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Diskussion um EuGH-Urteil

Pillen sind keine Brillen

08.04.2008  17:26 Uhr

Diskussion um EuGH-Urteil

Pillen sind keine Brillen

Von Sven Siebenand, Saarbrücken

 

Ist das sogenannte Optiker-Urteil auch auf Apotheker übertragbar? Eine Prognose, wie der Europäische Gerichtshof diese Frage beantworten und das deutsche Fremdbesitzverbot bewerten wird, ist noch immer reine Kaffeesatzleserei. Auf einer Podiumsdiskussion der Apothekerkammer des Saarlandes erfuhren die Teilnehmer mehr über die Systematik der Rechtsprechung beim EuGH.

 

Viele Wege führen nach Rom, nur zwei nach Luxemburg, genauer gesagt vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH): »Der erste Weg ist eine Direktklage der EU-Kommission gegen einen europäischen Staat, der zweite die Vorlage durch nationale Richter«, erklärte Professor Dr. Juliane Kokott, Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof. Im Fall der fremdbetriebenen DocMorris-Apotheke in Saarbrücken ist man den zweiten Weg gegangen. In dem Vorlageverfahren, das nun beim EuGH anliegt, geht es ausschließlich um das Fremdbesitzverbot. Das Mehrbesitzverbot ist vor dem EuGH kein Thema. Seit Kurzem ist es aber Teil eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland, initiiert durch den EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy.

 

Kollision mit EU-Recht

 

Dr. Jorgo Chatzimarkakis, Mitglied des Europäischen Parlaments und des EU-Arzneimittelforums, warnte: »Die Situation ist ernst, aber nicht hoffnungslos.« Die Besonderheit der Lage: Nationales Recht, das heißt Fremdbesitzverbot, beschränkter Mehrbesitz und vollumfängliches Verbot von Kapitalgesellschaften, kollidiert mit EU-Recht, das Niederlassungsfreiheit, auch für Kapitalgesellschaften, vorsieht. Wie das Urteil der  Luxemburger Richter letztlich aussehen wird, ist nach wie vor völlig offen. Chatzimarkakis rechnet frühestens im Herbst, wahrscheinlich erst Ende 2008 beziehungsweise Anfang 2009 mit der Entscheidung.

 

Auskünfte oder Prognosen über den Ausgang der EuGH-Entscheidung konnte auch Generalanwältin Kokott nicht geben. Anstatt über anhängige Verfahren zu sprechen, referierte sie im Allgemeinen über die Niederlassungsfreiheit in der EU. Sie stellte drei Fälle vor, in denen sich der EuGH früher bereits mit diesem Thema beschäftigt hat.

 

So kann ein EU-Staat einem Staatsangehörigen aus einem anderen Mitgliedstaat die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes nicht deswegen untersagen, weil der Betroffene gleichzeitig eine Kanzlei in einem anderen Staat unterhält.  Ein zweiter Fall beschäftigte sich mit privaten Sicherheitsdiensten, die ihren Service grenzüberschreitend anbieten. Neben weiteren detaillierten Vorschriften erteilte ein  EU-Staat den Sicherheitsunternehmen die Auflage, dass sie auch eine Niederlassung in dem betreffenden Land unterhalten müssen. Dem widersprachen die Luxemburger Richter. Denn jedes in einem Mitgliedstaat niedergelassene Unternehmen kann unabhängig vom Wohnsitz kontrolliert und Sanktionen unterworfen werden.

 

Als Drittes ging Kokott auf das sogenannte Optiker-Urteil ein. Im Jahr 2005 hatte der EuGH entschieden, dass das griechische Fremdbesitzverbot für Optikergeschäfte eine nicht gerechtfertigte Einschränkung der Niederlassungsfreiheit ist. Wenn sichergestellt ist, dass grundsätzlich ein qualifizierter Optiker anwesend ist, ist es nach Ansicht der Luxemburger Richter unerheblich, ob der Besitzer oder Angestellter des Geschäftes sei. Die entscheidende Frage für die deutschen Apotheker ist, ob sich das Optiker-Urteil eins zu eins auf deutsche Apotheken übertragen lässt - aus pharmazeutischer Sicht bestimmt nicht. Das machte auch Manfred Saar, Präsident der Apothekerkammer des Saarlandes, klar.

 

Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

 

Wer Optiker mit Apothekern vergleicht, habe aus seiner Sicht von Arzneimitteln wenig verstanden. Der Vergleich von Brillen mit Arzneimitteln sei ähnlich absurd wie der Vergleich eines Tretrollers mit einem Mercedes. In beiden Fällen werde etwas Untechnisches und völlig Gefahrloses mit einem Hightech-Produkt verglichen. Bei Missbrauch oder Fehlanwendung können Arzneimittel zu schweren gesundheitlichen Schäden bis hin zum Tode führen. Dies schließe einen Vergleich mit Brillen von vornherein aus und bedürfe keiner Diskussion.

 

Ganz so entschieden äußerte sich die Generalanwältin nicht. Aber auch sie stellte die Frage »Ist Pille gleich Brille?« in den Raum. Zwar ließ Kokett die Frage unbeantwortet, sie versicherte aber, dass der EuGH Urteile nicht blind von einem Fall auf den anderen überträgt. Vielmehr prüfen die Richter sorgfältig jedes Mal aufs Neue, ob eine nationale Einschränkung der Niederlassungsfreiheit, zum Beispiel aus Gründen der gesundheitlichen Versorgung, gerechtfertigt ist und ob eine Verhältnismäßigkeit gewährleistet ist. Der EuGH strebe ein hohes Schutzniveau im Sinne des Verbrauchers an.

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