC verlängert Sorafenib die Gesamtüberlebenszeit und verzögert die Zeit bis zur Progres­sion. Bei Patienten mit fortgeschrit­tenem oder metastasiertem Schild­drüsenkarzinom verlängerte sich das progressionsfreie Überleben im Vergleich zu Placebo, jedoch nicht die Gesamt­überlebenszeit (35-37).

 

Sunitinib wird eingesetzt bei gastrointestinalen Stromatumoren (GIST), bei pankreatischen neuroendokrinen Tumoren oder fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkrebs. Patienten mit GIST profitieren von einer verlängerten progressionsfreien Überlebenszeit (38-41). Menschen mit pankreatischen Tumoren und RCC haben zudem eine längere Gesamtüberlebenszeit (im Vergleich zur Gabe von Placebo oder Interferon-α).

 

Pazopanib verlängerte in Studien das progressionsfreie Überleben, jedoch nicht die Gesamtüberlebenszeit bei Patienten mit fortgeschrittenen RCC oder Weichteilsarkom. Im direkten Vergleich mit Sunitinib zeigten beide eine ähnliche Wirksamkeit bei RCC, jedoch scheint Pazopanib weniger häufig Nebenwirkungen wie Fatigue, Hand-Fuß-Syndrom oder Thrombozytopenie zu verursachen (42-44).

 

Regorafenib ist der bislang einzige Multi-Kinase-Inhibitor, der das Überleben von vorbehandelten Patienten mit metastasiertem Dickdarmkrebs signifikant verlängert (6,4 gegenüber 5,0 Monate bei Placebo). Daneben ist der ­Arzneistoff auch bei Patienten mit GIST wirksam, wenn diese nicht auf Imatinib oder Sunitinib angesprochen haben (45, 46).

 

Vandetanib und Cabozantinib werden zur Behandlung des seltenen, fortgeschrittenen oder metastasierten medullären Schilddrüsenkarzinoms eingesetzt. Sie verlängerten die progressionsfreie Überlebenszeit gegenüber Placebo um circa elf beziehungsweise sieben Monate (47, 48).

Abkürzungen auf einen Blick

AMD:neovaskuläre altersabhängige Makuladegeneration 

CNV: choroidale Neovaskularisation 

DMO: diabetisches Makulaödem 

FGF: Fibroblasten-Wachstumsfaktor 

GIST: gastrointestinaler Stromatumor 

mCRC: metastasiertes Kolonkarzinom 

mBC: metastasiertes Mammakarzinom 

mRCC: metastasiertes Nierenkarzinom 

NSCLC: nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom 

OC: Ovarialkarzinom 

PDGF: Plättchen-Wachstumsfaktor 

PGF: Plazenta-Wachstumsfaktor 

PM: pathologische Myopie 

pNET: pankreatische neuroendokrine Tumore 

PRES: posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom 

RVV: retinaler Venenverschluss 

TGFβ-1: transformierender Wachstumsfaktor β1 

TKI: Tyrosinkinase-Inhibitoren 

VEGF(R): vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor-(Rezeptor)

Ähnliches Nebenwirkungsspektrum

 

Alle Wirkstoffgruppen haben ein sehr ähnliches Nebenwirkungsprofil. Häufig treten Bluthochdruck, Fatigue, Asthenie, Diarrhö, Bauchschmerzen und Proteinurie auf, die in der Regel nicht schwerwiegend sind. Bluthochdruck und Proteinurie scheinen in höheren Dosierungen vermehrt aufzutreten. Die Hypertonie lässt sich in der Regel mit Antihypertensiva gut behandeln.

 

Blutungen, Magen-Darm-Perfora­tionen, Fisteln sowie Neutropenien und Infektionen gehören zu den schweren Nebenwirkungen der Behandlung. Weiterhin haben die Patienten ein erhöhtes Risiko für arterielle Thromboembolien wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder transitorische ischämische Attacken. Auch venöse Thromboembolien in der Lunge und den ­tiefen Beinvenen werden beobachtet. Aufgrund der VEGF-Hemmung kommt es zu Wundheilungsstörungen, zum Beispiel nach Operationen. Weiterhin können die Arzneistoffe die linksven­trikuläre Auswurfleistung beeinträch­tigen und zu einer kongestiven Herz­insuffizienz führen (49).

 

PRES-Syndrom

 

Bei allen Wirkstoffgruppen traten in den klinischen Studien oder nach Markteinführung vereinzelt Fälle von posteriorem reversiblem Enzephalopathie-Syndrom (PRES) auf. PRES ist eine neurologische Erkrankung, die sich unter anderen mit Kopfschmerzen, epileptischen Anfällen, Lethargie, Verwirrtheit, Blindheit und Hypertonie äußert und zum Tod führen kann. Beobachten Patienten solche Anzeichen, sollten sie sofort den Arzt informieren. Bestätigt eine Magnetresonanztomografie diese Diagnose, muss das Medikament sofort abgesetzt werden.

 

Im Unterschied zu den Kinase-Hemmern können die Antikörper sowie Aflibercept aufgrund des Proteincharakters Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zu anaphylaktischen Reaktionen auslösen.

Problem Tumorresistenz

Problematisch bei Tumorerkrankungen: Häufig treten Resistenzen gegen das eingesetzte Zytostatikum auf, das heißt der Tumor spricht nach einer ­bestimmten Zeit nicht mehr auf die Behandlung an und es kommt zum Rezidiv. Mutationen, DNA-Reparatursysteme und die vermehrte Expression von Effluxpumpen spielen dabei eine Rolle. Bei der Einführung von Bevacizumab hoffte man, die Tumorresistenz zu umgehen, da die Tumorzelle nicht unmittelbar gehemmt wird. Dies hat sich jedoch nicht bewahrheitet. Auch bei den Multikinase-Hemmern hoffte man, die Tumorzellen zu überlisten. Jedoch werden auch bei diesen Arzneistoffen Resistenzen beobachtet (49).

Kardiale Effekte

 

Spezifisch für die Kinase-Hemmer sind kardiale Nebenwirkungen. Besonders bei Patienten mit arrhythmischen Vorerkrankungen kann eine Verlängerung des QT-Intervalls auftreten, was das Risiko für ventrikuläre Arrhythmien einschließlich Torsade de pointes erhöht. Kinase-Hemmer wirken lebertoxisch und können bis zum Leberversagen führen. Transaminasen- und Bilirubinwerte müssen engmaschig kontrolliert werden; bei hohen Werten muss die Dosis reduziert oder das Medikament abgesetzt werden, bis sich die Werte normalisieren. Bei einigen Kinase-Hemmern wurde auch eine Hypothyreose beobachtet.

 

Häufig leiden die Patienten unter einem Hand-Fuß-Syndrom, eine mit ­einer schmerzhaften Schwellung und Rötung einhergehende erythematöse Hautveränderung an den Handflächen und Fußsohlen. Schwere Hautreaktionen wie Stevens-Johnson-Syndrom und toxisch-epidermale Nekrolyse wurden bei Sunitinib, Regorafenib oder Vandetanib beobachtet. Bei gleichzeitiger Gabe von intravenösen Bisphosphonaten und Sunitinib oder Cabozantinib ist eine Osteonekrose des Kiefers aufgetreten (49).

 

Lokale Nebenwirkungen am Auge

 

Die Nebenwirkungen der als intravitreale Injektion verabreichten Wirkstoffe Ranibizumab und Aflibercept sind ähnlich und betreffen vorwiegend das Auge. Am häufigsten klagen die Patienten nach der Injektion über Augenirritationen wie Schmerzen, Trockenheit, Juckreiz oder verstärkten Tränenfluss. Ebenso kann es zu okulärer Hyperämie, erhöhtem Augeninnendruck, Blutungen, Glaskörperabhebungen oder Beeinträchtigungen der Sehfähigkeit kommen. Seltener sind schwere Nebenwirkungen wie eine Infektion im Inneren des Auges (Endophthalmitis), die zur Erblindung führen kann, Netzhautablösung, Retina-Einriss oder ein traumatischer Katarakt (49).

 

Die gleichzeitige Gabe von starken Cytochrom-CYP3A4-Hemmern wie Ketoconazol oder Induktoren wie Phenytoin wird während der Behandlung mit Kinase-Hemmern mit Ausnahme von Sorafenib nicht empfohlen. Oder man muss die Dosis aufgrund der erhöhten oder erniedrigten Plasmakonzentrationen anpassen.

 

Neue Ziele: Psoriasis, Übergewicht und Diabetes

 

In der Haut wird VEGF vorwiegend von Keratinozyten ausgeschüttet. Patienten mit Psoriasis haben erhöhte VEGF-Spiegel in den betroffenen Hautarealen sowie in gesunden Arealen und im Plasma. Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), der bei Psoriasis ebenfalls erhöht ist, stimuliert zusätzlich die Angiogenese. Bei Patienten mit hohen VEGF-Plasmaspiegeln bricht die Pso­riasis-Erkrankung bereits vor dem 40. Lebensjahr aus und ist oft mit einer Psoriasis-Arthritis assoziiert. In Psoriasis-Mausmodellen reduzierten ein neuartiger dualer Decoy-Rezeptor, der gleichzeitig VEGF-A und TNF-α (Valpha) hemmt, sowie das bereits zugelassene Aflibercept die Hautsymptome, zum Beispiel die Epidermisdicke, und normalisierten die erhöhte Vaskularität (50, 51).

 

Studienergebnisse legen nahe, dass Angiogenese-Hemmer die Nährstoffzufuhr des abdominalen Fettgewebes blockieren können. In einer ersten ­Studie bei übergewichtigen Patienten reduzierte ein Extrakt aus Melissenblättern (ALS-L1023) das Gewicht um 15 Prozent nach zwölf Wochen im Vergleich zu Studienbeginn. Der Extrakt, der als Tablette eingenommen wird, hemmt in vitro angiogenetische Wachstumsfaktoren und Metalloproteasen. Derzeit werden Wirksamkeit und Verträglichkeit in einer größeren Studie in Korea überprüft (52, 53).

 

Auch Diabetes-Patienten könnten künftig von der Angiogenese-Hemmung profitieren. Im Tierversuch senkte Aflibercept den Blutzuckerspiegel. Als möglichen Wirkmechanismus vermuten die Forscher, dass Aflibercept zu einer Rückbildung von Blutgefäßen führt und damit die Anzahl hypoxischer Zellen in der Leber vermehrt. ­Unter hypoxischen Bedingungen wird das Protein HIF-2α ausgeschüttet; dieses stimuliert die Bildung von Insulin Rezeptor Substrat 2 (IRS2). IRS2 aktiviert den Insulinrezeptor, die Zellen sprechen verstärkt auf Insulin an und Glucose wird vermehrt aus dem Blut in die Zellen aufgenommen. Der Blutzucker sinkt. Sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes könnte sich dieser neu entdeckte Wirkmechanismus günstig auf die Stoffwechsellage auswirken. Klinische Studien müssen zeigen, inwieweit dies auch beim Menschen zutrifft (54). /

 

Literatur bei der Verfasserin

Die Autorin

Bettina Wick-Urban studierte Pharmazie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Nach ihrer Promotion 1996 in Basel und Freiburg mit einer Arbeit über experimentelle Krebs­therapien arbeitete sie bis 1998 als Referentin bei der Arzneimittelinformationsstelle der ABDA. Danach wechselte sie in die pharmazeutische Industrie und war von 1999 bis 2004 in der klinischen Forschung tätig, davon zwei Jahre in USA. Seit 2004 ist die Autorin in verschiedenen Positionen in der medizinisch-wissenschaft­lichen Information beschäftigt. Mitte 2006 schloss sie ein Journalismus-­Studium ab.

 

Dr. Bettina Wick-Urban

E-Mail: wickurban@web.de

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